Georg Philipp Telemann

Georg Philipp Telemann (* 14. März 1681 in Magdeburg; † 25. Juni 1767 in Hamburg) war seinerzeit einer der berühmtesten Komponisten Europas. Er prägte durch neue Impulse, sowohl in der Komposition als auch in der Musikanschauung, maßgeblich die deutsche Musikwelt der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Georg Philipp Telemann, Kupferstich von Georg Lichtensteger (um 1745)

Leben

Kindheit und Jugend

Telemann stammte aus einer gebildeten Magdeburger Familie; fast alle seine Vorgänger besuchten die Universität. Sowohl sein Vater Heinrich als auch der Vater seiner Mutter Johanna Maria Haltmeier übten ein Kirchenamt aus. Abgesehen von Telemanns Urgroßvater, der zeitweilig Kantor in Halberstadt war, hatte niemand aus seiner Familie direkten Bezug zur Musik. Georg Philipp war das jüngere von zwei Kindern, die das Erwachsenenalter erreichten. Sein älterer Bruder Heinrich Matthias wurde nach einem Theologiestudium Pfarrer.

Georg Philipp besuchte das Gymnasium der Altstadt und die Schule am Magdeburger Dom, wo er Unterricht in Latein, Rhetorik, Dialektik und deutscher Dichtung erhielt. Von seiner umfassenden Allgemeinbildung zeugen beispielsweise seine selbst verfassten deutschen, französischen und lateinischen Verse, die er in seiner späteren Autobiografie wiedergab. Daneben beherrschte Telemann auch die italienische und die englische Sprache bis ins hohe Alter.

Da öffentliche Konzerte zur damaligen Zeit in Magdeburg noch unbekannt waren, ergänzte die in der Schule aufgeführte weltliche Musik die Kirchenmusik – auch die altstädtische Schule verfügte über konzertierende Musikinstrumente und betrieb regelmäßig Musik. Telemann war bekannt dafür, dass er in jungen Jahren jedes Instrument, das ihm in die Hände kam, zu spielen erlernte. Erste musikalische Erfahrungen sammelte er als Autodidakt mit dem Spiel von Geige, Flöte, Zither und Klavier. Telemann zeigte beachtliches musikalisches Talent; mit zehn Jahren begann er, seine ersten Stücke zu komponieren, oft heimlich und auf ausgeliehenen Instrumenten. Bereits nach wenigen Wochen Gesangsunterricht war Telemann in der Lage, seinen Kantor Benedikt Christiani, der lieber komponierte als unterrichtete, in den Oberklassen zu vertreten. Abgesehen von einer zweiwöchigen Unterweisung im Klavierspiel erhielt er keinen weiteren Musikunterricht. Gedämpft wurde sein Eifer von seinen Eltern und der Autorität des Kantors. Insbesondere seine Mutter, die 1685 Witwe wurde, missbilligte seine Beschäftigung mit Musik, zumal befreundete pietistische Theologen sie davor warnten, ihr Sohn könne sich zu einem Straßenmusikanten entwickeln.

Zwei Jahre später, mit nur zwölf Jahren, komponierte Telemann seine erste Oper, Sigismundus, auf ein Libretto von Christian Heinrich Postel. Um Georg Philipp von einer musikalischen Karriere abzubringen, beschlagnahmte seine Mutter alle seine Instrumente und schickte ihn zur Schule nach Zellerfeld. Jedoch blieb Telemann auch dort der Musik nicht fern; unter anderem lernte er den Superintendenten Caspar Calvör kennen, der sich in seinen Schriften intensiv mit den Parallelen zwischen Mathematik und Musik beschäftigte und Telemann förderte. Fast wöchentlich komponierte Telemann für den dortigen Kirchenchor Motetten. Deneben schrieb er auch Arien und Gelegenheitsmusiken, die er dem Stadtpfeifer vorlegte.

1697 wurde Telemann Schüler des Gymnasium Andreanum in Hildesheim. Unter der Leitung von Johann Christoph Losius vervollkommnete er seine musikalische Ausbildung und lernte – auch hier größtenteils im Selbststudium – Blockflöte, Orgel, Violine, Gambe, Flöte, Oboe, Schalmei, Kontrabass und Bassposaune zu spielen. Daneben komponierte er Vokalwerke, die zur Begleitung von Theaterstücken dienten. Weitere Kompositionsaufträge für den Gottesdienst des St.-Godehardi-Klosters erhielt er vom jesuitischen kirchenmusikalischen Direktor der Stadt, Pater Crispus.

Später ging Telemann nach Hannover und Braunschweig, wo er mit französischer und italienischer Instrumentalmusik in Berührung kam. Die zu dieser Zeit gesammelten Erfahrungen sollten große Teile von Telemanns späterem Werk prägen. Außerdem lernte er bei heimlichem Musikunterricht die italienisch geprägten Stile von Rosenmüller, Corelli, Caldara und Steffani kennen. Trotz seiner intensiven Beschäftigung mit der Musik scheint Telemann auch die Naturwissenschaften nicht vernachlässigt zu haben; nach eigener Erinnerung belegte er von 150 Schülern seines Jahrgangs den dritten Platz.

Studienjahre in Leipzig

1701 beendete Telemann seine Schulausbildung und schrieb sich an der Universität Leipzig ein. Unter dem Druck seiner Mutter nahm er sich vor, wie vorgesehen Jura zu studieren und sich nicht mehr mit der Musik zu beschäftigen. Zumindest versicherte er dies in seiner Autobiografie; dennoch scheint die Wahl der Stadt Leipzig, die als bürgerliche Metropole der modernen Musik galt, nicht zufällig gewesen zu sein. Schon auf dem Weg nach Leipzig hielt Telemann in Halle, um den damals sechzehnjährigen Georg Friedrich Händel zu treffen. Mit ihm begründete er eine Freundschaft, die sein ganzes Leben andauern sollte. Telemann schrieb, dass er seine musikalischen Ambitionen zunächst vor seinen Kommilitonen verheimlicht habe. Angeblich fand jedoch Telemanns musikbegeisterter Zimmerkamerad zufällig eine Komposition unter dessen Handgepäck, die er am folgenden Sonntag in der Thomaskirche aufführen ließ; diese Darstellung kann jedoch angezweifelt werden. Daraufhin wurde Telemann vom Bürgermeister beauftragt, zwei Kantaten pro Monat für die Kirche zu komponieren.

Charakteristische Unterschriften Telemanns (1714 und 1757)

Charakteristische Unterschriften Telemanns (1714 und 1757)

Dank des großen Erfolges seiner musikalischen Tätigkeiten erlangte Telemann bald das Vertrauen der Musik spielenden Leipziger Studenten. Nur ein Jahr nach dem Eintritt in die Universität gründete er für sie ein 40-köpfiges Collegium musicum, das auch öffentliche Konzerte gab. Im Gegensatz zu ähnlichen studentischen Einrichtungen dieser Art blieb das Collegium auch nach Telemanns Weggang bestehen und wurde unter dessen Namen weitergeführt. Auch später noch hatte das „Telemannische“ Collegium großen Einfluss auf das Musikleben der Stadt. Im selben Jahr wurde Telemann zum Direktor der 1693 von Nicolaus Adam Strungk eröffneten Leipziger Oper ernannt, an deren Aufführungen auch viele Mitglieder des Collegium teilnahmen und deren Hauptkomponist er bis zur Schließung blieb. 1704 wurde er von der Neuen Kirche (heute: Matthäikirche), der damaligen Universitätskirche der Stadt, als Organist und Musikdirektor eingestellt. Telemann unternahm von Leipzig aus zweimal Reisen nach Berlin.

Von Telemanns wachsendem Ansehen irritiert, warf der offizielle städtische Musikdirektor Johann Kuhnau ihm vor, mit seinen weltlichen Werken zu großen Einfluss auf die geistliche Musik genommen zu haben und verweigerte die Teilnahme seiner Choristen an den Opernaufführungen. Möglicherweise war die aus Sicht der Stadt relative Genügsamkeit Telemanns und die damit verbundene Schwächung von Kuhnaus Position ursächlich für die zwischen beiden Musikern entstandenen Spannungen, die schließlich Telemann zum frühzeitigen Verlassen der Stadt bewegt haben mögen. Trotz dieses Konfiktes lobte Telemann in seinen Autobiografien die kompositorischen Leistungen Kuhnaus.

Sorau und Eisenach

Im Juni 1705 wurde Telemann zum Kapellmeister am Hofe des Grafen Erdmann II. von Promnitz in Sorau (dem heutigen Żary) ernannt. Der Graf war ein großer Bewunderer der französischen Musik und sah in Telemann einen würdigen Nachfolger der von Lully und Campra geprägten Versailler Musikschule, von deren Kompositionen er bei einer Frankreich-Reise einige Abschriften mitbrachte und die Telemann studierte. Auf Reisen nach Krakau und Pleß lernte Telemann die polnische und mährische Folklore, wie sie wohl in Wirtshäusern und auf öffentlichen Veranstaltugen aufgeführt wurde, zu schätzen. Zweimal besuchte Telemann von Sorau aus Berlin; 1707 besuchte er Paris.

Ende 1708 verließ Telemann das vom Einmarsch der schwedischen Armee bedrohte Sorau und ging nach Eisenach, wo er Konzertmeister und Kantor am Hof des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach wurde. Oft musizierte er gemeinsam mit Pantaleon Hebenstreit. Telemann traf auf Johann Sebastian Bach und wurde einige Jahre später Patenonkel dessen Sohnes Carl Philipp Emanuel. In Eisenach komponierte Telemann zahlreiche Vokal- und Instrumentalwerke, unter anderem vier oder fünf Jahrgänge an Kantaten. Telemann war als solistischer Tenorist bei der Aufführung seiner eigenen Kantaten beteiligt. Im Oktober 1709 heiratete er Amalie Luise Juliane Eberlin, eine Hofdame der Gräfin von Promnitz. Kurz zuvor noch wurde Telemann vom Herzog zum Sekretär ernannt – eine zur damaligen Zeit hohe Auszeichnung. Telemanns Frau verstarb bereits im Januar 1711 bei der Geburt der ersten Tochter am Kindbettfieber.

Frankfurt

Telemann, koloriertes Aquatintablatt von Valentin Daniel Preisler nach einem verschollenen Gemälde von Ludwig Michael Schneider (1750)

Telemann, der nun auf der Suche nach neuen Herausforderungen war, bewarb sich erfolgreich in Frankfurt am Main, wo man ihn im Februar 1712 zum Kapellmeister der Barfüßer- und Katharinenkirche und kurz darauf zum städtischen Musikdirektor ernannte. Wie auch in Leipzig und Frankfurt begnügte sich Telemann nicht mit diesen Verpflichtungen. 1713 übernahm er die Leitung des Collegium musicum der Gesellschaft Frauenstein, die wöchentliche Konzerte organisierte, und wurde Vermögensverwalter und Wirtschafter der Vereinigung. Hier fanden auch die ersten Aufführungen seiner Oratorien statt. Telemann plante eine Aufführung seiner Brockes-Passion im Armenhaus, dem die Einnahmen aus dem Verkauf der Textbücher zugute kommen sollten, allerdings musste das Konzert wegen großen Andrangs in der Barfüßerkirche stattfinden.

Während seiner Zeit in Frankfurt komponierte Telemann neben fünf Jahrgängen von Kantaten weitere Oratorien sowie Orchester- und Kammermusik, von der ein Großteil veröffentlicht wurde. Allerdings fand er keine Gelegenheit, Opern zu veröffentlichen, auch wenn er weiterhin Werke für die Leipziger Oper schrieb. 1714 heiratete Telemann Maria Katharina Textor, die Tochter eines Ratskornschreibers.

Auf einem Besuch in Leipzig wurde Telemann mit der Ernennung zum städtischen Kapellmeister geehrt. Ein Jahr später bot der Herzog von Sachsen-Gotha ihm die Stelle als Kapellmeister an. Der Eisenacher Hof ernannte ihn zum Kapellmeister „von Haus aus“, sodass Telemann seinen Titel behielt, aber seine Musik nur noch an den Hof lieferte. Herzog Ernst August von Weimar bot Telemann seinerseits an, ihn zum Musikdirektor aller thüringischen Höfe zu ernennen. Ein an den Frankfurter Rat gerichteter Brief, in dem Telemann in höflichen Worten ein Ultimatum bezüglich seines Gehaltes stellte, beweist sein diplomatisches Geschick. Er blieb in Frankfurt und setzte eine Gehaltserhöhung von 100 Gulden durch. Zusammen mit seinen Einkünften aus der Gesellschaft Frauenstein und Honoraren für Gelegenheitskompositionen bezifferten sich Telemanns Jahreseinkünfte auf 1.600 Gulden, womit er zu den Bestbezahlten in Frankfurt gehörte.

Ab 1715 gab Telemann seine ersten gedruckten Werke im Selbstverlag heraus. Während eines Besuchs in Dresden traf er wieder auf Händel und widmete dem Geigenvirtuosen Pisendel eine Sammlung von Violinkonzerten. Später übernahm er auch die Stelle des Kapellmeisters des Prinzen von Bayreuth. Trotz seiner zahlreichen Reisen schrieb Telemann auch weiterhin mehrere Jahrgänge an Kantaten für Frankfurt, nachdem er die Stadt verlassen hatte.

Anfangszeit in Hamburg

1721 nahm Telemann das Angebot an, als Nachfolger von Joachim Gerstenbüttel die Kantorenstelle des Hamburger Johanneums zu übernehmen. Vermutlich schlugen Barthold Heinrich Brockes, der Telemanns Musik bewunderte, und Erdmann Neumeister, dessen Kantatentexte er oft vertonte, seinen Namen vor. Damit wurde Telemann neben seiner Stelle als musikalischer Leiter der Stadt auch Direktor der fünf größten Stadtkirchen – mit Ausnahme des Domes, der musikalisch von Johann Mattheson geleitet wurde. Sein feierlicher Amtsantritt fand am 16. Oktober statt. Hier, mit der Möglichkeit, Werke aller Formen zu komponieren und aufzuführen, begann erst seine 46 Jahre lang andauernde Hauptschaffensphase. Als Kantor verpflichtete sich Telemann zur Komposition von zwei Kantaten wöchentlich und eines Oratoriums pro Jahr. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Gelegenheitsmusiken wie die jährliche „Kapitänsmusik“. Trotz dieser zahlreichen Verbindlichkeiten war Telemann auch als Musiklehrer tätig und erfüllte weitere Aufträge aus anderen Städten. Seinen Verpflichtungen zu außermusikalischem Unterricht kam er allerdings nicht nach.

Telemann baute das bereits 1660 von Matthias Weckmann gegründete, aber mittlerweile heruntergekommene Collegium musicum neu auf. Die Eintrittskarten verkaufte er persönlich. Am 17. September wurde zum ersten Mal in Hamburg seine Kirchenmusik aufgeführt.

Telemann hatte jedoch in der Hansestadt mehr Ärger, als er erwartet hatte. Der Ratsdrucker Neumann, der das alleinige Recht beanspruchte, Telemanns Texte zu drucken, beschwerte sich beim Rat. Auch das Kollegium der Oberalten beschwerte sich, als Telemann 1722 einige Kantaten im vornehmen Wirtshaus Hof zu Holland aufführen wollte. Obwohl der Rat schwieg, erlangte Telemann Kenntnis dieser Beschwerden. Dies, zusammen mit der unzureichenden Bezahlung und seiner zu kleinen Wohnung, bewog ihn dazu, am 3. September ein Entlassungsgesuch einzureichen – das allerdings, anders als sein Brief an den Franfurter Rat, kein Erpressungsversuch war – und bewarb sich nach dem Tode Kuhnaus um die Stelle als Thomaskantor in Leipzig. Unter den sechs Bewerbern wurde er gewählt, „weil er nun wegen seiner Music, in der Welt bekant wäre“ (aus dem Ratsprotokoll). Er lehnte die Stelle jedoch etwas später ab, da der Hamburgische Stadtrat nun Telemanns Gehalt um 400 Hamburgische Mark erhöhte. Seine gesamten Jahreseinkünfte betrugen damit etwa 4.000 Mark. Die enttäuschten Direktoren der Thomaskirche bemühten sich, Johann Christoph Graupner zu gewinnen. Da dieser seine Stellung nicht aufgeben konnte, wurde Johann Sebastian Bach Kuhnaus Nachfolger.

Neubeginn in Hamburg

1722 übernahm Telemann die Leitung der Hamburger Oper, ein Amt, das er bis zur Schließung des Opernhauses im Jahr 1738 weiterführte. Viele seiner Opernwerke aus dieser Zeit sind heute verschollen. Telemann sorgte dafür, dass auch seine ursprünglich den gehobeneren Kreisen vorbehaltenen Kompositionen einer breiteren Audienz vorgeführt wurden. Die Aufführungen fanden meist im Drillhaus statt. Telemann schien im Großen und Ganzen mit seiner Tätigkeit zufrieden gewesen zu sein; Verdruss bereitete ihm nur die Tatsache, dass die Musiker von Jahr zu Jahr mehr Gehalt forderten, während sowohl seine persönlichen Bezüge als auch die Eintrittspreise konstant blieben.

Schlusschor des Oratorios der Kapitänsmusik (1730)

1728 gründete Telemann zusammen mit Johann Valentin Görner die erste deutsche Musikzeitschrift, die auch Kompositionsbeiträge unterschiedlicher Musiker enthielt. Der getreue Musikmeister sollte das Musizieren daheim fördern und erschien zweiwöchentlich. Neben Telemann und Görner trugen auch elf andere zeitgenössische Musiker wie Keiser, Bonporti und Zelenka mit ihren Kompositionen zur Zeitschrift bei. 25 Ausgaben sind heute vollständig erhalten. Um Kosten zu sparen, stach Telemann entweder selbst die Kupferplatten, oder er verwendete ein bis dahin nur in England gebräuchliches Verfahren, bei dem er mit Bleistift die Noten spiegelverkehrt auf eine Platte aus einer Zinn-Blei-Legierung aufzeichnete. Die Druckplatte wurde dann von einem anderen ausgeschabt und abgezogen. Dabei schaffte Telemann neun bis zehn Platten pro Tag. Bis 1740 veröffentlichte er 46 Notenwerke im Selbstverlag, die er in mehreren deutschen Städten sowie in Amsterdam und London an Buchhändler verkaufte. Man konnte auch beim Komponisten selbst Partituren bestellen; bis 1739 informierten regelmäßig ergänzte Kataloge den Musikfreund.

Telemanns Privatleben und seine zweite Ehe verlief weniger glücklich. Es war ein offenes Geheimnis, dass Maria Katharina ein Verhältnis mit einem schwedischen Offizier hatte. Über Telemanns unglückliche Ehe veröffentlichte einer seiner Textdichter, Johann Philipp Prätorius, ein satirisches Gedicht. Telemann scheint Prätorius dieses Pamphlet nicht nachgetragen zu haben; in seinem musikalischen Lustspiel Pimpinone persiflierte er seine eigene Ehe. Zusammen mit Maria Katharina hatte Georg Philipp zwei Töchter und acht Söhne, von denen die meisten im Kindesalter starben. Zehn Jahre nach der Geburt des letzten Kindes warf Telemann seine Frau aus dem Haus und schickte sie zu ihren Verwandten nach Frankfurt zurück, nachdem er entdeckt hatte, dass sie im Glücksspiel 5.000 Reichstaler (etwa 18.125 Hamburgische Mark) verloren hatte. Ohne Telemanns Wissen ließen einige Hamburger Bürger eine Spendenaktion organisierten, um ihn vor dem Bankrott zu retten. Dass es Telemann dennoch gelang, seine dringlichsten Gläubiger hauptsächlich aus eigener Tasche zufrieden zu stellen, und dass er sich mehrere – offensichtlich von der Stadt bewilligte – Kuraufenthalte in Bad Pyrmont leistete, beweist, dass er ein vermögender Mann war.

Reise nach Paris und späte Jahre

Im Herbst 1737 besuchte Telemann Paris, nachdem er von einer Gruppe dortiger Musiker (Forqueray, Guignon und Blavet) dazu eingeladen worden war. Sieben seiner Werke lagen in Paris bereits im Nachdruck vor. Telemann wohnte beim Cembalobauer Antoine Vater. Nach viermonatigem Aufenthalt verlieh der König ihm ein zwanzig Jahre dauerndes Exklusivrecht an seinen Veröffentlichungen, das vor Raubdrucken schützen sollte. Mit Aufführungen von mehreren Werken gelang Telemann endgültig zu internationalem Ruhm. Als erster deutscher Komponist durfte er sich am Concert spirituel, einer Einrichtung zur Aufführung von Motetten und Instrumentalmusik, vorstellen. Telemanns Paris-Besuch war sein einziger Auslandsaufenthalt, von Abstechern nach Holstein oder Schwerin abgesehen.

Im Mai 1738 kehrte Georg Philipp Telemann, dessen Ansehen auch in Deutschland durch die Reise erhöht worden war, nach Hamburg zurück. Die Schulbehörde kritisierte seine lange Abwesenheit, während der er sich von Johann Adolf Scheibe hatte vertreten lassen. Die Hamburger Oper, ein reiner Privatbetrieb, war inzwischen im Zuge sich verändernder Modevorstellungen geschlossen worden. Bühnenwerke wurden aber immer noch von Theaterkompanien aufgeführt, die oft monatelang in Hamburg Gastspiele gaben.

In einer im Oktober 1740 erschienenen Zeitungsanzeige bot Telemann die Druckplatten von 44 seiner selbstverlegten Werke zum Verkauf an. In der Begründung hieß es, er wolle seiner Aktivität als Komponist ein Ende setzen und sich nun auf die Veröffentlichung von Lehrschriften konzentrieren. Tatsächlich war sein Leben von 1740 bis 1755 von geringerer kompositorischer Aktivität geprägt.

Kantate Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem (1759)

Die meisten von Telemanns Kindern waren schon aus dem Haus. Maria Wilhelmina Eleonora war verheiratet und lebte bei Glückstadt, Andreas wurde in Plön Prediger, Johannes war Bediensteter des Geheimrats von Ahlefeldt bei Kopenhagen, Heinrich Matthias war in Hamburg Gewürzhändler, Anna Clara heiratete einen Organisten aus Föhr, und Benedict Eberhard Wilhelm wurde in Stockholm Apotheker. Überraschenderweise wurde keiner der Kinder Musiker. Telemann legte außerhalb der Stadt einen kleinen Garten an und widmete sich außerhalb seiner Pflichten der Sammlung seltener Blumen.

Obwohl er nun nicht mehr so produktiv wie früher war, komponierte Telemann auch weiterhin. Ab 1755 schrieb er noch drei große Oratorien und weitere geistliche und weltliche Werke. In seinen späten Jahren verschlechterte sich sein Sehvermögen – möglicherweise, weil er bis tief in die Nacht arbeitete. Außerdem litt er an Beinbeschwerden. Telemann zog immer häufiger seinen ebenfalls komponierenden Enkel Georg Michael, den Sohn von Andreas, zur Unterstützung beim Schreiben heran. Telemanns Humor und Innovationskraft litten nicht unter seiner Müdigkeit.

Telemanns letzte Komposition, eine Markus-Passion, stammt von 1767. Am 25. Juni, im hohen Alter von 86 Jahren, starb Telemann an den Folgen einer Lungenentzündung. Nachfolger im Amt wurde sein Patensohn, Carl Philipp Emanuel Bach.

Telemann schrieb drei Autobiografien. Die erste verfasste er 1718 in Frankfurt für Matthesons Große Generalbassschule. 1729 gab er für seinen Eintrag im Musicalischen Lexicon Informationen an Johann Gottfried Walther weiter. 1740 schrieb er eine ausführlichere Selbstdarstellung nieder, die Mattheson in seiner Grundlage einer Ehrenpforte veröffentlichte.

Wirken und Schaffen

Einfluss

Wie aus der zeitgenössischen Rezeption deutlich wird, gehörte Telemann zu den beliebtesten europäischen Komponisten und galt als der bedeutendste Kirchenkomponist Deutschlands. Beigetragen zu seiner beispiellosen Karriere hatten sein Geschäftssinn, sein Humor und die Unverfrorenheit, die er höher gestellten Personen entgegenbrachte.

Mehrere zeitgenössische Musiker – darunter auch Telemanns Schüler Johann Christoph Graupner, Johann Georg Pisendel und Johann David Heinichen – griffen Elemente von Telemanns Schaffen auf. Andere Komponisten wie Gottfried Heinrich Stölzel eiferten ihnen bald nach. Telemanns polnische Einflüsse regten Carl Heinrich Graun zum Nachahmen an; Johann Friedrich Agricola lernte in jungen Jahren aus Telemanns Werken. Auch Johann Friedrich Fasch, Johann Joachim Quantz und Johann Bernhard Bach erwähnten Telemann ausdrücklich als Vorbild für einige ihrer Werke. Aus eigenhändigen Bemerkungen, mit denen er die Manuskripte von Telemann versah, geht hervor, dass Carl Philipp Emanuel Bach etliche seiner Kompositionen studiert und aufgeführt hat.

Neben seinen Leistungen als Komponist hatte Telemann Einfluss auf die bürgerliche Haltung zur Musik. Telemann war der Begründer eines dynamischen Hamburger Konzertlebens, in dem er regelmäßige öffentliche Aufführungen außerhalb jeglicher aristokratischer oder kirchlicher Rahmenbedingungen ermöglichte. Seine Gründung von Amateurorchestern (collegia musica) und der ersten deutschen Musikzeitschrift mit diversen Kompositionsbeiträgen entsprang dem Wunsch, einer gewissen Bourgeoisie Zugang zur Musik zu ermöglichen. Auch die Vorworte mehrerer im Druck erschienener Lehrstücke bekunden die musikerzieherische Absicht, praktisches Studienmaterial zur Verfügung zu stellen.

Werke

Nach heutiger Forschung schrieb Telemann 3.621 Einzelwerke und ist damit der bis heute produktivste Komponist der Musikgeschichte. Dies liegt teils an seiner flüssigen Arbeitsweise, teils an seiner mit 75 Jahren sehr langen Schaffensphase (relativ zur Lebenszeit schrieben unter anderem Mozart und Schubert mehr Einzelwerke). Sein Erbe umfasst alle zu seiner Zeit verbreiteten Gattungen. Allerdings sind viele Kompositionen verschollen. Aus Telemanns Anfangszeit sind nur wenige Werke erhalten; der Großteil der überlieferten Stücke fällt in die Zeit von Frankfurt und Hamburg.

Einen Eindruck von Telemanns Arbeitsweise gab Friedrich Wilhelm Marpurg, der berichtete, zu seiner Zeit als Kapellmeister am Eisenacher Hofe seien Telemann wegen der bevorstehenden Ankunft eines hohen Besuchs nur drei Stunden Zeit gegeben worden, eine Kantate anzufertigen. Der Hofpoet verfasste den Text, und dazu schrieb Telemann gleichzeitig die Partitur, wobei er meist noch vor dem Dichter mit der Zeile fertig war. Nach etwas über einer Stunde war das Stück fertig.

Das Werk wird im Telemann-Werke-Verzeichnis (TWV) und dem Telemann-Vokalwerke-Verzeichnis (TVWV) aufgelistet. Die Instrumentalmusik wurde fast vollständig in modernen Ausgaben wiederveröffentlicht, während die Arbeit am TVWV noch nicht abgeschlossen wurde. Von den 49 geplanten Bänden der Auswahlausgabe sind bis jetzt 37 (ohne Ergänzungsbände; Stand: November 2005) erschienen oder in Arbeit. Wegen des schwer überschaubaren Oeuvres haben sich bis jetzt kaum allgemein akzeptierte „repräsentative“ Werke herauskristallisiert; es befindet sich noch im Stadium der Wiederentdeckung.

Telemanns Kompositionen sind sehr vielfältig. Er schrieb sowohl Kammermusik geringen technischen Schwierigkeitsgrades für den „Hausgebrauch“ als auch komplexere Werke. Telemann selbst betrachtete einige seiner Kompositionen kritisch und betonte den rein pädagogischen oder einfachen Charakter einiger Sammlungen. Auch bewies er eine große Flexibilität, indem er sich sowohl den wechselnden Moden seiner Zeit als auch der Musik verschiedener Nationen anpasste. In seiner Hauptschaffensphase wandte sich Telemann dem empfindsamen Stil zu, der musikgeschichtlich eher dem Rokoko als dem Barock zuzuordnen ist und eine Brücke zur Wiener Klassik schlug; oft vereinigte er diesen „galanten“ Stil mit kontrapunktischen Elementen.

Ein Novum stellten Telemanns Bemühungen um ein gesanglich fundiertes Melodieideal dar. In seiner Autobiografie von 1718 schrieb er:

„[Ich] bin auch jetzt noch der Meynung, daß ein junger Mensch besser verfahre, wenn er sich mehr in den Sätzen von gedachter Sorte umsiehet, als denenjenigen Alten nachzuahmen suchet, die zwar krauß genug contrapunctiren, aber darbey an Erfindung nackend sind, oder 15. biß 20. obligate Stimmen machen, wo aber Diogenes selbst mit seiner Laterne kein Tröpfgen Melodie finden würde.“

Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen spielte Telemann kein Musikinstrument virtuos, war aber mit einer Vielzahl vertraut und beherrschte alle gebräuchlichen. Der so erlangte Einblick in die unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Klangfarben erklärt seine Behandlung der Instrumentation als unerlässliches Kompositionselement. Am meisten schätzte Telemann wohl die Traversflöte und Oboe, insbesondere die Oboe d’amore. Selten verwendete Telemann hingegen das Violoncello außerhalb seiner Generalbassfunktion; vom Dudelsack und der Drehleier machte er keinen Gebrauch.

In der Harmonik drang Telemann in für damalige Zeiten ungewohnte Klangbereiche vor. Er verwendete oft ungewöhnliche (übermäßige und verminderte) Intervalle sowie alterierte Akkorde. In Telemanns Spätwerk treten die zur Ausdruckssteigerung verwendeten Dissonanzen besonders deutlich hervor.

Um den Charakter eines Musikstückes präzise anzugeben, wohl aber auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Dichterverband Teutschübende Gesellschaft, setzte sich Telemann – bereits 100 Jahre vor Robert Schumann – für die Verwendung deutscher Vortrags- und Ausdrucksbezeichnungen (z. B. „freundlich“, „sanftmütig“ oder „verwegen“) ein, allerdings ohne damit Nachahmer gefunden zu haben – einige Kopisten wandelten diese Bezeichnungen in ein traditionelleres „Allegro“ oder „Andante“ um.

Instrumentalwerke

Zu Telemanns Instrumentalmusik gehören 1.000 (davon erhalten sind 126) Orchestersuiten sowie Sinfonien, Konzerte, Violinsoli, Sonaten, Duette, Triosonaten, Quartette, Klavier- und Orgelmusik.

Die Instrumentalwerke weisen oftmals starke Einflüsse verschiedener Nationen auf. Einige Stücke passen sich vollständig dem französischen oder italienischen Stil an. Als erster deutscher Komponist integrierte Telemann im „vermischten Stil“ auch im großen Umfang Elemente der polnischen Volksmusik. Im Gegensatz zu anderen Komponisten wie Heinrich Albert beschränkte sich Telemann dabei nicht auf bekannte Elemente und Tanzformen, sondern prägte sowohl Orchester- als auch Kammermusik mit slavischer Melodik und Rhythmik. Zeitweise, wenn auch seltener, nahm er folkloristische Elemente weiterer Völker wie etwa des spanischen in seine Werke auf.

Telemann trug zur Emanzipation bestimmter Instrumente bei. So schrieb er das erste bedeutende Solokonzert für Bratsche und verwendete dieses Instrument erstmalig im Rahmen der Kammermusik. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war eine Komposition (Concert à neuf parties), in der zwei Kontrabasse verwendet wurden. Außerdem komponierte er – ohne es so zu benennen – das erste Streichquartett. Gleichzeitig mit und unabhängig von Johann Sebastian Bach entwickelte Telemann eine Sonate, in der das Cembalo nicht mehr als Continuo, sondern als Soloinstrument auftrat.

In mehreren Instrumentalwerken Telemanns spielt der Humor eine große Rolle. Der Schlußsatz « L’Espérance du Mississippi » einer Ouvertüre in B-Dur (TWV 55:B11) etwa mit seinem Auf und Ab spielte auf den Krach an der Pariser Börse im Jahre 1720 an. Ein anderes Beispiel bietet das Konzert Die Relinge, das das Liebesspiel eines Froschpaares musikalisch umsetzt.

Zu den heute populärsten Instrumentalwerken Telemanns gehören diejenigen, die im getreuen Musikmeister und in den Essercizii Musici (1739/40) veröffentlicht wurden, sowie die „Wassermusik“ (1723), die Tafelmusik (1733) und die Nouveaux Quatuors („Pariser Quartette“, 1737). In letzteren ließ Telemann zum ersten Mal in der Musikgeschichte das Cello gleichberechtigt neben anderen Instrumenten konzertieren. Zu Telemanns Zeit genossen ebenso die Musiksammlungen Singe- Spiel- und Generalbassübung (1733) und Melodische Frühstunden (1735) Bekanntheit.

MIDI-Hörbeispiel: Blockflötensonate TWV 41:f1 (Info)

Geistliche Vokalwerke

Laut eigener Aussage schätzte Telemann die Kirchenmusik am meisten. Seine 1.750 Kirchenkantaten stellen fast die Hälfte des Nachlasses dar. Daneben schrieb er 15 Messen, 22 Psalmen, über 40 Passionen, 6 Oratorien sowie Motetten und andere geistliche Werke.

Telemann wandte Techniken, wie sie auch in der Oper Verwendung fanden, auf seine geistlichen Vokalwerke an und löste damit die vorher strenge Trennung zwischen weltlicher und geistlicher Musik. Die religiöse Ausdruckskraft von Telemanns Kirchenmusik weist – gemäß den Hörerwartungen der Aufklärung – eher persönlich ansprechende denn mystische Züge auf. Die Texte zu den Vokalwerken wurden teils von ihm selbst verfertigt, teils stammten sie von anderen Dichtern.

Zu den populärsten geistlichen Werken von Telemann zählten seinerzeit das selige Erwägen (1722), die Donner-Ode (1756), Das befreite Israel (1759), Der Tag des Gerichts (1762), Das Lied Mirjams sowie die Hirten zu Bethlehem. Auch die Kantatensammlung Der harmonische Gottesdienst (1726) und das evangelisch-musikalische Liederbuch (1730) erfreuten sich großer Beliebtheit.

Telemann löste sich vom älteren Kantatentyp, der nur Choräle und unveränderte Bibelstellen vertonte. Wie auch Bach hält sich Telemann an die von Neumeister entwickelte Form, worin einem einleitenden Bibelvers oder Choral Arien und Ariosi folgen und in einen Schlusschoral münden. Seine bekannteste Kantate dürfte die Trauermusik Du aber, Daniel, gehe hin sein.

Weltliche Vokalwerke

Telemanns weltliche Vokalwerke lassen sich in Opern, großangelegte Festmusiken für offizielle Angelegenheiten, Kantaten im privaten Auftrag und Kantaten, in denen er dramatische, lyrische oder humorige Texte vertonte („Oden“, „Kanons“, „Lieder“) unterteilen.

Romain Rolland bezeichnete Telemann als den Komponisten, der der „Opéra comique“ in Deutschland zu größerer Verbreitung verhalf. Telemanns Opern zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte Charaktere und Situationen konsequent mit darauf abgestimmter Melodik, Motivik und Instrumentation darstellen.

Zu den ehemals beliebtesten und heute zum Teil wiederentdeckten der rund 50 Opern gehören Der geduldige Sokrates (1721), Sieg der Schönheit oder Gensericus (1722), Der neumodische Liebhaber Damon (1724), Pimpinone oder Die ungleiche Heirat (1725) und Emma und Eginhard (1728).

Telemanns letzte weltliche Kompositionen weisen eine hohe Dramatik und harmonische Kühnheit auf; die Kantate Ino (1765) etwa erinnert ob ihrer extremen Gefühlsregungen an die Musik Glucks.

Musiktheoretische Werke

Zu Telemanns Beiträgen zur Musiktheorie, denen er sich gegen Ende seines Lebens widmete, zählt die 1739 veröffentlichte und heute verschollene Übersetzung einer Beschreibung der Augenorgel. Dieses « Clavecin oculaire » war ein vom Mathematiker und Jesuitenpater Louis-Bertrand Castel entworfenes Instrument, das Telemann während seiner Paris-Reise besichtigte.

Einen Monat vor seinem Tod arbeitete Telemann an einem Stimmungssystem mit dazugehöriger Intervalltabelle, das jedoch wenig beachtet wurde.

Rezeptionsgeschichte

In der gesamten Geschichte der europäischen Kunstmusik war das Ansehen kaum eines Tonkünstlers einem derart radikalen Wandel unterworfen wie das von Georg Philipp Telemann.

Während Telemann seinerzeit ein großes Ansehen genoss, das auch über die Ländergrenzen hinausstrahlte, schwand seine Wertschätzung bereits wenige Jahre nach seinem Tod. Einen Tiefpunkt erreichte seine Anerkennung während der Romantik, als die bloße Bemängelung des Werks einer unbegründeten, auch seine Person betreffenden Diffamierung wich. Musikwissenschaftler des 20. Jahrhunderts räumten – zunächst zögerlich – auf Werkanalyse gestützen Einschätzungen mehr Raum ein und leiteten schließlich eine Wiederentdeckung Telemanns ein, die von sporadischer Kritik begleitet wird.

Ruhm zu Lebzeiten

Telemann, anonymer Stich aus England

Abgesehen von den prestigeträchtigen Posten und Angeboten aus höfischem und städtischem Umfeld erreichte Telemann auch in intellektuellen, künstlerischen und populären Kreisen zeitlebens ein hohes, stetig wachsendes Ansehen. Während Telemann schon in Frankfurt weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war, erreichte sein Ruhm in Hamburg den Höhepunkt.

Dass Telemann eine europäische Berühmtheit war, zeigt sich beispielsweise an den Bestelllisten seiner Tafelmusik (1732) und seiner Nouveaux Quatuors (1738), die Namen aus Frankreich, Italien, Dänemark, Schweiz, Holland, Lettland, Spanien und Norwegen enthalten. In Frankreich galt er als der bedeutendste deutsche Komponist. Ebenso beweisen Einladungen und Kompositionsaufträge aus mehreren Städten Europas Telemanns internationales Ansehen. Wie ein Angebot aus Sankt Petersburg zum Aufbau einer Hofkapelle im Jahr 1729 zeigt, war er auch in Russland bekannt. Zu Aufführungs- und Studienzwecken wurden von seinen beliebtesten Werken allerorts Abschriften angefertigt.

Kurz nach Telemanns Amtsantritt in Hamburg berichtete der als „Kunstrichter“ regelmäßig publizierende Johann Mattheson, dass jener „sich bisher, der ihm beywohnenden grossen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit zu Folge, äuserst, und mit sehr gutem Fortgange, angelegen seyn lassen, die geistliche Music so wohl, als auch Privat-Concerte, aufs neue zu beseelen […]; also hat man auch, seit kurzem, ein fast gleiches Glück an den hiesigen Opern zu erleben angefangen“ (Critica Musica I, 1722).

Johann Christoph Gottsched zählte in seiner Zeitschrift Der Biedermann vom Dezember 1728 Telemann zusammen mit Händel und Bach zu den „dreien musikalischen Meistern, die heutzutage unserem Vaterland Ehre machen.“

Viele von Telemanns Konzerten wurden in der Hamburger Tagespresse angekündigt und besprochen. Bei der Ankündigung einer gedruckten Kantatensammlung hieß es etwa:

„Unser Herr Telemann hat abermahls eine ausnehmende Probe seiner Geschicklichkeit in seiner Kunst und seines unermüdlichen Fleißes […] an den Tag geleget […] weil nicht allein jedwede Cantate, sondern sogar fast jedwede Arie einen besonderen Affect ausdrücket, so kann man sich nichts anderes, als einen allgemeinen und der Telemannischen Arbeit gewöhnlichen Beyfall versprechen.“ (Korrespondenz vom 30. März 1731)

Geschätzt wurde neben Telemanns Ausdruckskraft und melodischem Einfallsreichtum auch sein international geprägtes Schaffen. Johann Scheibe behauptete, Johann Sebastian Bachs Werke seinen „keinesfalls von solchem Nachdruck, Überzeugung und vernünftigem Nachdenken […wie diejenigen von Telemann und Graun…] Das vernünftige Feuer eines Telemanns hat auch in Deutschland diese ausländische Musikgattungen bekannt und beliebt gemacht […] Dieser geschickte Mann hat sich auch sehr oft in seinen Kirchensachen derselben mit guter Wirkung bedienet, und durch ihn haben wir die Schönheit und die Anmut der französischen Musik mit nicht geringem Vergnügen empfunden“ (Der critische Musikus, 2. Auflage, 1745). Auch Mizler, Agricola und Quantz (Versuch einer Anweisung…, 1752) lobten Telemanns Verwendung fremder Einflüsse.

Besondere Wertschätzung erfuhr Telemanns geistliche Musik, die nicht nur an seinen Wirkungsstätten, sondern in vielen weiteren nord-, mittel- und süddeutschen Gemeinden, teilweise auch im Ausland, aufgeführt wurde. Friedrich Wilhelm Zachariä bezeichnete in seinen Tageszeiten (1754) Telemann als „Vater der heiligen Tonkunst“. Weiteres Lob an der allgemeinverständlichen und ausdrucksstarken Musik kam unter anderem von Johann Scheibe und Christian Friedrich Weichmann. Nach einigem erfolglosem anfänglichem Widerstand fand letztendlich auch der „theatralische“ Stil des Kirchenkomponisten allgemeinen Beifall.

Zu den kritisch betrachteten Aspekten von Telemanns Schaffen gehörte die von Mattheson missbilligte musikalische Umsetzung von Natureindrücken. Anders als bei der nach dem Tode Telemanns einsetzenden Kritik an der „Tonmalerei“ ging es Mattheson vor allem darum, die Musik als menschliche Ausdrucksform vor der Beschreibung der „unmusikalischen“ Natur zu bewahren. Meist wurde Telemanns hohe Produktivität positiv betrachtet – Mattheson ging so weit, eine lobende Ode auf seinen Fleiß zu schreiben. Carl Heinrich Graun hingegen wies in einem Brief vom 14. Januar 1752 Telemann auf die Gefahr hin, „durch allzu vieles Schreiben sich selbst einen Eckel verursachen“ zu können. Telemanns ungewohnte Harmonik wurde unterschiedlich aufgenommen, aber als Mittel zur Unterstreichung des Ausdrucks generell akzeptiert. Teilweise getadelt wurde die Komik und der Mangel an „Schamhafftigkeit“ (Mattheson) von Telemanns Opern, ebenso die damals gebräuchliche Mischung von deutschen und italienischen Texten.

Vom Ableben Telemanns im Jahre 1767 zeigte sich die Musikwelt betroffen. Johann Heinrich Rolle fasste das Wirken Telemanns in einem an dessen Enkel gerichteten Kondolenzschreiben folgendermaßen zusammen:

„Wie viele Jahre wäre vielleicht die Music in Deutschland nicht noch elend und erbärmlich geblieben, wenn kein Telemann aufgestanden, der durch sein göttliches Genie und durch seinen überaus großen Fleiß die Music aus der Finsterniß herausgezogen, und ihr einen ganz andern und neüern Schwung gegeben?“ (Brief vom 7. Juli)

Wandel der Musikauffassung

Die zu Telemanns Lebzeiten vorherrschende Wertschätzung überdauerte seinen Tod nicht lange. Schon wenige Jahre danach häufte sich die Kritik an seinem Werk. Der Grund für diesen Wechsel lag im Übergang vom Barock zu einer Zeit des Sturm und Drang und der beginnenden Wiener Klassik mit dem damit einhergehenden modischen Wandel. Die Aufgabe der Musik lag nicht mehr im „Erzählen“, sondern im Ausdruck subjektiver Empfindungen. Außerdem löste sich die Bindung der Musik an bestimmte Anlässe; die sogenannte Gelegenheitsmusik wurde von Kompositionen verdrängt, die „um ihrer selbst willen“ angefertigt wurden.

Kritisch betrachtet wurden zum einen die Textvorlagen der geistlichen Musik von Telemann und anderen Kirchenkomponisten, denn auch diese hatten sich nun den modernen Regeln der Dichtung unterzuordnen. Zum anderen wurde die von Telemann besonders konsequent betriebene Umsetzung textueller Ideen in die Musik heftig kritisiert. Die textgetreue Umsetzung von Herzklopfen, wütendem Schmerz und ähnlichem wurde als äußerst verdrießliche „Tonmalerei“ abgetan. Außerdem betrachtete man die komische Oper als Zeichen eines angeblichen Verfalls der Musik.

Repräsentativ für die nun vorherrschenden, veränderten Auffassungen über die Komposition und Dichtung ist folgende Aussage Gotthold Ephraim Lessings:

„Telemann übertrieb auch nicht selten seine Nachahmung in das Abgeschmackte, indem er Dinge mahlte, welche die Musik gar nicht mahlen sollte“ (Kollektaneen zur Literatur, zwischen 1768 und 1770).

Weitere Kritik aus der Musikersphäre kam von Sulzer, Kirnberger, Schulz und anderen. Telemanns Ansehen schwand rapide, und andere Komponisten wie Graun, denen man einen „zärtlicheren“ Geschmack nachsagte, kamen in Mode.

1770 äußerte der Hamburger Literaturprofessor Christoph Daniel Ebeling in seinem Versuch einer auserlesenen musikalischen Bibliothek erstmals die später sehr häufig verwendete Folgerung, aus dem enormen Umfang von Telemanns Werk ließe sich auf eine mangelnde Qualität des Opus schließen, indem er Telemanns „schädliche Fruchtbarkeit“ mit der Begründung „Selten hat man von Polygraphen [Vielschreibern] viele Meisterstücke“ angriff.

Telemanns weltliches und instrumentales Werk konnte sich vor den Kritikern noch einige Zeit lang behaupten, doch bald übertrug sich die Kritik auf sein gesamtes Schaffen.

Der Komponist und Musikkritiker Johann Friedrich Reichardt bemängelte, Telemanns Tonmalerei gehe mit Gefälligkeit einher:

„Wenn er [Telemann] aber von den Franzosen lernte, sich zu sehr nach dem Geschmacke der Nation oder der Leute, unter denen man lebte, zu bequemen, so weiß ich auch viel nachtheiliges über die Reise zu sagen. Er bequemte sich wirklich oft nach Leuten vom übelsten Geschmakke, daher man auch unter seinen vortreflichen Werken so viel mittelmäßige Arbeiten findet, und in diesen die ungeheuren und läppischen Schildereyen“ (Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend…, Zweyter Theil, 1776).

Ausschnitt aus einem gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschienenen Kupferstich eines englischen Organisten, der auch Bachs Wohltemperiertes Klavier herausgab. Der Autor zählte Bach, Händel, Graun und Haydn zu den besten Komponisten; Telemann ist zusammen mit anderen Musikern zweitrangig eingeordnet.

Eine Würdigung des Werkes im Bewusstsein eines veränderten Geschmacks fand nur vereinzelt statt. John Hawkins bezeichnete Telemann in seinem Werk A General History of the Science and Practice of Music…, Volume the Fifth (1776) als „den größten Kirchenmusiker in Deutschland“ („the greatest church musician in Germany“).
Christian Friedrich Daniel Schubart rühmte Telemann ausdrücklich. Auch bedauerte er die seiner Meinung nach zu sehr von der Mode geprägte Wertschätzung:

„…Caldara, Fuchs, Brescianello, Buxtehude, – selbst Sebastian Bach, Telemann – wie wenig werdet ihr heutiges Tages noch gelesen. – Mit Staub bedekt sind eure köstliche Partituren, und Schellenklang und honigtriefende Rondo’s haben euch weggeklümpert! […] Welch ein kindisches Publikum, das hinter jedem unzeitigen Schreier daherfluthet, daherjolt, und sich in wenigen Monaten seines verschwendeten Beifalls schämt! Komponisten, die […] ausgezischt worden wären, sind iezt im Ansehen, – als Lieblinge der Höfe und Tongeber für Alle.“ (1779, in: Leben und Gesinnungen…, Erster Theil, 1791)

Ernst Ludwig Gerber hat in seinem bekannten Musiklexikon (1792) wenig Gutes über Telemann zu sagen. Auch er beanstandet die zu textgebundene Deklamation des „Polygraphen“. Häufig zitiert wurde Gerber später in seiner Behauptung, die beste Schaffensperiode des Künstlers liege in der Zeit von 1730 bis 1750.

Auch im Vergleich zu Johann Sebastian Bach oder zu Reinhard Keiser beurteilte man Telemann zunehmend kritisch. Während Schubart noch in seinen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst (1784/85, 1806 veröffentlicht) meinte, „Correcter konnte niemand schreiben als Telemann“, bezeichnete Johann Abraham Peter Schulz in seiner Autobiografie (um 1800) Telemanns Satztechnik als „nicht Bachisch-correct“.

Nach seinem Tod waren Telemanns Partituren in den Besitz seines Enkels übergegangen, der später nach Riga berufen wurde und dort mehrere Werke aufführte. Dabei nahm er häufig als unerlässlich empfundene Bearbeitungen – teils bis zur Unkenntlichkeit – vor, um das Schaffen seines Großvaters zu „retten“. Dennoch war das Interesse an Telemann nunmehr fast historisch; seine Werke wurden nur noch zuweilen in den Kirchen Hamburgs und einigen Konzertsälen aufgeführt. In Paris sind letzte Aufführungen bis 1775 nachzuweisen. Ab etwa 1830 bestand, abgesehen von wenigen Aufführungen, keine auf eigener Hörerfahrung basierende Kenntnis von Telemanns Werk.

Dessen ungeachtet sind einige Beispiele von Persönlichkeiten überliefert, die Interesse an Telemanns Schaffen zeigten. So erwähnte der Schriftsteller Carl Weisflog in Phantasiestücke und Historien, dass er von einer 1827 stattfindenden vereinzelten Aufführung der Donner-Ode beeindruckt war. Wie aus einem an den Kaufmann Johann Daniel Runge gerichteten Brief vom 17. Dezember 1811 hervorgeht, gedachte Johann Wolfgang von Goethe, Manuskripte von Telemann zu erwerben.

Systematische Diffamierung

Charakteristisch für die musikhistorischen Erwähnungen Telemanns im 19. Jahrhundert ist der Mangel an fundierter, auf den Werken basierender Analyse und die verschärfte Weiterführung bereits früher erwähnter Kritikpunkte. In Gustav Schillings Eintrag seiner Encyclopädie der gesammelten musikalischen Wissenschaften… von 1838 mischt sich ein nationalistischer Unterton:

„Nun waren es aber vornehmlich französische [Partituren], in deren Besitz er gelangte, und daher schreibt sich wohl die Leichtfertigkeit, womit er hie und da später selbst gearbeitet zu haben scheint. […] Deutsch von Natur wollte sein Geist auch einen deutsch-ernsten, einen wahrhaft charakteristischen Aufschwung nehmen, aber in französischem Treibhause groß gezogen, ist er eine Bastardnatur geworden…“

Inzwischen waren Telemanns Partituren von Georg Michael in den Besitz des Musikaliensammlers Georg Johann Daniel Poelchau übergegangen, der sie wiederum 1841 der damaligen Königlichen Bibliothek zu Berlin überließ, wo sie der zukünftigen Quellenforschung zur Verfügung standen.

Vor allem Telemanns geistlichen Kompositionen warf man mangelnde Ernsthaftigkeit vor, welche man offenbar von einem deutschen Komponisten erwartete. Carl von Winterfeld betrachtete den den Werken zugrundeliegenden Text als flach und pathetisch, als „ermüdende[s] Einerlei“. Weiterhin bezeichnete er Telemanns Werk als „leicht und schnell hingeworfen“, den Ausdruck der geistlichen Vokalwerke als fehlerhaft und der Kirche unwürdig:

„Ein unverkennbares Talent hat bei wirklichem Erfolge hier offenbar nur das Abgeschmackte geleistet und durch glänzenden Beifall der Zeitgenossen sich hinlänglich entschädigt gehalten, der jedoch das Widersinnige nimmer rechtfertigen kann“ (Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonssatzes…, Dritter Theil, 1847).
Die Stadt Hamburg widmete Telemann ein monumentales Grabdenkmal im altrömischen Stil, das im Park des Etatrats Carl Friedrich Richardi errichtet wurde (Kupferstich von 1781). Es blieb nur etwas über ein Jahrzehnt bestehen.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verschärfte sich die Wortwahl der Bemängelung von Telemann stetig; laut Ernst Otto Lindners Die erste stehende deutsche Oper… (1855) schuf er „keine künstlerischen Schöpfungen sondern Fabrikwaare“. Die Kritik übertrug sich auch auf seine Person. Lindner verurteilte Telemann ob seiner Autobiografien und der Wahl seines anagrammatischen Pseudonyms Signor Melante als eitel, andere Autoren sahen in seinem Selbststudium der Musik einen Fehler. Karl Ernst Schneider wies in Das Musikalische Lied in geschichtlicher Entwickelung… (1865) darauf hin, dass die Verwendung des Kürzels „G. P. T.“ anstelle des vollen Namens in einem Manuskript entweder auf eine Scham angesichts eines solchen Machwerks, oder auf ein Bewusstsein der eigenen Bekanntheit hindeute.

Weitere kritische Ansichten äußerte Eduard Bernsdorf (Neues Universal-Lexikon der Tonkunst, 1861), der Telemanns Melodien als „steif und trocken“ bezeichnete; auch hier übernahmen viele andere Musikkritiker diese Formulierung. Andere wiederum beanstandeten einen Mangel an Melodiefrische oder eine unter der Deklamation leidende Melodie, die teilweise in ein „sinnwidriges, gefühlverletzendes Gezerre“ abgleite. Diverse Autoren sprachen von „Geschmacklosigkeit“, „rhythmischen Abnormalitäten“, „unentwickeltem Taktgefühl“, „Nichtsnutzigkeit der Texte“, „Herz- und Rücksichtslosigkeit“, „Dürftigkeit“, „Originalitätssucht“, „schablonenmäßigem“ oder „seichtem“ Musikmachen voller „kleinlicher Künsteleien“ sowie „paradoxer Dreistigkeit“.

Im 19. Jahrhundert kam es zu einem Geniekult, wobei einsame und der Zeit weit vorauseilend geglaubte Meister verherrlicht wurden; Publikumslieblinge wurden mit Skepsis betrachtet. In der Musikwelt leiteten Carl Hermann Bitter, Philipp Spitta und andere im Zuge ihrer Forschungen eine historische Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs ein. Damit begann auch eine Zeit der abschätzigen Bewertung vieler anderer Komponisten, ungeachtet der Tatsache, dass man, wenn überhaupt, sich nur Kenntnis eines kleinen Bruchteils des Gesamtwerks aneignete und zudem nie ernsthafte Werkanalysen durchführte. Im Falle Telemanns orientierten sich Musikwissenschaftler vor allem an den Ausführungen Ebelings und Gerbers. Einige Bach- und Händelforscher intensivierten ihre Kriterien hinsichtlich Telemanns Schaffensprinzipien, um die qualitative Differenz zu diesen Komponisten verdeutlichen.

„Die Kirchenmusik nach dem Tode Bach’s verflachte unsäglich, nicht er und Händel waren die Vorbilder, denen man nachstrebte, sondern Telemann und noch mehr Graun und Hasse; Einflüsse der italienischen Oper paarten sich mit rein conventionell gewordenem Contrapunct zu einer Mischung von Sinnlichkeit und Trockenheit, die Formen erstarrten, weil nichts vorhanden war, wodurch sie von innen heraus Trieb und Leben bekommen hätten. […] nach Bach beginnt die Instrumentalmusik jene objective Hingabe an den Ton und seinen naturmässig ihm innewohnenden allgemeinen Poesie- und Empfindungsgehalt […] zu opfern.“ (Arrey von Dommer, Handbuch der Musikgeschichte…, 1868)
„So kann der Rückblick auf die langjährige Thätigkeit Telemann’s in Hamburg nur ein bedauernder sein. Sein Wirken war verfehlt und flach.“ (Bitter, Beiträge zur Geschichte des Oratoriums…, 1872)
„…allein da sein [Telemanns] Talent für das Großartige wenig ergiebig war, so bleibt er auch hier im Alltäglichen sitzen, oder bringt es mit der krampfhaften, stimm- und chorwidrigen Gesangsbehandlung […] nur zur Carricatur. […das Werk fällt] gänzlich ab gegen die hohe Originalität und quellende Frische der Bachschen Musik.“ (Spitta, Johann Sebastian Bach…, Erster Band, 1873)
„Die directe Verbindung, welche in Telemanns Person zwischen Oper und Kirche hergestellt war, übte sofort ihren unheilvollen Einfluß […] Telemann, Fasch und andre productive Zeitgenossen waren flachere Talente und insofern bietet ihr Schaffen für dasjenige Bachs keinen ausreichenden Maßstab. […In Choralchören] konnte und mochte Bach nichts von Telemann annehmen und Telemann wäre nicht im Stande gewesen, es ihm auch nur von ferne darin nachzuthun.“ (Spitta, Johann Sebastian Bach…, Zweiter Band, 1880)
„Kann man sich etwas Unnatürlicheres denken? Hätte der gute Telemann schon damals eine Ahnung von dem, was Bach schön geschaffen hat, gehabt, er würde wohl schwerlich solchen Unsinn herausgegeben haben.“ (Otto Wangemann, Geschichte des Oratoriums…, Dritte Auflage, 1882).

Der Bachbiograf Albert Schweitzer konnte es nicht fassen, dass Bach scheinbar unkritisch ganze Kantaten von Telemann abschrieb. Spitta kam im Zuge seiner Analyse der Kantate Ich weiß, dass mein Erlöser lebt (BWV 160) zu folgendem Urteil: „Was Bach daraus gemacht, ist ein wahres Kleinod an ergreifender Deklamation und herrlichem melodischen Zuge.“ Später stellte sich heraus, dass diese Kantate von Telemann komponiert wurde. Ein ähnlicher Fehltritt unterlief Schweitzer, als er sich bei der Betrachtung der Kantate Ich lebe, mein Herze, zu deinem Ergötzen (BWV 145) besonders vom – von Telemann stammenden – Eingangschor „So du mit deinem Munde“ beeindruckt zeigte.

Weiterhin wurde Telemann ab den 1870er Jahren Konventionalität vorgeworfen. Lindner schrieb, dass Telemann, der „altbewährten Schule“ entstammend, eigentliche Selbständigkeit nie erreicht hätte; Hugo Riemann bezeichnete ihn in seinem Musik-Lexikon (1882) als „das Urbild eines deutschen Komponisten von Amts wegen“, der auf eine Wiederbelebung wenig Anspruch habe.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert erreichte das Ansehen Telemanns in musikhistorischen Kreisen einen absoluten Tiefpunkt.

„Telemann kann entsetzlich bummelich schreiben, ohne Kraft und Saft, ohne Erfindung; er dudelt ein Stück wie das andere herunter.“ (Robert Eitner, „Cantaten aus dem Ende des 17. und Anfange des 18. Jahrhunderts“, in: Monatshefte für Musikgeschichte, 1884)
„In Wirklichkeit war er nur ein Talent der flachsten Art.“ (Salomon Kümmerle, Encyklopädie der evangelischen Kirchenmusik…, 1894)

Rehabilitationsversuche

Die ersten Versuche der gründlicheren Auseinandersetzung mit Telemanns Werk fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Vor allem die intensivere Beschäftigung mit dem Quellenmaterial führte zum erneuten, zunächst fast unmerklich vonstatten gehenden Wandel in der Telemann-Rezeption.

Zu den ersten Musikwissenschaftlern, die eine unvoreingenommenere Beurteilung von Telemanns Werken formulierten, zählten Carl Friedrich Weitzmann und Max Seiffert, die 1899 im Zuge der Analyse einiger seiner Klavierkompositionen eine eher beschreibende als wertende Haltung einnahmen. 1902 würdigte Max Friedlaender in seiner Schrift Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert Telemann, in dessen Liedern voller „witziger und pikanter Melodien“ er sich als „eigenartigen, liebenswürdigen, interessanten Componisten, der sich von der Schablone des Zeitgeschmacks gern emancipirt“ zeige. Damit behauptete er das genaue Gegenteil der häufig geäußerten Kritik an den „trockenen Melodien“ und der „Schablonenhaftigkeit“. Andererseits stellte er auch eine große Ungleichheit in seinem Werk fest. Arnold Scherings Urteil von Telemanns Instrumentalkonzerten war wie folgt:

„Telemanns Konzerte sind von konventionellem Phrasenwerk nicht frei, enthalten aber viel originelle Einfälle und kunstvolle Satzproben und bekunden vor allem eine unerschöpfliche Phantasie.“ (Geschichte des Instrumentalkonzerts…, 1905)

Weitere Forscher, die zu differenzierten, wenngleich noch zuweilen negativ beeinflussten Einschätzungen kamen, waren Wilhelm Kleefeld, Hermann Kretzschmar, Curt Ottzenn, Carl Mennicke, Caroline Valentin und Hugo Leichtentritt.

Den Grundstein für die Wiederentdeckung Telemanns lieferten aber erst die Publikationen Max Schneiders und anderer. Schneider war der erste, der die Praxis der unbegründeten Kritik an Telemann angriff und versuchte, ihn in seiner eigenen Historizität zu begreifen. Er veröffentlichte 1907 in den Denkmälern Deutscher Tonkunst das Oratorium Der Tag des Gerichts und die Solokantate Ino. In seiner Kommentierung von Telemanns Autobiografien wies er auf den beispiellosen Wandel des Telemann-Verständnisses in den vergangenen Jahrhunderten hin. Schneider kritisierte insbesondere den Vorwurf der „Oberflächlichkeit“ des Werks und darüber angestellte „Scheinuntersuchungen“. Er forderte „‚Bonmots‘ und vages Gerede über einen Meister geflissentlich [zu] vermeiden, der zwei Menschenalter hindurch von der ganzen gebildeten Welt zu den Ersten seiner Kunst gerechnet wurde und Anspruch darauf hat, in der Geschichte der Musik die rechte Würdigung zu finden“.

Im Anschluss daran veröffentlichten Romain Rolland und Max Seiffert detaillierte Werkanalysen und Editionen von Telemanns Werken.

„Er [Telemann] hat dazu beigetragen, dass die deutsche Musik von der Intelligenz und der Ausdrucksschärfe französischer Kunst angenommen und die Gefahr, unter Meistern wie Graun in einem abstrakten Schönheitsideal blass und ausdruckslos zu werden, überwunden hat. […] Zu gleicher Zeit hat er die ursprüngliche Verve […] der polnischen und der neueren italienischen Musik mitgebracht. Das war nötig: die deutsche Musik in all ihrer Größe roch ein wenig nach Moder. […] Ohne dieses würden die großen Klassiker wie ein Wunder erscheinen, während sie im Gegenteil nur die natürliche Entwicklung eines ganzen Jahrhunderts von genialen Begabungen abschlossen.“ (Rolland, 1923, Übersetzung aus Kleßmann, 2004)
„Unfaßbar, solchen Reichtum zu besitzen und ihn achtlos in der Ecke verstauben zu lassen!“ (Seiffert, 1927, zu seiner Ausgabe der Tafelmusik)

Vom breiten Publikum wurden diese Äußerungen allerdings vorläufig nicht wahrgenommen.

Telemann heute

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Briefmarken mit Telemann als Motiv

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Arbeiten zur methodischen Erforschung von Telemanns Gesamtwerk. Im Zuge der nun häufiger erscheinenden Arbeiten über den Komponisten wandelte sich auch die musikgeschichtliche Einschätzung. 1952 stellte Hans Joachim Moser fest:

„Noch vor wenigen Jahren galt er als platter Vielschreiber, der ‚mehr produziert hat als Bach und Händel zusammen‘ und der sich gerühmt haben soll, er könnte selbst den Torzettel komponieren. Heute steht er dank vieler Neuausgaben als der interessante Meister jener mächtigen Generation gleich hinter Bach und Händel.“ (zitiert aus Grebe, 2002)

1953 gab die Gesellschaft für Musikforschung den ersten Band der – auch heute noch nicht abgeschlossen – Auswahlausgabe von Telemanns Werken heraus. Ab 1955 wurde dieses Projekt von der Musikgeschichtlichen Kommission e.V. unterstützt.

1961 wurde in Magdeburg der Arbeitskreis „Georg Philipp Telemann“ e.V. gegründet, der sich hauptsächlich der Forschung widmete. Er wurde 1979 unter dem Namen Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung eine Abteilung der Georg-Philipp-Telemann-Musikschule, die ihrerseits im September 2000 in Konservatorium Georg Philipp Telemann umbenannt wurde. 1985 wurde das Telemann-Zentrum zu einer eigenständigen Institution.

Seit 1962 veranstaltet die Stadt Magdeburg zusammen mit dem Arbeitskreis „Georg Philipp Telemann“ zweijährlich die international beachteten Telemann-Festtage, die sich mit zahlreichen Veranstaltungen und Konferenzen gleichermaßen an Musikfreunde, Musiker und Forscher wenden.

In mehreren Städten bildeten sich eingetragene Vereine, die sich sowohl mit der Forschung als auch mit der Praxis befassen. Dazu gehören die Telemann-Gesellschaften in Magdeburg, Frankfurt und Hamburg.

Zu Ehren des 300. Geburtstages des Komponisten wurde 1981 das Denkmal Telemann und die vier Temperamente in der Großen Klosterstraße in Magdeburg errichtet.

Neben Werkausgaben und weiteren Publikationen erschienen auch bald Tonträger-Veröffentlichungen. Das erste auf Schallplatte eingespielte Werk von Telemann war ein e-Moll-Quartett aus der Tafelmusik. Es wurde in einer der ersten sich der alten Musik widmenden Reihen, der französischen Anthologie sonore, 1935 veröffentlicht. Im Zuge der Entdeckung des wirtschaftlichen Potentials dieses Musiksegments wurden bis 1970 etwa 200 Werke von Telemann auf Tonträgern veröffentlicht, was nur einem kleinen Teil des Gesamtwerks entspricht. Seine Instrumentalmusik ist am besten erschlossen.

Die historisch informierte Aufführungspraxis erwies sich angesichts des entscheidenden Anteils der Instrumentation an Telemanns Werken als unerlässlich. Moderne Instrumente verzerren das vom Komponisten vorgesehene Klangbild völlig, was nicht nur an anderen Klangfarben, sondern auch an unterschiedlichen Grundtönen liegt. Die anfangs häufig praktizierte „romantische“ Aufführungspraxis verzögerte eine adäquate Wiederentdeckung von Telemanns Werk in der musikhörenden Öffentlichkeit.

Dem vor allem im 19. Jahrhundert gefestigten Bild des Komponisten konnte die Telemann-Pflege des 20. Jahrhunders mit teilweisem Erfolg entgegenwirken. Zwar besteht heute unter Musikforschern Einigkeit über die musikgeschichtliche Bedeutung von Telemann, gelegentlich wird aber Tadel an seinem gesamten Schaffen geäußert. Der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher meint, einige der Spätwerke seinen Teil der „großen Musik des 18. Jahrhunderts“, aber „die Masse des Werks kaum mehr als musikalisches Mittelmaß“. Er begründet diese Einschätzung folgendermaßen:

„Telemann hat nach dieser Devise komponiert: seine Musik ist – mit wenigen gewichtigen Ausnahmen – in der Tat ‚unschuldiger Zeitvertreib‘, eine Musik, die Ansprüche nicht stellt, sondern befriedigt, Erwartungen der Musizierenden und Hörenden erfüllt in einer bewußt auf Einfaches […] konzentrierten Sprache. […] Telemann ist […] Wegbereiter jener Stilwende gewesen, die eine rigorose Vereinfachung des kompositorischen Handwerks mit den Kategorien Einfall und Originalität zu kompensieren suchte. […] Wenn Telemann, wie gern gesagt wird, der erste ‚moderne‘ Komponist gewesen ist, dann ist er es in dem Sinne gewesen, daß er der erste war, der […] sein bedeutendes musikalisches Talent […] seiner jeweiligen Umgebung bruchlos anpaßte. […] Er hat das Modell des Komponisten geschaffen, der sich aus dem Hofdienst emanzipierte, nur um im Bürgerdienst aufzugehen“ („Der angepaßte Komponist. Notizen zur sozialpraktischen Stellung Telemanns“, in: Musica 1969).

In seinem Buch Der Bürger erhebt sich (2000) sieht Peter Schleunig Telemann als einen Komponisten, der – anders als „der Unangepasste“ Bach – etwa polnische Musik nur darum verarbeitet habe, um dem sächsischen Kurfürsten, der auch König von Polen war, zu schmeicheln. Weiter erklärt er:

„Telemann ist der Idealtyp des bürgerlichen Unternehmers, […] voll unerschöpflicher Kraft und Erfindungsgabe die Konkurrenz angreifend und ausbootend.“

Martin Geck schreibt in seiner Bach-Biografie (2000): „Bach tänzelt vielleicht nicht durch die Reihen wie Telemann.“ Dessen Musik beschreibt er als „routinierte Vertonung“ und „Musik ohne Ecken und Kanten“. Kleßmann erwidert darauf in seiner Abhandlung über Telemann (2004):

„Die Verehrung Bachs kommt offenbar ohne die Verachtung Telemanns nicht aus. […] Beide Komponisten ergänzen sich in ihrem Werk in geradezu idealer Weise, denn jeder hat etwas, was dem anderen fehlt. Die Frage nach der „Größe“, wer denn der Größte sei, hat in der Kunst keine Bedeutung, man sollte sie dem Hochleistungssport überlassen. […] Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, daß dieser Komponist vorsätzlich einem anderen geschadet hätte. Telemann war geschäftstüchtig; aber gereicht diese Eigenschaft, die jeden Kaufmann ziert, einem Künstler zur Schande?“

Literatur

  • Günter Fleischhauer: „Die Musik Georg Philipp Telemanns im Urteil seiner Zeit“, in: Händel-Jahrbuch 1967/68 (S. 173–205), Händel-Jahrbuch 1969/70 (S. 23–73). Deutscher Verlag für Musik, Leipzig
  • Christine Klein: Dokumente zur Telemann-Rezeption 1767 bis 1907. Ziethen, Ochersleben 1998, ISBN 3-932090-31-4
  • Karl Grebe: Georg Philipp Telemann. Rowohlt, Reinbek 2002, ISBN 3-499-50170-8
  • Eckart Kleßmann: Georg Philip Telemann. Reihe „Hamburger Köpfe“, Ellert und Richter, Hamburg 2004, ISBN 3-8319-0159-7

Weblinks

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