Karl I. (Liechtenstein)

Karl I. von Liechtenstein

Karl I. (* 30. Juli 1569 vermutlich auf Schloss Feldsberg; † 12. Februar 1627 in Prag[1]) war der erste Fürst aus dem Hause Liechtenstein und von 1622 bis zu seinem Tod kaiserlicher Statthalter und Vizekönig in Böhmen.

Biografie

Frühe Jahre und Aufstieg

Liechtenstein wurde 1569 als ältester Sohn von Hartmann II. von Liechtenstein (1544–1585) und dessen Gattin Anna Maria, geborene Gräfin von Ortenburg (1547–1601), geboren. Er wurde im evangelischen Glauben erzogen und besuchte die Schule der Böhmischen Brüder in Eibenschütz und ab 1585 die Universität Basel. Gemeinsam mit Karl von Žerotín begab er sich 1587 auf die Kavalierstour nach Frankreich, um dort Gelehrte und Wissenschaftler aufzusuchen. 1592 wurde er Kämmerer des Erzherzogs Matthias von Österreich.

Um 1592 heiratete er Anna Maria von Boskowitz und Černahora, ältere der beiden Erbtöchter von Johann von Boskowitz und Černahora, genannt Šembera (gest. 1597), und dessen zweiter Gattin Anna, geborene Kraiger von Kraigk. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor. Liechtensteins Schwiegervater war ohne männliche Nachkommen und das reiche Erbe dieser uradeligen mährischen Familie fiel damit an seine Töchter. Die Herrschaften Schwarzenberg (Černá Hora) und Mährisch Aussee gingen infolge dieser Eheschließung, der Erbteilung im Hause Boskowitz und nach Überwindung mancher Schwierigkeiten an Liechtenstein. Der andere Teil des boskowitzschen Erbes fiel an seinen Bruder Maximilian, der Anna Marias jüngere Schwester Katharina geheiratet hatte.[2]

1595 war Liechtenstein Beisitzer im mährischen Landrecht. Seinem Onkel Johann Septimius folgte er 1596 als Senior und Lehnsträger des Hauses Liechtenstein. 1599 konvertierte er gemeinsam mit seiner Gattin zum Katholizismus.[3] Aufgrund dieser konfessionellen Neuorientierung wurde er im gleichen Jahr Oberstlandrichter in Mähren und 1600 von Kaiser Rudolf II. als Obersthofmeister an dessen Hof nach Prag berufen. An dieses Amt gekoppelt war der Vorsitz des Geheimen Rates, dem er bis 1607 angehörte. 1603 wurde er mit dem ungarischen Indigenat bedacht. Von 1604 bis 1607 war er Landeshauptmann in Mähren. Am 17. Mai 1606 verlieh Kaiser Rudolf II. Liechtenstein und seinen jeweils erstgeborenen Nachkommen das Prädikat Hoch- und Wohlgeboren.

Am 29. September 1606 schuf Liechtenstein in der Erbeinigung mit seinen jüngeren Brüdern Maximilian und Gundaker die Grundlage für das noch heute gültige Hausrecht des Hauses Liechtenstein. Der Familienvertrag setzte als wichtigste Neuerung den Übergang vom Seniorat zum Majorat fest. Durch die Errichtung eines Familienfideikommiss wurde die Unteilbarkeit der Hausgüter festgelegt. Als Primogenitus und erstem Regierer des Hauses Liechtenstein entfielen auf Liechtenstein die niederösterreichischen Herrschaften Feldsberg und Herrnbaumgarten sowie die mährischen Dominien Eisgrub mit der Stadt Auspitz und Plumenau mit der Stadt Proßnitz.[4] Das von Kaiser Rudolf II. am 30. März 1607 verliehene Große Palatinat begründete unter anderem die von Liechtenstein in der Folge kontinuierlich wahrgenommene Münzhoheit. Im gleichen Jahr erwarb er die Herrschaft Kunstadt.

Im Dienste Erzherzogs Matthias

Im habsburgischen Bruderzwist zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias schloss Liechtenstein sich der Seite des Erzherzogs an und übernahm eine führende Rolle im Putsch des Erzherzogs gegen den Kaiser.[5] Der zum König von Ungarn gewählte Matthias erhob ihn dafür am 20. Dezember 1608 in den erblichen Fürstenstand und verlieh ihm 1612 die Präzedenz im niederösterreichischen und mährischen Herrenstand. In seiner Politik und seinem Durchsetzungsvermögen als Berater von Matthias rivalisierte er mit Melchior Khlesl, Bischof von Wien, der sich letztlich gegen ihn durchsetzte.[6] Im November 1611 reiste Liechtenstein nach Innsbruck und geleitete Erzherzogin Anna mit allen Ehren nach Wien zu ihrer Hochzeit mit König Matthias.

Am 4. Januar 1614 wurde Liechtenstein mit dem oberschlesischen Herzogtum Troppau (Opava) belehnt, am 28. April stellte er den Revers für den erhaltenen Lehensbrief aus. Damit besaß er nicht nur die Fürstenwürde, sondern war auch mit Sitz und Stimme am schlesischen Fürstentag vertreten.[7] Am 6. August 1618 verlieh ihm Kaiser Matthias das Ehrenprädikat Oheim.

Ständeaufstand

Während des Aufstandes der evangelisch-lutherischen Standesherren, dem Ständeaufstand in Böhmen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, unterstützte Liechtenstein und seine Brüder Kaiser Ferdinand II., was den Verlust fast des gesamten Familienbesitzes in Schlesien und Mähren zur Folge hatte.[1]

Der Ständeaufstand ereilte ihn in Brünn. Als Parteigänger der Habsburger bekannt, fürchtete er, dass er zu einem Kompromiss mit den Aufständischen gezwungen werden könnte oder sie ihn ins Gefängnis werfen würden. Zur rechten Zeit gelang ihm die Flucht aus Mähren nach Wien.[8] Die mährischen Stände schritten erst nach einer gewissen Zeit zur Konfiskation seiner Güter und verwiesen ihn – in der aktuellen Lage eher symbolisch – des Landes, das er bereits verlassen hatte. Vorgeworfen wurden ihm der Weggang aus dem Land, sein Nichterscheinen vor dem aufständischen Landtag, die Weigerung, der Konföderation beizutreten und das Nichtablegen des geforderten Eids.[9]

Am 23. Juni 1620 wurde ihm vom Kaiser der Reichsfürstenstand bestätigt. Zusammen mit seinem Bruder Maximilian nahm er als kaiserlicher Bevollmächtigter an der Schlacht am Weißen Berg teil, in der die böhmischen Aufständischen entscheidend besiegt wurden.[1]

Statthalter und Vizekönig in Böhmen

Palais Liechtenstein am Kleinseitner Ring in Prag

Nach dem Sieg am Weißen Berg bestellte Kaiser Ferdinand II. Liechtenstein zu dessen subdelegirten commissarius und Stellvertreter in Prag, um die habsburgische Herrschaft im Land wiederherzustellen.[1] Vom 22. November 1620 datierte sein erstes Schreiben an den Kaiser in seinem neuen Amt als Verwalter Böhmens. Nachdem es ihm gelungen war, wenigstens die schlimmsten Ausschreitungen des kaiserlichen Heeres einzudämmen, ging er daran, das Münzwesen neu zu ordnen.[10]

Liechtenstein war für die Festnahme der Aufständischen zuständig und präsidierte im Auftrag Kaiser Ferdinands II. das sogenannte Prager Blutgericht, bei dem die Anführer des Ständeaufstandes, die man ergreifen konnte, am 21. Juni 1621 am Altstädter Ring hingerichtet wurden. Am 17. Januar 1622 wurde er vom Kaiser zum ordentlichen Statthalter und Vizekönig von Böhmen bestellt, ein Amt, das er bis zu seinem Tode 1627 innehatte.[1] Einen Tag später, am 18. Januar, begann seine Beteiligung am Prager Münzkonsortium, einer für ihn und andere Gesellschafter sehr vorteilhaften finanziellen Aktion, aus der jedoch eine Münzverschlechterung und in deren Folge eine schwere Inflation resultierte. Da Lebensmittel unerschwinglich wurden, führte dies zu einer Hungersnot.

Die neue Machtposition ermöglichte ihm persönliche Vorteile aus der umfangreichen Konfiskationswelle, die dem Ständeaufstand folgte, zu ziehen. Sein sozialer Aufstieg setzte sich fort. Zwischen 1621 und 1624 erwarb er einige Häuser am Kleinseitner Ring in Prag und ließ sie zu einem Palais mit einheitlicher Fassade umbauen.

Bei der großangelegten Verteilung der sogenannten „Rebellengüter“ – enteigneter Landgebiete der ehemaligen Standesherren – an Parteigänger des Kaisers profitierte Liechtenstein als böhmischer Statthalter. Kaiser Ferdinand II. schenkte ihm für seine Treue und geleisteten Dienste die – großteils dem Landeshauptmann Ladislaus Velen von Žerotín konfiszierten – mährischen Herrschaften Mährisch Trübau und Hohenstadt mit dem Gut Eisenberg an der March, das Gut Goldenstein sowie die Städte Mährisch Neustadt und Mährisch Schönberg.[11] Der Wert dieser Herrschaften wurde auf 600.000 Gulden geschätzt.[12] Liechtenstein musste lediglich die darauf lastenden Pfandsummen ablösen, das heißt, die Kredite des Kaisers bezahlen.

Er arrondierte seinen durch die Schenkungen bereits beträchtlich angewachsenen Besitz mit verschiedenen Zukäufen. So erwarb er die Herrschaft Landskron mit Landsberg (Lanšperk) und das kleine Dominium Türnau, das er in der Verwaltung von Mährisch Trübau aufgehen ließ. In Böhmen kaufte er vom Heerführer Wallenstein die Herrschaften Schwarzkosteletz, Aurzimowes und Skworetz (Škvorec). Seine Erwerbstätigkeit schloss er mit dem Kauf der nördlich von Prag gelegenen Herrschaft Rostok sowie einigen weiteren kleinen Arrondierungsmaßnahmen im Wesentlichen ab. Schließlich wurde er am 15. März 1623 mit dem Herzogtum Jägerndorf belehnt.

Letzte Jahre und Tod

Grab Karls I. von Liechtenstein in der Fürstengruft in Wranau

Liechtenstein wohnte bis zu seinem Tode im Palais am Kleinseitner Ring. Er verstarb in den Abendstunden des 12. Februar 1627 in Prag. Auf seinen Wunsch hin wurde er in der Kirche Mariä Himmelfahrt in Troppau neben seiner 1625 verstorbenen Gattin bestattet. Beinahe der gesamte Adel Böhmens und Mährens nahm an der Trauerfeier, die zu einer Demonstration der Macht und des Reichtums der Fürstenfamilie Liechtenstein wurde, teil. Sein ältester Sohn ließ einige Jahre später die sterblichen Überreste Liechtensteins und seiner Gattin in die neu errichtete Familiengruft in Wranau überführen.

Nachkommen

Auszeichnungen

Rezeption

Liechtenstein war durch seine einflussreiche Position und sein Reichtum im Laufe seines Lebens und weit darüber hinweg Objekt kontroverser Beurteilungen und Kritik. Von nichtkatholischen Zeitgenossen wurde bereits seine Konversion zur katholischen Kirche im Jahr 1599 sehr kritisch beurteilt. Matthias Matuška zum Beispiel, der ehemalige (1584–1594), oberster Herrschaftsbeamte der žerotínschen Herrschaft Groß Seelowitz in Südmähren, notierte 1599, Liechtenstein sei „um weltlichen Ruhmes willen konvertiert und habe auch seine Frau und seinen Bruder dazu bewegt, es ihm nachzutun, und er habe in tyrannischer Weise auch seine Untertanen zur Konversion gezwungen“. Dadurch habe er sich bei den Jesuiten und beim Papst beliebt gemacht, sodass sie ihm zu Diensten seien und Kaiser Rudolf II. seine Aufnahme in den Geheimen Rat empfohlen hätten.[13]

Ein weiterer Aspekt gilt der tschechischen Historiographie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Liechtenstein vor allem durch seine beiden Ämter als Vorsitzender des Prager Blutgerichts und als Statthalter und Vizekönig in Böhmen präsent war und durchwegs negativ beurteilt wurde. In der rezenten Aufarbeitung wird von Historikern größtenteils ein neutraler Standpunkt vertreten. Die Aktivitäten der Liechtensteinisch-Tschechischen Historikerkommission spielen für diesen Prozess der neuen Sichtweise eine wichtige Rolle.

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b c d e Herbert Haupt: Liechtenstein, Karl I. Fürst von und zu. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 515–517 (Digitalisat).
  2. Arthur Stögmann: Karl I. von Liechtenstein und die Politik in den böhmischen Ländern S. 68
  3. Geschichte des Hauses Liechtenstein (Memento vom 23. Dezember 2007 im Internet Archive), abgerufen am 7. Juli 2010.
  4. Georg Schmid: Das Hausrecht der Fürsten von Liechtenstein. S. 59 ff.
  5. Michael Haberer: Kardinal Khlesl: Der Richelieu des Kaisers. Bod, Norderstedt 2022, ISBN 978-3-7543-0315-3, S. 245, 247 f.
  6. Michael Haberer: Kardinal Khlesl: Der Richelieu des Kaisers. Bod, Norderstedt 2022, ISBN 978-3-7543-0315-3, S. 275, 333.
  7. Arthur Stögmann: Karl I. von Liechtenstein und die Politik in den böhmischen Ländern S. 71
  8. Tomáš Knoz: Die Rolle Karls I. von Liechtenstein. S. 134
  9. Tomáš Knoz: Die Rolle Karls I. von Liechtenstein. S. 135
  10. Arthur Stögmann: Karl I. von Liechtenstein und die Politik in den böhmischen Ländern S. 75
  11. Arthur Stögmann: Karl I. von Liechtenstein und die Politik in den böhmischen Ländern (ca. 1590 bis 1627) S. 83
  12. Arthur Stögmann: Karl I. von Liechtenstein und die Politik in den böhmischen Ländern (ca. 1590 bis 1627) S. 84
  13. Liechtensteinische Erinnerungsorte in den böhmischen Ländern S. 55
VorgängerAmtNachfolger
Fürst von Liechtenstein
1608–1627
Karl Eusebius von Liechtenstein
Johann Georg von Brandenburg-JägerndorfHerzog von (Troppau-)Jägerndorf
1623–1627
verschmolzen mit dem Titel des
Fürsten von Liechtenstein