Theatrophon

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Zuhörer des Theatrophons an Münzapparaten, 1892

Das Theatrophon (franz.: Théâtrophone) war ein von Clément Ader entwickeltes System zur stereofonen Übertragung von Opern- und Theateraufführungen über das Telefon. Es wurde 1881 in Paris erstmals vorgestellt. Kommerziell betrieben wurde das Theatrophon in Frankreich von 1890 bis 1932, wobei das Angebot um die Übertragung von Gottesdiensten und das Verlesen aktueller Nachrichten erweitert wurde. Somit stellt das Theatrophon sowohl inhaltlich als auch technisch einen direkten Vorläufer des Rundfunks dar. Technik und Vermarktungsmodell des Theatrophons wurden von anderen Anbietern übernommen. So wurde das System in Großbritannien ab 1895 unter dem Namen Electrophone vertrieben und war dort vor allem in den 1910er-Jahren sehr erfolgreich.

Entwicklung des Theatrophons

Zeichnung der in der Opéra Garnier installierten Mikrofone
Zeichnung der von Ader eingesetzten Kohlemikrofone

Clément Ader, heute vor allem für seine Pionierarbeiten in der Luftfahrt bekannt, hatte früh ein Interesse an der Technik des Telefons entwickelt. Er verbesserte mit dem Aderschen Fernsprecher das 1876 von Alexander Graham Bell vorgestellte Telefon, entwickelte ein verbessertes Kohlemikrofon und installierte 1880 die erste Telefonlinie in Paris.

Zur Ersten Internationalen Elektrizitätsausstellung im Jahr 1881 entwickelte Ader ein neues telefonisches System für die Übertragung von Konzerten oder Theateraufführungen über längere Distanzen. Es basierte auf seinem Kohlemikrophon zur Umwandlung des Schalls in Spannungsimpulse und dem Aderschen Telefon als Empfänger. Ader hatte dazu 80 Mikrofone am Bühnenrand der Opéra Garnier installiert, die das Geschehen zum zwei Kilometer entfernt gelegenen Industriepalast (Palais de l'Industrie) an der Avenue des Champs-Élysées übertrugen, wo es in einem speziellen mit Hörmuscheln ausgestatteten Raum gehört werden konnte. Zur Stromversorgung der Mikrofone wurden Leclanché-Elemente eingesetzt. Analog wurden mit 10 Mikrofonen Aufführungen der Comédie-Française übertragen.

Für jeden Zuhörer standen zwei Hörmuscheln zur Verfügung, die mit zwei verschiedenen Mikrofonen verbunden waren. Dadurch, dass das eine Mikrofon an der linken Bühnenhälfte und das andere an der rechten Bühnenhälfte platziert war, gelang eine Richtungslokalisation des Gehörten. Aders Demonstration war somit das erste Beispiel für eine binaurale Tonaufnahme.[1] Technisch war die Installation der Mikrofone sehr anspruchsvoll. Die Aderschen Mikrofone drohten bei jedem lauten Auftreten auf der Bühne zu vibrieren, weshalb sie in Blei eingefasst waren und auf Gummibändern gelagert wurden. Bei der Platzierung der Orchester musste darauf geachtet werden, dass die Schlaginstrumente und Blechbläser nicht zu dicht bei den Mikrofonen standen.

Schemazeichnung des Theatrophon-Prototyps von 1881

Das später Théâtrophone genannte System wurde am 9. August 1881 von dem französischen Staatspräsidenten Jules Grévy eingeweiht und entwickelte sich während der Ausstellung schnell zu einem Publikumsrenner.[2] Von August bis November 1881 wurde das Theatrophon an drei Abenden in der Woche der Öffentlichkeit präsentiert. Zeitgenössische Berichterstatter zeigten sich begeistert von der neuen Technik. Es galt als eine Sensation, dass man über das Theatrophon nicht nur das Orchester und die Schauspieler, sondern sogar die Reaktionen des Publikums und die Stimme des Souffleurs hören konnte.[1] Zu den Benutzern der neuen Erfindung zählte der Schriftsteller Victor Hugo, der sich in einem Tagebucheintrag vom 11. November 1881 „verzückt“ von der Präsentation zeigte.[3] Auch der Science-Fiction-Autor Albert Robida dürfte die Erfindung ausprobiert haben, so beschrieb er 1883 in seinem utopischen Roman Le Vingtième Siècle (Das Zwanzigste Jahrhundert) ein dem Theatrophon ähnelndes Bildübertragungssystem namens „Telephonoskop“.

Trotz der hohen Kosten für die Installation und den Betrieb der Anlage, die sich während der Präsentation in Paris auf 160.000 Franc summierten, wurde ein Jahr später Aders Erfindung auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in München installiert, um sie dem bayerischen König Ludwig II. vorzustellen. Danach wurde im Mai 1883 eine Demonstrationsanlage im Pariser Musée Grévin eingerichtet, mit der Aufführungen des Varietés Eldorado verfolgt werden konnten.[4] Darüber hinaus blieb die Nutzung des Theatrophons nur einem ausgewählten Personenkreis vorbehalten. Präsident Grévy ließ Leitungen von der Opéra, der Comédie-Française und dem Théâtre de l'Odéon zum Élysée-Palast legen. 1884 wurden in einem Münchner Theater sowie bei den Berliner Philharmonikern Theatrophone versuchsweise eingerichtet. Im gleichen Jahr wurde in Brüssel ein Theatrophon im Ministerium für Eisenbahn, Post und Telegrafie installiert; dem belgischen Königspaar wurde die neue Erfindung präsentiert, indem Aufführungen der Rossini-Opern Wilhelm Tell und Der Barbier von Sevilla zu ihrer Sommerresidenz übertragen wurden.

Ebenfalls 1884 wurde im Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon ein Theatrophon installiert, damit König Ludwig eine Opernpremiere, bei der er nicht persönlich anwesend sein konnte, zumindest von seinem Palast aus hören konnte.[5] Ein Jahr später bot das Teatro erstmals das Theatrophon auch Privatkunden an. In einem Abonnement wurden bis zu 90 Aufführungen übertragen.

Erste kommerzielle Nutzung

Théâtrophone, Werbeplakat von Jules Chéret von 1896

Nach dem erfolgreichen Betrieb der Demonstrationsanlage im Musée Grévin wurde das Theatrophon erneut einer breiteren Öffentlichkeit während einer internationalen Ausstellung präsentiert, diesmal bei der Pariser Weltausstellung von 1889. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde das Theatrophon Thomas Alva Edison während eines Festbanketts vorgeführt, der selbst seinen verbesserten Phonographen auf der Weltausstellung vorgestellt hatte. Edison soll „entzückt“ über die neue Erfindung gewesen sein und empfohlen haben, sie sofort in New York einzuführen.[6]

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Münzbetriebenes Theatrophon

Zur weiteren Vermarktung des Theatrophons wurde 1890 die Compagnie du Théâtrophone gegründet. Die Unternehmer Marinovitch und Szarvady entwickelten münzbetriebene Empfangsgeräte, mit denen das Theatrophon kommerziell betrieben wurde.[7] Bei Einwurf von 50 Centimes konnte das laufende Programm für 5 Minuten gehört werden, für 1 Franc war man 10 Minuten lang verbunden. [8] Die ersten dieser Empfänger wurden am 26. Mai 1890 im Foyer des Pariser Théâtre des Nouveautés in Betrieb genommen. Weitere Geräte wurden in Hotels, Cafés und an anderen öffentlichen Plätzen installiert. Angeboten wurden Übertragungen aus mehreren Theatern und Opernhäusern, tagsüber konnte man die Darbietung eines elektrischen Klaviers hören.[9] Zwischen den Veranstaltungen wurden für 5 Minuten aktuelle Nachrichten verlesen, weshalb das Theatrophon als frühestes Beispiel der um die Jahrhundertwende populären Telefonzeitungen betrachtet wird.

Die münzbetriebenen Theatrophone entsprachen technisch einem normalen Telefon, allerdings erfolgte die Verbindung über drei Leitungen. Zwei Leitungen wurden für den stereofonen Empfang der Darbietungen genutzt, eine dritte Leitung diente zur Kommunikation zwischen dem Benutzer und dem Veranstalter. Durch die Bedienung eines Schalters konnte der Kunde die gewünschte Spielstätte auswählen, der Anfang der Aufführung wurde dann durch eine Signallampe angezeigt. Die Geräte waren tragbar, die Verbindung mit dem Leitungsnetz der Compagnie du Théâtrophone erfolgte durch den Anschluss an speziellen Steckdosen.[8]

Vermittlungsstelle der Compagnie du Théâtrophone (um 1892)

Um regelmäßige Hörer zu gewinnen wurden in vergünstigten Abonnements Jetons für die münzbetriebenen Theatrophone angeboten. Zusätzlich konnten auch Privathaushalte das Theatrophon nutzen; die jährlichen Gebühren von 180 Franc sowie die Nutzungsgebühren von 15 Franc pro Vorstellung waren aber so hoch, dass sich nur gehobene Bürgerschichten diese Investition erlauben konnten. Trotzdem konnte die Compagnie du Théâtrophone bis zum Jahr 1893 mehr als 1300 Abonnenten gewinnen. Bei den Anschlüssen in den Privathaushalten erfolgte die Verbindung zu dem gewünschten Veranstaltungsort durch Telefonistinnen in der zentralen Vermittlungsstelle der Compagnie du Théâtrophone, die in der Rue Louis-le-Grand eingerichtet wurde. Dabei war die Anzahl der möglichen Zuhörer einer Aufführung durch die Anzahl der auf der Bühne installierten Mikrofone limitiert.

Schon 1887 wurde eine Pariser Opernaufführung nach Brüssel übertragen. In Belgien entwickelte sich ein dichtes Netz von Theatrophonen, so wurden über die Telefonleitungen Aufführungen von Brüssel bis nach Ostende übertragen. Die Übertragungen waren so populär, dass im Jahr 1899 Giuseppe Verdi ein Ausstrahlungsverbot seiner Oper Rigoletto erstritt.[10] Ähnlich erfolgreich war 1887 die Einführung des Theatrophons in Schweden. Eine Demonstrationsanlage in Stockholm wurde stolz Staatsgästen wie dem sächsischen König Albert oder dem deutschen Kaiser Wilhelm II. vorgeführt. In dem folgenden Jahren fanden die Musikübertragungen dank der raschen Verbreitung des Telefons in Stockholm ein immer größeres Publikum.[6]

In Deutschland blieben die Theatrophone dagegen eine Kuriosität. Nach den ersten Versuchen in Berlin und München wurden in der Berliner Urania bis 1896 Konzerte der Berliner Philharmoniker übertragen. Auch in den Vereinigten Staaten kam das Theatrophon nicht über das Versuchsstadium hinaus.[11] In Budapest entwickelte Tivadar Puskás mit dem Telefon Hírmondó eine eigene Übertragungstechnik, die ebenfalls auf dem Telefon beruhte. Telefon Hírmondó bot ab 1893 nicht nur Musikdarbietungen, sondern vor allem aktuelle Nachrichten, Börsenkurse und sonstige Wortprogramme an und entwickelte sich damit zur erfolgreichsten und langlebigsten Telefonzeitung.[12]

Den größten Erfolg außerhalb Frankreichs hatte das Theatrophon in Großbritannien, wo es unter dem Namen Electrophone vermarktet wurde. 1891 wurde erstmals eine Pariser Opernaufführung bis nach London übertragen. Im gleichen Jahr wurden münzbetriebene Theatrophone im Londoner Savoy Hotel aufgestellt. 1892 installierte die Universal Telephone Company für den Theaterintendanten Augustus Harris je ein Theatrophon im Royal Opera House am Covent Garden und im Theatre Royal Drury Lane. Im Crystal Palace wurde eine Demonstrationsanlage eingerichtet, außerdem wurden Musikaufführungen von London bis nach Liverpool und Manchester übertragen.

Das große Publikumsinteresse an diesen Vorführungen führte 1895 zur Gründung der Electrophone Ltd, die Privatkunden die Installation einer Anlage in ihren Wohnungen für 5 £ bei einer jährlichen Gebühr von 10 £ anbot. Im Programm des Electrophones waren 18 Spielstätten, zusätzlich wurde sonntags die Übertragung von Gottesdiensten angeboten. Bis zur Jahrhundertwende hatte die Electrophone Ltd. 600 Abonnenten, unter ihnen Queen Victoria.[13]

Theatrophon und Electrophone wurden zu einem Inbegriff der modernen Welt. Während der portugiesische Schriftsteller José Maria Eça de Queiroz in seinem postum veröffentlichten Roman Stadt und Gebirge noch im ironischen Ton schilderte, wie die feine Pariser Gesellschaft das Theatrophon zu ihrem Vergnügen nutzte[14], beschrieb Jules Verne in seinem utopischen Roman Die Propellerinsel von 1895, wie mit Hilfe des Theatrophons Konzerte über Seekabel zu einer von Milliardären bewohnten schwimmenden Stadt übertragen werden.[15] Die britische Schriftstellerin Ouida schließlich beschrieb in ihrer 1897 veröffentlichten Erzählung The Massarenes einen Charakter als „eine moderne Frau der Welt. So teuer wie ein Panzerschiff und so kompliziert wie ein Theatrophon.“[16]

Das Theatrophon im 20. Jahrhundert

Electrophone-Salon in London, um 1901

Mit dem Ausbau des staatlichen Telefonnetzes wuchs auch die Zahl der Nutzer des Theatrophons. Es wurde möglich, die Übertragungen der Compagnie du Théâtrophone ohne zusätzliches Empfangsgerät über das normale Telefon gegen eine geringe Lizenzgebühr zu hören, allerdings war dabei kein stereofoner Empfang mehr möglich. Haushalte, die nur einen Telefonanschluss besaßen, konnten während der Übertragung des Theatrophons keine Telefonanrufe entgegennehmen.

Nachdem sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Grammophon als neues Unterhaltungsmedium durchgesetzt hatte, wurden die Hörer des Theatrophons zunehmend anspruchsvoller. Technische Verbesserungen wie das 1910 eingeführte Brownsche Relais oder die Elektronenröhre, die zur Verstärkung der Signale und damit zur Verbesserung der Tonqualität beitrugen, hatten nur begrenzten Erfolg. So schrieb der Schriftsteller Marcel Proust, der seit 1911 Abonnent des Theatrophons war, dass er einmal wegen der schlechten Tonqualität das unruhige Theaterpublikum in einer Pause mit einem Musikstück verwechselt hatte. Andererseits begeisterte ihn eine über das Theatrophon verfolgte Aufführung von Claude Debussys Oper Pelléas et Mélisande so sehr, dass Proust dieses Werk seinen Bekannten weiterempfahl.[17]

Zur Gewinnung neuer Kunden wurden sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien spektakuläre Aktionen durchgeführt. Am 21. Mai 1913 wurde in London eine Aufführung von Wagners Tristan und Isolde aus der Pariser Opéra übertragen, während gleichzeitig das Programm des Londoner Alhambra Theatre nach Paris überspielt wurde.[18] Vor allem in London sorgte dieses Ereignis für Aufsehen und hatte somit den gewünschten Effekt. Die Zahl der Abonnenten stieg auf über 2000 und nahm noch weiter zu, als nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Tausende ihre normalen Telefonanschlüsse kündigten und statt dessen das Electrophone nutzten, um am „heimischen Kamin“ dem Programm der Music Halls zu lauschen.[19] Auch den britischen Frontsoldaten war das Prinzip des Electrophones vertraut, so berichtete die Times im Dezember 1914, dass sich die Soldaten in den Schützengräben an Grammophonaufnahmen erfreuten, die über eine Distanz von 8 Meilen mit Hilfe des Feldtelefons übertragen wurden.[20]

Zeitungsanzeige für das Theatrophon von 1927

In Frankreich blieb das Interesse am Theatrophon ebenfalls unvermindert hoch. Das Hotel Wagram ließ 1914 in allen Zimmern Theatrophone einbauen. Trotz der Verwendung immer empfindlicherer Mikrofone stieß die Compagnie du Théâtrophone bald an die Grenzen ihrer Kapazität. Die Zahl der Abonnenten musste begrenzt werden, da Anzahl und Leistung der auf den Bühnen einsetzbaren Mikrofone nicht mehr ausreichte, die Nachfrage zu erfüllen. Erst nach 1923 wurde durch weitere technische Verbesserungen die Zahl der Teilnehmer, die gleichzeitig eine Aufführung mithören konnten, deutlich erhöht. Bis 1930 wurden die Kopfhörer zunehmend durch Lautsprecher ersetzt, so dass mehr als 300 Zuhörer gleichzeitig mit einer einzigen Opernaufführung verbunden werden konnten.

Die hohe Popularität des Theatrophons Ende der 1920er-Jahre war insofern überraschend, da in Paris seit 1921 regelmäßige Radioprogramme ausgestrahlt wurden. In London sah die Situation anders aus. Während die ersten Sendungen der 1920 in Betrieb genommenen Marconi-Station aufgrund der regelmäßigen Senderausfälle keine Konkurrenz für das Electrophone waren, entstand mit Gründung der BBC Ende 1922 ein ernsthafter Gegner. Als am 8. Januar 1923 erstmals in London eine Opernaufführung im Radio übertragen wurde, reagierte die Electrophone Ltd gelassen, da man davon ausging, dass noch eine lange Zeit vergehen würden, bis der Rundfunk die technische Brillanz des Electrophones erreichten könnte.[21] Tatsächlich kam das Ende des Electrophones innerhalb von zwei Jahren; am 30. Juni 1925 wurde der Betrieb eingestellt.

In anderen Ländern hatte sich die Übertragung von Musik über das Telefon mit unterschiedlichem Erfolg durchgesetzt, wurde aber ebenfalls nach und nach durch das Radio verdrängt. In verschiedenen europäischen Ländern wurden unter dem Namen Pathéphone Salons eingerichtet, in denen Musikaufnahmen von Schallplatten über Telefonleitungen angeboten wurden.[22] In den Vereinigten Staaten existierte ab 1910 ein ähnliches System mit Phonograph-Aufnahmen.[23] Zwei Jahre später wurde in den Vereinigten Staaten in Anlehnung an das ungarische Telefon Hírmondó mit dem New Jersey Telephone Herald eine eigene Telefonzeitung gegründet, die aber nur von kurzer Lebensdauer war.[24] In Italien wurde schon im Jahr 1910 die Telefonzeitung l'Araldo Telefonico gegründet, die 1922 vom Telefon zur drahtlosen Übermittlung wechselte und später in der RAI aufging.[25] In Schweden waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Musikübertragungen über das normale Telefonnetz sehr beliebt, so verfolgten im Jahr 1915 rund 10.000 Stockholmer gleichzeitig ein Konzert zum schwedischen Kindertag über das Telefon. Bis 1925 fanden weiterhin regelmäßige Übertragungen statt, danach übernahm das Radio diese Funktion.[6]

In Paris hielt sich das Theatrophon sieben Jahre länger. Weitere Verbesserungen an dem Lautsprechersystem sorgten dafür, dass es mit der Entwicklung des Rundfunks Schritt halten konnte und beide Systeme parallel existierten.[26] Noch 1930 zeigte sich der Präsident der Compagnie du Théâtrophone davon überzeugt, dass das Theatrophon die einfachste und verlässlichste Technik zur Übertragung von Tönen besaß.[9] Tatsächlich wurde in den Anfangsjahren des Rundfunks die gleiche Technik zur Aufnahme von Liveveranstaltungen wie beim Theatrophon verwendet, nur der Übermittlungsweg war anders und – wie sich schnell als Vorteil des Rundfunks zeigen sollte – flexibler, da unabhängig von festen Leitungen. Zum Ende des Jahres 1932 musste sich die Compagnie du Théâtrophone dem geschlagen geben und beendete wie die Electrophone Ltd. zuvor ihren Dienst. Einzig das ungarische Telefon Hírmondó blieb noch als telefonbasiertes Informations- und Unterhaltungsmedium nach dem Durchbruch des Hörfunks für längere Zeit bestehen; das Programm dieser Telefonzeitung wurde bis in die 1940er-Jahre fortgesetzt.[12]

Auch wenn die Technik des Theatrophons schnell in Vergessenheit geriet, blieb die Idee dieses Vertriebsweges für Unterhaltungsprogramme sowie deren Vermarktung lange präsent. Das Theatrophon hatte als erstes Medium das wirtschaftliche Potential des Home Entertainments aufgezeigt.[27] In einigen Krankenhäusern werden auch heute noch Gottesdienste über das Haustelefon angeboten, und moderne Medienwissenschaftler sehen in den Musikdownloads die Vision von Clément Ader verwirklicht.[28]

Einzelnachweise

  1. a b Théodore du Moncel: The Telephone at the Paris Opera. In: Scientific American, 31. Dezember 1881, S. 422–423; aufgerufen am 9. März 2008.
  2. Marvin: When Old Technologies Were New, S. 209.
  3. Victor Hugo: Choses vues. Souvenirs, journaux, cahiers. 1849-1885.
  4. Vanessa R. Schwartz: Spectacular Realities: Early Mass Culture in Fin-de-Siècle Paris. University of California Press, Berkeley 1998, ISBN 0-520-22168-0, S. 115.
  5. Scientific American: Opera by Telephone vom 14. Juni 1884, S. 373; aufgerufen am 6. März 2008.
  6. a b c K.V. Tahvanainen, Stereofonisk musik per telefon
  7. The Electrical Engineer: The Theatrophone vom 30. August 1889; aufgerufen am 5. März 2008.
  8. a b M. Perron: Le théatrophone. In: Le Magasin pittoresque, Année 60, 1 Sér. 2, T. 10, Paris 1892, S. 180-181.
  9. a b M. Testavin: L'Organisation actuelle du théâtrophone. In: Annales des postes, télégraphes et téléphones, Januar 1930, S. 27.
  10. André Lange: Stratégies de la musique. Mardaga, Brüssel 1986, ISBN 2-87009-264-4, S. 117.
  11. Electrical Review: Wanted, a Theatrophone vom 5. Juli 1890; aufgerufen am 6. März 2008.
  12. a b Luca Gábor, Magda Gíró-Szász: Telephonic news dispenser. Hungarian Broadcasting Company, Budapest 1993, ISBN 9-637-05805-2.
  13. P. J. Povey, R. A. J. Earl: Vintage Telephones of the World. Peter Peregrinus, London 1988, ISBN 0-86341-140-1, S. 67.
  14. José Maria Eça de Queiroz: Stadt und Gebirge. Deutsche Übersetzung von 1903 im Projekt Gutenberg.
  15. Jules Verne: Die Propellerinsel in der Arno-Schmidt-Referenzbibliothek.
  16. A modern woman of the world. As costly as an iron clad and as complicated as theatrophone“, zitiert nach André Lange: Histoire de la Television.
  17. William C. Carter: Marcel Proust: A Life. Yale University Press, New Haven 2000, ISBN 0-300-08145-6, S. 497–499.
  18. Tim Crook: Radio Drama, S. 19.
  19. Daily Mail vom 4. April 1916, zitiert nach Tim Cook: Radio Drama, S. 18.
  20. The Times vom 16. Dezember 1914, zitiert nach Tim Cook: Radio Drama, S. 20.
  21. The Times: Entertainment by Wireless: The Future of the Electrophone vom 10. Januar 1923; aufgerufen am 10. März 2008.
  22. Gert J. Almind: Coin-Op Telephone Line Music. Danish Jukebox Archives; aufgerufen am 18. März 2008.
  23. Popular Mechanics: Phonograph Selection by Telephone. Popular Mechanics, April 1910, S. 489–490; aufgerufen am 18. März 2008.
  24. G. C. B. Rowe: Broadcasting in 1912. In: Radio News, Juni 1925, S. 2219–2220; aufgerufen am 18. März 2008.
  25. Comitato Guglielmo Marconi International: Le origini della radiodiffusione in Italia, aufgerufen am 13. März 2008.
  26. Time: "Lindbergh" & "Massacre!" vom 31. Dezember 1928; aufgerufen am 18. März 2008.
  27. Robert Hawes: Radio Art. Green Wood Publishing, London 1991, ISBN 1-872532-29-2, S. 24.
  28. Paul Collins: Theatrophone – the 19th-century iPod.

Literatur

  • Danièle Laster: Splendeurs et misères du "théâtrophone". In: Romantisme Nr. 41, 1983, S. 74-78. (französisch)
  • K.V. Tahvanainen: Stereofonisk musik per telefon, ursprünglich publiziert in Daedalus, Stockholm 1987. (schwedisch)
  • Carolyn Marvin: When Old Technologies Were New: Thinking About Electric Communication in the Late Nineteenth Century, Oxford University Press, New York 1988, ISBN 0-19-504468-1, S. 209-212. (englisch)
  • Catherine Bertho-Lavenir: Innovation technique et société du spectacle: le théâtrophone à l'Exposition de 1889. In: Le Mouvement social No. 149, 1989, S. 59-69. (französisch)
  • Tim Crook: Radio Drama. Routledge, London 1999, ISBN 0-415-21602-8, S. 15–20. (englisch)
  • Paul Collins: Theatrophone – the 19th-century iPod. In: New Scientist, Nr. 2638, 12. Januar 2008. (englisch)

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