Binger Mäuseturm

Binger Mäuseturm, 2004

Der Binger Mäuseturm ist ein ehemaliger Wehr- und Wachturm. Er steht auf der Mäuseturminsel im Rhein vor dem Binger Stadtteil Bingerbrück. Der 24,65 Meter hohe als Zollwachturm Anfang des 14. Jahrhunderts erbaute Mäuseturm erhielt seinen Namen aufgrund einer Sage.

Geschichte

Binger Mäuseturm, um 1900
Wahrschauer bei der Arbeit auf dem Mäuseturm, 1938

Ferdinand Luthmer mutmaßt 1907, der Name leite sich entweder vom Mautturm (althochdeutsch muta = Wegezoll), der Muserie (= Geschütz) oder dem mittelhochdeutschen mûsen (= spähen, lauern) ab.[1]

Der Turm wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Zollwachturm erbaut, um das Zoll-Sperrsystem der Burg Ehrenfels zu verstärken, oder um als Signalturm eine Begegnung von Schiffen im Binger Loch zu verhindern.[2]:212 Hierzu ist die Lage in der Mitte des Rheins an der Stelle, wo sich der Fluss von Ost-West-Richtung nach Norden wendet, besonders geeignet.[1] Die genaue Entstehungsgeschichte ist allerdings unklar.[2]:208 Er wurde während des Dreißigjährigen Krieges und im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 zerstört.[3] 1845 wurde er zur Nutzung als Wahrschau durch die preußische Regierung notdürftig repariert. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. ließ ihn von 1855 bis 1856 nach Plänen des Kölner Dombaumeisters Ernst Friedrich Zwirner und des Architekten Friedrich Albert Cremer unter seiner direkten Mitwirkung als preußische Grenzmarke der königlich-preußischen Rheinprovinz zum rechtsrheinischen Herzogtum Nassau und dem südlichen Großherzogtum Hessen im neugotischen Stil wiederaufbauen.[4] Von 1850 bis 1974 diente er als Signalturm für die Rheinschifffahrt. Die Wahrschau im Mäuseturm regelte den Schiffsverkehr an der Binger Loch genannten Engstelle am Beginn des Rheinengtals.[5] Mit der Verbreiterung der Fahrrinne wurde diese Funktion 1973/74 aufgegeben.

Architektur

Ruppertsberg mit Mäuseturm, 1638

Im ursprünglichen Zustand war der aus Bruchsteinen ausgeführte Zweckbau viereckig in vier Geschossen aufsteigend. Die Mauern waren 1,9 und 2,8 m stark und das Gebäude mit einem spitzen Dach bedeckt. Die Ecken waren mit ausgekragten Ecktürmchen besetzt, an der Nordostecke sprang ein sechsseitiger Treppenturm vor, der Ostseite war ein dreieckiger Eisbrecher vorgelegt. Die Fenster waren viereckig mit ungegliederten Gewänden.[1]

Der ab 1855 neu erbaute Turm besteht aus einem Erdgeschoss und drei Stockwerken, worüber sich eine Plattform befindet, die durch Zinnen gekrönt wird. Das in Bruchsteinen ausgeführte Mauerwerk wurde mit Putz überzogen. Die Tür- und Fenstereinfassungen, Gesimse, Balkonbrüstungen und Zinnenabdeckungen bestanden aus graugelbem Sandstein aus Flonheim bei Alzey und konnten restauriert werden. Für Treppenstufen, Balkontragesteine und den Fuß des Treppenturms wurde Niedermendiger Basalt-Lavastein neu eingesetzt. Auf der Fassade wurde ein aus Udelfanger Sandstein vom Bilderhauer Stephan aus Köln gefertigter heraldischer Adler angebracht, was die Bestimmung des Turmes als Landesgrenze betonte. Die nördliche Seite enthielt die Haupteingangstür, die von Albert Cremer nach Motiven aus der Domkirche Xanten entworfen wurde.[5]

Das Erdgeschoss erhielt Küche und Toilette, im Halbgeschoss darüber wurde eine Gerätekammer eingerichtet. Eine massive Treppe, die mit einem Ende in die Umfassungsmauer eingemauert ist, führt in den ersten Stock, wo ein Verwaltungszimmer für Beamte mit Balkon in Richtung des Binger Lochs eingerichtet wurde. Im zweiten Stock wurde die Wahrschau-Station eingerichtet, deren Aufseher im dritten Stock ein Schlafzimmer hatte. Die oberen Stockwerke sind mit einer Wendeltreppe verbunden. Abgesehen von der gewölbten Schlafstube verfügten alle Zimmer über Balkendecken, die Türen und Fensterrahmen wurden in Eichenholzfarbe gestrichen und mit Bernsteinlack überzogen. Die Fensterscheiben waren aus halbweißen Glas in Carniesblei in mittelalterlichen Motiven gefasst. Das Kreuzgewölbe der Schlafstube bildete eine Plattform, die mit Portland-Zement abgedeckt und mit einem zweiten Zementguss gegen die Witterung geschützt wurde. Das Regenwasser wurde durch Sandstein-Ausgüsse durch die ausgekragten Ecktürmchen abgeführt. Die Laterne des sechsseitigen Treppenturms, der sich noch um 26 Fuß mit ihrer Krönung über die Plattform erhob, konnte durch eine Lampe beleuchtet werden und trug gleichzeitig die Stange, an der bei festlichen Gelegenheiten das königliche Banner flatterte.[5]

Sage

Wo kein Freyheit, ist keine Frewdt, aus Daniel Meisners Schatzkästlein, 1625

Nach einer Sage ließ der Mainzer Erzbischof Hatto II. den Mäuseturm im 10. Jahrhundert erbauen. Damals soll der hartherzige Bischof, als eine Hungersnot im Land herrschte, den Armen Hilfe aus seinen gefüllten Kornkammern verwehrt haben. Als sie weiterbettelten, soll er sie in eine Scheune gesperrt haben, die daraufhin von seinen Schergen angezündet worden sei. Die Schreie der Sterbenden soll er höhnisch mit den Worten „Hört ihr, wie die Kornmäuslein pfeifen?“ kommentiert haben.[5]

In diesem Moment kamen der Sage nach tausende Mäuse aus allen Ecken gekrochen und wimmelten über den Tisch und durch die Gemächer des Bischofs. Die Masse der Nagetiere habe die Bediensteten in die Flucht geschlagen, und Hatto soll mit einem Schiff den Rhein hinab zur Insel gefahren sein, wo er sich sicher wähnte. Doch als er sich dort eingeschlossen hatte, sei er von den Mäusen bei lebendigem Leibe aufgefressen worden.

Diese ätiologische Erzählung war weitverbreitet und sollte den Namen des Turmes erklären. Josef Virgil Grohmann weist allen Sagen eine gemeinsame, heidnische Grundlage zu.[2]:205 In der Zeit der Rheinromantik inspirierte das oft gemalte Bauwerk durch seine grausige Sage auch Schriftsteller wie Clemens Brentano, Victor Hugo und Ferdinand Freiligrath. Seit dem 19. Jahrhundert wird die Sage zunehmend auch Hatto I., einem Amtsvorgänger Hattos II., zugeschrieben.Referenzfehler: Ungültiger Parameter in <ref>.

Seit 2016 ist der Turm im Rahmen von Führungen der breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Denkmalschutz

Binger Mäuseturm, 2015
Der Mäuseturm nach der Renovierung von der Rheinseite aus gesehen, 2015

Der Binger Mäuseturm ist ein geschütztes Kulturdenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz (DSchG) und in der Denkmalliste des Landes Rheinland-Pfalz eingetragen. Er liegt auf der Mäuseturminsel im Rhein.[6] Er ist seit 2002 Teil des UNESCO-Welterbes Oberes Mittelrheintal. Zudem ist er ein geschütztes Kulturgut nach der Haager Konvention und mit dem blau-weißen Schutzzeichen gekennzeichnet.

Der im Eigentum des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Bingen befindliche denkmalgeschützte Mäuseturm musste im Mai 2009 wegen Schimmelbefalls für Besucher gesperrt werden. Die Behebung dieser inneren Schäden und der wohl später getroffene Beschluss, auch eine äußere Sanierung durchzuführen, wurde vorbereitend offenbar zu Beginn des Jahres 2012 in Angriff genommen. Diese Arbeiten – vorerst eine Fülle projektbezogener Untersuchungen – erfolgten in Abstimmung und mit Unterstützung von Experten der Organisation Kulturelles Erbe/Direktion Landesdenkmalpflege, die mit Hilfe ihres Instituts für Steinkonservierung im Team waren, sowie mit Unterstützung der Technischen Universität Darmstadt, die die Untersuchung der klimatischen Verhältnisse durchführten. Das Projekt, an dem auch die Experten für Denkmalsanierung und -pflege des LBB (Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung), Niederlassung Koblenz beteiligt sind, wurde im Dez. 2015 abgeschlossen. Im Rahmen der Arbeiten wurde nicht nur der Schimmel entfernt, sondern auch eine sensorengesteuerte Heizung eingebaut, um die Mauern leicht beheizen zu können und so die Luftfeuchtigkeit, vor allem nach Hochwassern, zu verringern. An der Außenseite wurde eine Reihe von Schäden behoben und ein neuer Farbanstrich in Cremeweiß und Beige-Gelb angebracht.[7]

Literatur

  • Albert Cremer: Zeitschrift für Bauwesen 1857. Hefte X/XII S. 4 (unten) – 6; S. 503/504 (unten) – 507/508; Zeitschrift für Bauwesen 1857. Atlas Seite 69 = Blatt 54.
  • Friedrich Gottschalck: Der Mäusethurm. (=Sage, Volltext bei Wikisource), aus: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, S. 240–245, 1. Auflage, Hemmerde und Schwetschke, Halle 1814.
  • Ferdinand Luthmer: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Rheingaues. H. Keller 1907, Seite 55 f. Digitalisat
  • Fred Otten: Die Sage von Bischof Hatto von Mainz und dem Mäuseturm bei Bingen. In: Zeitschrift für slavische Philologie 39 (1977) 233 – 250, ISSN 0044-3492.
  • Winfried Wilhelmy (Hrsg.): Glanz der späten Karolinger. Hatto I. Erzbischof von Mainz (891-913). Von der Reichenau in den Mäuseturm. Katalog zur Sonderausstellung im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Mainz, 17. Mai bis 11. August 2013, Schnell und Steiner, Regensburg 2013.
  • Cornelius Will: Der Mäuseturm bei Bingen. In: Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde. 1. Jahrgang. Lintz, Trier 1875, Seite 205–216 Digitalisat
  • Martin Zeiller; Matthäus Merian (Hrsg.): Beschreibung des Frankenlandes: Bingen. Aus: Topographia Colonia et al. Frankfurt am Main, 1656. S. 24–26. Volltext bei Wikisource.
Commons: Mäuseturm – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Ferdinand Luthmer: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Rheingaues. H. Keller, 1907, S. 55 f. (Digitalisat).
  2. a b c Cornelius Will: Der Mäuseturm bei Bingen. In: Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthumskunde. I. Jahrgang. Lintz, Trier 1875 (online).
  3. Der Binger Mäuseturm. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. September 2013; abgerufen am 26. September 2013.
  4. Albert Cremer: Werdegang des Entwurfs und Baubericht. In: Zeitschrift für Bauwesen 1857, Hefte X/XII. S. 508 (online).
  5. a b c d Albert Cremer: Werdegang des Entwurfs und Baubericht. In: Zeitschrift für Bauwesen 1857, Hefte X/XII. S. 505 (online).
  6. Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Nachrichtliches Verzeichnis der Kulturdenkmäler – Kreis Mainz-Bingen. (Memento vom 30. September 2021 im Internet Archive) Mainz 2021[Version 2024 liegt vor.], S. 18 f. (PDF; 7,9 MB).
  7. Gewappnet gegen Wind und Wetter. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 24. Dezember 2015.

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Koordinaten: 49° 58′ 19″ N, 7° 52′ 51″ O