Wirtschaftsgeschichte der Republik Venedig

Meersalzgewinnung und Fischerei bildeten die ersten Produktionen, die nicht nur der Selbstversorgung dienten, sondern auch der Ausfuhr aus der Lagune. Schon in langobardischer Zeit wurden sie gegen Getreide vom Festland getauscht. Torcello wurde zu einem ersten Emporium des byzantinischen Venedig.

Möglicherweise analog zum Incastellamento, dem Rückzug der italienischen Bevölkerung aus den Küstenregionen aus Furcht vor den Piratenzügen der Normannen, Araber und auch der Slawen und Ungarn, zog sich die Bevölkerung mehr und mehr auf die besser geschützten Inseln in der Lagune zurück. Dazu könnten auch Epidemien, wie etwa die Malaria beigetragen haben, die möglicherweise Torcello entvölkert hat. Die drei Siedlungskerne um den Bischofssitz Olivolo, um San Marco und auf Rialto bildeten später die Schwerpunkte des Schiffbaus im Arsenal, die politische Schaltzentrale und des Handels - mit Überschneidungen und Übergangsgebieten.

Die frühe Phase der "Feudalisierung" des Lebensstils mit ihrem Erwerb umfangreicher Landgüter, wie sie beispielsweise die Dogenfamilie der Partecipazio aufwies, brachte erste, größere Kapitalmengen in die Hand einzelner Familien. Einige von ihnen investierten in den Seehandel und profitierten dabei von den Privilegien des byzantinischen Kaisers, die er Venedig im Gegenzug für militärische Hilfe bei verschiedenen Flotteneinsätzen ausstellte. Bereits 993 gestand ihnen der Kaiser Handelsrechte zu, aber gleichzeitig nahmen Venezianer Handelskontakte bis nach Tunis und Alexandria auf. Dorthin lieferten sie Holz, Waffen und Metalle, und seit dem Sieg über die Dalmatiner auch slawische Sklaven, die sie auf den dortigen Märkten erwarben.

Der eigentliche Durchbruch gelang 1082 mit dem Privileg Kaiser Alexios' I., das den Venezianern freien Handel garantierte und große Teile des Reichs erst öffnete. Zwar kam es immer wieder zu Konflikten, doch erst die Verhaftung aller Venezianer und das folgende Handelsverbot, schließlich die Eroberung Konstantinopels 1204 und die sich anschleßende Errichtung eines Kolonialreichs, machten Venedig zur Vormacht im östlichen Mittelmeer. Das Kolonialreich und das Lateinische Kaiserreich (1204-61) bildeten den politischen Rahmen für die massive Expansion des venezianischen Handels. Darüber hinaus partizipierten die Händler am intensivierten Warenaustausch mit dem Heiligen Land, wo bis 1289 Akkon eine wichtige Handelsdrehscheibe mit einer eigenen Händlerkolonie bildete.

Typische Gesellschaftsform im Mittelmeerhandel Venedigs war die Collegantia. Dabei steuerte ein stiller Teilhaber etwa drei Viertel des Investivkapitals bei, der aktive Teilhaber den Rest. Zweck, Aufgabenverteilung und Anteile wurden vor der Reise schriftlich festgelegt, doch konnte der aktive Teilhaber seine Gewinne auch sofort wieder investieren. Stiller und aktiver Teilhaber waren zwei mögliche Rollen, die mit jeder Fahrt neu festgelegt wurden, wobei häufig mehrere stille Teilhaber das nötige Kapital stellten. So wurden die Risiken verteilt und zugleich Kumulationsmöglichkeiten eröffnet. Bei der außerhalb Venedigs stärker verbreiteten Gesellschaftsform der Commenda war hingegen nur ein stiller Teilhaber an einen aktiven gebunden. In Venedig entwickelten sich dadurch engste Kapitalverflechtungen und Abhängigkeiten, die insbesondere Familiengeschäfte begünstigten. Die Collegantia verband übrigens auch Geldgeber und Handwerker innerhalb Venedigs noch zu einer Zeit, als diese Organisationsform im Überseehandel längst abgelöst war. Aus dem Überseehandel wurde diese Gesellschaftsform erst im Spätmittelalter durch regelrechte Societates verdrängt, die auf lange Zeit angelegt waren. Außerdem ermöglichten doppelte Buchführung und die Einrichtung fester Faktoreien im Ausland eine viel engere Kontrolle und Steuerung, zugleich aber auch eine engere Verflechtung mit den auswärtigen Märkten zwischen Brügge und Tunis, Alexandria und Trapezunt.

Je mehr die Händlerfamilien den Staat kontrollierten, desto mehr verfolgte die Politik ihre Interessen, indem sie zum Beispiel konkurrierende Städte "ausschaltete". Comacchio, das den Handel über den Po kontrollierte, wurde bereits 933 erledigt. Viele Städte von Ravenna über Aquileia bis Koper und Pula auf Istrien mussten sich entsprechenden Vertragsklauseln fügen. Letztlich war ein Motiv für die Eroberung der Terraferma auch die sichere Zufuhr von Rohstoffen und der Schutz der Handelswege.

Kaiser Heinrich IV., tief verstrickt im Investiturstreit, gewährte Venedig das äußerst wichtige Privileg, das seinen Händlern den Handel im Heiligen Römischen Reich erlaubte, den Reichsbewohnern aber nur den Handel bis Venedig. Damit hatte die Stadt den Adriahandel im Norden monopolisiert. Überhaupt durften dort nur Waren nach Venedig gebracht werden, d. h. die Stadt setzte das Stapelrecht durch. Stapel und Umschlag zwangen die Händler von außerhalb dazu, sich in Handelshäusern einzufinden, wobei die "Deutschen" im Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke wohnten. Parallel dazu sorgte die Abriegelung des Adelsstands durch die Serrata von 1297 langfristig für eine Verdrängung der Nichtadligen aus dem Fernhandel. Diesen Handel durften nur Männer betreiben, die das volle Bürgerrecht besaßen, das Bürgerrecht "de intus et de extra". Wer nicht länger als 25 Jahre in Venedig wohnte, hatte keine Möglichkeit, dieses zu erwerben. Zudem brauchte er noch Bürgen.

Gleichzeitig zahlten die Venezianer, im Gegensatz zu den Ausländern, die 2,5% Warensteuer entrichteten, nur die Hälfte. Erstere Abgabe nannte sich Quadragesimum ("Vierzigstel"), letztere Octuagesimum ("Achtzigstel"). Doch lösten sich diese Bestimmungen zunehmend in Einzelfestsetzungen auf. Des weiteren setzte man im enorm umfangreichen Getreidehandel Garantiepreise aus, die venezianischen Händlern höhere Preise zusicherten, als Ausländern, noch höhere, wenn sie auf venezianischen Schiffen fuhren. Da Venedig halb Oberitalien mit Weizen versorgte und der Adriahandel monopolisierte war, floss damit ein erstaunlicher Reichtum nach Venedig.

Um die Bewohner an den gemeinsamen Lasten, vor allem an der Kriegsführung zu beteiligen, wurde für jedes Haus ein Estimo, eine Vermögensschätzung veranlasst. Entsprechend dem darin deklarierten Familienvermögen zahlten sie einen bestimmten Anteil in die Staatskasse, der verzinst wurde. Zugleich durften die Händler entsprechend dem Vermögen im Estimo am Fernhandel teilnehmen. Die Kontrolle dabei erleichterte die Tatsache, dass die Versteigerung von Anteilen am Laderaum der staatlichen Handelsgaleeren öffentlich war. Niemand durfte dort mehr investieren, als an Vermögen im Estimo erschien. Außerdem machte man die Art der Bewaffnung und der Schutzkleidung für die Mannschaften von der Höhe des geschätzten Vermögens abhängig - ein sehr handfester, u. U. lebensrettender Grund, sein Vermögen korrekt und unter Eid zu erklären.


Gold und Silber Grossi und Dukaten Zählwährungen

Ein weiteres, hervorstechendes Merkmal des venezianischen Handels waren die von der Stadt organisierten Schiffskonvois, die Mude. Sie dienten einerseits dem Schutz der Waren, da diese Konvois stark bewaffnet waren. Andererseits ließen sich die Termine für die Ankunft und Abfahrt der Waren dadurch genau festsetzen. Damit versuchte man das gleichzeitige Eintreffen von zu vielen, aber auch von Warenmangel zu verhindern, die zu heftigen Preisausschlägen geführt hätten. Außerdem konnte man so überlange Lagerung vermeiden, was die Kosten und Risiken verstärkt hätte. Die Anpassung an die Befahrbarkeit des Meeres und die Passierbarkeit der Alpen stellten dabei die Rahmenbedingungen dar. Zeitgerechte Lieferung der aus der Levante kommenden Waren an die Kaufleute des Reichs und umgekehrt waren eine wichtige Voraussetzung für den schnellen Kapitalumschlag. Doch nicht nur die Mude verkehrten als Konvois. Auch Massengüter wie Salz und Getreide, aber auch Öl und Baumwolle, wurden in unruhigen Zeiten im Konvois transportiert, obwohl es sich meistens um private Schiffe handelte. Auch hier griff die Kommune mit Vorschriften, aber auch Subventionen ein. Solche zentralen Steuerungen waren nicht ohne Risiko, denn das gemeinsame Auftreten zahlreicher Händler an einem Ort, ja, schon ihre Ankündigung, führte zu heftigen Preisausschlägen.

Doch Venedig war keine reine Handelsstadt. Die Schiffbauindustrie mit ihrem gewaltigen Bedarf an Holz, Metall, Pech, Hanf und dergleichen war ein starker Impulsgeber. Dazu kam die "Bauindustrie", die Wohn- und Repräsentationsräume für die geschätzten 140000 Einwohner der Stadt vor der ersten Pestwelle (1348) bereitstellte. Der Ruf nach Luxuswaren und die Möglichkeiten des Erwerbs aufgrund der wachsenden Vermögen in der Stadt, schufen Gewerbe, die Leder, Pelzige, teure Tuche, Edelsteine, aber auch Waffen, Kristalle und Glas in höchster Qualiltät bereit stellten. Zugleich hatten diese Waren einen gewissen Anteil an der "Handelsbilanz", denn sie ließen sich auch in den Ländern der Levante absetzen.

Jeder Import konnte dabei zu neuen Veredlungen führen. So wurde syrische und zypriotische Seide zu Barchent weiterverarbeitet. Davon wurde wiederum ein erheblicher Teil über die Alpen verkauft, ebenso wie Zucker, Öl und Wein, aber auch Seide.

Die Handwerke waren in zunftartigen Verbänden organisiert, die aber in Venedig nie die Macht gewannen, wie etwa in Florenz. Zum einen wurden sie stärker kontrolliert und gesteuert, zum anderen stärker in die Staatsrepräsentation eingebunden. Zugleich verhinderte schon ihre starke Aufsplitterung in 52 Arti eine größere Machtballuing.

Die Entstehung großer Landmächte, die auf ein viel größeres Potential zurückgreifen konnten, der Dauerkrieg mit den Osmanen, das Ausgreifen der Portugiesen in den Indischen Ozean und damit in das wichtigste venezianische Monopol, den Gewürzhandel, dazu der Aufstieg großer Flottenmächte, wie der Niederlande und Englands, verringerten den Anteil Venedigs am Handel. Das Mittelmeer wurde zu einem Nebenmeer, Venedig zu einer regionalen Ökonomie.

SL: D. Stöckli, Le système de l'incanto des galées du marché à Venise, 1995