Arzneimittel-Rabattvertrag

Ein Arzneimittel-Rabattvertrag ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen einzelnen Arzneimittel-Herstellern und einzelnen deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen über die exklusive Belieferung der Krankenversicherten mit einzelnen Arzneimitteln des Herstellers. Im Sprachgebrauch der Human-Heilberufe wird häufig verkürzt von Rabattvertrag gesprochen.

Gesetzliche Grundlage

Das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG), das am 1. Mai 2006 in Kraft getreten ist[1], ermöglicht den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, mit einem oder mehreren Arzneimittelherstellern Verträge abzuschließen, die den Herstellern eine exklusive Abgabe ihrer Arzneimittel garantieren. Im Gegenzug gewähren die Hersteller den Krankenkassen Rabatte, was zur Entlastung der Krankenkassen-Budgets beitragen soll. Die Rabattvereinbarungen können sich auf das Gesamtsortiment eines Herstellers beziehen oder auf einzelne Wirkstoffe. Selbst Rabattvereinbarungen über einzelne Arzneiformen eines Wirkstoff und einzelne Packungsgrößen sind möglich.

Folgen der Arzneimittel-Rabattverträge

Folgen für Krankenkassen

Die gesetzlichen Krankenkassen wählen einen oder mehrere Vertragspartner nach ihrem Belieben aus. Mit diesen vereinbaren sie für das folgende Kalenderjahr, welche Arzneimittel von den Vertragspartnern exklusiv beliefert werden. Die Krankenkassen profitieren von Rabattzahlungen der Vertragshersteller[2]. Die Höhe dieser Rabattzahlungen wird nicht bekanntgegeben, was bereits zu Kritik führte. Außerdem fließen die Rabattzahlungen nicht in die Berechnungen der Arzneimittel-Ausgaben ein, sodass sich eine Verzerrung der Arzneimittelkosten in unbekannter Höhe ergibt.

Folgen für Patienten

Für manchen Patienten gewöhnungsbedürftig: Ein Arzneimittel wird gegen ein gleichartiges eines anderen Herstellers ausgetauscht

Untersagt der Arzt bei seiner Arzneimittel-Verordnung den Austausch nicht, so erhält der Patient in der Apotheke nicht mehr das Medikament von jenem Hersteller, der auf dem Rezept genannt ist, sondern ein Medikament mit dem gleichen Wirkstoff, der gleichen Arzneiform, Dosierung und Packungsgröße, von einem der Hersteller, die einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse des Patienten geschlossen haben[3]. Einigen Patienten, besonders jene, die über sehr lange Zeit Arzneimitteln eines Herstellers eingenommen haben, fällt diese Umstellung schwer. In diesen Fällen kann der Arzt auf der Abgabe des altgewohnten Arzneimittels bestehen, muss dies jedoch auf dem Rezept vermerken. Weigert sich der Arzt jedoch, dies zu tun, kann der Patient sein bisher gewohntes Arzneimittel nur noch dann erhalten, wenn er den vollen Verkaufspreis des Arzneimittels übernimmt. Da dem betroffenen Patienten diese Kosten von seiner Krankenkasse in der Regel auch nachträglich kaum erstattet werden, kommt es in diesem Fall beinahe immer zum Austausch des bisherigen Arzneimittels gegen das des Rabattvertrags-Herstellers.

In der Apotheke erwartet den Patienten meist eine deutlich verlängerte Wartezeit, weil der Apotheker und der Apothekencomputer erst bestimmen müssen, welches Rabattarzneimittel für die jeweilige Kasse, den jeweiligen Wirkstoff, Packungsgröße und Arzneiform gültig ist. 9,8 Millionen Datensätze wurden hierfür zusätzlich in die Arzneimittel-Datenbanken aufgenommen[3], was aber in der Praxis kein großes Problem darstellt. Für jedes Medikament kommen nur wenige Ersatzmedikamente in Frage, so dass de facto durch den Computer nur relativ wenige Datensätze abgeglichen werden müssen. Handelt es sich bei dem ermittelten Rabattarzneimittel um ein bislang ungebräuchliches Präparat eines neuen Vertrags-Herstellers, so verzögert sich die Belieferung mit dem Arzneimittel. Das Medikament ist meist jedoch dank des schnellen Distributionssystems der öffentlichen Apotheken in den meisten Fällen in weniger als einem halben Tag beim Patienten.

Folgen für die Arzneimittel-Hersteller

Die Einführung von Rabattverträgen in das deutsche Gesundheitssystem hatte eine teils massive Verschiebung von Marktanteilen bei den Arzneimittel-Herstellern zur Folge. Da sich die bislang großen Generika-Hersteller an der ersten Rabatt-Runde des Jahres 2007 kaum beteiligten, kamen beim Vertragsabschluss für die Rabattverträge oft kleinere Pharma-Unternehmen zum Zuge.

In der Anfangszeit der Rabattverträge im Jahr 2007 kam es bei einigen Herstellern, die bisher einen sehr geringen Marktanteil[4] an der Arzneimittel-Versorgung hatten und plötzlich eine große Zahl Versicherter von großen Krankenkassen zu versorgen hatten, zu einer Knappheit bei einigen Medikamenten[5]. Beim Inkrafttreten von neuen Rabattverträgen zum Jahreswechsel kann es kurzzeitig auch weiterhin zu geringen Lieferverzögerungen kommen, bis die Apotheken ihr Warenlager auf die neue Rabatt-Situation eingestellt haben.

Die Teilnahme der größeren Arzneimittelhersteller an einigen Rabattverträgen der meisten großen Krankenkassen entschärfte im Jahr 2008 die Liefer-Probleme wesentlich.

Folgen für die Ärzte und Apotheker

Vor allem in der Anfangszeit der Rabattverträge ab April 2007 entstand in den Arztpraxen und den Apotheken ein erheblicher Erklärungsbedarf zu der neuen Situation[3]. Die Umsetzung der Rabattverträge gestaltete sich schwierig, weil in erheblichem Ausmaß und in recht kurzer Zeit die Medikation vieler Patienten ausgetauscht werden musste. Besonders die Medikation von Patienten, die an Lebensmittel- und Zusatzstoff-Unverträglichkeiten leiden, bedarf umfangreicher Verträglichkeits-Prüfung, da womöglich andere Tabletten-Hilfsstoffe in den ausgetauschten Arzneimitteln enthalten sein können. Auch die Umstellungen der Praxis-Computer und Apotheken-Computer und sehr selten auch Unstimmigkeiten in den Rabatt-Datensätzen erhöhten den Zeitaufwand für die korrekte Bestimmung des Rabattarzneimittels.

Ärzte, die den Austausch der Medikamente nicht zulassen, können auch ein Jahr später nicht sicher abschätzen, wie sich dies auf ihre Entlohnung durch die Krankenkasse auswirkt. Bisher ist unklar, ob Ärzte, welche ihren Patienten die gewohnten, nicht in Rabattverträgen aufgeführten Arzneimittel verschreiben, von den Krankenkassen haftbar gemacht werden. Die Apotheker konnten vor allem in der Startphase der Rabattverträge oftmals die Arzneimittel aus Rabattverträgen nicht abgeben, obwohl sie dies der Verordnung entsprechend tun müssten. Dies lag daran, dass bei den Rabatt-Arzneimitteln Liefer-Knappheiten auftraten, weil einige große Krankenkassen Rabattverträge mit Firmen angeschlossen hatten, die bislang kaum Marktanteile im deutschen Gesundheitssystem hatten. Jede einzelne Lieferschwierigkeit musste dokumentiert werden, da nicht abzusehen ist, ob die Krankenkassen die Bezahlung des abgegebenen Arzneimittels vollständig verweigern[6], wenn die Lieferschwierigkeit nicht nachgewiesen werden kann.

Auch die Haftungsfrage macht den Ärzten Sorgen, denn sie haften, wenn ein Patient ein Medikament erhält, das er nicht verträgt und wenn zugleich vom Arzt über die gesundheitlichen Risiken nicht aufgeklärt wurde. [7] Da der Arzt nicht immer vorhersehen kann, zu welchem Medikament ausgetauscht wird, kann das rechtliche Risiko für den Arzt unkalkulierbar sein.

Kritik an den Arzneimittel-Rabattverträgen

Die Krankenkassen wurden kritisiert, weil keine Zahlen veröffentlicht werden, aus denen sich die Höhe der Rabattzahlungen der Hersteller an die Krankenkassen bestimmen lassen. Auch dem Vergabe-Verfahren mangelt es an Transparenz. Dies führte dazu, dass Ende 2007 einige Hersteller bestimmte Krankenkassen verklagten, weil sie beim Vertragszuschlag übergangen wurden[8]. Die Vergabekammer der Bezirksregierung Düsseldorf, ein Gericht, das Verträge auf die Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen prüft, erließ daraufhin ein Zuschlagsverbot[9]. Auch die Vergabekammer des Bundeskartellamts stoppte die Vertragsvergabe durch Zuschlagsverbot[9]. Der Kasse ist also der Abschluss des Rabattvertrags untersagt, wogegen sie vor einem Sozialgericht Beschwerde einlegte.

Bundeskartellamt in Bonn

Kurioserweise erklärten sich in der Folge verschiedene wettbewerbsrechtlich urteilende Landesgerichte und sozialrechtlich urteilende Sozialgerichte wechselseitig für zuständig und die andere Gerichtsart somit für nicht zuständig[10]. Sie fällten jeweils völlig gegensätzliche Entscheidungen. Dieses rechtliche Durcheinander wird auf die Einfügung von wettbewerbsrechtlichen Elementen in das fünfte Sozialgesetzbuch zurückgeführt[2]. Gesetzliche Krankenkassen arbeiten zumeist anhand der Sozialgesetzgebung, während Arzneimittel-Hersteller Unternehmen sind und somit die rechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs befolgen. Das direkte Aufeinandertreffen beider Gesetzessysteme sorgt somit auch in den verschiedenen Teilen der Rechtsprechung für Konflikte. Sowohl Vertreter der Arzneimittelhersteller als auch der gesetzlichen Krankenkassen forderten den Gesetzgeber auf, für rechtliche Klarheit zu sorgen.

→ siehe auch: Abschnitt „Arzneimittel-Rabattverträge“ im Artikel Vergaberecht

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Rabattzahlungen nicht in die Berechnungen der Arzneimittel-Ausgaben einfließen, sodass sich in den Angaben der Arzneimittelkosten eine Verzerrung in unbekannter Höhe ergibt.

Der Deutsche Generikaverband, Interessenvertretung der kleinen und mittleren Generika-Anbieter, fordert, das „Experiment Rabattverträge“ zu beenden[11] , da ein „Chaos ohne Regeln und Transparenz entstanden“ sei, das besonders die mittelständischen Unternehmen belastet und „auf dem Rücken von Patienten, Ärzten und Apothekern ausgetragen“[12] werde.

Zuzahlungen

Ein Arzneimittel, das aufgrund eines Arzneimittel-Rabattvertrags abgegeben wird, ist nicht automatisch von der Zuzahlung befreit[1] . Erst wenn der Hersteller den Verkaufspreis auf mindestens unter 30 % des Festbetrags senkt, kann das Medikament von der Zuzahlung befreit werden. Dies gilt nur solange, wie das Medikament diese Preisbedingung erfüllt. Senken die Krankenkassenverbände oder das Bundesministerium für Gesundheit den Festbetrag oder erhöht der Hersteller den Verkaufspreis, so entfällt diese Befreiung von der Zuzahlungspflicht wieder. Dies kann sich alle zwei Wochen ändern, wenn die Preisänderungsdaten in die Lauer-Taxe, der Preisliste für Arzneimittel und apothekenüblichen Waren, aufgenommen worden sind.

Einzelnachweise

  1. a b Bundesministerium für Gesundheit Informationsangebot: Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG
  2. a b Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz - AVWG) bei buzer.de
  3. a b c Pharmazeutische Zeitung 06/2008: Arzneimittelausgaben - Die Apotheker als Problemlöser
  4. Pharmazeutische Zeitung 07/2007: AOK-Rabattvertrag - Allianz der Namenlosen
  5. Pharmazeutische Zeitung 18/2007: Rabattvertrag - AOK räumt Übergangsprobleme ein
  6. Pharmazeutische Zeitung 12/2008: Rabattarzneimittel - Ersatzkassen starten Retax-Orgie
  7. Pharmazeutische Zeitung 33/2007: Rabattverträge - Ärzte sorgen sich um Haftung
  8. Spiegel Online - Gesundheit: Pharma-Unternehmen stoppt Rabattverhandlungen Artikel vom 27. September 2007
  9. a b Pharmazeutische Zeitung 02/2008: Rabattverträge - Gesetzgeber soll es richten
  10. Pharmazeutische Zeitung 48/2007: Rabattverträge - Gerichte über Zuständigkeit uneins
  11. Deutscher Generikaverband - Pressemitteilung: Deutscher Generikaverband fordert: Experiment „Rabattverträge“ beenden! vom 13.03.2008 (PDF, 76 kB)
  12. Deutsche Apotheker-Zeitung 12/2008: Deutscher Generikaverband - Experiment Rabattverträge beenden S.28

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