„Generisches Maskulinum“ – Versionsunterschied

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Grammatisch besteht im [[Deutsche Sprache|Deutschen]] kein Zusammenhang zwischen [[Genus]] und [[Sexus_(Sprache)|Sexus]]. Diese Tatsache wird schon durch den Fakt erhellt, dass es zwei biologische Geschlechter (weiblich, männlich), aber drei grammatische Geschlechter (männlich, weiblich, neutral) gibt. Zudem werden etwa Verkleinerungsformen (Diminutive) von Personenbezeichnungen durch grammatisch neutrale Nomina ausgedrückt, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht (z.B. das Kind, das Mädchen, das Knäblein).
Grammatisch besteht im [[Deutsche Sprache|Deutschen]] kein zwingender Zusammenhang zwischen [[Genus]] und [[Sexus_(Sprache)|Sexus]]. Darauf deutet hin, dass es zwei biologische Geschlechter (weiblich, männlich), aber drei grammatische Geschlechter (männlich, weiblich, neutral) gibt. Zudem werden etwa Verkleinerungsformen (Diminutive) von Personenbezeichnungen durch grammatisch neutrale Nomina ausgedrückt, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht (z.B. das Kind, das Mädchen, das Knäblein).


Die Verschiedenheit zwischen generischem und spezifischem Maskulinum, insbesondere wenn jeder Zusammenhang fehlt, führt jedoch dazu, dass bei den meisten Menschen die kognitive Präsenz (Vorstellung) weiblicher Personen bei Verwendung des generischen Maskulinums bedeutend geringer ist als bei neutraler Formulierung oder Beidnennung (so genannter „Male Bias“). Diverse Untersuchungen der sog. [[Feministische Linguistik|Feministischen Linguistik]] im deutschsprachigen Raum haben diese ursprünglich aus dem englischen Sprachraum stammenden Untersuchungsergebnisse bestätigt. Obwohl es also in der sprachwissenschaftlichen Theorie keinen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus gibt, stellten die Menschen in der Praxis eine solche Verbindung her. Inwieweit diese Verbindung allerdings durch andere Praxen entsteht, z.B. dadurch, dass bestimmte Berufe überwiegend von Personen eines Geschlechts ausgeübt werden, ist unklar.
Die Verschiedenheit zwischen generischem und spezifischem Maskulinum, insbesondere wenn jeder Zusammenhang fehlt, führt jedoch dazu, dass bei den meisten Menschen die kognitive Präsenz (Vorstellung) weiblicher Personen bei Verwendung des generischen Maskulinums bedeutend geringer ist als bei neutraler Formulierung oder Beidnennung (so genannter „Male Bias“). Diverse Untersuchungen der sog. [[Feministische Linguistik|Feministischen Linguistik]] im deutschsprachigen Raum haben diese ursprünglich aus dem englischen Sprachraum stammenden Untersuchungsergebnisse bestätigt. Obwohl es also in der sprachwissenschaftlichen Theorie keinen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus gibt, stellten die Menschen in der Praxis eine solche Verbindung her. Inwieweit diese Verbindung allerdings durch andere Praxen entsteht, z.B. dadurch, dass bestimmte Berufe überwiegend von Personen eines Geschlechts ausgeübt werden, ist unklar.

Version vom 31. Oktober 2005, 19:08 Uhr

Von generischem Maskulinum wird immer dann gesprochen, wenn die grammatisch männliche Namensform für die Bezeichnung gemischter Gruppen benutzt wird. Dies gilt auch für Personen, deren Geschlecht unbekannt ist oder nicht weiter spezifiziert wird.

Beispiel: Die Wanderer gingen den Berg hinauf.

Grammatisch besteht im Deutschen kein zwingender Zusammenhang zwischen Genus und Sexus. Darauf deutet hin, dass es zwei biologische Geschlechter (weiblich, männlich), aber drei grammatische Geschlechter (männlich, weiblich, neutral) gibt. Zudem werden etwa Verkleinerungsformen (Diminutive) von Personenbezeichnungen durch grammatisch neutrale Nomina ausgedrückt, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht (z.B. das Kind, das Mädchen, das Knäblein).

Die Verschiedenheit zwischen generischem und spezifischem Maskulinum, insbesondere wenn jeder Zusammenhang fehlt, führt jedoch dazu, dass bei den meisten Menschen die kognitive Präsenz (Vorstellung) weiblicher Personen bei Verwendung des generischen Maskulinums bedeutend geringer ist als bei neutraler Formulierung oder Beidnennung (so genannter „Male Bias“). Diverse Untersuchungen der sog. Feministischen Linguistik im deutschsprachigen Raum haben diese ursprünglich aus dem englischen Sprachraum stammenden Untersuchungsergebnisse bestätigt. Obwohl es also in der sprachwissenschaftlichen Theorie keinen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus gibt, stellten die Menschen in der Praxis eine solche Verbindung her. Inwieweit diese Verbindung allerdings durch andere Praxen entsteht, z.B. dadurch, dass bestimmte Berufe überwiegend von Personen eines Geschlechts ausgeübt werden, ist unklar.

Problematik

Für die Befürworter des generischen Maskulinums macht die Schreibweise mit Beidnennung die Texte lang und unübersichtlich und eignet sich mehr für politische Proklamationen und Festtagsreden, als für sachliche Texte. Sie wirkt für manche Menschen manchmal anfangs auch fremd, und oft führt die Verwendung der Beidnennung bei ungeübten Schreibenden zu unfreiwilliger Komik: Wanderer und Wanderinnen... Zudem wird die Verbindung von grammatischem Geschlecht und sexuellem Geschlecht durch die Verwendung von Binnen-I und ausdrücklicher Verwendung auch des weiblichen Genus weiter verstärkt, da das eigentlich geschlechtsneutrale generische Maskulinum seltener auftritt. Nicht zuletzt sind aber weder Bild noch Rolle der Frau in der Gesellschaft signifikant abhängig von der Verwendung oder Nicht-Verwendung des generischen Maskulinums.

Eine weiteres Problem ergibt sich bei der Verbindung zweier Funktionsbezeichnungen zu einem Kompositum: So müsste etwa der Begriff „Schülervertreter“ in „Schülerinnen- und Schüler-Vertreter beziehungsweise Schülerinnen- und Schülervertreterinnen“ umgeformt werden.

Andere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Lesbarkeit von Texten: „Ein(e) geeignete(r) Schauspieler(in) musste die Rolle übernehmen.“ Es ist nahezu unmöglich, diesen Satz laut zu lesen.

Die Verwendung des generischen Maskulinums kann hingegen zu zwar grammatikalisch korrekten, sachlich jedoch falschen und manchmal absurd klingenden Aussagen führen („viele Patienten erleiden bei der Geburt ihrer Kinder einen Dammbruch“, „wenn ein Schweizer einen Ausländer heiratet“). Besonders in Texten zu historischen Begebenheiten ist ausserdem unklar, ob sich etwa keltische Krieger oder Priester nur auf Männer oder auf Frauen und Männer beziehen. Es sind Kenntnisse erforderlich über die gesellschaftliche Situation, auf die sich der Text bezieht.

Die Emanzipation der Frau oder der beiden Geschlechter findet einerseits durch die Sprache statt (Bewusstmachung von Möglichkeiten durch deren explizite Nennung, Bewusstmachung der Präsenz von Männern respektive Frauen in geschlechtsuntypischen Bereichen). Anderseits finden die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 50 Jahren auch in der Sprache ihre Resonanz. So gab es bis vor einigen Jahren zum Beispiel keine männliche Bezeichnung für „Hebamme“.

Nach der Meinung einiger schaden manche Versuche der politischen Korrektheit dem hohen Anliegen in der Regel mehr, als sie je dem Gleichberechtigungsziel dienen könnten. Dieser Schaden konnte jedoch bis heute nicht wissenschaftlich belegt werden.

Im Gegensatz dazu nehmen unter anderen Dagmar Stahlberg und Sabine Sczesny von der Universität Mannheim für sich in Anspruch in mehreren Studien nachgewiesen zu haben, dass Frauen, wenn sie nicht explizit erwähnt werden, das heißt wenn das generische Maskulinum benutzt wird, auch nicht „mitgedacht“ werden: Bei einem Experiment, bei dem etwa 100 Personen teilnahmen, lagen Fragebogen in drei unterschiedlichen Sprachversionen vor: die männliche, geschlechtsneutrale und weibliche Sprachform. Es wurde beispielsweise nach Lieblings-Romanfiguren gefragt. Wurden beide Geschlechter in der Frage angesprochen, so wurden mehr weibliche Romanfiguren genannt als in der Fragestellung mit der rein männlichen Form.

Der Fehler liegt allerdings in der Fragestellung: Es wird nach konkreten Personen gefragt, nicht nach Funktionsträgern, bei denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Wenn also z.B. vor einer Wahl gefragt wird, „welchen Kandidaten würden Sie wählen“, ist keine konkrete Person, sondern ein Funktionsträger gemeint.

Damit meinen sie Studien aus dem angelsächsischen Raum zu bestätigen, die – obwohl es im Englischen die Spaltung in Genus und Sexus nicht gibt – einen so genannten Male Bias feststellten. Ob dies aber auch daran liegt, dass das generische Maskulinum zurückgedrängt wird, wurde bisher nicht untersucht, gilt jedoch als unwahrscheinlich, da im angelsächsischen Raum mit vermehrter Erwähnung von Frauen in frauenuntypischen Bereichen der male bias rückläufig ist und nicht zunehmend. Für den deutschsprachigen Raum können Folgerungen über mögliche Ursachen und Wirkungen des bei Verwendung des generischen Maskulins auftretenden male bias erst dann getroffen werden, wenn vergleichbare Untersuchungen über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden.

Anwendung geschlechtsneutraler Formulierungen

Die linke Schweizer Wochenzeitung WOZ und die Berliner Tageszeitung taz verwenden in ihren Beiträgen die abgekürzte geschlechtsneutrale Schreibweise mit dem Binnen-I (LehrerInnen, SozialpädagogInnen, MinisterialrätInnen usw.). Diese Praxis wurde jedoch durch die neuen deutschen Rechtschreibungsregeln nicht gutgeheißen, da sie den geschriebenen vom gesprochenen Text trenne (was allerdings auch für Abkürzungen wie "usw." gilt). Auch der Ursprung dieser Schreibweise aus der links-alternativen Szene wirkt in der Alltagspraxis bei manchen eher prohibitiv. Dadurch, dass in vielen Fällen die maskuline Form im Wort nicht mehr erkennbar ist, handelt es sich eher um ein verstecktes generisches Femininum. Nicht zuletzt sei die ungewohnte Verwendung von Großbuchstaben inmitten von Wörtern sprachästhetisch problematisch. Der Duden empfiehlt als geschlechtsneutrale Schreibweisen insbesondere die Klammersetzung, also Leser(innen), Hörer(innen) usw., eine Regelung, die freilich ebenso den gesprochenen Text in gleicher Weise vom geschriebenen trennt. Diese Schreibweise wird von den meisten Rechtschreibprogrammen nicht beanstandet.

Anwendung des generischen Femininums

Die Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin verwendet das generische Femininum und führt die Dienstbezeichnungen grundsätzlich in der weiblichen Form, die männliche Form darf aber auch verwendet werden. Diese Regelung orientiert sich an § 91a Ausländergesetz, der dasselbe für die Dienstbezeichnung der Ausländerbeauftragten anordnet.

Literatur

  • Senta Trömel-Plötz: Vatersprache Mutterland. Beobachtungen zu Sprache und Politik. Frauenoffensive. 1993. ISBN 3881042199
  • Senta Trömel-Plötz: Frauensprache. Sprache der Veränderung. Fischer TB. 1996. ISBN 3596237254
  • F. Braun, A. Gottburgsen, S. Sczesny, D. Stahlberg: Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen (Beitrag in Zeitschrift in Zeitschrift für Germanistische Linguistik) (1998)

Siehe auch: Feministische Linguistik