„Fruchtwasserembolie“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Fruchtwasserembolie.png|miniatur|hochkant=1.3|Pathomechanismus der Fruchtwasserembolie<ref name="Gei">Alfredo Gei, Gary D. V. Hankins: ''Amniotic fluid embolus: An update.'' Contemp Ob/Gyn 45 (2000), S. 53–66, [http://www.modernmedicine.com/modernmedicine/Amniotic+Fluid/Amniotic-fluid-embolus-An-update/ArticleStandard/Article/detail/139541 online].</ref>]]
[[Datei:Amniotic fluid embolism.jpg|miniatur|Zellabschilferungen im Lumen von Lungengefäßen]]
Unter einer '''Fruchtwasserembolie''' (auch ''Geburtshilfliches Schock-Syndrom'', ''Anaphylactoid syndrome of pregnancy'' (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) und ''Steiner-Lushbaugh-Syndrom'') versteht man eine [[Embolie]], bei der [[Fruchtwasser]] und seine korpuskulären Anteile über die [[Gebärmutter]] und die [[Plazenta]] in den mütterlichen Kreislauf eindringen, [[Lunge]]narteriolen oder [[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] verlegen und das [[Gerinnungssystem]] beeinträchtigen. Die Fruchtwasserembolie ist eine lebensbedrohliche geburtshilfliche Notfallsituation, die wegen des dramatischen Verlaufs und des oft tödlichen Ausgangs gefürchtet ist. Eine Fruchtwasserembolie wurde 1926 erstmals beschrieben und 1941 als eigenständiges Krankheitsbild definiert.
Eine '''Fruchtwasserembolie''' ist eine Sonderform einer [[Embolie]], bei der unter der [[Geburt]] [[Fruchtwasser]] einschließlich seiner festen Anteile über die [[Gebärmutter]] in den mütterlichen Kreislauf eindringen, [[Lunge]]narteriolen oder [[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] verlegen und das [[Gerinnungssystem]] beeinträchtigen. Diese Störung ist eine seltene, aber gefährliche geburtshilfliche Notfallsituation, die meist dramatisch verläuft und von Geburtshelfern gefürchtet ist, weil sie oft tödlich ausgeht und bei überlebenden Müttern und Kindern häufig Hirnschäden hinterlässt.
== Häufigkeit ==
Die Angaben zur Häufigkeit ([[Inzidenz (Medizin)|Inzidenz]]) der Fruchtwasserembolie schwanken in der medizinischen Fachliteratur erheblich und werden mit 1:800 bis 80.000 [[Geburt]]en angegeben. In Industrieländern wird eine Inzidenz von 1:20.000 bis 80.000 angenommen.<ref>A. Peitsidou, P. Peitsidis, V. Tsekoura et al.: ''Amniotic fluid embolism managed with success during labour: report of a severe clinical case and review of literature.'' Arch Gynecol Obstet 277 (2008), 271–275</ref> Die unterschiedlichen Angaben zur Inzidenz beruhen dabei überwiegend auf
der Schwierigkeit einer sicheren Diagnosestellung.<ref>Ludwig Spätling: ''Fruchtwasserembolie.'' [[Der Gynäkologe]] 30 (1997), 757-761</ref> In [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] ist die Fruchtwasserembolie die vierthäufigste Ursache für [[Müttersterblichkeit|mütterliche Todesfälle]] mit einer Inzidenz von 7,7 pro 1 Mio. Entbindungen.<ref>D. J. Tuffnell, H. Johnson: ''Amniotic fluid embolism: the UK register.'' Hosp Med 61(2000), 532–534</ref>. In [[Australien]] wurde sie als Todesursache bei 6,5 von 100.000 Entbindungen registriert.<ref>A. Burrows, S. K. Khoo: The amniotic fluid
embolism syndrome: 10 years’ experience at a major teaching hospital.'' Aust New Zealand J Obstet Gynecol 35 (1995), 245–250</ref> Innerhalb der ersten Stunde liegt die Sterblichkeit ([[Mortalität]]) bei 25 bis 34&nbsp;%, danach bei 80 bis 86&nbsp;%. 90&nbsp;% aller Fruchtwasserembolien ereignen sich unter der Geburt.


Die Fruchtwasserembolie wurde und wird auch als ''Geburtshilfliches Schock-Syndrom'', ''Amnioninfusionssyndrom'', [[Englische Sprache|engl.]] ''Amniotic fluid embolism'' (AFE), ''Anaphylactoid syndrome of pregnancy'' (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) oder ''Steiner-Lushbaugh-Syndrom'' bezeichnet. Die Vorgänge wurden 1926 von ''J. Ricardo Meyer'' erstmals beschrieben und 1941 von ''Steiner'' und ''Lushbough'' als eigenständige [[Krankheit]] definiert.
== Pathogenese ==
Bei der Fruchtwasserembolie handelt es sich um eine Sonderform der [[Lungenembolie]], die durch den Kontakt von Fruchtwasser oder Fruchtwasserbestandteilen mit dem mütterlichen Blutkreislauf ausgelöst wird. Zwei Faktoren führen dabei zur embolischen Verlegung der großen Lungenarterien, zum einen die Embolie durch feste Fruchtwasserbestandteile und zum anderen die Embolie infolge einer [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierten intravasalen Gerinnung]]. Bestimmte Eigenschaften des Fruchtwassers begünstigen die Entstehung einer Fruchtwasserembolie : thromboplastische Aktivität, antigene Aktivität und die Beimengung von korpuskulären Anteilen, [[Vernix caseosa|Vernixflocken]], [[Lanugohaar]]e, [[Mekonium]], Zellabschilferungen.


Eine Fruchtwasserembolie ist bis heute nicht vorhersehbar und nur schlecht diagnostizier- und behandelbar. Vorbeugende Maßnahmen sind nicht bekannt.
Um die Reaktionskette in Gang zu setzen, muss eine größere Menge Fruchtwasser in den mütterlichen Kreislauf gelangen, da nicht jeder Kontakt mit Fruchtwasser und seinen Bestandteilen zu einer Embolie führt.


== Vorkommen ==
Lange Zeit war man der Meinung, dass die festen Fruchtwasserbestandteile über das venöse System der Mutter in das rechte Herz und von dort in die Lungenarterien gelangen und durch Verlegung der Gefäße das embolische Geschehen auslösen (Festkörperembolie). Dies spielt zwar eine Rolle, gravierender scheint jedoch das Einsetzen der disseminierten intravasalen Gerinnung zu sein. Diese wird vor allem dadurch ausgelöst, dass Fruchtwasser ähnliche Eigenschaften besitzt wie Gewebswasser, welches bei Verletzungen aus der Gefäßwand freigesetzt wird. Dadurch löst das Fruchtwasser die gleiche Gerinnungskaskade aus, wie sie bei Schnitt- oder Risswunden zur Selbstreparatur des verletzten Gefäßes in Gang gesetzt wird. Hier läuft der Vorgang jedoch lokal begrenzt ab, während es bei der Fruchtwasserembolie zu einer Aktivierung der Gerinnungskaskade mit multiplen Thrombenbildungen kommt. Diese Thromben im mütterlichen Kreislauf sind damit wahrscheinlich stärker am embolischen Geschehen beteiligt als die Fruchtwasserpartikel.
Die Angaben in der medizinischen Fachliteratur zur Häufigkeit ([[Inzidenz (Medizin)|Inzidenz]]) der Fruchtwasserembolie schwanken erheblich und werden mit einem Erkrankungsfall auf 800 bis 80.000 [[Geburt]]en angegeben. In Industrieländern wird eine Inzidenz von 1:20.000 bis 80.000 Geburten angenommen.<ref>A. Peitsidou, P. Peitsidis, V. Tsekoura et al.: ''Amniotic fluid embolism managed with success during labour: report of a severe clinical case and review of literature.'' Arch Gynecol Obstet 277 (2008), S. 271–275, {{DOI|10.1007/s00404-007-0489-z}}.</ref> Die unterschiedlichen Angaben zur Inzidenz rühren daher, dass es schwierig ist, eine sichere Diagnose zu stellen.<ref>Ludwig Spätling: ''Fruchtwasserembolie.'' [[Der Gynäkologe]] 30 (1997), S. 757-761.</ref> In [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] ist die Fruchtwasserembolie die vierthäufigste Ursache für [[Müttersterblichkeit|mütterliche Todesfälle]] mit einer Häufigkeit von 7,7 pro 1 Mio. Entbindungen.<ref name="Tuffnell">D. J. Tuffnell, H. Johnson: ''Amniotic fluid embolism: the UK register.'' Hosp Med 61 (2000), S. 532–534, PMID 11045220.</ref> In [[Australien]] wurde sie im Zeitraum von 1964 bis 1990 als Todesursache bei 0,9 von 100.000 Entbindungen registriert.<ref name="Burrows">A. Burrows, S. K. Khoo: ''The amniotic fluid embolism syndrome: 10 years’ experience at a major teaching hospital.'' Aust New Zealand J Obstet Gynecol 35 (1995), S. 245–250, {{DOI|10.1111/j.1479-828X.1995.tb01973.x}}.</ref> In [[Frankreich]] war dies von 1996 bis 1998 bei 11, in den Jahren 1999 bis 2001 bei 7 von 100.000 Entbindungen der Fall.<ref>''Rapport du Comité national d'experts sur la mortalité maternelle. (CNEMM)'' (Bericht der Nationalen Expertenkommission zur Müttersterblichkeit) Dezember 2006, S. 35, [http://www.invs.sante.fr/publications/2006/mortalite_maternelle/rapport.pdf online] (PDF-Dokument; 475 kB)</ref>


Innerhalb der ersten Stunde sterben 25 bis 34&nbsp;% der Mütter, danach auch noch viele, so dass nur 16 bis 20&nbsp;% der Mütter letztlich ein solches Ereignis überleben. 70&nbsp;% aller Fruchtwasserembolien ereignen sich unter der Geburt, 11&nbsp;% nach der vaginalen Entbindung und 19&nbsp;% während eines [[Schnittentbindung|Kaiserschnitts]] nach Entwicklung des Kindes. Die kindliche Sterblichkeit beträgt bei Fruchtwasserembolien, die sich vor oder während der Geburt ereignen, bis zu 50&nbsp;%.<ref name="Clark">Steven L. Clark, G. Hankins, D. Dudley et al.: ''Amniotic fluid embolism: analysis of the national registry.'' Am J Obstet Gynecol 172 (1995), 1158–1167, PMID 7726251</ref><ref name="Mander">R. Mander, G. Smith: ''Saving mothers‘ lives (formerly Why mothers die): Reviewing maternal deaths to make motherhood safer 2003–2005.'' Midwifery 24 (2008), S. 8-12, PMID 18282645.</ref>
Durch den Verschluss großer Lungenarterien kommt es schließlich zum Rückstau im arteriellen Lungenkreislauf und in Folge dessen zur Rechtsherzüberlastung ([[Cor pulmonale]]). Dies führt in den meisten Fällen zum kardiogenen Schock und zum akuten Herztod. Daneben kommt es durch die massive Gerinnungsreaktion zum Verbrauch der Gerinnungsfaktoren ([[Verbrauchskoagulopathie]]), die dann für andere bei der Geburt notwendige Gerinnungsprozesse (Verschluss der Geburtswunden und der Plazentahaftstelle) nicht mehr zur Verfügung stehen, was zu erheblichen Blutverlusten bis hin zum hämorrhagischen Schock führt.<ref>Sven Hildebrandt: ''Fruchtwasserembolie – ein seltener, aber schwerer geburtshilflicher Notfall''. Hebamme 2005; 18(3): 153–155.</ref>

Obwohl eine Fruchtwasserembolie fast immer unter oder kurz nach der Geburt auftritt, existieren auch Einzelfallberichte über Fruchtwasserembolien im ersten und zweiten [[Trimenon|Schwangerschaftsdrittel]]. Das Krankheitsgeschehen setzte dort ein in Verbindung mit invasivem Vorgehen bei [[Verhaltener Abort|verhaltener Fehlgeburt]] oder [[Schwangerschaftsabbruch|Aborteinleitung]], wurde jedoch noch nicht bei [[Kürettage|Ausschabungen]] wegen einer [[Fehlgeburt]] beobachtet.<ref>R. Guidotti, D. Grimes, W. Cates: ''Fatal amniotic fluid embolism during legally induced abortion, United States, 1972 to 1978.'' Am J Obstet Gynecol 141 (1981), 257–261, PMID 7282806</ref> Auch bei [[Infusion]] von [[Isotonische Kochsalzlösung|physiologischer Kochsalzlösung]] in die [[Amnion]]höhle zur [[Mekoniumaspiration|Mekoniumaspirationsprophylaxe]]<ref>G. Dorairajan, S. Soundararaghavan: ''Maternal death after intrapartum saline amnioinfusion – report of two cases.'' BJOG 112 (2005), S. 1331–1333, {{DOI|10.1111/j.1471-0528.2005.00708.x}}.</ref> und bei einer [[Amniozentese|Fruchtwasserpunktion]]<ref>T. H. Hasaart, G. G. Essed: ''Amniotic fluid embolism after transabdominal amniocentesis.'' Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 16 (1983), S. 25-30, PMID 6628816.</ref><ref>J. Dodgson, J. Martin, J. Boswell, H. B. Goodall, R. Smith: ''Probable amniotic fluid embolism precipitated by amniocentesis and treated by exchange transfusion.'' Br Med J (Clin Res Ed) 294 (1987), S. 1322-1333, PMID 3109636, [http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1246486 online].</ref> wurden mehrere Fälle von Fruchtwasserembolie beschrieben. Ebenso kann stumpfe Gewalt gegen den Bauch ([[Abdominaltrauma]]) zur Fruchtwasserembolie führen.<ref>C. Ellingsen, T. Eggebo, K. Lexow: ''Amniotic fluid embolism after blunt abdominal trauma. Resuscitation 75 (2007), S. 180–183, {{DOI|10.1016/j.resuscitation.2007.02.010}}.</ref>

== Krankheitsentstehung ==
Die [[Pathophysiologie]] der Fruchtwasserembolie ist bis heute nicht vollständig geklärt. Einerseits handelt es sich um eine Sonderform der [[Lungenembolie]], die durch den Kontakt von Fruchtwasserbestandteilen mit dem mütterlichen Blutkreislauf ausgelöst wird. Dabei besteht oft ein zeitlicher Zusammenhang zum [[Blasensprung]], sodass dieser als eine mögliche Ursache angesehen wird.<ref name="Lachmann"/> Andererseits wird ein ganzer Komplex an Reaktionen ausgelöst, der über eine Embolie weit hinausgeht.

Das Fruchtwasser dringt über das eröffnete Bett der [[Plazenta]] (Plazentahaftstelle), eine Verletzung des Venengeflechts der [[Gebärmutter]] oder über Verletzungen von Gefäßen des [[Cervix uteri|Gebärmutterhalses]] in das venöse System der Mutter ein. Von dort aus gelangt es über das rechte Herz in die [[Lungenkreislauf|Lungenarterien]]<ref name="dudenhausen">[[Joachim Dudenhausen|Joachim Wolfram Dudenhausen]], [[Hermann P. G. Schneider]], [[Gunther Bastert]]: ''Frauenheilkunde und Geburtshilfe.'' Walter de Gruyter, 2002, ISBN 3110165627, [http://books.google.de/books?id=l1dVrgL-_dAC&pg=PA638 S. 638-40] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].</ref> und über [[Shunt (Medizin)|Shunts]] in der Lunge in das linke Herz und den Körperkreislauf.<ref name="Gei"/>

Die Mechanismen bei der Entstehung des Amnioninfusionssyndroms sind nur in Teilen bekannt. Die Erklärungen der Vorgänge beruhen auf klinischen Beobachtungen und teilweise tierexperimentellen Untersuchungen.
* Anfangs war man der Meinung, dass die festen Fruchtwasserbestandteile, wie [[Vernix caseosa|Vernixflocken]], [[Lanugohaar]]e, [[Mekonium]] oder Zellabschilferungen, durch Verlegung der Gefäße in der Lunge allein das Geschehen auslösen (Festkörperembolie). In der Zwischenzeit ist aus [[Tierversuch|tierexperimentellen]] Untersuchungen bekannt, dass es bei Kontakt von Fruchtwasserbestandteilen, durch Freisetzung von [[Prostaglandine]]n und [[Biogene Amine|biogenen Aminen]], zusätzlich zu einer ausgeprägten [[Vasokonstriktion|Verengung]] der Lungengefäße kommt, welche den [[Blutdruck]] im arteriellen [[Lungenkreislauf]] zusätzlich erhöht. Dadurch kommt es zu einer Rechtsherzüberlastung (akutes [[Cor pulmonale]]), einem schlagartigen Abfall des Füllungsdrucks des linken Herzens, damit zu einer [[Herzinsuffizienz#Links-, Rechts- oder Globalinsuffizienz|Linksherzüberlastung]] und nachfolgend zu einer [[Hypoxie (Medizin)|Verminderung der Sauerstoffversorgung]] des Körpers. Diese Reaktion führt in vielen Fällen zu einem [[Schock (Medizin)#Kardiogener Schock|kardiogenen Schock]] und [[Plötzlicher Herztod|akuten Herztod]].<ref name="dudenhausen"/>

* Ein zweiter Mechanismus ist die Auslösung einer generalisierten Gerinnung ([[Disseminierte intravasale Koagulopathie|Disseminierte intravasale Gerinnung]]) durch Fruchtwasserbestandteile, wobei insbesondere das Mekonium eine entscheidende Rolle zu spielen scheint.<ref>Carlo Bouchè, M. Casarotto, U. Wiesenfeld, R. Bussani, R. Addobati, P. Bogatti: [http://pathophysiology-afe.com/afe.htm ''Pathophysiology of Amniotic Fluid Embolism: new considerations and remarks for syndrome diagnosis.''].</ref> Die überall im mütterlichen Kreislauf gebildeten [[Thrombus|Blutgerinnsel]] können, in Verbindung mit dem unzureichenden Kreislauf (Kreislaufinsuffizienz), zusätzliche Embolien verursachen. Verbunden mit der Hypoxie kann es zu [[Leberversagen|Leber]]- und [[Nierenversagen]], [[Krampfanfall|Krampfanfällen]] und [[Koma]] kommen. Außerdem führt die massive [[Hämostase|Gerinnungsreaktion]] zum Verbrauch von [[Hämostase#Übersicht über Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren|Gerinnungsfaktoren]] ([[Verbrauchskoagulopathie]]), die dann für andere bei der Geburt notwendige Gerinnungsprozesse, wie dem Verschluss der Geburtswunden und der Plazentahaftstelle, nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies führt zu erheblichen Blutverlusten bis hin zum [[Blutung|hämorrhagischen]] [[Schock (Medizin)|Schock]].<ref>Sven Hildebrandt: ''Fruchtwasserembolie – ein seltener, aber schwerer geburtshilflicher Notfall''. Hebamme 18 (2005), S. 153–155, {{DOI|10.1055/s-2005-918610}}.</ref>

* Ein dritter Mechanismus wird im Sinne einer [[Anaphylaxie|anaphylaktischen]] Reaktion durch die [[antigen]]e Aktivität des Fruchtwassers ausgelöst. [[Fetus|Fetale]] Antigene führen im mütterlichen Kreislauf zu einer [[Immunantwort]] mit Freisetzung von körpereigenen [[Botenstoff]]en (endogene Mediatoren), die dramatische Kreislaufreaktionen bewirken können. In der Literatur wurde daher auch vorgeschlagen, den Begriff „Fruchtwasserembolie“ durch „Anaphylactoid syndrome of pregnancy“ zu ersetzen.<ref name="Clark"/>

Es führt jedoch nicht jeder Kontakt von Fruchtwasser und seinen Bestandteilen mit dem mütterlichen Kreislauf zu einer Fruchtwasserembolie. 1961 war zwar bei fast der Hälfte von 220 mütterlichen Todesfällen [[Trophoblast]]-Gewebe in der Lunge nachgewiesen worden, allerdings hatte weniger als 1&nbsp;% der Frauen klinische Hinweise auf eine Fruchtwasserembolie gezeigt.<ref name="Atwood">H. D. Attwood, W. W. Park: ''Embolism to the lungs by trophoblast.'' BJOG 68 (1961), S. 611–617, {{DOI|10.1111/j.1471-0528.1961.tb02778.x}}.</ref> Normalerweise gelangen nur geringe Fruchtwassermengen (1 bis 2&nbsp;ml) während normaler Wehen in den mütterlichen Kreislauf. Um die Reaktionskette in Gang zu setzen, muss eine größere Menge Fruchtwasser in den mütterlichen Kreislauf übertreten.<ref name="dudenhausen"/>


== Risikofaktoren ==
== Risikofaktoren ==
Zu den prädisponierenden Faktoren zählen die [[Uterusruptur]], Geburtsverletzungen (z. B. hoher Scheidenriss, Zervixriss), manuelle [[Plazenta]]lösung, [[vorzeitige Plazentalösung]], vaginal-operative [[Entbindung]]en, erhöhter intrauteriner Druck (z. B. bei großem Kind, Mehrlingen oder [[Polyhydramnion]]), [[Kristeller-Handgriff|Kristellerhilfe]] (durch die Stempelwirkung) und Wehenmittelüberdosierung. Außerdem fanden [[Kanada|kanadische]] Forscher ein häufigeres Auftreten von Fruchtwasserembolien im Zusammenhang mit [[Schwangerschaftsdiabetes]] und [[Präeklampsie]], sowie mit höherem Alter der Mutter, mit [[Schnittentbindung|Kaiserschnitt]] und einer [[Geburtseinleitung]].<ref>Michael S. Kramer, Jocelyn Rouleau, Thomas F. Baskett, K. S. Joseph: ''Amniotic-fluid embolism and medical induction of labour: a retrospective, population-based cohort study.'' Lancet 368 (2006), 1444-1448, {{DOI|10.1016/S0140-6736(06)69607-4}}</ref> Dabei sind zu 88&nbsp;% Mehrgebärende betroffen. Diese prädisponierenden Faktoren erhöhen zwar das Risiko einer Fruchtwasserembolie, können jedoch nicht als deren Ursache angesehen werden. Das Krankheitsbild gilt als unvorhersehbar. Vorbeugende Maßnahmen sind nicht bekannt.<ref>Marie R. Baldisseri: ''Amniotic fluid embolism syndrome.'' [http://www.uptodate.com/contents/amniotic-fluid-embolism-syndrome UpToDate V.18.3]</ref>
Als [[Prädisposition|prädisponierende]] Faktoren für das Krankheitsbild gelten die [[Uterusruptur]], Geburtsverletzungen (z. B. hoher Scheidenriss, Zervixriss), manuelle [[Plazenta]]lösung, [[vorzeitige Plazentalösung]], vaginal-operative [[Entbindung]]en, ein erhöhter intrauteriner Druck (z. B. bei großem Kind, Mehrlingen oder [[Polyhydramnion]]), die [[Kristeller-Handgriff|Kristellerhilfe]] (durch die Stempelwirkung) und Wehenmittelüberdosierung. Allerdings bestand in einigen Untersuchungen keine Beziehung zu fetaler [[Makrosomie]] und einer Überdosierung des Wehenmittels [[Oxytocin]].<ref name="Burrows"/>


Außerdem fanden [[Kanada|kanadische]] Forscher ein häufigeres Auftreten von Fruchtwasserembolien im Zusammenhang mit [[Schwangerschaftsdiabetes]] und [[Präeklampsie]], sowie mit höherem Alter der Mutter, mit [[Schnittentbindung|Kaiserschnitt]] und einer [[Geburtseinleitung]].<ref>Michael S. Kramer, Jocelyn Rouleau, Thomas F. Baskett, K. S. Joseph: ''Amniotic-fluid embolism and medical induction of labour: a retrospective, population-based cohort study.'' Lancet 368 (2006), S. 1444-1448, {{DOI|10.1016/S0140-6736(06)69607-4}}.</ref> Dabei sind zu 88&nbsp;% Mehrgebärende betroffen. Bei 41&nbsp;% der Patientinnen mit einer Fruchtwasserembolie finden sich [[Anamnese|anamnestisch]] Hinweise auf [[Allergie]]n oder [[Atopie (Medizin)|Atopie]]. Zudem wurde eine Fruchtwasserembolie gehäuft im Zusammenhang mit männlichen Feten beobachtet.<ref name="Clark"/>
== Symptomatik ==
Im Frühstadium, innerhalb der ersten Minuten, zeigt die Patientin Atemstörungen, Unruhe, [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]], [[Schock (Medizin)|Schockzeichen]] und eventuell Schmerzen in der Brust. Im Spätstadium zeigt sich das [[Atemnotsyndrom]], [[Lungenödem]], Ausbildung einer disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (Latenzzeit 0,5 bis 12 Stunden), Hyper[[fibrinolyse]] und als Spätfolgen des Schocks Nieren- und Herz-Kreislauf-Versagen.


Die prädisponierenden Faktoren erhöhen zwar das Risiko einer Fruchtwasserembolie, können jedoch nicht als deren Ursache angesehen werden. Das Krankheitsbild gilt als unvorhersehbar. Vorbeugende Maßnahmen sind nicht bekannt.<ref>Marie R. Baldisseri: ''Amniotic fluid embolism syndrome.'' [http://www.uptodate.com/contents/amniotic-fluid-embolism-syndrome UpToDate V.18.3].</ref>
== Therapie ==
Die Behandlung erfolgt symptomatisch, da zunächst nur eine klinische Diagnose gestellt werden kann.


== Symptomatik und Verlauf ==
Bei Verdacht auf Fruchtwasserembolie wird die Patientin intensivüberwacht mit [[Volumensubstitution]] und Venenkatheter, der Laborstatus wird erhoben, bei Bedarf [[endotracheale Intubation]] und [[Beatmung]] und Gabe von Medikamenten zur Erweiterung des Lungenstromes zur Vermeidung einer [[Rechtsherzinsuffizienz]], ggf. Gabe von [[Antifibrinolytikum|Antifibrinolytika]].
[[Datei:Symptomatik und Verlauf (Fruchtwasserembolie).svg|miniatur|hochkant=1.8|Symptomatik und Verlauf der Fruchtwasserembolie<ref name="Kretzschmar"/>]]
=== Klinische Kriterien ===
Die nationalen Amniotic fluid embolism (AFE)-Register in den USA und Großbritannien stellten klinische Kriterien auf, die die Verdachtsdiagnose einer Fruchtwasserembolie erlauben:
* akuter Blutdruckabfall oder Herzstillstand
* akute [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]] ([[Dyspnoe]], [[Zyanose]] oder Atemstillstand)
* Gerinnungsstörung (laborchemischer Nachweise einer disseminierten intravasalen Gerinnung oder schwere Blutungen)
* Beginn der Symptome unter Wehen oder bis 30&nbsp;Minuten nach der Geburt des Kindes
* keine anderen klinischen Zeichen oder Erklärungen für die Symptomatik<ref>D. J. Tuffnell: ''Managing amniotic fluid embolism.'' OBG Management 15 (2003), S. 36-51, [http://www.obgmanagement.com/pdf/1502/1502OBGM_Article2.pdf online] (PDF-Dokument; 78 kB).</ref><ref name="Clark"/>

=== Phasen ===
Eine Fruchtwasserembolie läuft in mehreren Stadien ab, von denen jedes potentiell tödlich ist.<ref name="Lachmann"/>

Als [[Prodrom|Vorzeichen]] können Atembeschwerden, Kältegefühl, innere Unruhe, Lichtscheu, Angstzustände, [[Dysästhesie|Empfindungsstörungen]] der Finger, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Das Intervall zwischen diesen ersten Anzeichen und der akuten Symptomatik kann sehr kurz sein, aber auch bis zu 4&nbsp;Stunden betragen.<ref name="Lachmann"/>

Im Frühstadium, innerhalb der ersten Minuten, zeigen die Patientinnen aus völligem Wohlbefinden Atemnot mit [[Zyanose]] und Krampfanfälle. Zudem finden sich [[Schock (Medizin)|Schockzeichen]]. Brustschmerzen treten, entgegen früheren Annahmen, bei über der Hälfte der Frauen auf.<ref name="Mander"/><ref name="Lachmann">R. Lachmann, G. Kamin, F. Bender, M. Jaekel, W. Distler: ''Fruchtwasserembolie. Übersicht und Darstellung von Fällen mit gutem Outcome.'' [[Der Gynäkologe|Gynäkologe]] 41 (2008), S. 420–426, {{DOI|10.1007/s00129-008-2136-6}}.</ref> [[Wehensturm|Heftige Wehen]] bis hin zur Uterus[[tetanie]] bestehen bei etwa einem Viertel der Frauen.<ref name="dudenhausen"/>

Überlebt die Frau diese erste Phase, treten im zweiten Stadium mit einer Latenzzeit von 0,5 bis 12&nbsp;Stunden Blutungen auf, die Folge der generalisiserten Gerinnung mit [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|Verbrauchskoagulopathie]] sind. Aufgrund der großen Wundflächen nach Ablösen der [[Plazenta]] besteht das Risiko, an einem [[Schock (Medizin)#Volumenmangelschock|hämorrhagischen Schock]] zu versterben.<ref name="Lachmann"/>

Im Spätstadium entwickelt sich ein [[Atemnotsyndrom]] mit [[Lungenödem]]. Es kommt zu einer Hyper[[fibrinolyse]] und als Folgen des Schocks möglicherweise zu einem [[Multiorganversagen]]. Da die zweite und dritte Phase fließend ineinander übergehen, werden sie häufig auch zusammengefasst und der gesamte Verlauf als biphasisch bezeichnet.<ref name="Clark"/><ref name="dudenhausen"/>

=== Kindliche Reaktionen ===
Beim Ungeborenen kommt es durch die verminderte Sauerstoffversorgung zu Herzfrequenzveränderungen. Diese äußern sich als Auffälligkeiten im [[Kardiotokografie|CTG]], wie [[Tachykardie]], späte [[Dezeleration]]en, eine Abnahme der Bandbreite, verlängerte variable Dezelerationen und [[Bradykardie]]. Allerdings sind auch Fälle mit unauffälligem CTG trotz bestehender fetaler Bedrohung beschrieben. Wird die Sauerstoffversorgung nicht schnell verbessert oder ein [[Schnittentbindung|Notkaiserschnitt]] durchgeführt, stirbt das Kind nach kurzer Zeit ([[Totgeburt|intrauterinen Fruchttod]]).<ref name="Lachmann"/>


== Diagnosestellung ==
== Diagnosestellung ==
[[Datei:Amniotic fluid embolism.jpg|miniatur|Fetale Zellabschilferungen im Lumen von Lungengefäßen]]
Eine exakte Diagnose kann erst [[post mortem]] durch den histologischen Nachweis von Fruchtwasser oder korpuskulären Anteilen in den [[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] der [[Lunge]] im Rahmen einer [[Obduktion]] gestellt werden. Diese dient auch zum Ausschluss eines [[Behandlungsfehler]]s durch Ärzte und Hebammen.<ref>I. Sinicina, H. Pankratz, K. Bise, E. Matevossian: ''Forensic aspects of post-mortem histological detection of amniotic fluid embolism.'' International Journal of Legal Medicine 124 (2010), 55-62, {{DOI|10.1007/s00414-009-0351-x}}</ref>
Die klinische Diagnose einer Fruchtwasserembolie ist eine Ausschlussdiagnose. Sie muss wegen des hochakuten Geschehens schnell gestellt werden, damit schon bei dem Verdacht entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Dabei müssen differentialdiagnostisch verschiedene Erkrankungen in Betracht gezogen werden.<ref name="rudra">A. Rudra, S. Chatterjee, S. Sengupta, B. Nandi, J. Mitra: ''Amniotic fluid embolism.'' Indian J Crit Care Med 13 (2009), S. 129–135, PMID 20040809, {{DOI|10.4103/0972-5229.58537}}.</ref>

Laborchemisch zeigen sich Zeichen der Verbrauchskoagulopathie:
* [[Thrombozytopenie]]
* Hypofibrinogenämie (Mangel an [[Fibrinogen]])
* verminderte [[Quick-Wert|Prothrombinzeit]]
* verlängerte [[Partielle Thromboplastinzeit|partielle Thrombinzeit]]
* Nachweis von [[D-Dimer]]en

Im [[Elektrokardiogramm|EKG]] finden sich anfangs eine [[Tachykardie]] und [[Elektrokardiogramm#ST-Strecke|ST-Strecken]]-Veränderungen, später Zeichen der Rechtsherzbelastung. Die Sauerstoffsättigung im Blut ist reduziert.<ref name="rudra"/> Selbst ein Nachweis von fetalen Bestandteilen im Blut aus der rechten Herzkammer kann die Diagnose nur stützen, aber nicht beweisen.<ref name="Kretzschmar"/>

{| class="wikitable"
|+ Differentialdiagnosen einer Fruchtwasserembolie<ref>Katherine J. Perozzi, Nadine C. Englert: ''Amniotic Fluid Embolism. An Obstetric Emergency.'' Critical Care Nurse 24 (2004), S. 54-61, [http://ccn.aacnjournals.org/content/24/4/54.full online].</ref>
|-
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| [[Lungenembolie]] ([[Thrombose|thrombotisch]], [[Luftembolie|Luft]], [[Fettembolie|Fett]])<br>[[Lungenödem]]<br>Narkosezwischenfall<br>[[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] || [[Sepsis|septischer]] [[Schock (Medizin)|Schock]]<br>[[Blutung|hämorrhagischer]] Schock<br>[[Myokardinfarkt|Herzinfarkt]]<br>[[Anaphylaxie|anaphylaktische Reaktion<br>Herzrhythmusstörungen]] || [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|Disseminierte intravasale Gerinnung]]<br>[[Vorzeitige Plazentalösung|vorzeitige Plazentalösung]]<br>[[Uterusruptur]]<br>[[Uterusatonie]] || [[Eklampsie]]<br>[[Epilepsie]]<br>[[Zerebrovaskuläre Insuffizienz]]<br>[[Hypoglykämie]]
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Sicher diagnostizieren kann man eine Fruchtwasserembolie erst [[post mortem]] im Rahmen einer [[Obduktion]], indem man histologisch Fruchtwasser oder korpuskuläre Anteile in den [[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]] der [[Lunge]] nachweist. Dies dient oftmals auch dazu, vermutete [[Behandlungsfehler]] durch Ärzte und Hebammen auszuschließen.<ref>I. Sinicina, H. Pankratz, K. Bise, E. Matevossian: ''Forensic aspects of post-mortem histological detection of amniotic fluid embolism.'' International Journal of Legal Medicine 124 (2010), S. 55-62, {{DOI|10.1007/s00414-009-0351-x}}.</ref>

== Therapie ==
Eine spezifische oder ursächliche Behandlung der Fruchtwasserembolie ist nicht möglich. Die Behandlung der Patientin erfolgt bereits bei Verdacht auf eine Fruchtwasserembolie symptomatisch, jedoch [[Intensivmedizin|intensivmedizinisch]]. Dabei steht die Stabilisierung des Zustands der Patientin im Vordergrund.<ref name="Kretzschmar"/>

Fast immer ist eine [[endotracheale Intubation]] und [[Beatmung]] notwendig. Durch [[Infusion|Volumenersatz]] wird, möglichst unter Kontrolle des [[Zentraler Venendruck|zentralen Venendrucks]], dem Blutdruckabfall entgegengewirkt. Indem Medikamente, die die Lungenstrombahn erweitern, verabreicht werden, wird einer [[Rechtsherzinsuffizienz]] entgegengewirkt. Um die [[Immunologie|immunologischen]] Komponenten zu behandeln, ist es sinnvoll, [[Glucocorticoide]] zu geben.<ref name="Kretzschmar"/>

Ist eine Stabilisierung des mütterlichen Zustands erreichbar, ist eine rasche vaginale Entbindung möglich. Kommt es nicht innerhalb von 4 bis 5&nbsp;Minuten zu keiner Verbesserung, ist aufgrund des drohenden Todes des Kindes ein Notkaiserschnitt, auch bei scheinbar sterbender Mutter (''Peri-mortem-Schnittentbindung''), angezeigt.<ref>Steven L. Clark: ''Amniotic Fluid Embolism.'' Clin Obstet Gynecol 53 (2010), S. 322-328, {{DOI|10.1097/GRF.0b013e3181e0ead2}}.</ref><ref name="Kretzschmar"/> Dies verbessert auch die Chancen bei der [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] der Mutter.<ref>H. Vehreschild: ''„Perimortale“ Sectio bei Fruchtwasserembolie.'' Gynäkologische Praxis 24 (2000), S. 15–23.</ref>

Nach der Geburt des Kindes muss [[Oxytocin]] per Infusion auch in Kombination mit [[Mutterkornalkaloide]]n wie [[Methylergometrin]] zur Verhinderung einer [[Uterusatonie]] mit massiven vaginalen Blutungen verabreicht werden. Diese Mittel fördern die Kontraktion der Gebärmutter und verringern damit Blutungen. Auf die Gabe von [[Prostaglandine]]n muss verzichtet werden, da diese potenziell [[Vasokonstriktion|vasokonstriktorische]] Effekte auf die Lungengefäße haben kann.<ref name="Lachmann"/>

Beim Überleben der ersten Phase ist die Patientin [[Intensivmedizin|intensivmedizinisch]] zu überwachen. Zur Behandlung der Gerinnungsstörung ist die Gabe von [[Antifibrinolytikum|Antifibrinolytika]] und eine Behandlung mit [[Gefrorenes Frischplasma|Gefrorenem Frischplasma]] (Fresh-Frozen-Plasma, FFP), sowie als [[Ultima Ratio|Ultima ratio]] bei fortbestehender Blutung und [[Thrombozyt]]enzahlen unter 50.000/μl die Transfusion von [[Thrombozyten-Konzentrat]]en möglich. Der Blutverlust wird mit [[Erythrozyten-Konzentrat]]en ausgeglichen.<ref name="Kretzschmar">M. Kretzschmar, D.-M. Zahm, K. Remmler, L. Pfeiffer, L. Victor, W. Schirrmeister: ''„Anaphylactoid syndrome of pregnancy.“ Pathophysiologische und therapeutische Aspekte der Fruchtwasserembolie („anaphylactoid syndrome of pregnancy“) anhand einer Kasuistik mit letalem Ausgang.'' Anaesthesist 52 (2003), S. 419–426, {{DOI|10.1007/s00101-003-0482-2}}.</ref> Auch Behandlungsversuche mit [[Plasmafraktionierung#Kryopräzipitation|Kryopräzipitaten]] und [[Rekombinantes Protein|rekombinantem]] [[Proconvertin|Faktor VII]] (rFVIIa) wurden unternommen.<ref>Y. Lim, C. C. Loo, V. Chia, W. Fun: ''Recombinant factor VIIa after amniotic fluid embolism and disseminated intravascular coagulopathy.'' Int J Gynaecol Obstet 87 (2004), S. 178-179, PMID 15491576, {{DOI|10.1016/j.ijgo.2004.08.007}}, [http://www.niceindia.net/knowledge_base/Obs_and_Gynaec/Lim_2005.pdf online] (PDF-Dokument; 44 kB).</ref><ref name="Kretzschmar"/><ref>Sharon Davies: ''Amniotic fluid embolus: a review of the literature.'' Can J Anaesth 48 (2001), S. 88-98, PMID 11212056, {{DOI|10.1007/BF03019822}}, [http://springerlink.com/content/d6v7653458g73515/fulltext.pdf online] (PDF-Dokument; 84 kB).</ref> Außerdem wurde über erfolgreiche [[Uterusmyom-Embolisation|Gebärmutterarterienembolisationen]] zur Behandlung der starken Blutungen aus der Gebärmutter berichtet.<ref>E. Goldszmidt, S. Davies: ''Two cases of hemorrhage secondary to amniotic fluid embolus managed with uterine artery embolization.'' Can J Anaesth 50 (2003), S. 917-921, PMID 14617589, {{DOI|10.1007/BF03018739}}.</ref>

== Prognose ==
Die [[Prognose#Medizin, Psychologie und Veterinärmedizin|Prognose]] der Fruchtwasserembolie ist schlecht. Sie verursacht eine hohe mütterliche und kindliche Sterblichkeit. Von den überlebenden Frauen entwickeln 11&nbsp;% und von den überlebenden Kindern 61&nbsp;% bleibende neurologische Schäden. Insbesondere nach Fruchtwasserembolien mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser waren bei überlebenden Frauen häufiger [[Neurologie|neurologische]] Auffälligkeiten mit [[Neuroanatomie|hirnanatomischen]] [[Korrelat (Medizin)|Korrelaten]] nachweisbar. Die Prognose ist außerdem von der schnellen Behandlung abhängig.<ref name="Burrows"/> Eine Peri-mortem-Schnittentbindung nach 4 bis 5&nbsp;Minuten erfolgloser Wiederbelebung verbessert die Wiederbelebungschancen für die Frau und die Überlebenschancen für das Kind.<ref>Vern L. Katz, D. J. Dotters, W. Droegemueller: ''Perimortem cesarean delivery.'' Obstet Gynecol 68 (1986), S. 571-576, PMID 3528956.</ref><ref>Vern L. Katz, Keith Balderston, Melissa DeFreest: ''Perimortem cesarean delivery: Were our assumptions correct?'' Am J Obstet Gynecol 192 (2005), S. 1916–1921, {{DOI|10.1016/j.ajog.2005.02.038}}.</ref>

Aufgrund der geringen Fallzahlen kann das Risiko einer erneuten Fruchtwasserembolie in einer Folgeschwangerschaft nicht beurteilt werden. Es sind aber komplikationslose Schwangerschaften berichtet worden. Die Empfehlung einer primären Schnittentbindung zur Vermeidung von Wehen wird kontrovers beurteilt.<ref name="Gei"/><ref>Lisa E. Moore: [http://emedicine.medscape.com/article/253068-overview ''Amniotic Fluid Embolism.''] auf eMedicine.com</ref>


== Geschichte ==
== Geschichte ==
Der deutsche [[Pathologie|Pathologe]] [[Christian Georg Schmorl]] berichtete 1893 erstmals über fetale Zellen in der mütterlichen Lunge, die er bei Autopsien von 17 Frauen, die nach einer Eklampsie verstorben waren, gefunden hatte. Er sah darin eine mögliche Ursache der Eklampsie.<ref>[[Christian Georg Schmorl]]: ''Pathologisch-anatomische Untersuchungen über Puerperal-Eklampsie.'' Verlag FCW Vogel, Leipzig 1893.</ref>
Die Fruchtwasserembolie wurde 1926 durch J. Ricardo Meyer erstmals beschrieben.<ref>J. Ricardo Meyer: ''Embolia pulmonar amniocaseosa.'' Brasil-Medico 2 (1926), 301–303</ref> 1941 wurde sie durch Paul E. Steiner und [[Clarence Lushbaugh]] als eigenständiges Krankheitsbildes definiert und 1949 als ''Geburtshilfliches Schock-Syndrom'' genauer beschrieben.<ref>Paul E. Steiner, [[Clarence Lushbaugh]]: ''Maternal pulmonary embolism by amniotic fluid.'' JAMA 117 (1941), 1245–1254</ref><ref>Paul E. Steiner, [[Clarence Lushbaugh]], H. A. Frank: ''Fatal obstetric shock for pulmonary emboli of amniotic fluid.'' Am J Obstet Gynecol 58 (1949), 802–805</ref> Es wurde daher zweitweilig auch als ''Steiner-Lushbaugh-Syndrom'' bezeichnet.<ref>G. M. Rendina: ''Amniotic fluid embolus: (Steiner-Lushbaugh syndrome).'' Riv Ostet Ginecol Prat. 40 (1958), 945-58, PMID 13592081</ref> Da in einigen Untersuchungen die typischen Symptome einer [[Anaphylaxie]] vorherrschten, wird das Krankheitsbild auch als ''Anaphylactoid syndrome of pregnancy'' (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) bezeichnet.<ref>S. Clark, G. Hankins, D. Dudley et al.: ''Amniotic fluid embolism: analysis of the national registry.'' Am J Obstet Gynecol 172 (1995), 1158–1167</ref>

Eine Fruchtwasserembolie wurde durch J. Ricardo Meyer in [[Brasilien]] zwar bereits 1926 erstmals beschrieben.<ref>J. Ricardo Meyer: ''Embolia pulmonar amniocaseosa.'' Brasil-Medico 2 (1926), S. 301–303.</ref> Allerdings publizierte M. R. Warden 1927 Ergebnisse seiner Tierversuche mit intravenöser Injektion von Fruchtwasser, in dem auch er noch eine mögliche Ursache der Eklampsie sah.<ref>M. R. Warden: ''Amniotic fluid as possible factor in etiology of eclampsia.'' Amer J Obstet Gynec 14 (1927), S. 292.</ref>

Erst 1941 wurde die Fruchtwasserembolie durch die Amerikaner Paul E. Steiner und [[Clarence Lushbaugh]] als eigenständiges Krankheitsbild definiert und 1949 als ''Geburtshilfliches Schock-Syndrom'' genauer beschrieben.<ref>Paul E. Steiner, [[Clarence Lushbaugh]]: ''Maternal pulmonary embolism by amniotic fluid.'' JAMA 117 (1941), S. 1245–1254, {{DOI|10.1001/jama.1941.02820410023008}}.</ref><ref>Paul E. Steiner, [[Clarence Lushbaugh]], H. A. Frank: ''Fatal obstetric shock for pulmonary emboli of amniotic fluid.'' Am J Obstet Gynecol 58 (1949), S. 802–805.</ref> Es wurde daher zeitweilig auch als ''Steiner-Lushbaugh-Syndrom'' bezeichnet.<ref>G. M. Rendina: ''Amniotic fluid embolus: (Steiner-Lushbaugh syndrome).'' Riv Ostet Ginecol Prat. 40 (1958), S. 945-958, PMID 13592081.</ref><ref>Sean Kane: ''Historical Perspective of Amniotic Fluid Embolism.'' Int Anesthesiol Clin 43 (2005), S. 99-108, PMID 16189399.</ref>

1961 wiesen die britischen Pathologen Attwood und Park bei fast der Hälfte von 220 mütterlichen Todesfällen [[Trophoblast]]-Gewebe in der Lunge nach, obwohl weniger als 1&nbsp;% der Frauen klinische Hinweise auf eine Fruchtwasserembolie geboten hatten.<ref name="Atwood"/> Daher schied dieses als alleinige Ursache für das Krankheitsbild aus. Selbst ein Zusammenhang zur Fruchtwasserembolie ist fraglich. Im Rahmen einer Schwangerschaft gelangen offenbar fetale Zellen zwangsläufig in die mütterliche Zirkulation. Dieses Phänomen wird als [[Physiologie|physiologisch]] angesehen. Eine Embolie mit teilweisem Verschluss der Lungenstrombahn ist jedoch nicht als normal anzusehen und scheint häufiger mit krankhaften Veränderungen der Plazenta, wie einer [[Placenta accreta]] oder [[Placenta praevia]], und Manipulationen an der Gebärmutter verbunden zu sein.<ref>Julia Franzen: ''Pulmonale Synzytiotrophoblastembolie: ein physiologisches Phänomen?'' [[Dissertation]], [[Ludwig-Maximilians-Universität München]] 2010, [http://edoc.ub.uni-muenchen.de/11551/1/Franzen_Julia.pdf online] (PDF-Dokument; 3,6 MB)</ref>

Da in einigen Untersuchungen bei einer Fruchtwasserembolie die typischen Symptome einer [[Anaphylaxie]] vorherrschten, wird das Krankheitsbild auch als ''Anaphylactoid syndrome of pregnancy'' (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) bezeichnet.<ref name="Clark"/>

In den [[Vereinigte Staaten|USA]] und [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]] wurden spezielle Register geschaffen, um Fälle von Fruchtwasserembolie zu erfassen. Das ''U. S. National AFE Registry'' wurde 1998 von Steven L. Clark, einem Gynäkologen an der [[University of Utah]] School of Medicine, begründet.<ref name="Clark"/>
Derek J. Tuffnell, Leiter der Frauenklinik am ''Bradford Royal Infirmary'', initiierte das britische ''UKOSS Amniotic fluid embolism register''. Es wird seit 2005 als Teil des ''U. K. Obstetric Surveillance Systems'' (UKOSS) der seit 1978 bestehenden ''National Perinatal Epidemiology Unit'' der [[University of Oxford]], zur Untersuchung seltener Erkrankungen in der Schwangerschaft, geführt und vom [[Royal College of Obstetricians and Gynaecologists]] (RCOG) unterstützt.<ref name="Tuffnell"/><ref>[https://www.npeu.ox.ac.uk/ukoss/current-surveillance/amf Amniotic Fluid Embolism Register] des ''U. K. Obstetric Surveillance Systems'' (UKOSS)</ref><ref>[http://www.rcog.org.uk/news/world-first-study-rare-disorders-pregnancy-and-childbirth ''World first for study of rare disorders of pregnancy and childbirth''] des [[Royal College of Obstetricians and Gynaecologists]]</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
=== deutschsprachig ===
* Maritta Kühnert: ''Notfallsituationen in der Geburtshilfe.'' Walter de Gruyter, 2009, ISBN 3110213788, [http://books.google.de/books?id=ql7esJmJd-MC&pg=PA86 S. 86-9]
* Jürgen Nieder, Kerstin Meybohm: ''Memorix für Hebammen.'' Georg Thieme Verlag, 2001, ISBN 3777314226, [http://books.google.de/books?id=abYd-Rdh_1AC&pg=PA240 S. 240]
* [[Joachim Dudenhausen|Joachim Wolfram Dudenhausen]], [[Hermann P. G. Schneider]], [[Gunther Bastert]]: ''Frauenheilkunde und Geburtshilfe.'' Walter de Gruyter, 2002, ISBN 3110165627, [http://books.google.de/books?id=l1dVrgL-_dAC&pg=PA638 S. 638-640] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* Wolfgang Distler, Axel Riehn: ''Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe.'' Springer, 2006, ISBN 3540256660, [http://books.google.de/books?id=SoxbxgdDcEMC&pg=PA126 Kapitel 5.13] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* Mändle, Opitz, Kreuter: ''Das Hebammenlehrbuch der praktischen Geburtshilfe.'' ISBN 3-7945-1765-2
* Alexander Strauss: ''Geburtshilfe Basics.'' Springer, 2006, ISBN 3540256687, [http://books.google.de/books?id=kLxp3lahy2sC&pg=PA70 S. 70] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* S. Davies: ''[http://www.cja-jca.org/cgi/content/full/48/1/88 Amniotic fluid embolus: a review of the literature.]'' Can J Anaesth. 2001 Jan;48(1):88-98. Review. PMID 11212056
* Maritta Kühnert: ''Notfallsituationen in der Geburtshilfe.'' Walter de Gruyter, 2009, ISBN 3110213788, [http://books.google.de/books?id=ql7esJmJd-MC&pg=PA86 S. 86-89] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* A. Rudra, S. Chatterjee, S. Sengupta, B. Nandi, J. Mitra: ''Amniotic fluid embolism.'' Indian J Crit Care Med 13 (2009), 129–135, PMID 20040809, {{DOI|10.4103/0972-5229.58537}}
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* Christine Mändle, Sonja Opitz-Kreuter: ''Das Hebammenlehrbuch der praktischen Geburtshilfe.'' Schattauer Verlag, 2007, ISBN 3-7945-1765-2, [http://books.google.de/books?id=EXTjKwvu5VAC&pg=PA472 S. 472-474] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].

=== englischsprachig ===
* Hung N. Winn, R. H. Petrie: ''Amniotic fluid embolism.'' In: Hung N. Winn, John C. Hobbins: ''Clinical maternal-fetal medicine.'' Taylor & Francis, 2000, ISBN 1850707987, [http://books.google.de/books?id=kwGpp9-xtOMC&pg=PA129 Kapitel 11] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* Maureen Boyle: ''Amniotic fluid embolism.'' In: Maureen Boyle: ''Emergencies around childbirth: a handbook for midwives.'' Radcliffe Publishing, 2002, ISBN 1857755685, [http://books.google.de/books?id=VLxKjS97swAC&pg=PA83 Kapitel 7] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].
* Charlotte Howell, Kate Grady, Charles Cox: ''Amniotic fluid embolism.'' In: ''Managing Obstetric Emergencies and Trauma: The MOET Course Manual.'' [[Royal College of Obstetricians and Gynaecologists|RCOG]], 2007, ISBN 1904752217, [http://books.google.de/books?id=fAf1wCTRRCUC&pg=PA31 Kapitel 5] in der [[Google Bücher|Google Buchsuche]].


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* Carlo Bouchè, M. Casarotto, U. Wiesenfeld, R. Bussani, R. Addobati, P. Bogatti: [http://pathophysiology-afe.com/afe.htm ''Pathophysiology of Amniotic Fluid Embolism: new considerations and remarks for syndrome diagnosis.''] auf pathophysiology-afe.com
* Lisa E. Moore: [http://emedicine.medscape.com/article/253068-overview ''Amniotic Fluid Embolism.''] auf eMedicine.com
* Lisa E. Moore: [http://emedicine.medscape.com/article/253068-overview ''Amniotic Fluid Embolism.''] auf eMedicine.com
* [http://library.med.utah.edu/WebPath/FORHTML/FOR090.html Histologisches Bild] der [[University of Utah]]
* [http://library.med.utah.edu/WebPath/FORHTML/FOR090.html Histologisches Bild] der [[University of Utah]]
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==Einzelnachweise==
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[[en:Amniotic fluid embolism]]
[[en:Amniotic fluid embolism]]

Version vom 31. März 2011, 09:21 Uhr

Klassifikation nach ICD-10
O88.1 Fruchtwasserembolie
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Pathomechanismus der Fruchtwasserembolie[1]

Eine Fruchtwasserembolie ist eine Sonderform einer Embolie, bei der unter der Geburt Fruchtwasser einschließlich seiner festen Anteile über die Gebärmutter in den mütterlichen Kreislauf eindringen, Lungenarteriolen oder Kapillaren verlegen und das Gerinnungssystem beeinträchtigen. Diese Störung ist eine seltene, aber gefährliche geburtshilfliche Notfallsituation, die meist dramatisch verläuft und von Geburtshelfern gefürchtet ist, weil sie oft tödlich ausgeht und bei überlebenden Müttern und Kindern häufig Hirnschäden hinterlässt.

Die Fruchtwasserembolie wurde und wird auch als Geburtshilfliches Schock-Syndrom, Amnioninfusionssyndrom, engl. Amniotic fluid embolism (AFE), Anaphylactoid syndrome of pregnancy (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) oder Steiner-Lushbaugh-Syndrom bezeichnet. Die Vorgänge wurden 1926 von J. Ricardo Meyer erstmals beschrieben und 1941 von Steiner und Lushbough als eigenständige Krankheit definiert.

Eine Fruchtwasserembolie ist bis heute nicht vorhersehbar und nur schlecht diagnostizier- und behandelbar. Vorbeugende Maßnahmen sind nicht bekannt.

Vorkommen

Die Angaben in der medizinischen Fachliteratur zur Häufigkeit (Inzidenz) der Fruchtwasserembolie schwanken erheblich und werden mit einem Erkrankungsfall auf 800 bis 80.000 Geburten angegeben. In Industrieländern wird eine Inzidenz von 1:20.000 bis 80.000 Geburten angenommen.[2] Die unterschiedlichen Angaben zur Inzidenz rühren daher, dass es schwierig ist, eine sichere Diagnose zu stellen.[3] In Großbritannien ist die Fruchtwasserembolie die vierthäufigste Ursache für mütterliche Todesfälle mit einer Häufigkeit von 7,7 pro 1 Mio. Entbindungen.[4] In Australien wurde sie im Zeitraum von 1964 bis 1990 als Todesursache bei 0,9 von 100.000 Entbindungen registriert.[5] In Frankreich war dies von 1996 bis 1998 bei 11, in den Jahren 1999 bis 2001 bei 7 von 100.000 Entbindungen der Fall.[6]

Innerhalb der ersten Stunde sterben 25 bis 34 % der Mütter, danach auch noch viele, so dass nur 16 bis 20 % der Mütter letztlich ein solches Ereignis überleben. 70 % aller Fruchtwasserembolien ereignen sich unter der Geburt, 11 % nach der vaginalen Entbindung und 19 % während eines Kaiserschnitts nach Entwicklung des Kindes. Die kindliche Sterblichkeit beträgt bei Fruchtwasserembolien, die sich vor oder während der Geburt ereignen, bis zu 50 %.[7][8]

Obwohl eine Fruchtwasserembolie fast immer unter oder kurz nach der Geburt auftritt, existieren auch Einzelfallberichte über Fruchtwasserembolien im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel. Das Krankheitsgeschehen setzte dort ein in Verbindung mit invasivem Vorgehen bei verhaltener Fehlgeburt oder Aborteinleitung, wurde jedoch noch nicht bei Ausschabungen wegen einer Fehlgeburt beobachtet.[9] Auch bei Infusion von physiologischer Kochsalzlösung in die Amnionhöhle zur Mekoniumaspirationsprophylaxe[10] und bei einer Fruchtwasserpunktion[11][12] wurden mehrere Fälle von Fruchtwasserembolie beschrieben. Ebenso kann stumpfe Gewalt gegen den Bauch (Abdominaltrauma) zur Fruchtwasserembolie führen.[13]

Krankheitsentstehung

Die Pathophysiologie der Fruchtwasserembolie ist bis heute nicht vollständig geklärt. Einerseits handelt es sich um eine Sonderform der Lungenembolie, die durch den Kontakt von Fruchtwasserbestandteilen mit dem mütterlichen Blutkreislauf ausgelöst wird. Dabei besteht oft ein zeitlicher Zusammenhang zum Blasensprung, sodass dieser als eine mögliche Ursache angesehen wird.[14] Andererseits wird ein ganzer Komplex an Reaktionen ausgelöst, der über eine Embolie weit hinausgeht.

Das Fruchtwasser dringt über das eröffnete Bett der Plazenta (Plazentahaftstelle), eine Verletzung des Venengeflechts der Gebärmutter oder über Verletzungen von Gefäßen des Gebärmutterhalses in das venöse System der Mutter ein. Von dort aus gelangt es über das rechte Herz in die Lungenarterien[15] und über Shunts in der Lunge in das linke Herz und den Körperkreislauf.[1]

Die Mechanismen bei der Entstehung des Amnioninfusionssyndroms sind nur in Teilen bekannt. Die Erklärungen der Vorgänge beruhen auf klinischen Beobachtungen und teilweise tierexperimentellen Untersuchungen.

  • Ein dritter Mechanismus wird im Sinne einer anaphylaktischen Reaktion durch die antigene Aktivität des Fruchtwassers ausgelöst. Fetale Antigene führen im mütterlichen Kreislauf zu einer Immunantwort mit Freisetzung von körpereigenen Botenstoffen (endogene Mediatoren), die dramatische Kreislaufreaktionen bewirken können. In der Literatur wurde daher auch vorgeschlagen, den Begriff „Fruchtwasserembolie“ durch „Anaphylactoid syndrome of pregnancy“ zu ersetzen.[7]

Es führt jedoch nicht jeder Kontakt von Fruchtwasser und seinen Bestandteilen mit dem mütterlichen Kreislauf zu einer Fruchtwasserembolie. 1961 war zwar bei fast der Hälfte von 220 mütterlichen Todesfällen Trophoblast-Gewebe in der Lunge nachgewiesen worden, allerdings hatte weniger als 1 % der Frauen klinische Hinweise auf eine Fruchtwasserembolie gezeigt.[18] Normalerweise gelangen nur geringe Fruchtwassermengen (1 bis 2 ml) während normaler Wehen in den mütterlichen Kreislauf. Um die Reaktionskette in Gang zu setzen, muss eine größere Menge Fruchtwasser in den mütterlichen Kreislauf übertreten.[15]

Risikofaktoren

Als prädisponierende Faktoren für das Krankheitsbild gelten die Uterusruptur, Geburtsverletzungen (z. B. hoher Scheidenriss, Zervixriss), manuelle Plazentalösung, vorzeitige Plazentalösung, vaginal-operative Entbindungen, ein erhöhter intrauteriner Druck (z. B. bei großem Kind, Mehrlingen oder Polyhydramnion), die Kristellerhilfe (durch die Stempelwirkung) und Wehenmittelüberdosierung. Allerdings bestand in einigen Untersuchungen keine Beziehung zu fetaler Makrosomie und einer Überdosierung des Wehenmittels Oxytocin.[5]

Außerdem fanden kanadische Forscher ein häufigeres Auftreten von Fruchtwasserembolien im Zusammenhang mit Schwangerschaftsdiabetes und Präeklampsie, sowie mit höherem Alter der Mutter, mit Kaiserschnitt und einer Geburtseinleitung.[19] Dabei sind zu 88 % Mehrgebärende betroffen. Bei 41 % der Patientinnen mit einer Fruchtwasserembolie finden sich anamnestisch Hinweise auf Allergien oder Atopie. Zudem wurde eine Fruchtwasserembolie gehäuft im Zusammenhang mit männlichen Feten beobachtet.[7]

Die prädisponierenden Faktoren erhöhen zwar das Risiko einer Fruchtwasserembolie, können jedoch nicht als deren Ursache angesehen werden. Das Krankheitsbild gilt als unvorhersehbar. Vorbeugende Maßnahmen sind nicht bekannt.[20]

Symptomatik und Verlauf

Symptomatik und Verlauf der Fruchtwasserembolie[21]

Klinische Kriterien

Die nationalen Amniotic fluid embolism (AFE)-Register in den USA und Großbritannien stellten klinische Kriterien auf, die die Verdachtsdiagnose einer Fruchtwasserembolie erlauben:

  • akuter Blutdruckabfall oder Herzstillstand
  • akute Hypoxie (Dyspnoe, Zyanose oder Atemstillstand)
  • Gerinnungsstörung (laborchemischer Nachweise einer disseminierten intravasalen Gerinnung oder schwere Blutungen)
  • Beginn der Symptome unter Wehen oder bis 30 Minuten nach der Geburt des Kindes
  • keine anderen klinischen Zeichen oder Erklärungen für die Symptomatik[22][7]

Phasen

Eine Fruchtwasserembolie läuft in mehreren Stadien ab, von denen jedes potentiell tödlich ist.[14]

Als Vorzeichen können Atembeschwerden, Kältegefühl, innere Unruhe, Lichtscheu, Angstzustände, Empfindungsstörungen der Finger, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Das Intervall zwischen diesen ersten Anzeichen und der akuten Symptomatik kann sehr kurz sein, aber auch bis zu 4 Stunden betragen.[14]

Im Frühstadium, innerhalb der ersten Minuten, zeigen die Patientinnen aus völligem Wohlbefinden Atemnot mit Zyanose und Krampfanfälle. Zudem finden sich Schockzeichen. Brustschmerzen treten, entgegen früheren Annahmen, bei über der Hälfte der Frauen auf.[8][14] Heftige Wehen bis hin zur Uterustetanie bestehen bei etwa einem Viertel der Frauen.[15]

Überlebt die Frau diese erste Phase, treten im zweiten Stadium mit einer Latenzzeit von 0,5 bis 12 Stunden Blutungen auf, die Folge der generalisiserten Gerinnung mit Verbrauchskoagulopathie sind. Aufgrund der großen Wundflächen nach Ablösen der Plazenta besteht das Risiko, an einem hämorrhagischen Schock zu versterben.[14]

Im Spätstadium entwickelt sich ein Atemnotsyndrom mit Lungenödem. Es kommt zu einer Hyperfibrinolyse und als Folgen des Schocks möglicherweise zu einem Multiorganversagen. Da die zweite und dritte Phase fließend ineinander übergehen, werden sie häufig auch zusammengefasst und der gesamte Verlauf als biphasisch bezeichnet.[7][15]

Kindliche Reaktionen

Beim Ungeborenen kommt es durch die verminderte Sauerstoffversorgung zu Herzfrequenzveränderungen. Diese äußern sich als Auffälligkeiten im CTG, wie Tachykardie, späte Dezelerationen, eine Abnahme der Bandbreite, verlängerte variable Dezelerationen und Bradykardie. Allerdings sind auch Fälle mit unauffälligem CTG trotz bestehender fetaler Bedrohung beschrieben. Wird die Sauerstoffversorgung nicht schnell verbessert oder ein Notkaiserschnitt durchgeführt, stirbt das Kind nach kurzer Zeit (intrauterinen Fruchttod).[14]

Diagnosestellung

Fetale Zellabschilferungen im Lumen von Lungengefäßen

Die klinische Diagnose einer Fruchtwasserembolie ist eine Ausschlussdiagnose. Sie muss wegen des hochakuten Geschehens schnell gestellt werden, damit schon bei dem Verdacht entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Dabei müssen differentialdiagnostisch verschiedene Erkrankungen in Betracht gezogen werden.[23]

Laborchemisch zeigen sich Zeichen der Verbrauchskoagulopathie:

Im EKG finden sich anfangs eine Tachykardie und ST-Strecken-Veränderungen, später Zeichen der Rechtsherzbelastung. Die Sauerstoffsättigung im Blut ist reduziert.[23] Selbst ein Nachweis von fetalen Bestandteilen im Blut aus der rechten Herzkammer kann die Diagnose nur stützen, aber nicht beweisen.[21]

Differentialdiagnosen einer Fruchtwasserembolie[24]
Lungenprobleme Blutdruckabfall und Schocksymptome Gerinnungsstörungen und akute Blutungsursachen Neurologische und andere mit Krämpfen einhergehende Erkrankungen
Lungenembolie (thrombotisch, Luft, Fett)
Lungenödem
Narkosezwischenfall
Aspiration
septischer Schock
hämorrhagischer Schock
Herzinfarkt
anaphylaktische Reaktion
Herzrhythmusstörungen
Disseminierte intravasale Gerinnung
vorzeitige Plazentalösung
Uterusruptur
Uterusatonie
Eklampsie
Epilepsie
Zerebrovaskuläre Insuffizienz
Hypoglykämie

Sicher diagnostizieren kann man eine Fruchtwasserembolie erst post mortem im Rahmen einer Obduktion, indem man histologisch Fruchtwasser oder korpuskuläre Anteile in den Kapillaren der Lunge nachweist. Dies dient oftmals auch dazu, vermutete Behandlungsfehler durch Ärzte und Hebammen auszuschließen.[25]

Therapie

Eine spezifische oder ursächliche Behandlung der Fruchtwasserembolie ist nicht möglich. Die Behandlung der Patientin erfolgt bereits bei Verdacht auf eine Fruchtwasserembolie symptomatisch, jedoch intensivmedizinisch. Dabei steht die Stabilisierung des Zustands der Patientin im Vordergrund.[21]

Fast immer ist eine endotracheale Intubation und Beatmung notwendig. Durch Volumenersatz wird, möglichst unter Kontrolle des zentralen Venendrucks, dem Blutdruckabfall entgegengewirkt. Indem Medikamente, die die Lungenstrombahn erweitern, verabreicht werden, wird einer Rechtsherzinsuffizienz entgegengewirkt. Um die immunologischen Komponenten zu behandeln, ist es sinnvoll, Glucocorticoide zu geben.[21]

Ist eine Stabilisierung des mütterlichen Zustands erreichbar, ist eine rasche vaginale Entbindung möglich. Kommt es nicht innerhalb von 4 bis 5 Minuten zu keiner Verbesserung, ist aufgrund des drohenden Todes des Kindes ein Notkaiserschnitt, auch bei scheinbar sterbender Mutter (Peri-mortem-Schnittentbindung), angezeigt.[26][21] Dies verbessert auch die Chancen bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung der Mutter.[27]

Nach der Geburt des Kindes muss Oxytocin per Infusion auch in Kombination mit Mutterkornalkaloiden wie Methylergometrin zur Verhinderung einer Uterusatonie mit massiven vaginalen Blutungen verabreicht werden. Diese Mittel fördern die Kontraktion der Gebärmutter und verringern damit Blutungen. Auf die Gabe von Prostaglandinen muss verzichtet werden, da diese potenziell vasokonstriktorische Effekte auf die Lungengefäße haben kann.[14]

Beim Überleben der ersten Phase ist die Patientin intensivmedizinisch zu überwachen. Zur Behandlung der Gerinnungsstörung ist die Gabe von Antifibrinolytika und eine Behandlung mit Gefrorenem Frischplasma (Fresh-Frozen-Plasma, FFP), sowie als Ultima ratio bei fortbestehender Blutung und Thrombozytenzahlen unter 50.000/μl die Transfusion von Thrombozyten-Konzentraten möglich. Der Blutverlust wird mit Erythrozyten-Konzentraten ausgeglichen.[21] Auch Behandlungsversuche mit Kryopräzipitaten und rekombinantem Faktor VII (rFVIIa) wurden unternommen.[28][21][29] Außerdem wurde über erfolgreiche Gebärmutterarterienembolisationen zur Behandlung der starken Blutungen aus der Gebärmutter berichtet.[30]

Prognose

Die Prognose der Fruchtwasserembolie ist schlecht. Sie verursacht eine hohe mütterliche und kindliche Sterblichkeit. Von den überlebenden Frauen entwickeln 11 % und von den überlebenden Kindern 61 % bleibende neurologische Schäden. Insbesondere nach Fruchtwasserembolien mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser waren bei überlebenden Frauen häufiger neurologische Auffälligkeiten mit hirnanatomischen Korrelaten nachweisbar. Die Prognose ist außerdem von der schnellen Behandlung abhängig.[5] Eine Peri-mortem-Schnittentbindung nach 4 bis 5 Minuten erfolgloser Wiederbelebung verbessert die Wiederbelebungschancen für die Frau und die Überlebenschancen für das Kind.[31][32]

Aufgrund der geringen Fallzahlen kann das Risiko einer erneuten Fruchtwasserembolie in einer Folgeschwangerschaft nicht beurteilt werden. Es sind aber komplikationslose Schwangerschaften berichtet worden. Die Empfehlung einer primären Schnittentbindung zur Vermeidung von Wehen wird kontrovers beurteilt.[1][33]

Geschichte

Der deutsche Pathologe Christian Georg Schmorl berichtete 1893 erstmals über fetale Zellen in der mütterlichen Lunge, die er bei Autopsien von 17 Frauen, die nach einer Eklampsie verstorben waren, gefunden hatte. Er sah darin eine mögliche Ursache der Eklampsie.[34]

Eine Fruchtwasserembolie wurde durch J. Ricardo Meyer in Brasilien zwar bereits 1926 erstmals beschrieben.[35] Allerdings publizierte M. R. Warden 1927 Ergebnisse seiner Tierversuche mit intravenöser Injektion von Fruchtwasser, in dem auch er noch eine mögliche Ursache der Eklampsie sah.[36]

Erst 1941 wurde die Fruchtwasserembolie durch die Amerikaner Paul E. Steiner und Clarence Lushbaugh als eigenständiges Krankheitsbild definiert und 1949 als Geburtshilfliches Schock-Syndrom genauer beschrieben.[37][38] Es wurde daher zeitweilig auch als Steiner-Lushbaugh-Syndrom bezeichnet.[39][40]

1961 wiesen die britischen Pathologen Attwood und Park bei fast der Hälfte von 220 mütterlichen Todesfällen Trophoblast-Gewebe in der Lunge nach, obwohl weniger als 1 % der Frauen klinische Hinweise auf eine Fruchtwasserembolie geboten hatten.[18] Daher schied dieses als alleinige Ursache für das Krankheitsbild aus. Selbst ein Zusammenhang zur Fruchtwasserembolie ist fraglich. Im Rahmen einer Schwangerschaft gelangen offenbar fetale Zellen zwangsläufig in die mütterliche Zirkulation. Dieses Phänomen wird als physiologisch angesehen. Eine Embolie mit teilweisem Verschluss der Lungenstrombahn ist jedoch nicht als normal anzusehen und scheint häufiger mit krankhaften Veränderungen der Plazenta, wie einer Placenta accreta oder Placenta praevia, und Manipulationen an der Gebärmutter verbunden zu sein.[41]

Da in einigen Untersuchungen bei einer Fruchtwasserembolie die typischen Symptome einer Anaphylaxie vorherrschten, wird das Krankheitsbild auch als Anaphylactoid syndrome of pregnancy (Anaphylaktisches Schwangerschaftssyndrom) bezeichnet.[7]

In den USA und Großbritannien wurden spezielle Register geschaffen, um Fälle von Fruchtwasserembolie zu erfassen. Das U. S. National AFE Registry wurde 1998 von Steven L. Clark, einem Gynäkologen an der University of Utah School of Medicine, begründet.[7] Derek J. Tuffnell, Leiter der Frauenklinik am Bradford Royal Infirmary, initiierte das britische UKOSS Amniotic fluid embolism register. Es wird seit 2005 als Teil des U. K. Obstetric Surveillance Systems (UKOSS) der seit 1978 bestehenden National Perinatal Epidemiology Unit der University of Oxford, zur Untersuchung seltener Erkrankungen in der Schwangerschaft, geführt und vom Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG) unterstützt.[4][42][43]

Literatur

deutschsprachig

englischsprachig

Einzelnachweise

  1. a b c Alfredo Gei, Gary D. V. Hankins: Amniotic fluid embolus: An update. Contemp Ob/Gyn 45 (2000), S. 53–66, online.
  2. A. Peitsidou, P. Peitsidis, V. Tsekoura et al.: Amniotic fluid embolism managed with success during labour: report of a severe clinical case and review of literature. Arch Gynecol Obstet 277 (2008), S. 271–275, doi:10.1007/s00404-007-0489-z.
  3. Ludwig Spätling: Fruchtwasserembolie. Der Gynäkologe 30 (1997), S. 757-761.
  4. a b D. J. Tuffnell, H. Johnson: Amniotic fluid embolism: the UK register. Hosp Med 61 (2000), S. 532–534, PMID 11045220.
  5. a b c A. Burrows, S. K. Khoo: The amniotic fluid embolism syndrome: 10 years’ experience at a major teaching hospital. Aust New Zealand J Obstet Gynecol 35 (1995), S. 245–250, doi:10.1111/j.1479-828X.1995.tb01973.x.
  6. Rapport du Comité national d'experts sur la mortalité maternelle. (CNEMM) (Bericht der Nationalen Expertenkommission zur Müttersterblichkeit) Dezember 2006, S. 35, online (PDF-Dokument; 475 kB)
  7. a b c d e f g Steven L. Clark, G. Hankins, D. Dudley et al.: Amniotic fluid embolism: analysis of the national registry. Am J Obstet Gynecol 172 (1995), 1158–1167, PMID 7726251
  8. a b R. Mander, G. Smith: Saving mothers‘ lives (formerly Why mothers die): Reviewing maternal deaths to make motherhood safer 2003–2005. Midwifery 24 (2008), S. 8-12, PMID 18282645.
  9. R. Guidotti, D. Grimes, W. Cates: Fatal amniotic fluid embolism during legally induced abortion, United States, 1972 to 1978. Am J Obstet Gynecol 141 (1981), 257–261, PMID 7282806
  10. G. Dorairajan, S. Soundararaghavan: Maternal death after intrapartum saline amnioinfusion – report of two cases. BJOG 112 (2005), S. 1331–1333, doi:10.1111/j.1471-0528.2005.00708.x.
  11. T. H. Hasaart, G. G. Essed: Amniotic fluid embolism after transabdominal amniocentesis. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 16 (1983), S. 25-30, PMID 6628816.
  12. J. Dodgson, J. Martin, J. Boswell, H. B. Goodall, R. Smith: Probable amniotic fluid embolism precipitated by amniocentesis and treated by exchange transfusion. Br Med J (Clin Res Ed) 294 (1987), S. 1322-1333, PMID 3109636, online.
  13. C. Ellingsen, T. Eggebo, K. Lexow: Amniotic fluid embolism after blunt abdominal trauma. Resuscitation 75 (2007), S. 180–183, doi:10.1016/j.resuscitation.2007.02.010.
  14. a b c d e f g R. Lachmann, G. Kamin, F. Bender, M. Jaekel, W. Distler: Fruchtwasserembolie. Übersicht und Darstellung von Fällen mit gutem Outcome. Gynäkologe 41 (2008), S. 420–426, doi:10.1007/s00129-008-2136-6.
  15. a b c d e Joachim Wolfram Dudenhausen, Hermann P. G. Schneider, Gunther Bastert: Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Walter de Gruyter, 2002, ISBN 3110165627, S. 638-40 in der Google Buchsuche.
  16. Carlo Bouchè, M. Casarotto, U. Wiesenfeld, R. Bussani, R. Addobati, P. Bogatti: Pathophysiology of Amniotic Fluid Embolism: new considerations and remarks for syndrome diagnosis..
  17. Sven Hildebrandt: Fruchtwasserembolie – ein seltener, aber schwerer geburtshilflicher Notfall. Hebamme 18 (2005), S. 153–155, doi:10.1055/s-2005-918610.
  18. a b H. D. Attwood, W. W. Park: Embolism to the lungs by trophoblast. BJOG 68 (1961), S. 611–617, doi:10.1111/j.1471-0528.1961.tb02778.x.
  19. Michael S. Kramer, Jocelyn Rouleau, Thomas F. Baskett, K. S. Joseph: Amniotic-fluid embolism and medical induction of labour: a retrospective, population-based cohort study. Lancet 368 (2006), S. 1444-1448, doi:10.1016/S0140-6736(06)69607-4.
  20. Marie R. Baldisseri: Amniotic fluid embolism syndrome. UpToDate V.18.3.
  21. a b c d e f g M. Kretzschmar, D.-M. Zahm, K. Remmler, L. Pfeiffer, L. Victor, W. Schirrmeister: „Anaphylactoid syndrome of pregnancy.“ Pathophysiologische und therapeutische Aspekte der Fruchtwasserembolie („anaphylactoid syndrome of pregnancy“) anhand einer Kasuistik mit letalem Ausgang. Anaesthesist 52 (2003), S. 419–426, doi:10.1007/s00101-003-0482-2.
  22. D. J. Tuffnell: Managing amniotic fluid embolism. OBG Management 15 (2003), S. 36-51, online (PDF-Dokument; 78 kB).
  23. a b A. Rudra, S. Chatterjee, S. Sengupta, B. Nandi, J. Mitra: Amniotic fluid embolism. Indian J Crit Care Med 13 (2009), S. 129–135, PMID 20040809, doi:10.4103/0972-5229.58537.
  24. Katherine J. Perozzi, Nadine C. Englert: Amniotic Fluid Embolism. An Obstetric Emergency. Critical Care Nurse 24 (2004), S. 54-61, online.
  25. I. Sinicina, H. Pankratz, K. Bise, E. Matevossian: Forensic aspects of post-mortem histological detection of amniotic fluid embolism. International Journal of Legal Medicine 124 (2010), S. 55-62, doi:10.1007/s00414-009-0351-x.
  26. Steven L. Clark: Amniotic Fluid Embolism. Clin Obstet Gynecol 53 (2010), S. 322-328, doi:10.1097/GRF.0b013e3181e0ead2.
  27. H. Vehreschild: „Perimortale“ Sectio bei Fruchtwasserembolie. Gynäkologische Praxis 24 (2000), S. 15–23.
  28. Y. Lim, C. C. Loo, V. Chia, W. Fun: Recombinant factor VIIa after amniotic fluid embolism and disseminated intravascular coagulopathy. Int J Gynaecol Obstet 87 (2004), S. 178-179, PMID 15491576, doi:10.1016/j.ijgo.2004.08.007, online (PDF-Dokument; 44 kB).
  29. Sharon Davies: Amniotic fluid embolus: a review of the literature. Can J Anaesth 48 (2001), S. 88-98, PMID 11212056, doi:10.1007/BF03019822, online (PDF-Dokument; 84 kB).
  30. E. Goldszmidt, S. Davies: Two cases of hemorrhage secondary to amniotic fluid embolus managed with uterine artery embolization. Can J Anaesth 50 (2003), S. 917-921, PMID 14617589, doi:10.1007/BF03018739.
  31. Vern L. Katz, D. J. Dotters, W. Droegemueller: Perimortem cesarean delivery. Obstet Gynecol 68 (1986), S. 571-576, PMID 3528956.
  32. Vern L. Katz, Keith Balderston, Melissa DeFreest: Perimortem cesarean delivery: Were our assumptions correct? Am J Obstet Gynecol 192 (2005), S. 1916–1921, doi:10.1016/j.ajog.2005.02.038.
  33. Lisa E. Moore: Amniotic Fluid Embolism. auf eMedicine.com
  34. Christian Georg Schmorl: Pathologisch-anatomische Untersuchungen über Puerperal-Eklampsie. Verlag FCW Vogel, Leipzig 1893.
  35. J. Ricardo Meyer: Embolia pulmonar amniocaseosa. Brasil-Medico 2 (1926), S. 301–303.
  36. M. R. Warden: Amniotic fluid as possible factor in etiology of eclampsia. Amer J Obstet Gynec 14 (1927), S. 292.
  37. Paul E. Steiner, Clarence Lushbaugh: Maternal pulmonary embolism by amniotic fluid. JAMA 117 (1941), S. 1245–1254, doi:10.1001/jama.1941.02820410023008.
  38. Paul E. Steiner, Clarence Lushbaugh, H. A. Frank: Fatal obstetric shock for pulmonary emboli of amniotic fluid. Am J Obstet Gynecol 58 (1949), S. 802–805.
  39. G. M. Rendina: Amniotic fluid embolus: (Steiner-Lushbaugh syndrome). Riv Ostet Ginecol Prat. 40 (1958), S. 945-958, PMID 13592081.
  40. Sean Kane: Historical Perspective of Amniotic Fluid Embolism. Int Anesthesiol Clin 43 (2005), S. 99-108, PMID 16189399.
  41. Julia Franzen: Pulmonale Synzytiotrophoblastembolie: ein physiologisches Phänomen? Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München 2010, online (PDF-Dokument; 3,6 MB)
  42. Amniotic Fluid Embolism Register des U. K. Obstetric Surveillance Systems (UKOSS)
  43. World first for study of rare disorders of pregnancy and childbirth des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists

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