Matthew Boulton

Matthew Boulton; im Hintergrund seine „Soho Manufactory“

Matthew Boulton (* 3. September 1728 in Birmingham[1]; † 18. August 1809 ebendort) war ein englischer Ingenieur und Unternehmer der frühen Industriellen Revolution. Gemeinsam mit James Watt, mit dem zusammen er die Firma Boulton & Watt gründete, entwickelte und vertrieb er Dampfmaschinen. Unter dem Einfluss von Joseph Priestley, Thomas Day und anderen Freunden, die den Gedanken Jean-Jacques Rousseaus nahe standen, führte Boulton in seinen Fabriken eine Sozialversicherung für seine Mitarbeiter ein und beschäftigte Kinderarbeiter erst ab dem 12. Lebensjahr.

Leben und Werk

Jugend und beginnendes Geschäftsleben

Boulton wurde als zweiter Sohn des Unternehmers Matthew Boulton sen. im Hause seiner Eltern in der damaligen Whitehouse Lane (heute: Steelhouse Lane) geboren; der Erstgeborene, der ebenfalls den Namen Matthew getragen hatte, war bereits 1726 im Alter von zwei Jahren gestorben. So fiel später dem zweitgeborenen Sohn die Fortführung des väterlichen Geschäfts zu. Sein Vater betrieb auf Snow Hill als toymaker eine Manufaktur für hochwertige metallische Verzierungen wie Knöpfe und Schwertscheiden. Birmingham und seine Umgebung war schon seit Jahrhunderten ein Zentrum der Eisenschmiedekunst. Durch ein nach dem englischen Bürgerkrieg erlassenes Schutzgesetz, das die Einfuhr von Knöpfen aus dem Ausland verbot, spezialisierten sich hier mehrere Produzenten wie Boulton sen. auf die aufwändige Produktion von derartigen Zieraten und erweiterten ihre Palette bald auch auf Produkte aus Silber, Gold und Kupfer.

Boulton bekam eine Ausbildung an der öffentlichen Schule Birminghams, griff aber auch auf die große Bibliothek seines Vaters zurück, um seine Neugier zu befriedigen. Die damals in Mode befindlichen Experimente mit Elektrizität und Batterien, die sein Vater wie viele gebildete Personen seiner Zeit unternahm, fachten seinen Wissensdurst auf die Wissenschaft weiter an. Ohne ein Studium absolviert zu haben kannte er sich in kurzer Zeit in fast allen wissenschaftlichen Bereichen seiner Zeit aus, legte aber seinen Schwerpunkt auf die Anwendung der Wissenschaften in der Metallurgie. In seinen Notizbüchern finden sich sowohl Rezepte für chemische Pulver zur Veredelung von Knöpfen als auch verbesserte mechanische Konstruktionen zur Gravur von Schnupftabakdosen und Schwertknäufen, aber auch viele weitere Ideen und Verfahren, die er entwickelt oder wesentlich verbessert hatte. Mit 17 Jahren verließ Boulton die Schule und trat in die Firma des Vaters ein; an seinem 21. Geburtstag im September 1749 ernannte sein Vater ihn zum gleichberechtigten Partner.

Im Februar 1749, ein halbes Jahr vor seinem 21. Geburtstag, hatte Boulton seine entfernte Cousine Mary Robinson, die Tochter des begüterten Landeigners Luke Robinson sen. in Lichfield geheiratet. Mary brachte in die Ehe eine große (in den Quellen nicht bezifferte) Erbschaft ein, die sie von ihrer Patentante erhalten hatte. Als ihr Vater im Jahr 1750 starb erbte sie weitere 3.000 £ (nach heutigem Wert etwa 300.000 €)[2]. Zusätzlich würden Mary nach dem Tod der Mutter 14.000 £ (etwa 1,5 Millionen €) aus dem Familienvermögen zustehen[3] Damit war der finanzielle Grundstein für die Erfüllung des unternehmerischen Ehrgeizes Boultons gelegt: nach dem damaligen Eherecht fiel das Vermögen der Frau bei der Heirat ihrem Ehegatten zu.

Die Ehe der Beiden war, ungeachtet der offenbar finanziell motivierten Grundlage, augenscheinlich glücklich. Mary brachte drei Kinder zur Welt, die aber alle sehr früh starben. Im August 1759 starb auch Mary überraschend, möglicherweise an Kindbettfieber[4], und wurde im Familiengrab in Whittington beigesetzt. Boulton selbst dichtete die Inschrift für den Sarg, in der er ihre Aufopferung und Liebe für ihn und ihre Familie in Worte zu fassen versucht.

Im selben Jahr wie Mary starb auch Boultons Vater. Dadurch wurde er zum alleinigen Besitzer des gemeinsamen Unternehmens, dessen Geschicke er bereits seit 1757 maßgeblich bestimmt hatte. Das stark expandierende Geschäft erforderte viel Aufmerksamkeit - und viel Kapital. Die Werkstätten des Vaters auf Snow Hill wurden zu klein, doch das ererbte Vermögen genügte nicht, um den Bestand der Firma dauerhaft zu sichern.

So begann Boulton, um die Schwester seiner verstorbenen Frau, Anne Robinson, zu werben; dabei war seit dem Tod seiner Frau weniger als ein Vierteljahr verstrichen. Noch während seiner Geschäftsgespräche in London, die er im Spätherbst 1759 begann und die bis zum Frühjahr 1760 andauerten, schrieb er an seine „dear Mamma“, nämlich seine Schwiegermutter Dorothy, und bemühte sich um ihre Zustimmung zur Heirat mit Anne. Auch Anne wurde aus London mit herzlichen Briefen bedacht, und beide Frauen schrieben entzückt zurück. Bereits im Frühjahr 1760 waren die Schreiben von und an Anne unverkennbar Liebesbriefe. Der Heirat mit der Erbin von 28.000 £ aus der Schatulle ihrer Mutter (etwa 3 Mio. € nach heutigem Wert) stand offenbar nichts mehr im Wege.

Doch dies war ein Trugschluss, wie sich zeigte. Annes Bruder Luke Robinson jun., nach des Vaters Tod das Familienoberhaupt der Robinsons und der Verwalter des Familienvermögens, war über die Pläne seiner Schwester empört. Er hielt seinen Schwager für einen schamlosen Mitgiftjäger; dies galt um so mehr, als im Mai 1760 Annes Mutter schwer erkrankte und Ende Mai verstarb, Anne also ihr Erbe antrat. Boulton bemühte sich intensiv auch um die Zustimmung Lukes, stieß aber auf völlige Ablehnung. Schließlich machte er sich altes englisches Recht zu eigen, „entführte“ seine Braut nach London, heiratete sie am 25. Juni 1760 in einer Londoner Kirche - Trauzeugen waren Boultons ältere Schwester und einer seiner Angestellten - und versteckte sich dann mit ihr vier Wochen lang vor allen Menschen, so dass niemand die Ehe anfechten konnte. Danach war die Einspruchszeit verstrichen und die Ehe nach kirchlichem und weltlichem Recht untrennbar. Boulton und seine Frau Anne bezogen offen Boultons Haus in Birmingham.

The Soho Manufactory - von Werkstätten zur Fabrik

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Kinderschwert aus der Soho Manufactory (um 1775): Klinge aus Solingen, Knauf aus der Manufaktur. Schaustück des Victoria & Albert Museum, London

Mit seinem nunmehr gefestigten finanziellen Hintergrund machte sich Boulton daran, seine Pläne für eine neue, größere Stätte für seine Manufaktur zu verwirklichen. Ihm schwebten große Lagerhallen für Rohstoffe und fertige Produkte vor, lichtdurchflutete Ateliers für seine Künstler, Werkstätten mit allen Maschinen, die seinen Handwerkern jede denkbare Bearbeitungsmöglichkeit für jedes denkbare Material gaben - kurz: er wollte alles verwirklichen, was irgendwie möglich war.

Das Grundstück war schnell gefunden. Knappe drei Kilometer nordwestlich von Birmingham fand sich bei dem Dorf Handsworth eine Wassermühle an einem Stauteich mit ausreichend großer Fallhöhe für Metallbearbeitungsmaschinen. Zu der Wassermühle gehörte ein Grundstück von rund vier Hektar Grundfläche mit einigen Bauten darauf sowie die Wasserrechte, die den Mühlenbetrieb sicherten. Für 1.000 £ erwarb Boulton den 99 Jahre laufenden Pachtvertrag der ursprünglichen Pächter sowie alle Gebäude auf dem Grundstück am Hookley Brook. Sie erwiesen sich als ungeeignet für Boultons Pläne; kurzerhand ließ er sie abreißen. Statt dessen erschloss er auf seinem Grundstück eine Tongrube, errichtete eine Ziegelbrennerei und erbaute aus den Ziegeln seine neuen Werkstätten, Wohnhäuser für Arbeiter und eine neue Wassermühle. Da sich die Tongrube als ergiebig erwies behielt Boulton die Produktion bei und verkaufte, was er nicht selbst benötigte.

Besonderen Augenmerk legte er auf die Errichtung eines Herrenhauses, das würdig für diese Manufaktur erschien: Soho House, das von einem gepflegten Küchengarten und einem neu angelegten Tannenwäldchen umgeben wurde. Bereits Ende 1761 war es bezugsfertig; vorerst zogen aber nur Boultons Mutter und seine ältere Schwester hier ein. Boulton selbst blieb mit seiner Frau im alten Herrenhaus auf Snow Hill wohnen, denn die Bauarbeiten auf dem Gelände der Soho Manufactory mussten zwar überwacht werden, doch auch die alten Produktionsstätten auf Snow Hill konnte Boulton nicht vernachlässigen. Rasch zeigte sich aber, dass dies zu viel Arbeit für eine einzelne Person war; Boulton brauchte wieder einen Geschäftspartner, der die Aufsicht über die Bauarbeiten übernehmen konnte.

Außerdem benötigte Boulton erneut Kapital. Die Geschäfte liefen zwar sehr gut, doch die Bauarbeiten gestalteten sich wesentlich teurer als geplant.

Auf einer Geschäftsreise, die Boulton im Januar des neuen Jahres nach London führte, traf er auf John Fothergill, einem Kaufmann mit guten Kontakten zu Händlern auf dem Festland sowie Geld, das er investieren wollte. Beides kam Boulton sehr gelegen. Am Mittsommertag 1762 unterzeichneten sie ihren Partnerschaftsvertrag. Boulton brachte in die Firma gut 6.200 £ ein; dies schloss das Grundstück, die Gebäude, die Maschinen und Rohstoffe ein; Fothergill brachte rund 5.400 £ mit[5]. Die Bauarbeiten konnten weiter gehen. Fothergill, der wesentlich genauer auf die Ausgaben achtete als Boulton, übernahm die Aufsicht in Soho, während sich Boulton um das laufende Geschäft auf Snow Hill kümmerte.

Boulton war mit seinen Plänen nicht der einzige Unternehmer in Birmingham, der versuchte, mit dem Bau einer großen Manufaktur den entscheidenden Marktvorteil zu erlangen und seine Konkurrenten zu verdrängen. Im Gegenteil, gerade in Birmingham war die Konkurrenz sehr stark. Zum ersten Mal zeigte sich der große Vorteil, den Boulton gegenüber seinen Konkurrenten verzeichnen konnte: seine gute wissenschaftliche Bildung zusammen mit seinem Talent, theoretisches Wissen in praktische Anwendungen umzusetzen: er brachte versilberte statt massiv silberne Kunstwerke auf den Markt. Diese Idee hatten zwar bereits andere Unternehmer, doch ihre Methoden erzielten schlechte Ergebnisse. Anders Boultons Produkte: das Silber hielt auf den darunter liegenden Metallen hervorragend, und die Ergebnisse waren detailreich und feingliedrig. Zusätzlich war die Produktion von Versilberungen nach diesem Verfahren auch noch billiger und für die Massenproduktion geeignet. Innerhalb von nur zwei Jahren war Boultons Sheffield plate in ganz Großbritannien beliebt und bekannt. Da Boulton seine Handwerker zugleich gut bezahlte blieb das Produktionsgeheimnis in seiner Hand; es dauerte mehrere Jahre, bis ein Konkurrent ebenfalls Sheffield plate anbieten konnte.

Trotz dieses großen Geschäftserfolges standen Boultons Unternehmungen auf finanziell schwachen Beinen. Der Bau der Soho Manufactory verschlang riesige Summen, während zugleich die Gewinnspannen in Boultons Branche durch die starke Konkurrenz immer kleiner wurden. Boulton musste sich nach Wegen umsehen, die Produktionskosten zu senken. Er folgte schließlich dem Beispiel eines seiner schärfsten Konkurrenten, Taylor. Der hatte bereits 1759 in Birmingham eine Manufaktur erbaut, in der er alle Gewerke, vom Entwurf über die diversen Produktionsschritte bis hin zur Lagerhaltung konzentrierte. Dadurch entfielen die zeitaufwändigen, kostenintensiven Wege zwischen den einzelnen, meist weit in der Stadt verstreuten Werkstätten. Boulton, der große Mengen Edelmetalle verarbeitete, könnte so zusätzlich die Kosten für die Wachleute, die die Transporteure begleiteten um Überfälle und „Schwund“ zu verhindern, sparen; ebenso die Verluste durch Überfälle und „Schwund“, die es trotzdem gab.

Um dieses Konzept zu verwirklichen plante Boulton ein großes Zentralgebäude auf dem Gelände der Soho Manufactory, das mit drei Stockwerken voller ausgedehnter, durch große Fenster gut erhellter und belüfteter Räume, in denen alle auf dem Gelände noch nicht vertretenen Gewerke untergebracht werden konnten. Der Repräsentation diente nicht nur die Fassade im Stil des Architekten Andrea Palladio mit Giebeln, Seitentrakten und einem achteckigen Uhrenturm, sondern vor Allem eine zwei Stockwerke hohe Durchfahrt für Kutschen, die in einen prächtigen Innenhof führte und dem Bauwerk ein palastähnliches Aussehen gab. Das dritte Stockwerk war für Wohnungen der Familien der hier beschäftigten Arbeiter vorgesehen. Die Kosten für diesen Prachtbau wurden auf 2.000 £ veranschlagt. Das war in der finanziellen Lage der Firma unbezahlbar.

Wieder kam eine Erbschaft dem Unternehmer zu Hilfe: im September 1764 starb Luke Robinson jun. an einem Fieber. Dadurch fiel das Familienvermögen der Robinsons an das letzte lebende Familienmitglied: Boultons Frau Anne. Boulton reagierte sofort: die Maschinen des ererbten Landsitzes wurden umgehend in die Werkstätten der neuen Fabrik überführt; mit den zusätzlichen Sicherheiten fand Boulton bald auch einen Investor, der 3.500 £ in die Firma einbrachte. Das geplante Haupthaus wurde umgehend verwirklicht. Boulton ließ allerdings noch einige Ideen für zusätzliche Maschinen und Verbesserungen ausführen, was die Kosten für das Gebäude ein wenig steigen ließ: aus den geplanten 2.000 £ wurden 10.000 £. Der Investor erhöhte seine Einlage auf diesen Betrag.

Als das Gelände 1765 endlich in Betrieb genommen wurde war es die Sensation der gebildeten Gesellschaft. Jede sinnvolle Maschine war installiert, die Anlage war hell und menschenfreundlich gestaltet. Die körperlich anstrengenden Arbeiten wie das Blechwalzen oder Schmiedearbeiten wurden systematisch durch Maschinen übernommen, die mit Wasserkraft betrieben wurden. Zur Eröffnung des Werkes waren, laut Fothergills Angaben, 400 Arbeiter beschäftigt; Boulton sprach zum selben Zeitpunkt von 700 bis 800 Arbeitern, was aber vermutlich übertrieben ist. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die Manufaktur zu einem beliebten Ausflugsziel der gehobenen, an den Wissenschaften und der Technik interessierten Gesellschaft. Boulton selbst führte die Interessierten, darunter auch Berühmtheiten wie Benjamin Franklin und Katharina der Großen, durch die Räume und über das Gelände und erläuterte die verschiedenen Arbeitsgänge.

Alle Arbeitsgänge, die für die Produktion seiner Waren notwendig wurden, waren nun auf dem Gelände seiner Manufaktur versammelt. Nur die Prüfung des Edelmetallgehaltes seiner wertvollen Produkte ließ sich nicht im Hause unterbringen: zur Verifizierung des Metallgehaltes und der Vergabe des amtlichen Prüfstempels mussten die Knöpfe, Gürtelschnallen und kunstvollen Silberwaren, die Boulton in seiner Fabrik produzierte, noch immer in das Eichamt nach London transportiert werden. Deswegen begann sich Boulton für eine eigene amtliche Eichstelle in Handsworth einzusetzen. Und selbst dieses Kunststück gelang ihm: 1773 wurde auf seinem Gelände eine Außenstelle der Londoner Eichstelle eingerichtet.

Bei all dem Zuspruch wurde wohlwollend ignoriert, dass Boulton die Grenzen des von ihm gepachteten Geländes eigenmächtig und ohne finanziellen Ausgleich auf einen Teil der Gemeinweide des Dorfes Handsworth ausgeweitet hatte. Dies war kein Versehen oder ein Unfall, wie ein 25 Jahre später von Boulton selbst geschriebener Brief an Lord Hawksbury beweist, in dem er die Inbesitznahme als wohltätigen Akt darstellt, weil er damit tausend Arbeitern eine saubere, gesunde Heimstätte geboten hätte, wo zuvor nur einige zerlumpte Dörfler durch Diebstahl und eben diese Gemeinweide irgendwie ihr Leben gefristet hätten. Er würde diese Vorgehensweise weiterempfehlen.[6]

Boulton & Watt - „what all the world desires to have: power“

Nachdem die Manufaktur nunmehr gestartet war und innerhalb kürzester Zeit durch die Qualität und die Bezahlbarkeit der Produkte, die sie hervorbrachte, in ganz Großbritannien zu großer Bekanntheit gelangte begann Boulton sich über die Effizienzsteigerung seiner Maschinen Gedanken zu machen. Die mit Wasserkraft betriebenen Geräte waren langsam und von der Witterung abhängig. Zudem konnten sie ausschließlich an Orten aufgestellt werden, an denen ein Wasserlauf aufgestaut werden konnte. Dies begrenzte den Einsatz von Maschinen erheblich.

Allerdings gab es eine Lösung. Schon 1762 hatte Boultons Freund Erasmus Darwin, der Hausarzt der Familie seiner Frauen, mit Boulton über ein mit einer Dampfmaschine betriebenes Lokomobil korrespondiert, allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Die Experimente führten aber zu keinem brauchbaren Ergebnis. Trotzdem fand Boulton in diesem Projekt die Lösung für sein Problem: Dampfmaschinen. Sie konnten an beliebigen Orten aufgebaut werden und waren in ihrer Leistung wetterunabhängig.

Allerdings waren die zu diesem Zeitpunkt entwickelten Maschinen problematisch. Die brauchbaren Konstruktionen arbeiteten mit Dampfüberdruck, um einen Kolben zu bewegen, der dann die gewünschte Arbeit ausführte. Aufgrund der damaligen Verarbeitungstechnik kam es dabei aber immer wieder zu großen Unfällen, weil die Geräte dem Druck nicht immer stand hielten und explodierten. Boulton schloss nach kurzer Überlegung diese Maschinen aus: er wollte seine Arbeiter nicht einer derartigen Gefahr für Leib und Leben aussetzen.

Eine andere Konstruktionsart für Dampfmaschinen hatte der Ingenieur Newcomen entwickelt: die Unterdruck-Dampfmaschine. Hier wurde der Dampf in die Kammer mit dem Kolben geleitet und kondensierte dort. Dadurch entstand ein Unterdruck, der den Kolben bewegte. Diese Maschinen waren aber sehr ineffizient, weil sie einem ungelösten konstruktiven Problem unterlagen: um das Vakuum durch die Kondensation des Dampfes zu erzeugen musste der Dampfraum kühl sein, doch um die Energie des Dampfes sinnvoll zu nutzen musste der Kolben dabei heiß bleiben. Unterdruck-Dampfmaschinen wurden aber trotz ihrer Ineffizienz eingesetzt, weil sie im Bergbau das in die Schächte eindringende Grundwasser abpumpen konnten. Durch ihre Konstruktion konnten sie sicher, ohne zu platzen, kontinuierlich arbeiten und garantierten so, dass die Gruben nicht überflutet wurden. Durch ihren sehr hohen Brennstoffbedarf waren sie aber sehr teuer im Unterhalt.

Watts Dampfmaschine im Modell

Eine Lösung für dieses Problem hatte der Schotte James Watt gefunden. Er erweiterte den Unterdruckbereich durch eine separate Kammer, in der der Dampf kondensieren konnte, ohne dass die Hauptkammer mit dem Kolben gekühlt werden musste. Im April 1765 baute er ein funktionsfähiges Modell seiner Idee einer Dampfmaschine mit separaten Kondensor, das nun noch in eine funktionsfähige große Maschine übertragen werden musste. Durch die Vermittlung eines Freundes fand er finanzielle Unterstützung durch den Kohleminenbesitzer und Eisenproduzenten Dr. John Roebuck, der die Effizienz seiner Newcomen-Maschinen steigern wollte. Er bot Watt die Finanzierung der Entwicklung der einsatzfähigen Kondensator-Dampfmaschine an. Im Gegenzug wollte er dafür zwei Drittel der Rechte an der Vermarktung der fertigen Dampfmaschine erhalten. Watt willigte ein.

Doch der große Plan schlug fehl. Was im Modell funktioniert hatte ließ sich nicht in die Praxis der arbeitsfähigen Maschinen übertragen. 1766 musste Watt seine Versuche, eine funktionsfähige Maschine zu erstellen, vorläufig aufgeben. Doch seine Arbeit mit Modellen - viel billiger als die Entwicklung von Arbeitsmaschinen - förderte neue Ideen zutage, die Watts Dampfmaschine immer kräftiger und effizienter werden ließen. So konnte Watt zum Beispiel den Umstand nutzen, dass der Kolben der Maschine nicht mehr abgekühlt werden musste. Er leitete wechselseitig Dampf in das Kolbenrohr und ersparte damit nicht nur den zuvor notwendigen mechanischen Mechanismus, der den Kolben in die Ausgangsstellung zurück brachte, sondern erreichte zugleich mehr und gleichmäßigere Leistung bei erneut geringerem Energieverbrauch. Am 9. August 1768 reichte Watt ein Patent auf seine Konstruktion ein. Es wurde ihm im folgenden Jahr erteilt.

Roebuck, der die Konstruktionen Watts bezahlt hatte, und Boulton, der aufstrebende Unternehmer aus Birmingham, waren Geschäftspartner. So dauerte es nicht lange und das Gespräch der Beiden kam auf Watts Versuche und Ideen. Boulton zeigte Interesse an dem Kauf der Wattschen Ideen, doch Roebuck bot ihm nur einen Lizenzvertrag an, den Boulton ablehnte. Statt dessen nahm er direkten Kontakt zu Watt auf, um sich direkt beim Erfinder über die Möglichkeiten seiner Konstruktion zu erkundigen. Ab 1768 standen die Beiden in Kontakt mit einander, der sehr rasch von einer geschäftlichen auf eine freundschaftliche Basis wechselte. Boulton bewunderte gegenüber seinen Freunden offen das Genie und die Erfindungsgabe seines neuen Freundes Watt, während Watt die Menschenfreundlichkeit und den gleichzeitigen Geschäftssinn Boultons bewunderte. Bei Beiden hielt die Hochachtung bis ans Lebensende; Watt wird nach Boultons Tod versichern, dass sie in 35 Jahren engster Zusammenarbeit nicht die kleinste Differenz gehabt hätten.[7]

Doch dann geriet Roebuck in wirtschaftliche Turbulenzen und lieh sich von Boulton 1.200 £. Aber er schaffte es nicht: 1772 musste Roebuck Konkurs anmelden. Boulton hielt sich schadlos, indem er die Zwei-Drittel-Eigentümerschaft an Watts Patent übernahm. Im selben Jahr starb Watts erste Frau. Watt hielt nichts mehr in Schottland und siedelte um - nach Birmingham.

Gemeinsam planten die beiden Freunde eine neue Fabrik, diesmal nicht für Knöpfe, sondern für Dampfmaschinen. Doch wieder einmal kam das übliche Problem dazwischen: das Geld dafür war nicht vorhanden. Schließlich drängte aber die Zeit, denn Watts Patent von 1769 lief, wie damals üblich, nur über sechs Jahre. So entschlossen sich die Freunde, die Einzelteile ihrer Dampfmaschinen von Subunternehmern herstellen und anliefern zu lassen. Sie gründeten 1775 ihre gemeinsame Firma: Boulton & Watt. Beide Partner waren gleichberechtigt, will heißen: Boulton gab seine Zweidrittel-Mehrheit am Patent auf und beanspruchte nur noch 50% Anteil.

Im nächsten Schritt musste das Monopol an der Konstruktion gesichert werden. Boulton reiste nach London, ließ seine Beziehungen zu Mitgliedern des Parlaments spielen und erreichte schließlich, dass der Patentschutz für Watts Dampfmaschine vom britischen Parlament verlängert wurde. Von sechs Jahren auf 30 Jahre. Boulton und Watt waren bis 1799 die alleinigen Rechteinhaber an Watts Dampfmaschine. Sie allein durften Geld mit ihr verdienen. Was allerdings nicht bedeutete, dass es keine Plagiatoren gab, im Gegenteil. Über viele Jahre würde Boulton von neuen Projekten so abgelenkt sein, dass er sich um die Verfolgung der Patentbrecher nicht kümmer würde. Erst als kurz vor Auslaufen ihres Patents, Mitte der 1790er Jahre, wieder einmal eine akute Finanznot die Firma schüttelte kam Boulton auf den Gedanken, die unberechtigterweise Watt-Maschinen bauenden Konkurrenten zu verklagen. In der Tat rettete dies nicht nur Boulton aus der Finanzkrise sondern sorgte obendrein für ein reiches Finanzpolster für die in der Firmenleitung nachfolgenden Söhne der Unternehmensgründer.

Das Gelände der ehemaligen Dampfmaschinenfabrik Soho Foundry im Jahr 2007.

Boulton & Watt arbeitete höchst erfolgreich. Die neue Dampfmaschine war etwa vier mal stärker als das Newcomsche Konkurrenzmodell. Für Grubenbesitzer war sie der ideale Motor für die Pumpen, die ihre Stollen frei von Grundwasser hielten. Dementsprechend viele Aufträge bekam die neue Firma. Da Watt durch die Menge an Arbeit überlastet war suchten die Freunde nach einem weiteren ideenreichen Konstrukteur. Sie fanden ihn 1777 in der Person von William Murdoch, ebenfalls Schotte wie Watt, bereicherte die Firma mit einer Vielzahl von Verbesserungen an bestehenden Konstruktionen und mit völlig neuen Erfindungen. Schließlich brachte Boulton & Watt eine Variante der Wattschen Dampfmaschine heraus, mit der die zuvor ausschließlich lineare Bewegung des Antriebs in eine Rotation überführt wurde. Dadurch war der nahezu beliebige Einsatz der Maschine für jede denkbare Aufgabe möglich; die bereits angelaufene Industrialisierung Großbritanniens bekam so ihren entscheidenden Anstoß. Bis 1790 standen in den Bergwerken und Fabriken der Insel mehr als 500 Dampfmaschinen aus dem Hause Boulton & Watt sowie hunderte weitere, illegale Wattmaschinen aus anderen Fabriken.

Der Erfolg der Firma führte schließlich zur Gründung einer eigenen Fabrik in Smethwick: der Soho Foundry, die 1848 in James Watt & Co umbenannt und 1895 in einen größeren Konzern eingegliedert wurde. Das Gelände wird heute ein Schrottplatz genutzt.

Geld durch Geld: die Soho Mint

Kaum war die Dampfmaschinenfabrik aus den Anfangsschwierigkeiten heraus sah Boulton sich nach neuen Projekten um. Rasch geriet ihm ein bereits 20 Jahre zuvor erfolglos verfolgter Gedanke in die Hände: die britische Wirtschaft verlangte nach kleinwertigen Münzen, die aber wegen der geringen Ausstöße der handbetriebenen Münzpressen nur selten auf den Markt kamen. Meist wurden mit dem aufwändigen Verfahren Goldmünzen, seltener auch Silbermünzen geprägt, Kupfermünzen dagegen nur sehr selten. So wurde in den dreißig Jahren vor 1789 nur einmal, nämlich 1770, eine kleine Menge kupferner Halfpennys aufgelegt. In der Folge gab es in der britischen Wirtschaft einen großen Engpass an Kleingeld mit zum Teil absurden Folgen. So war es in Boultons Fabriken häufiges Vorgehen, vier oder fünf Arbeitern den Lohn in Form einer (gedruckten) Pfundnote auszuzahlen, so dass diese Gruppe ihre Einkäufe (oder Kneipenbesuche) gemeinsam tätigen mussten[8]. An Zollstationen gezahlte Kupfermünzen waren in zwei von drei Fällen gefälscht[9].

Pläne für eine eigene Münzprägeanstalt begannen in Boulton zu reifen. Der Gedanke war verlockend: durch große Überproduktion waren seine Kupfergruben unrentabel und standen kurz vor der Schließung; in seiner Soho Manufactory war die Kunst der Metallverarbeitung zu Hause, und für die schwere Prägearbeit standen ein wasserkraftbetriebenes Walzwerk für die Blechproduktion, dampfkraftbetriebene Stanzen für die Herstellung der Münzrohlinge und Dampfmaschinen zum Prägen der Münzen zur Verfügung. Diese Bereiche mussten nur zusammengeführt und um wenige neue Vorrichtungen ergänzt werden.

Bei einer Geschäftsreise nach Frankreich besuchte Boulton die Pariser Münzanstalt und lernte dabei den Graveur und Konstrukteur Jean Pierre Droz kennen. Droz hatte einige Verbesserungen vorgeschlagen, die aber von der königlichen Münze abgelehnt worden waren. So wollte er die Münzen während der Prägung in einen starken Rahmen einbinden, der mit gravierten Mustern und Schriftzügen ausgestattet werden konnte. So wäre sicher gestellt worden, dass alle Münzen gleiche Durchmesser und gleiche Höhe hätten, was die Verfälschung der Münzen durch Abfeilen von Edelmetall an den Rändern nahezu unmöglich machte. Boulton übernahm nicht nur die Idee, sondern auch den Mann. Ab 1786 arbeitete Droz in Handsworth und begann, dort fälschungssichere Münzen zu gestalten.

Erster Kunde für die neuen Maschinen war die East India Company für ihren Handel auf Sumatra. Sie bestellte 1786, noch vor der Fertigstellung des neuen Maschinenhauses, 100 Tonnen Kupfermünzen, die Boulton rasch und in der gewünschten Qualität lieferte. Weitere Aufträge folgten umgehend; so bestellten die amerikanischen Kolonien Kupfergeld bei Boulton, und auch Frankreich, Russland und Sierra Leone ließen bei ihm Münzgeld prägen. Auch reiche Privatleute verlangten nach eigenen Münzen. So ließ der erfolgreiche Kanonenproduzent John Wilkinson 1787 eigene Münzen in der Soho Mint herstellen, die zum Symbol der Änderungen der Machtverhältnisse durch die Industrielle Revolution wurden: zum ersten Mal in der Geschichte des englischen Münzwesens prangte das Porträt eines ungekrönten Hauptes, eines Unternehmers, auf einer Münze. Umrahmt wurde Wilkinsons Porträt von seinem Namen und seinem Beruf: „John Wilkinson Iron Master“.

Neues Hauptgeäude der heutigen Birmingham Mint, ehemals Soho Mint

In einem 1788 neu errichteten Werkgebäude für seine Soho Mint ließ Boulton statt der bis dahin üblichen langsamen und schweren manuellen Prägepressen, die von zwei starken Männern bedient werden mussten, Dampfmaschinen mit Stempelkolben aufstellen, die später im Dauereinsatz nur von je einem 12jährigen Jungen überwacht werden mussten; einzige Aufgabe der Jungen war, die Maschinen ein- oder auszuschalten. Boulton ließ diese Jungen in weißer Dienstkleidung arbeiten, die einmal wöchentlich gewaschen wurde, um so zu verdeutlichen, dass die Jungen keine körperliche Arbeit zu leisten hatten. Zusätzlich wurde die Arbeitsdauer der Jungen auf 10 Stunden pro Tag festgelegt - wesentlich weniger als die sonst üblichen Arbeitszeiten der Epoche. So demonstrierte Boulton nicht nur die Effizienz seiner neuen Dampfmaschinen und ihre „kinderleichte“ Bedienung, sondern konnte zugleich die Rousseauschen Gedanken der Entlastung der Kinder von Arbeit verwirklichen. Durch zusätzliche automatische Zuführung von Rohlingen und dem maschinellen Ausstoß der fertigen Münzen erzeugten die Prägemaschinen in dieser ersten Serienproduktion zwischen 50 und 120 Münzen pro Minute, abhängig von der Größe der zu prägenden Münzen.

Erst 1797 erfolgte der erste Prägeauftrag des britischen Parlaments über Kupfermünzen[10]. Es handelte sich dabei um einen Auftrag über 45 Millionen Pennys und Twopence-Münzen.[11]. Damit war der geschäftliche Erfolg auch dieser Unternehmung dauerhaft sicher gestellt.

Nicht nur Münzgeld wurde in der Soho Mint geprägt. Rasch wurden auch Künstler auf die Möglichkeiten aufmerksam, die die neuen Prägemaschinen boten. Es dauerte nicht lange und eine Flut von Medaillen und Gedenkmünzen zu allen möglichen Ereignissen und Personen ergoss sich auf den Markt, wo sie reißenden Absatz fanden. Und wieder war Boulton der Auslöser dieser Mode: so konnte er weitere Vorräte des sonst schwer verkäuflichen Kupfers aus seinen Minen in Gold umwandeln und zugleich die Skulpteure und Bildhauer, die die Münzen gestalteten, sinnvoll beschäftigen, wenn es keine anderen Münzaufträge gab.

Die Soho Mint existiert unter dem Namen Birmingham Mint bis auf den heutigen Tag. Mit ihrer mehr als 200jährigen Geschichte gilt sie als die älteste bestehende Münzprägeanstalt der Welt. Heutzutage produziert sie in erster Linie Gedenkmünzen. Das ursprüngliche Gebäude der Münze wurde 1848 abgerissen und an anderer Stelle, den veränderten Anforderungen entsprechend, neu errichtet.

The Lunar Society - ein Thinktank

Boulton war in einem Umfeld aufgewachsen, das ihm den Wunsch nach Bildung nicht nur nahe brachte, sondern seine bereits vorhandene Neugier förderte, nicht aber sättigen konnte. Boulton hatte, größtenteils im Selbststudium, später auch mit eigenen Experimenten, Wissen aus allen Bereichen der damaligen Wissenschaften gesammelt, das er dann in Form von Verbesserungen seiner Produkte einsetzte. Dadurch konnte er die Qualität seiner Waren so weit steigern, dass er sich mit seiner Firma einen Namen nicht nur in England und seinen Kolonien, sondern auch auf dem europäischen Kontinent machte. Dies förderte, neben der Neugier und dem ausgeprägten Geschäftssinn, einen weiteren wesentlichen Charakterzug Boultons: seine Ruhmsucht. Sein Freund James Watt würde später diesen Wesenszug sogar über den Geschäftssinn Boultons stellen.[7]

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Soho House, Boultons Anwesen (heute Museum)

Diese drei wichtigen Wesenszüge Boultons fanden in einer zufälligen Begegnung einen Unterstützer, der nicht nur in der Lage war, sie zu erkennen, sondern auch, sie zu formen: Erasmus Darwin, hochgebildeter Mediziner und Forscher aus Lichfield. Darwin war der Arzt der Familie Robinson, aus der Boultons Frauen stammten. Der genaue Zeitpunkt ihres ersten Treffens ist nicht überliefert, doch bereits 1762 ist ihr Briefwechsel so sehr von freundschaftlicher Nähe und gemeinsamen Forschungsdrang geprägt, dass Darwin dem Geschäftsmann Boulton unter dem Siegel der Verschwiegenheit von seinen Experimenten zur Konstruktion eines dampfgetriebenen Fahrzeuges erzählt.

In jenen Tagen entwickelten sich die Grundzüge der heutigen Wissenschaft aus den Traditionen der vergangenen Jahrhunderte mit ihren stark religiös geprägten und begrenzten Vorstellungen. In vielen Gegenden Europas trafen sich begüterte und gebildete Personen - soll heißen: manchmal auch Frauen und sogar Kinder - zu regelmäßigen Gesellschaften, in denen über neue Beobachtungen, Ideen und Folgerungen aus den Bereichen der Natur- und Geisteswissenschaften gesprochen wurde. Gelegentlich kam es sogar zu Vorführungen; so waren zum Beispiel öffentliche Experimente auf dem Gebiet der frisch entdeckten Elektrizität mit all ihren spektakulären Funken und Effekten eine ausgeprägte Modeerscheinung in jenen Zirkeln.

Auch Boulton und Darwin wollten den Grundstein für solch einen Zirkel legen, der aber weniger der amüsanten Zerstreuung als dem gemeinsamen, effektiven Forschen und der Suche nach neuen Wahrheiten dienen sollte. Nachdem Boulton seine Soho Manufactory in Berieb genommen hatte schien den Beiden der richtige Zeitpunkt gekommen, einen solchen Zirkel ins Leben zu rufen. Da sie sich immer am ersten Montag Abend nach Vollmond treffen wollten, um in den Straßen ohne Beleuchtung gut Heim zu finden, nannten sie ihre Gruppe The Lunar Society, sich selbst augenzwinkernd Lunatics - „Wahnsinnige“.

Der Gedanke fiel auf fruchtbaren Boden. Innerhalb kürzester Zeit etablierte sich ein Kreis von Philosophen und Wissenschaftlern, Unternehmern und Künstlern der Umgebung, die auf einander einwirkten, ihre Möglichkeiten kombinierten und so Natur- und Geisteswissenschaften, aber auch die englische Wirtschaft und ihre Industrialisierung nachhaltig beeinflussten. So konstruierte der Instrumentenbauer (wir würden ihn heute als Feinmechaniker bezeichnen) John Whitehurst ein Thermometer, das auch die Temperaturen von geschmolzenem Eisen sehr genau ermitteln konnte. Boulton finanzierte die Entwicklung und profitierte umgekehrt durch verbesserte Produktionsmethoden sowohl in seinen kunstgewerblichen Produkten als auch in der Herstellung der Dampfmaschinen.

Doch auch die Geisteswissenschaften prägten die Gespräche der Lunatics; besonders die humanistischen Vorstellungen des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau waren in der Gruppe hoch angesehen. Auch sie formten Boultons Vorstellungen davon, was er als Herr seiner Arbeiter und deren Familien - so sah er sich: als merkantilen Fürsten - für deren Wohlergehen bewirken konnte. Ihnen entsprang zum Beispiel Boultons Idee, eine Sozialversicherung für seine Arbeiter einzuführen. Im Jahr der Erklärung der Menschenrechte, 1792, führte er die Soho Insurance Society in seinen Werken ein. Sie funktionierte, wie die modernen Sozialsysteme, nach dem Solidaritätsprinzip: jeder Arbeiter zahlte ein Sechzigstel seines Lohnes in eine gemeinsame Kasse ein, aus der er bis zu 80% seines Lohnes als Fortzahlung bekam, wenn er krank oder verletzt war. Im Todesfall war die Familie seines Arbeitnehmers mit dem gleichen Betrag abgesichert. Boulton bürgte freiwillig mit seinem Privatvermögen, um mögliche Unterdeckungen zu verhindern.

Ebenfalls aus dem Rousseauschen Gedankengut entsprang Boultons Weigerung, billige Kinderarbeiter einzustellen. Kinder gehörten seiner Meinung nach in eine Schule. Damit war Boulton, weit vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht in England, ein Vorreiter der Kinderrechte geworden. Allerdings wurde damals der Begriff Kind etwas anders gesehen; so beschäftigte Boulton in seiner Münze 12jährige Jungen, wenn auch ausschließlich, um die Prägemaschinen an- und abzustellen, also ohne körperliche Anstrengungen. Zum Vergleich: in England wurden zum selben Zeitpunkt Vierjährige für schwere körperliche Arbeiten in Bergwerken eingesetzt; dies galt als völlig normal.

Boulton, der trotz seiner starken beruflichen Belastungen selbst mit eigenen Experimenten und Überlegungen nützlich zu sein versuchte, wurde am 24. November 1785 in die Royal Society gewählt.[12] Auf seiner Wahlbestätigung finden sich auch drei Unterschriften von Freunden aus der Lunar Society: Joseph Priestley, John Whitehurst und Josiah Wedgwood. Eine besondere wissenschaftliche Leistung wurde dabei nicht hervorgehoben, doch die Unterschreiber bestätigten, dass sie diese Ehrbezeugung für höchst angemessen hielten: „We (...) recommend him as highly deserving of that honour“.[13]

Tod und Nachruhm

Die „Golden Boys“: Statue von Boulton, Murdoch und Watt in Birmingham

Boulton starb achtzigjährig am 18. August 1809 in seinem Haus in Birmingham. Er wurde, wie später auch seine Partner und Freunde Watt und Murdoch, auf dem Friedhof der St. Mary's Church in Handsworth (heute Birmingham) beigesetzt.

Die Firma Boulton & Watt war bereits im Jahr 1800, ein Jahr nach Ablauf des Schutzmonopols des britischen Parlaments, in die Hände der beiden Söhne der Gründer übergegangen. Matthew Robinson Boulton und James Watt jr. stellen die Besucherführungen ein und bauten langsam die sozialen Errungenschaften der Gründer wieder ab. Zugleich fehlte Ihnen das unternehmerische Feingefühl ihrer Väter; ihr größtes Versäumnis war, das Monopol über die Gasbeleuchtung, die William Murdoch entwickelt hatte und das ihnen für einige Jahre vom britischen Parlament garantiert worden war wie zuvor das Monopol über die Wattsche Dampfmaschine, zu nutzen und in klingende Münze umzusetzen. Die Firma wurde 1910 liquidiert.

Nach dem Tode James Watts jr. im Jahr 1842 wurde die Soho Manufactory geschlossen und ab 1848 größtenteils abgerissen; das Wohnhaus der Boultons sowie einige Nebengebäude blieben erhalten. Das Anwesen Soho House ist heute ein Museum. Auf dem Gelände der ehemaligen Manufaktur wurden Wohngebäude im Reihenhausstil errichtet, die auch das ehemalige Herrenhaus weitgehend umschließen.

Ein umfangreiches Archiv von Boultons Briefen und Notizen befinden sich in der Birmingham Central Library. Es wurde 1910 angelegt, als die Firma Boulton & Watt liquidiert und die Geschäftsunterlagen der Stadt übereignet wurden. Ebenso sind dort private Briefe Boultons archiviert. Inzwischen werden Briefe und Notizbücher aus diesem Archiv systematisch in elektronisch lesbare Form übertragen und im Internet verfügbar gemacht.

In Birmingham erinnern auch die so genannten Mondsteine an den Mitbegründer der Lunar Society; ebenso existieren eine Statue von ihm, Watt und Murdoch von 1956[14], das nach ihm benannte Matthew Boulton College und die Boulton Road, ebenfalls alle alle in Birmingham. Auch in Smethwick existiert eine Boulton Road. Boulton gilt bis heute als einer der wichtigsten Pioniere der frühen Industriellen Revolution, der aber im Schatten des Ruhmes seines Partners James Watt steht und dadurch oft übersehen wird.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Nach dem erst 1752 in Großbritannien eingeführten Gregorianischen Kalender wurde Boulton am 14. September 1728 geboren
  2. Jenny Uglow: The Lunar Men. 2. Auflage. Faber And Faber Ltd, London 2003, ISBN 0-571-21610-2, S. 25.
  3. Jenny Uglow: The Lunar Men. 2. Auflage. Faber And Faber Ltd, London 2003, ISBN 0-571-21610-2, S. 62.
  4. Notizen Boultons lassen darauf schließen, dass er kurz vor Marys Tod Heilmittel gegen Kindbettfieber suchte: Jenny Uglow: The Lunar Men. 2. Auflage. Faber And Faber Ltd, London 2003, ISBN 0-571-21610-2, S. 60.
  5. E. Robbinson, Boulton and Fothergill 1762-1768 and the Birmingham Export of hardware, University of Birmingham Historical Journal VII, no. 1 (1959); zitiert in Jenny Uglow: The Lunar Men. 2. Auflage. Faber And Faber Ltd, London 2003, ISBN 0-571-21610-2, S. 523.
  6. Brief an Lord Hawkesbury, 17. April 1790, Matthew-Boulton-Papers 237
  7. a b Joachim Fritz-Vannahme: „Patent für die Macht. Warum der Erfinder James Watt den Unternehmer Matthew Boulton brauchte, um berühmt zu werden“ in: DIE ZEIT Nr. 25 vom 12. Juni 2003, S. 24.
  8. Uglow, p. 416
  9. Brief von Boulton an Lord Hawkesburry vom 14. April 1789, Matthew-Boulton-Papers 237/13
  10. Brief von Boulton an seinen Agenten Thomas Wilson über den erfolgten Prägeauftrag und die notwendige Organisation.
  11. Kurzbiografie auf der offiziellen Homepage der Stadt Birmingham
  12. Eintrag im Archiv der Royal Society
  13. Wahlzettel der Royal Society mit den Unterschriften der bestätigenden Mitglieder
  14. Kurzbeschreibung und Foto der Statue von Boulton, Watt und Murdoch

Literatur

  • Jenny Uglow: The Lunar Men. 2. Auflage. Faber And Faber Ltd, London 2003, ISBN 0-571-21610-2.
  • Golo Mann (Hrsg.): Propyläen Weltgeschichte. Band 8, „Das neunzehnte Jahrhundert“. Propyläen Verlag, Berlin und Frankfurt am Main 1960, ISBN 3 549 05017 8(?!).

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