„Thomasevangelium“ – Versionsunterschied

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Version vom 20. Mai 2006, 16:17 Uhr

Das Thomasevangelium ist eine Sammlung von Jesusworten, kurzen Szenen, die in einem Jesuswort gipfeln, und Dialogen. Diese sind ohne erzählerischen Rahmen und ohne erkennbares Ordnungsprinzip lose aneinandergereiht. Passions- und Auferstehungsgeschichten fehlen, so dass diese Schrift der Gattung nach kein Evangelium ist, sondern eine Spruchsammlung.

Sie gehört zu den so genannten "Apokryphen", die nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurden. Kirchlichen Schriftstellern wie Hippolyt oder Origenes wurde sie erst im 3. Jahrhundert bekannt. Sie erkannten sie als gnostische oder manichäische Schriften, lehnten sie also aus theologischen Gründen ab.

Das Thomasevangelium bietet als lose Spruchsammlung keine eigenständige Theologie, ist aber deutlich gnostisch beeinflußt. Gleichwohl ist seine Herkunft umstritten, weil es neben anderweitig nicht bezeugten angeblichen Aussprüchen Jesu auch aus dem Neuen Testament bekannte Jesusworte enthält, auch diese freilich mehr oder minder gnostisch überformt.

Eine andere, nicht mit dieser Spruchsammlung zu verwechselnde apokryphe Schrift ist das Kindheitsevangelium nach Thomas.

Herkunft

Entstehungszeit

Das Thomasevangelium war lange Zeit verschollen und nur aus Notizen einiger Kirchenschriftsteller bekannt: Hippolyt von Rom erwähnte es vor 235 n. Chr. erstmals.

1897 und 1903 fand man in Oxyrhynchus (Ägypten) einige Papyrusfragmente mit griechischen Texten, deren Herkunft und Zusammenhang man nicht genau zuordnen konnte. Man datierte ihre Entstehung auf etwa 200 n. Chr. (zuletzt H.-Ch. Puech 1952).

Erst 1946 fand man unter den 13 Buchrollen von Nag Hammadi in Ägypten einen vollständigen koptischen Text von 114 Logien, als "Evangelium nach Thomas" unterschrieben (heute in Kairo aufbewahrt). Er wurde auf etwa 400 n. Chr. datiert, hat aber wohl eine wesentlich ältere Vorlage: Denn nun konnten die älteren Fragmente als Bestandteil eines griechischen Thomasevangeliums identifiziert werden. Der koptische Text wird als Übersetzung der griechischen Vorform angesehen, die aber wegen einiger Abweichungen eine längere Entwicklung durchlaufen hat.

Wegen zahlreicher Parallelen nehmen viele Forscher an, dass der Autor die synoptischen Evangelien gekannt haben muss, sein Werk also nach diesen entstanden ist. Sie datieren die Urform auf 150-180 n. Chr. Andererseits enthält der Thomastext auch Jesusworte, die einen sehr alten Eindruck machen und sogar gleichzeitig mit der Spruchsammlung Q entstanden sein könnten. Für eine frühe Entstehung sprechen 13 Doppelparallelen zum Markusevangelium und "Q"; diese werden zu den ältesten Sprüchen gezählt und könnten mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Jesus selbst zurückgehen.

Darum datiert zum Beispiel Nordsieck in seinem 2004 erschienenen Kommentar den Text des Thomas-Evangeliums in die Zeit von ca. 100-110 n. Chr., wobei die Quellen jedoch noch in der Zeit von 40-70 entstanden sein sollen. Manche halten sogar eine apostolische Herkunft der Schrift für möglich.

Verfasser

Der Prolog gibt "Didymus Judas Thomas" als Autor an. "Didymus" ist das griechische, "Thomas" das aramäische Wort für Zwilling, so dass hier derselbe Name verdoppelt wurde. Das Johannesevangelium kennt einen "Thomas Didymus" (21, 2), eine syrische Handschrift davon auch einen "Judas Thomas" (14, 22). Außerhalb des Neuen Testaments findet sich ein "Judas Thomas" in den apokryphen Thomasakten aus dem 3. Jahrhundert. Andererseits gibt es im Neuen Testament fünf Männer namens Judas. Ob einer davon den Beinamen Didymus oder Thomas hatte, ist unbekannt. Auch unter den Schülern Manis befand sich ein Thomas.

Denkbar ist, daß ein Unbekannter den Eindruck erwecken wollte, der Apostel Didymus Thomas habe die Logien geschrieben. Von den Aposteln eignet sich dieser nach dem Johannesevangelium am ehesten für ungewöhnliche Gedankengänge. Andererseits wäre bei einem eineiigen Zwilling die Aufgeschlossenheit für eine nicht in erster Linie leiblich bestimmte Identität naheliegend; nach den Thomaslogien hat nämlich jeder Mensch eine zumindest potentielle Verbindung zu einem himmlischen Doppel, seinem sogenannten dauerhaften "Abbild".

Bemerkenswert ist auch, dass im Thomasevangelium zusätzlich der Herrenbruder Jakobus an prominenter Stelle (Log 12) genannt wird. Er kommt ebenfalls als Gewährsmann alter Traditionen im Evangelium in Betracht, zumal er bereits im Jahre 62 n. Chr. getötet wurde.

Entstehungsort

Für die Herkunft des Thomasevangeliums gibt es nur Indizien, die sich aus dem Charakter der Spruchsammlung ergeben. Man nimmt heute allgemein an, dass sie in Syrien verfasst wurde. Eventuell wurde sie im syrischen Edessa aufgeschrieben, bevor diese Stadt 216 zur römischen Provinz Syrien hinzukam. Der Apostel Thomas war dort hoch verehrt: Einer Legende nach wurden seine Gebeine etwa im dritten Jahrhundert aus Südindien nach Edessa geholt.

Die auffällige dreifache Namensform des Prologs begegnet uns auch in den Thomasakten und anderen in Syrien beheimateten Werken. Auch der Rang, der dem Apostel Thomas zugewiesen wird (vgl. Log. 13), könnte den syrischen Hintergrund dieses Textes zeigen.

Einige Forscher (A. Baker, G. Quispel) haben inhaltliche Parallelen herausgearbeitet: Bilder und Gleichnisse reden von der Rückkehr in den Urzustand, der Aufhebung des Gespaltenseins und der Trennungen. Darin ähneln sie anderen bekannten syrischen Texten wie dem Diatessaron, das um die Mitte des 2. Jahrhunderts in Syrien entstanden ist. Das Thomasevangelium könnte davon abhängig sein; meist wird aber angenommen, dass beide Texte im gleichen syrischen Milieu entstanden sind und auf gleiche syrische Vorlagen zurückgreifen.

Inhalt

Das koptische Thomasevangelium enthält 114 Jesus zugeschriebene Aussprüche (Logien): weisheitliche und apokalyptische Worte, Gesetzesworte, Ich-Worte, Gleichnisse, Dialoge und kleine Szenen, die in einem Jesuswort gipfeln. Diese sind ohne erkennbares Ordnungsprinzip aneinandergereiht; nur Stichworte verknüpfen manche Sprüche zu kleineren Gruppen.

Der Text ähnelt darin der vermuteten Spruchquelle "Q", die als älteste literarische Quelle der Evangelien von Matthäus und Lukas gilt – entstanden ca. 70 n. Chr. – und von ihnen verarbeitet wurde. Er bestätigt damit deren eigenständige Tradition.

Etwa zur Hälfte der hier gesammelten Jesusworte findet man Parallelen in den Neuen Testament-Evangelien. Davon sind mindestens 22 ganze Logien und 18 Teilabschnitte auch in "Q" überliefert. Weitere Parallelen finden sich in anderen apokryphen Schriften des 2. Jahrhunderts (Agrapha) sowie in gnostischen Schriften derselben Zeit.

Die bisherige Forschung hat sich bemüht, sowohl die Abhängigkeit als auch die Unabhängigkeit der Sprüche von den kanonischen Evangelien nachzuweisen. Das eigenständige Material aus sonst völlig unbekannten Jesusworten spricht gegen die Abhängigkeit. Sie sind aber auch nicht gnostischer Herkunft, da die Welt als Schöpfung des Vaters dargestellt wird. Nordsieck (s.o.) geht davon aus, dass der gemeinsame Stoff parallel überliefert worden ist.

Verhältnis zu den Neuen Testament-Evangelien

Einleitung und Logion 1 machen deutlich, dass diese Sammlung von Jesusworten eine Heilsbotschaft sein will. Aber das "Evangelium" besteht hier aus einer reinen Spruchsammlung: Die Heilsbotschaft erscheint als Jesu eigene Verkündigung. Jede Bezugnahme auf Tod und Auferstehung Jesu fehlt. Das Kreuz wird zwar einmal erwähnt, aber ohne Hinweis auf die stellvertretende Sühne für alle Welt. Auch Wundergeschichten fehlen, desgleichen Motive wie die Ankündigung des Jüngsten Gerichts sowie Hinweise auf Sakramente.

Die Selbstbezeichnung Jesu als Menschensohn, die in der Logienquelle vorherrscht, wird hier aufgegriffen und auf alle wirklichen Nachfolger Jesu ausgedehnt (Logien 106 + 108).

Textbeispiele

Zweifelhaft ist der Wortlaut von Logion 77:

"Jesus sagte: Ich bin das Licht, das über allen ist. Ich bin das All; das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist zu mir gelangt. Spaltet das Holz, ich bin da. Hebt einen Stein auf, und ihr werdet mich dort finden."

In der 1890 gefundenen, griechischen Fassung dieses Logions fehlen die Worte von Holz und Stein. Ohne diesen mutmaßlichen späteren Zusatz ließe sich die Stelle wohl zutreffender übersetzen mit :"...Ich bin das Ganze. Mir erweiterte sich das Ganze". Das paßte besser zum Gesamtinhalt, bei dem es um Ganzheit geht und die Überwindung von Spaltungen.

Theologie

Jesus erscheint als der Lebendige, der Sohn des lebendigen Vaters, der Offenbarer, der den Jüngern das Geheimnis seiner – und ihrer – Herkunft mitteilt. Die Menschenwelt wird negativ beurteilt (Logion 56 und 80). Unser Heil, unsere Verbindung mit Gottes Reich, tritt ein mit einem inneren Vorgang, dem Selbstverständnis als Gotteskinder; dadurch eint sich unser Wesen mit dem im Himmel verbliebenen Abbild unserer selbst (Logien 3, 84 und 106).

Der Mensch ist, wenn auch "trunken", d. h. unwissend, doch göttlichen Ursprungs (Logion 3, 85 und 87), er ist nach göttlichem Bild geschaffen (Logion 50; vgl. auch Logion 83 und 84).

Das 'Königreich' (das 'Reich des Vaters' oder das 'Reich des Himmels') ist ein Zentralbegriff des Thomasevangeliums. Dabei wird der Unterschied zu der Predigt Jesu in den drei ersten Evangelien deutlich: die eschatologische Ausrichtung auf die Zukunft fehlt fast völlig. Gewiß ist von "eingehen" oder "finden" die Rede, und zwar durchaus in zukünftigem Sinn. Aber diese Aussagen hängen eng mit der Aussage zusammen, daß der Jünger aus dem Reich stammt (Log. 49). Wichtig scheint nur die Gegenwärtigkeit des Reiches zu sein '(Log. 113)'.

Es lassen sich kaum Spuren einer Gemeinschaftsbildung erkennen, und ekklesiologische Gedanken fehlen völlig. Der Zugang zum 'Reich' wird den einzelnen, von dem Ruf Jesu Erreichten zugesagt. Es sind die 'Kleinen', die 'Einzelnen', die 'Einsamen', die das 'Reich' und damit die 'Ruhe' erreichen.

Das Thomasevangelium in der religiösen Umwelt der Antike

Christliche Kirchenväter

Die Beurteilung des Thomasevangeliums durch die Kirchenväter wird dadurch beeinflusst, daß es nicht im Kanon enthalten ist. Der Kanon entstand allerdings bis 200 im römischen Reich, wo zu dieser Zeit die Spruchsammlung des Thomas noch überhaupt nicht zirkulierte.

In seinem Bericht über die Naassener erwähnt Hippolyt († 235) ein "Evangelium nach Thomas" und zitiert auch aus diesem Werk. Um 233 n. Chr. erwähnt Origenes in seiner ersten Lukashomilie neben dem Evangelium des Matthias auch das Evangelium nach Thomas unter den heterodoxen Evangelien. Sein Zeugnis wird in lateinischer Übersetzung oder Paraphrase von Hieronymus, Ambrosius von Mailand und Beda Venerabilis übernommen. Im asiatischen Bereich zählt Eusebius von Caesarea ein Thomasevangelium zur Gruppe der Apokryphen rein heterodoxen Charakters; er reiht es zwischen Petrus- und Matthias-Evangelium ein. Auch Philippus von Side erklärt um 430 im Anschluss an Eusebius in einem Fragment seiner Kirchengeschichte, "die meisten der Alten" hätten das sogenannte Thomasevangelium ebenso wie das Evangelium der Hebräer und das des Petrus "völlig verworfen", "indem sie sagten, dass diese Schriften das Werk von Häretikern seien". Eine Reihe von griechischen Autoren rechnet ein "Evangelium nach Thomas" zu den Schriften, die von den Manichäern benutzt oder sogar, wie gelegentlich versichert wird, von ihnen verfasst wurden. Bemerkenswert sind die Zeugnisse des Pseudo-Leontius und des Timotheus von Konstantinopel, die beide das Thomas-Evangelium eng mit dem Philippus-Evangelium verbinden, das sie unmittelbar danach erwähnen. Timotheus unterscheidet zudem ausdrücklich das Thomasevangelium von einem anderen Apokryphon, den Kindheitsgeschichten des Herrn, indem er die beiden Werke an verschiedenen Stellen seiner Liste manichäischer Schriften (unter Nr.9 bzw. 13) einordnet.

Das Pseudo-Gelasianische Dekret nimmt in seinen Katalog der libri non recipiendi auch ein "Evangelium nomine Thomae, quibus Manichaei utuntur, apocryphum" auf. Unklar ist hierbei, ob es sich um das Thomasevangelium oder um das dem Thomas zugeschriebene Kindheitsevangelium handelt. Gleiches gilt auch für zwei weitere Erwähnungen eines Thomasevangeliums, einmal in der Stichometrie des Nikophorus, zum anderen in der "Synopsis" des Pseudo-Athanasius.

Verhältnis zur Gnosis

Das eigenständige Material weist keinen gnostischen Hintergrund auf. Infolge der wiederholten Textabschriften und bei Bildung von Dubletten (veränderte Textwiederholungen) mögen weniger als fünf Logien gnostisierende Anflüge erhalten haben.

Als Beweis für gnostisches Gedankengut wird die Einleitung des Thomas-Evangeliums mit angeblich "geheimen Worten Jesu" angeführt. Diese Einleitung stammt wie die Buchüberschriften im Kanon vom Verleger (siehe Trobisch) bzw. Vervielfältiger des Textes. Erkenntnis ist jedoch Teil jeden Glaubens. Bekannt ist, daß der Apostel Thomas, wahrscheinlicher Autor der Logien, seine Sicht des Glaubens keineswegs geheim gehalten hat, sondern sie damals in Südindien bekannt gemacht hat.

Verhältnis zum Manichäismus

Es ist sicher, dass das Thomasevangelium im Manichäismus bekannt war und benutzt wurde. Die Manichäer waren eine gnostische Bewegung Ende des dritten und im vierten Jahrhundert, die auch Vorstellungen der Buddhisten und Parsen aufgriffen. Wie bereits gesagt gehen die Thomaslogien von einem väterlichen Schöpfer aus, der keinen Gegengott hat, sie sind also nicht gnostisch.

Literatur

  • Klaus Berger und Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001, S.645-670. ISBN 3458169709
  • Erik van Ruysbeek, Marcel Messing: Das Thomasevangelium. Patmos, Düsseldorf 2004. ISBN 3491694043
  • Uwe-Karsten Plisch: Brennpunkt. Die Bibel – Verborgene Worte Jesu, Verworfene Evangelien. Apokryphe Schriften des frühen Christentums. Evang. Haupt-Bibelges., Berlin 2002 (2. Aufl.) ISBN 3746101506
  • Reinhard Nordsieck: Das Thomas-Evangelium. Einleitung. Zur Frage des historischen Jesus. Kommentierung aller 114 Logien. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2006 (3.Aufl.) ISBN 3788718676

Gerd Neubronner: 32 bis 1945 verschollene Jesusworte: www.thomas-logien.homepage.t-online.de