„Suramin“ – Versionsunterschied

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== Erprobung gegen Aids ==
== Erprobung gegen Aids ==
Das Team von [[Robert Gallo]] hatte gezeigt, dass Suramin durch Verhinderung der [[Reverse Transkriptase]], die Verbreitung des HI-Virus in lebenden Tieren reduzierte.<ref>Luc Montagnier, Robert Gallo: ''AZT - die erste medikamentöse Therapie für HIV''. [http://www.animalresearch.info/de/medizinischer-fortschritt/zeitleiste/azt-die-erste-medikamentose-therapie-fur-hiv/ Animalresearch]</ref> Ende der 1980er Jahre wurde deshalb Suramin als Mittel gegen [[HIV]]/[[Aids]] getestet, dabei kam es mehrfach zu schweren Nebenwirkungen. In einer Studie verstarben von 98 Patienten 16 während der Behandlung oder kurz danach.<ref>B. D. Cheson, A. M. Levine, D. Mildvan, L. D. Kaplan, P. Wolfe, A. Rios, J. E. Groopman, P. Gill, P. A. Volberding, B. J. Poiesz u. a.: ''Suramin therapy in AIDS and related disorders. Report of the US Suramin Working Group''. PMID 3650339</ref> Eine weitere Studie, bei der es auch zu schweren Nebenwirkungen kam, zeigte keine Wirkung auf die Entwicklung von [[Opportunistische Infektion|opportunistischen Infektionen]] während der Therapie und damit keinen klinischen Nutzen bei HIV-bezogenen Krankheiten.<ref>Lawrence D. Kaplan, Peter R. Wolfe, Paul A. Volberding, Paul Feorino, Donald I. Abrams, Jay A. Levy, Roberta Wong, Lilian Kaufman, Michael S. Gottlieb: ''Lack of response to suramin in patients with AIDS and AIDS-related complex.'' In: ''The American Journal of Medicine.'' 82 (3), 1987, S. 615–620. PMID 3548350</ref>
Das Team von [[Robert Gallo]] hatte gezeigt, dass Suramin durch Hemmung der [[Reverse Transkriptase|reversen Transkriptase]], die Verbreitung des HI-Virus in lebenden Tieren reduzierte.<ref>Luc Montagnier, Robert Gallo: ''AZT - die erste medikamentöse Therapie für HIV''. [http://www.animalresearch.info/de/medizinischer-fortschritt/zeitleiste/azt-die-erste-medikamentose-therapie-fur-hiv/ Animalresearch]</ref> Ende der 1980er Jahre wurde deshalb Suramin als Mittel gegen [[HIV]]/[[Aids]] getestet, dabei kam es mehrfach zu schweren Nebenwirkungen. In einer Studie verstarben von 98 Patienten 16 während der Behandlung oder kurz danach.<ref>B. D. Cheson, A. M. Levine, D. Mildvan, L. D. Kaplan, P. Wolfe, A. Rios, J. E. Groopman, P. Gill, P. A. Volberding, B. J. Poiesz u. a.: ''Suramin therapy in AIDS and related disorders. Report of the US Suramin Working Group''. PMID 3650339</ref> Eine weitere Studie, bei der es auch zu schweren Nebenwirkungen kam, zeigte keine Wirkung auf die Entwicklung von [[Opportunistische Infektion|opportunistischen Infektionen]] während der Therapie und damit keinen klinischen Nutzen bei HIV-bezogenen Krankheiten.<ref>Lawrence D. Kaplan, Peter R. Wolfe, Paul A. Volberding, Paul Feorino, Donald I. Abrams, Jay A. Levy, Roberta Wong, Lilian Kaufman, Michael S. Gottlieb: ''Lack of response to suramin in patients with AIDS and AIDS-related complex.'' In: ''The American Journal of Medicine.'' 82 (3), 1987, S. 615–620. PMID 3548350</ref>


== Handelsnamen ==
== Handelsnamen ==

Version vom 27. November 2019, 13:53 Uhr

Strukturformel
Strukturformel von Suramin
Allgemeines
Freiname Suramin
Andere Namen

8-((4-Methyl-3-((3-((3-((2-methyl-5-((4,6,8-trisulfonaphthalen-1-yl)­carbamoyl)­phenyl)­carbamoyl)­phenyl)­carbamoylamino)­benzoyl)­amino)­benzoyl)­amino)­naphthalen-1,3,5-trisulfonsäure (IUPAC)

Summenformel
  • C51H40N6O23S6 (Suramin)
  • C51H34N6Na6O23S6 (Suramin·Hexanatriumsalz)
Kurzbeschreibung

Weißes bis schwach gelbliches oder pinkfarbenes Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
  • 145-63-1 (Suramin)
  • 129-46-4 (Suramin·Hexanatriumsalz)
PubChem 5361
Wikidata Q425946
Arzneistoffangaben
ATC-Code

P01CX02

Wirkstoffklasse

Antiprotozoikum

Eigenschaften
Molare Masse
  • 1297,29 g·mol−1 (Suramin)
  • 1429,17 g·mol−1 (Hexanatriumsalz)
Löslichkeit
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[2]
Toxikologische Daten

620 mg·kg−1 (LD50Mausi.v.)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Suramin ist ein farbloses Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau. Seit den 1920er-Jahren wird Suramin (bekanntester Handelsname: Germanin) als Antiprotozoikum gegen die Schlafkrankheit und andere Trypanosomen-Krankheiten eingesetzt.

Geschichte

Collagenbild von 1938 zum Thema „Bekämpfung der Schlafkrankheit durch deutsche Kolonialärzte“. Oben Robert Koch, der als Mikrobiologe die Grundlagen des Forschungsprojekts gelegt hatte, daneben Schlafkrankenstationen und -behandlung in Kamerun, unten das Medikament Suramin oder „Bayer 205“

Suramin wurde erstmals 1916 von den Chemikern Oskar Dressel, Richard Kothe und Bernhard Heymann der Firma Bayer & Co. in Elberfeld unter der internen Bezeichnung Bayer 205 synthetisiert (alle drei erhielten dafür die Adolf-von-Baeyer-Denkmünze). Die medizinische Entwicklung und die begleitenden Tierversuche fanden im Chemotherapeutischen Laboratorium in Elberfeld unter der Leitung von Wilhelm Roehl statt. In Deutschland wurde der Wirkstoff unter dem Handelsnamen Germanin vertrieben. Die Formel wurde aus wirtschaftlichen Gründen geheim gehalten, aber 1924 durch Ernest Fourneau vom Institut Pasteur entschlüsselt und veröffentlicht.[3][4]

Anwendung als Antiparasitikum

Der Wirkstoff Suramin ist hochgradig toxisch für Zellen. Seine Anwendung geht mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen einher, tötet jedoch bei geeigneter Dosierung die Parasiten ab. Die Medizin verfügte damit Anfang der 1920er-Jahre erstmals über ein wirksames Mittel gegen die Schlafkrankheit, die bis dahin in weiten Teilen Afrikas mit verheerenden Epidemien grassierte. Die Tests in Ostafrika führte der Robert-Koch-Schüler Friedrich Karl Kleine durch. Suramin hat sich seither auch bei anderen Trypanosomen-Krankheiten bewährt. Außerdem wurde es erfolgreich zur Bekämpfung der Onchozerkose angewendet, einer verbreiteten tropischen Wurmerkrankung, die zur Flussblindheit führt.

Erprobung neuer Anwendungen

Seit einiger Zeit wird Suramin als Therapeutikum gegen das HI-Virus und verschiedene Krebs-Erkrankungen klinisch erprobt, Lymphome, Lungen-, Nieren- und Prostatakarzinome.

Eine neue Entdeckung ist, dass Suramin in Leberzellen den programmierten Zelltod (Apoptose) deutlich hemmen kann, obwohl es diesen in anderen Geweben fördert. Akutes Leberversagen kann bei Hepatitis-B-Infektionen und Medikamenten- oder Pilzvergiftungen auftreten, ein tödlich verlaufender Vorgang, gegen den es noch keine medikamentöse Therapie gibt.[5]

In der Universität von Kalifornien (San Diego) konnten durch Suramin bei Mäuseexperimenten erfolgreich autismusähnliche Symptome behandelt werden.[6] Dem Experiment liegt die Annahme zugrunde, dass eine Art „nichtgenetischer Autismus“ durch eine fehlerhafte Zellinteraktion verursacht würde. Die Existenz eines „nichtgenetischen Autismus“ ist jedoch nicht nachgewiesen, weswegen bei solchen Experimenten meist nicht von Autismus, sondern nur von autismusähnlichen Symptomen gesprochen wird.[7][8][9]

Eine klinische Studie mit dem niederdosierten Wirkstoff (20 mg/kg), an der 10 Kinder und Jugendliche im Alter von 5–14 Jahren teilnahmen, führte zu Verbesserungen in den Kategorien Sprache, soziale Interaktion und stereotypes Verhalten.[10]

Erprobung gegen Aids

Das Team von Robert Gallo hatte gezeigt, dass Suramin durch Hemmung der reversen Transkriptase, die Verbreitung des HI-Virus in lebenden Tieren reduzierte.[11] Ende der 1980er Jahre wurde deshalb Suramin als Mittel gegen HIV/Aids getestet, dabei kam es mehrfach zu schweren Nebenwirkungen. In einer Studie verstarben von 98 Patienten 16 während der Behandlung oder kurz danach.[12] Eine weitere Studie, bei der es auch zu schweren Nebenwirkungen kam, zeigte keine Wirkung auf die Entwicklung von opportunistischen Infektionen während der Therapie und damit keinen klinischen Nutzen bei HIV-bezogenen Krankheiten.[13]

Handelsnamen

Antrypol, Bayer 205, Belganyl, Fourneau 309, Germanin, Moranyl, Naganol, Naginin, Naphuride.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Eintrag zu Suramin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag
  2. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. Walter Sneader: Drug Discovery: A History. John Wiley & Sons, 2005, ISBN 0-471-89979-8, S. 378f.
  4. Ernest Fourneau: Sur une nouvelle série de médicaments trypanocides. In: C. R. Séances Acad. Sci. Nr. 178, 1924, S. 675.
  5. Suramin bei akutem Leberversagen (Memento des Originals vom 19. Mai 2004 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.scienceticker.info.
  6. Single dose reverses autism-like symptoms in mice. abgerufen am 19. Juni 2014.
  7. Helen Briggs: Autism 'begins long before birth'. In: bbc.com. 27. März 2014, abgerufen am 29. Mai 2017 (englisch).
  8. R. Stoner, M. L. Chow u. a.: Patches of disorganization in the neocortex of children with autism. In: The New England Journal of Medicine. Band 370, Nummer 13, März 2014, S. 1209–1219, doi:10.1056/NEJMoa1307491. PMID 24670167, PMC 4499461 (freier Volltext).
  9. S. De Rubeis, J. D. Buxbaum: Genetics and genomics of autism spectrum disorder: Embracing complexity. In: Human Molecular Genetics. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Juli 2015, doi:10.1093/hmg/ddv273. PMID 26188008 (Review).
  10. R. K. Naviaux, B. Curtis, K. Li, J. C. Naviaux, A. T. Bright, G. E. Reiner, M. Westerfield, S. Goh, W. A. Alaynick, L. Wang, E. V. Capparelli, C. Adams, J. Sun, S. Jain, F. He, D. A. Arellano, L. E. Mash, L. Chukoskie, A. Lincoln, J. Townsend: Low-dose suramin in autism spectrum disorder: a small, phase I/II, randomized clinical trial. In: Annals of Clinical and Translational Neurology. 2017, S. 2328–9503. doi:10.1002/acn3.424.
  11. Luc Montagnier, Robert Gallo: AZT - die erste medikamentöse Therapie für HIV. Animalresearch
  12. B. D. Cheson, A. M. Levine, D. Mildvan, L. D. Kaplan, P. Wolfe, A. Rios, J. E. Groopman, P. Gill, P. A. Volberding, B. J. Poiesz u. a.: Suramin therapy in AIDS and related disorders. Report of the US Suramin Working Group. PMID 3650339
  13. Lawrence D. Kaplan, Peter R. Wolfe, Paul A. Volberding, Paul Feorino, Donald I. Abrams, Jay A. Levy, Roberta Wong, Lilian Kaufman, Michael S. Gottlieb: Lack of response to suramin in patients with AIDS and AIDS-related complex. In: The American Journal of Medicine. 82 (3), 1987, S. 615–620. PMID 3548350

Literatur

  • Y. L. Zhang u. a.: Suramin is an active site-directed, reversible, and tight-binding inhibitor of protein-tyrosine phosphatases. In: J. Biol. Chem. Band 273, 1998, S. 12281–12287. PMID 9575179 PDF.
  • Eva Anne Jacobi: Das Schlafkrankheitsmedikament Germanin als Propagandainstrument: Rezeption in Literatur und Film zur Zeit des Nationalsozialismus. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 29, 2010, S. 43–72.