Suffix

Suffix (von lateinisch suffixum „[unten] Angeheftetes“) – für bestimmte Fälle auch Endung sowie Postfix, in der traditionellen Grammatik auch Nachsilbe – ist in der Sprachwissenschaft ein Affix (unselbständiger Wortbestandteil), das seinem jeweiligen Wortstamm bzw. seiner Basis nachfolgt. Im Gegensatz dazu steht das Präfix, das seiner Basis vorausgeht.

Wie alle Affixe können Suffixe zur Wortbildung dienen, man spricht dann von Derivation, oder zur Bildung von Wortformen, also zur Flexion. Beispiele im Deutschen für Wortbildungs-Suffixe sind -ung wie in Bild-ung oder -heit wie in Schön-heit. Ein Beispiel für ein Flexionssuffix ist das Element -s zum Ausdruck des Genitivs, wie in de-s Mädchen-s.

Ein Suffix muss nicht ganz außen am Wortende stehen, denn für ein Wort sind auch mehrere aufeinanderfolgende Schritte der Suffigierung möglich. So folgen etwa in der deutschen Wortform Schönheiten die Suffixe -heit und -en aufeinander: -heit ist ein Suffix zur Basis schön und -en ist ein Suffix zur abgeleiteten Basis Schönheit.

Begriffe und ihre Abgrenzung

Suffix und „Nachsilbe“

Die Begriffe Suffix und Silbe gehören unterschiedlichen grammatischen Ebenen an: Suffixe sind Einheiten der Morphologie, Silben sind Einheiten der Lautstruktur (Phonologie). Die traditionelle Bezeichnung „Nachsilbe“ für ein Suffix ist daher problematisch, vor allem auch, weil sich die morphologischen und lautlichen Unterteilungen eines Wortes nicht decken müssen. Manche Suffixe enthalten gar keinen Vokal und kämen schon von daher nie als „Nachsilbe“ in Betracht, etwa -n oder -s (bei der Pluralbildung „Decke – Decken“ wird also keine Silbe hinzugefügt). Auch mit Vokal ist es für Flexionssuffixe und häufig bei Derivationssuffixen so, dass die Silbenbildung die Grenze zwischen Stamm und Suffix nicht respektiert:[1][2]

morphologische Grenze: acht-en, Acht-ung
00000000f Silbengrenze: ach |ten, Ach |tung
morphologische Grenze: Kind-er
00000000f Silbengrenze: Kin |der

Ein Derivationssuffix bildet dann eine eigene Silbe, wenn seine lautliche Struktur dafür sowieso passend ist, d. h. wenn es einen Vokal enthält und mit einem Konsonanten beginnt:

morphologische Grenze: Kind-heit
00000000f Silbengrenze: Kind |heit

In solchen Fällen kann dann auch die Suffixgrenze den Ausschlag geben; dies führt zu Silbenbildungen, die nur den Konsonanten des Suffixes benutzen, obwohl die normale Silbenbildung einen größeren Silbenansatz ergäbe.[3] Hier ist allerdings Variation möglich:

morphologische Grenze: farb-los, lieb-lich
Silbengrenze vor Suffix: farb |los, lieb |lich
alternative Sprechsilben: far |blos, lie |blich (insbesondere süddeutsch)[4]

In der wissenschaftlichen Handbuchliteratur wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass Bezeichnungen wie „Vorsilbe / Nachsilbe“ wegen der Verwechslung grammatischer Ebenen ungünstig seien, obwohl sie traditionell existieren,[5][6] zum Teil wird dies so auch in der wissenschaftlichen Didaktik thematisiert.[7][8] In didaktischer oder für Didaktiker verfasster Literatur findet die Bezeichnung aber nach wie vor Verwendung.[9]

Endung

Die Bezeichnung Endung wird insbesondere in der älteren und indogermanistischen Sprachwissenschaft für Suffixe benutzt, die Flexion markieren; in diesem Kontext kann mit „Suffix“ dann ein Wortbildungssuffix gemeint sein. Jedoch ist „Flexionssuffix“ auch ein gängiger und widerspruchsfreier Ausdruck.[10]

Suffix und Postfix

Postfix ist ein relativ selten gebrauchter Terminus, der mit Suffix gleichbedeutend sein kann, in der slawistischen Sprachwissenschaft aber von Suffix unterschieden wird.[11] Im spezielleren Sinn ist mit Postfix gemeint, dass ein Suffix am Wortende nach anderen Affixen erscheint, obwohl es seiner Klassifikation nach näher am Stamm stehen sollte. Das hauptsächliche Beispiel ist die Bildung von reflexiven Verben in den slawischen und baltischen Sprachen: Das Reflexiv erscheint als Affix am Wortende nach der Personalform des Verbs, obwohl es seiner Funktion nach als Wortbildung zählen und dann näher am Stamm sein sollte:[12]

понабива-ти-ся
ponabiva-ti-sja
vollstopfen-inf-refl = „sich drängen“
dirba-mė-s
arbeiten-1.pl-refl
„wir arbeiten für uns“

Suffix, Suffixoid und Komposition

Suffixe, oder generell Affixe, werden als unselbständige, grammatische Elemente eingestuft, im Gegensatz zu Wörtern, die frei stehen können. Ein Kompositum ist dann ein Wortbildungsprodukt aus Elementen, die normalerweise auch frei als Wörter vorkommen können; Ableitung bzw. Derivation ist hingegen Wortbildung mit Affixen. Zwischen beidem gibt es jedoch einen Graubereich, der daher kommt, dass manche Einheiten sich in historischen Übergängen und Zwischenstadien zwischen beiden Kategorien befinden. Diese Zwischentypen werden manchmal auch als Suffixoide bezeichnet. Hier kann es auch Meinungsverschiedenheiten in der Literatur geben, ob es sich um Suffixe handelt oder nicht.

Suffixoide begegnen im Deutschen oft bei der Bezeichnung von Kollektiva.[14] In diesen Bildungen lassen sich deutlich noch Substantive erkennen, die aber verblasst sind und nicht mehr ihre volle Bedeutung aufweisen:

  • -werk wie in Busch → Buschwerk (bedeutungsähnlich wie Gebüsch), ebenso Ast-werk (vgl. „Geäst“), Schuh-werk („(Art der) Schuhe“)
  • -zeug: Spiel-zeug, Schreib-zeug, Näh-zeug, Flick-zeug...
  • -wesen: Finanz-wesen, Gesundheits-wesen, Rettungs-wesen...

Ajektivische Suffixoide:[15]

  • -arm (nicht wörtlich wie in „Armut“): salz-arm, natrium-arm, regen-arm...
  • -frei (nur: etwas nicht haben oder nicht erfordern): bündnis-frei, bügel-frei (letzteres von einem Verb abgeleitet).

Suffixe im Deutschen

Flexionssuffixe

Im Deutschen wird sämtliche Flexion, die durch Affixe ausgedrückt wird, in Form von Suffixen ausgedrückt (daneben gibt es Stammveränderung). Beim Substantiv und beim Verb gibt es in geringem Umfang Fälle, die als Reihungen von zwei Suffixen analysiert werden können (wobei es hierzu auch Kontroversen gibt):[16]

  • Tag – (Nom.) Plural: Tag-e – Dativ Pl.: (an den) Tag-e-n
Vgl.: Kind – Kind-er – Kind-er-n
  • sag(en) – Präteritum 2. Pers.: (du) sag-te-st

Bei der Flexion von Adjektiven gibt es keine Möglichkeit einer solchen Auftrennung.

Wortbildung

In der Wortbildung des Deutschen spielen Suffixe die größte Rolle bei Nomina / Substantiven; hier gibt es zwar auch einige Präfixe, aber wesentlich mehr Suffixe.

Beim Verb hingegen ist es umgekehrt: Hier geschieht der allergrößte Teil der Wortbildung stattdessen durch Präfixe und Partikeln. Produktiv sind nur drei Ableitungstypen mit Suffixen, die Verben erzeugen:[17]

  • -ieren, teils auch mit Erweiterungen, wie in: „Spion“ → „spion-ieren“; „Ion“ → „ion-isieren“; „Klasse“ → „klass-ifizieren
  • „fest“ → „fest-igen
  • „hust(-en)“ → „hüst-el-(n)“; auch: „blöd“ → „blöd-el-(n)“ (die Infinitivendung reduziert sich nach r/l regelmäßig zu -n).

Einige häufige Suffixe, die Substantive erzeugen, sind:[18]

  • -heit / -keit (Adjektiv → Substantiv): „Schön-heit“, „Heiter-keit“, „Sorglos-ig-keit“
  • -e (Verb → Substantiv): „Such-e“, „Lüg-e“
  • -ei / -erei: 1. (Verb → Substantiv): „Zauber-ei“, „Such-erei“, „Streit-erei“; 2. (Substantiv → Substantiv): „Kantor-ei“, „Bäckerei“
  • -er (Verb → Substantiv): „Käuf-er“
  • -ung (Verb → Substantiv): „Verantwort-ung“
  • -in (Substantiv (mask.) → Substantiv (fem.); „Movierung“): „Käufer-in“, „Köch-in“
  • -chen / -lein (Substantiv → Substantiv (diminutiv)): „Tür-chen“, „Kind-chen“, „Kind-lein“, „Bäch-lein“ (dazu viele weitere dialektale Varianten).

Einige häufige Adjektivierungssuffixe sind:[19]

  • -lich 1. (Substantiv → Adjektiv): „Mann“ → „männ-lich“, „Vertrag“ → „vertrag-lich“; 2. (Verb → Adjektiv): „vertrag(-en)“ → „verträg-lich
  • -bar (Verb → Adjektiv): „wasch(-en)“ → „wasch-bar
  • -los (Substantiv → Adjektiv): „mühe-los

Adverbien können auch durch Suffixe gebildet werden (siehe auch unter Adverb #Abgeleitete Adverbien im Deutschen); anders als bei den anderen Wortarten gibt es hier keine Präfixe. Beispiele:[20]

  • -s 1. (Substantiv → Adverb): „mittag-s“ (siehe auch Adverb #Adverb und Substantiv); 2. (Adjektiv (Superlativ) → Adverb): „schnell-st-en-s
  • -maßen (Adjektiv → Adverb): „bekannt-er-maßen
  • -weise (Adjektiv → Adverb): „fälschlich-er-weise“ (mit -er als Interfix oder Zusammenfassung zu „-erweise“)[21]

Wortbildungsaffixe können auch aus anderen Sprachen entlehnt werden. Im Deutschen und vielen anderen Sprachen werden vor allem wissenschaftliche Begriffe (aus systematischen Gründen) oft aus griechischen Suffixen und/oder lateinischen Suffixen gebildet.

Ortsnamen

In deutschen Ortsnamen sind teilweise spezielle Suffixe auszumachen. Sie bilden Örtlichkeitsbezeichnungen z. B. aus Pflanzennamen (Eschede „Eschenort“, Fehrbellin „Weidenort“ zu slawisch verba „Weide“) oder Einwohnernamen aus Personennamen (z. B. Göppingen „bei den Leuten des Geppo“). Patronyme Suffixe geben Hinweise auf den Namen des Gründers oder einer wichtigen Person im Ortsnamen (Patron), z. B. Rochlitz zum slawischen Vornamen Rochol, Jülich (← Juliacum) nach Julius Caesar. Ein bedeutender Teil dieser Elemente in Ortsnamen gehen auf Komposita zurück, zum Beispiel mit -hausen, -heim, -hof. Sie wurden in der Sprachgeschichte zu Suffixen verschliffen; z. B. -heim/-hausen zu -em, -en, -um wie in altsächsisch *Ōdfrīdes hūsun[22]Otfredessen (1542) → Othfresen (Landkreis Goslar).

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Suffix – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Literatur

  • Duden. Die Grammatik (= Der Duden, 4). 8., überarbeitete Auflage. Dudenverlag, Mannheim u. a. 2009, ISBN 978-3-411-04048-3.
  • Hilke Elsen: Grundzüge der Morphologie des Deutschen. 2. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-035893-3.
  • Wolfgang Fleischer, Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-025663-5.
  • Christopher Hall: Prefixation, suffixation and circumfixation. In: Geert Booij, Christian Lehmann, Joachim Mugdan (Hrsg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An International Handbook on Inflection and Word-Formation. Band 1 (= HSK, 17-1). Walter de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-011128-4, S. 535–545.
  • Pavol Štekauer, Salvador Valera, Lívia Körtvélyessy: Word-Formation in the World’s Languages. A Typological Survey. Cambridge University Press, Cambridge (UK) 2012, ISBN 978-0-521-76534-3.
  • Richard Wiese: The phonology of German. Oxford University Press, 1996, ISBN 978-0-19-829950-9.

Einzelnachweise

  1. Wiese (1996), S. 57.
  2. Dudengrammatik (2009), Randnr. 25 / S. 37f.
  3. Vgl. die Beispiele in der Dudengrammatik (2009), Randnr. 25 / S. 37f.
  4. Wiese (1996), S. 68.
  5. Joachim Mugdan: Units of Word-Formation. In: Peter O. Müller, Ingeborg Ohnheiser, Susan Olsen, Franz Rainer (Hrsg.): Word-Formation. An International Handbook of the Languages of Europe (5 Bände). De Gruyter, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-024624-7, Band 1, Artikel 15, S. 235–301, hier S. 263.
  6. Hall (2000), S. 535.
  7. Heinz Riesel: Morphologiedidaktische Sondierungen – erste Bestandsaufnahmen und Perspektiven für eine qualitative Wende. In: Ursula Bredel, Hartmut Günther (Hrsg.): Orthographietheorie und Rechtschreibunterricht. De Gruyter, Berlin/Boston 2006, S. 49, ISBN 978-3-11-092119-9.
  8. Birgit Mesch: Anknüpfungspunkte für eine Interface-Didaktik des Verbs – am Beispiel von Präfix- und Partikelverben. In: Birgit Mesch, Björn Rothstein (Hrsg.): Was tun mit dem Verb? Über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer didaktischen Neuerschließung des Verbs. Walter de Gruyter, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-039338-5, S. 283–322. Siehe S. 305, 313.
  9. So auch in Manfred Krifka et al. (Hrsg.): Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Springer VS, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-34314-8, passim.
  10. Hall (2000), S. 535 f.
  11. Joachim Mugdan: Suffix. In Peter O. Müller, Susan Olsen (Hrsg.): Wortbildung. (= Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (WSK), 2.2). Walter de Gruyter, Berlin 2022, ISBN 978-3-11-070899-8 (elektronisch), S. 645–646.
  12. Lívia Körtvélessy: Word Formation in Slavic Languages. In: Poznań Studies in Contemporary Linguistics, 52(3), 2016, S. 455–501, doi:10.1515/psicl-2016-0002. Siehe S. 475 f., von dort das erste Beispiel.
  13. Beispiel aus: Martin Haspelmath: The diachronic externalization of inflection. In: Linguistics, 31 (1993), S. 279–309. Siehe S. 287.
  14. Elsen (2014), S. 70.
  15. Elsen (2014), S. 147 f.
  16. Elke Ronneberger-Siebold: Deutsch. In: Gert Booij, Christian Lehmann, Joachim Mugdan (Hrsg.): Morphologie / Morphology. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung / An International Handbook on Inflection and Word-Formation. 2 Bände. Walter de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-011128-4, Band 2, Abschnitt XVI – Systeme morphologischer Struktur: Sprachskizzen, S. 1267–1285. Hier: S. 1269 (rechte Spalte) für Substantive bzw. S. 1271 r. Sp. für Verben. Der Vergleich zu Adjektiven von S. 1270 li. Sp.
  17. Fleischer & Barz, S. 376.
  18. Vgl. Fleischer & Barz (2012), S. 56.
  19. Vgl. Fleischer & Barz (2012), S. 57.
  20. Fleischer & Barz (2012), S. 58.
  21. Fleischer & Barz (2012), S. 58 trennen das -er bei -ermaßen ab, jedoch nicht durchweg bei -erweise.
  22. Wiktionary: hūs