Lukas Rietzschel

Lukas Rietzschel (* 16. März[1] 1994 in Räckelwitz) ist ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker.

Lukas Rietzschel (2018)

Leben

Lukas Rietzschel wuchs in Kamenz in der sächsischen Oberlausitz in einer protestantischen Familie auf.[2] In Sachsen erwarb er die Fachhochschulreife.

Ein Studium an einer Universität war für ihn eigenen Angaben zufolge nur in Kassel möglich, weil man dort „auch ohne Abitur mit der Fachhochschulreife studieren“ könne.[3] Dieser Umstand führte zu Rietzschels zeitweiligem Wohnsitzwechsel nach Kassel, wo er neue Erfahrungen mit der Mentalität überwiegend westdeutscher Kommilitonen machte. An der Universität Kassel studierte er Politikwissenschaft und Germanistik. Nach seinem Weggang aus Kassel studierte Rietzschel an der Hochschule Zittau/Görlitz Kulturmanagement. Thema seiner Masterarbeit ist der Entwurf für ein jüdisches Museum in Görlitz,[4] wo der Autor auch derzeit wohnt.[5] Lukas Rietzschel baut in Görlitz das Literaturhaus in der Alten Synagoge mit auf, um einen Ort der Begegnung und Diskussion zu schaffen.[6]

2015 nahm Rietzschel erstmals am „Treffen Junger Autoren“ teil. Online gestellt ist ein Auszug aus dem Text Über dem Plastikdach die Sterne, der auf dem damaligen Treffen präsentiert wurde:

„Und ich bekam den Eindruck, dass sie sich abgeschüttelt fühlten, zwar wiedervereint, aber allein gelassen und dass sich niemand für sie interessieren würde, nicht für ihre Meinung, nicht für ihre Geschichte. ‚So habe ich mir das nicht vorgestellt‘, sagte eine Frau, eine Cousine von Andreas und ein paar nickten. Aber dieses Selbstmitleid mündete in nichts, versackte, wie es ausgesprochen war.“[7]

2021 betrieb Rietzschel mit dem Journalisten Cornelius Pollmer den Podcast Notizen aus der Provinz, in dem die beiden Themen besprechen, die abseits der Großstädte verhandelt werden.

Rietzschel trat 2017 in die SPD ein und ist Beisitzer[8] im Vorstand des Ortsvereins Görlitz der SPD.[9][10] 2022 war er Mitgründer des PEN Berlin.[11]

Werk

Lukas Rietzschel signiert ein Buch im Frankfurter Kunstverein (2021)

2012 erschien Rietzschels erste Veröffentlichung im ZEIT Magazin. Danach erschienen dort weitere Texte von ihm. Kürzere Texte hat Lukas Rietzschel auch für andere Zeitungen geschrieben sowie in verschiedenen Anthologien veröffentlicht, darunter einen Auszug aus dem Nachfolgeroman zu seinem Erfolgsbuch Mit der Faust in die Welt schlagen.[12]

„Mit der Faust in die Welt schlagen“ (2018)

„Raumfahrer“ (2021)

Publizist Rietzschel nach einer Lesung im Rahmen der Frankfurter Buchmesse (2021)

Am 23. Juli 2021 erschien Lukas Rietzschels zweiter Roman Raumfahrer, der die Geschichte des Krankenpflegers Jan Nowak mit der Familiengeschichte rund um den Maler Georg Baselitz verknüpft. Wie schon im Debütroman ist der Handlungsort die Oberlausitz. Der Roman arbeitet mit zahlreichen Auslassungen und Zeitsprüngen und erzählt die Geschichte seiner Protagonisten nicht chronologisch, sondern parallel. So kommt es vor, dass Passagen aus dem Leben der Brüder Günter und Hans-Georg Kern (so der bürgerliche Name von Georg Baselitz) u. a. der Fluchtversuch des jüngeren Bruders oder verschiedene Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit, neben jenen aus dem Leben des 1989 geborenen Jan und dessen Eltern stehen.

Der Titel des Romans bezieht sich nach Rietzschel nicht etwa auf Astronauten, sondern auf Menschen, die „zwischen Gegenwart und Vergangenheit schweben[13]“, die ihren Halt verloren haben, losgelöst leben von Zeit und Raum. Dabei bezieht sich der Autor nicht allein auf die Erfahrungen der Nachwendezeit, sondern stellt die These auf, dass die Entbehrungen und Verletzungen der Nachkriegsjahre mit jenen nach 1989 vergleichbar seien. Exemplarisch beschreibt er dieses Gefühl anhand der Gemäldeserie „Helden“ von Georg Baselitz aus den 1960er Jahren.

Rezensionen

Für die Rezensentin Miriam Zeh (Deutschlandfunk Kultur) schreibt aktuell niemand einfühlsamer über Männlichkeit als Lukas Rietzschel[14]. Die Kritikerin trifft auf jede Menge Männer im zweiten Roman des jungen Autors: Zunächst begegnet sie Pfleger Jan aus Kamenz, der von einem alten Mann, Sohn von Georg Baselitz’ Bruder Günther Kern, einen Karton überreicht bekommt, in dem es um Verstrickungen zwischen der Baselitz-Familie und der Trennung von Jans Familie gehen soll. Jan sucht den Kontakt zu seinem Vater, recherchiert über den wenig bekannten Baselitz-Bruder und dessen Observierung durch die Stasi und stößt auf verschollene Baselitz-Bilder. Trotz diverser „Knalleffekte“ konzentriert sich Rietzschel in dieser Mischung aus Generationenroman und fiktionalisierter „Künstlerbruder-Biografie“ auf das Wesentliche, skizziert die Gegend und ihre Bewohner und lässt seine Figuren „schweben“, lobt die Kritikerin.

Rezensent Jörg Magenau (Süddeutsche Zeitung) scheint sich zu wundern, dass die spröde, sparsame Erzählweise von Lukas Rietzschel ihn mehr anzieht als abstößt. Die teilweise auf Tatsachen basierende Geschichte um die Familie Baselitz aus Kamenz, die der Autor mit der Geschichte eines jungen Krankenpflegers aus der Oberlausitz verzahnt, scheint für Magenau vielschichtig und gekonnt komponiert. Das Buch ist für ihn Stasiroman und exemplarisches postsozialistisches Zeitpanorama in einem, geschrieben mit einem ordentlichen Schuss Heimatliebe[15].

Rezensent Marc Reichwein (Die Welt) zeigt sich überzeugt von Lukas Rietzschels Nachwenderoman. Zwar bietet der Text laut Rezensent eine Menge Stoff auf, ist Stasi-Krimi, Sittenbild und Künstlerroman zugleich, vermag es aber, die verschiedenen Handlungsstränge um die disruptive Erfahrung der Nachwendeära gekonnt zu verbinden. Die Familiengeschichte eines Krankenpflegers und die der Familie des Malers Georg Baselitz aus Kamenz erzählt der Autor laut Reichwein dicht und in dramatischer Bildlichkeit und indem der seinen epischen Stoff in elegante Prosa übersetzt[16].

Bearbeitung für die Bühne

Die bislang einzige Adaption des Textes stammt von Paula Thielecke und wurde am 9. September 2022 im Staatstheater Cottbus uraufgeführt. Die Kritiken zu dieser Inszenierung sind mehrheitlich verhalten bis negativ.[17]

Auszeichnungen und Nominierungen

Veröffentlichungen

Romane

Theatertexte

Texte für Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien (Auswahl)

  • Heimverteidigung mit allen Mitteln. 54stories.de. 20. Dezember 2016 (online)
  • Generation Y – Chemnitz: Solidarität, endlich! Zeit Campus. 16. September 2018 (zeit.de)
  • Gundermann: Frau Liebaus Lieblingslied. In: Die Zeit. Ausgabe 50/2018. 3. Dezember 2018 (zeit.de)
  • Lausitz: Und jetzt guckt ihr. In: Die Zeit. Ausgabe 5/2019. 24. Januar 2019 (zeit.de)
  • Bitte behelligen Sie uns! Bayerischer Rundfunk, 16. November 2021 ((br.de))
  • Dunkelretreat – Was erkennen wir im Dunkeln? In: Die Zeit. Ausgabe 3/2022. 12. Januar 2022 (zeit.de)

Filme und Podcasts

Commons: Lukas Rietzschel – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Lukas Rietzschel: Wie schnell die Freiheit verschwinden kann. In: Zeit Online. 20. April 2020, abgerufen am 4. Juni 2020.
  2. Ulrich Seidler: Lukas Rietzschel: „AfD zu wählen, ist legitimes Bürgerrecht in einer Demokratie“. 28. Juli 2024, abgerufen am 28. Juli 2024.
  3. Nachwendezeit: „Die Antwort liegt in der Vergangenheit“. Lukas Rietzschel im Gespräch mit Kathrin Hondl. deutschlandfunk.de, 3. Oktober 2018, abgerufen am 7. Februar 2024.
  4. Philipp Ettel Buchtipp: „Mit der Faust in die Welt schlagen“. sputnik.de. 6. September 2018, abgerufen am 16. Februar 2020.
  5. Lieblingsbuchhandlung: Lukas Rietzschel über die Comenius-Buchhandlung in Görlitz. boersenblatt.net, erschienen und abgerufen am 14. September 2018.
  6. Die Ullstein Buchverlage präsentierten Höhepunkte aus dem Herbstprogramm. buchmarkt.de. 7. Juni 2018, abgerufen am 14. September 2018.
  7. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Lukas Rietzschel – 21 Jahre aus Kassel (Hessen) (Memento vom 14. September 2018 im Internet Archive). In: Berliner Festspiele. 30. Treffen junger Autoren. 19. bis 23. November 2015, S. 38 f. (36 f.), abgerufen am 15. September 2018.
  8. SPD Görlitz: Vorstand. Abgerufen am 30. Januar 2020.
  9. Karin Großmann: Der wahre Politthriller findet im Ortsverein statt. In: Sächsische Zeitung. 6. September 2019, S. 13.
  10. SZ/sb: Görlitzer SPD hat einen eigenen OB-Kandidaten. In: Sächsische Zeitung. 2. Oktober 2018, abgerufen am 11. September 2019.
  11. Mitgründer:innen. Archiviert vom Original am 18. Juli 2022; abgerufen am 18. Juli 2022.
  12. Lukas Rietzschel: Die Ich-AG. faz.net, 30. Oktober 2019, abgerufen am 30. Januar 2020.
  13. Vom Verlust aller Gewissheiten. ZDF, 10. September 2021, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  14. Miriam Zeh: Der unbekannte Bruder. 2. August 2021, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  15. Jörg Magenau: Stillgelegtes Land. 3. August 2021, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  16. Marc Reichwein: Was der Karpfen über die Ostdeutschen verrät. 24. Juli 2021, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  17. Michael Bartsch: Raumfahrer – Staatstheater Cottbus – Paula Thielecke und Jan Koslowski bringen Lukas Rietzschels Lausitz-Roman im Powermodus auf die Bühne. 9. Februar 2024, abgerufen am 9. Februar 2024 (deutsch).
  18. Chronik der Autor*innen – Treffen junger Autor*innen. Berliner Festspiele, abgerufen am 1. November 2022.
  19. Sechs Romandebüts stehen im Finale. In: boersenblatt.net, 7. September 2018, abgerufen am 13. September 2018.
  20. https://www.kulturkreis.eu/kuenstlerfoerderung/literatur/text-sprache-2020. Abgerufen am 18. Januar 2023.
  21. Stipendiaten 2023 auf der Website der Villa Aurora
  22. Literaturpreis Text & Sprache 2023 für Lukas Rietzschel. Abgerufen am 3. April 2023.
  23. Salerno, annunciata la terna finalista del Premio Salerno Libro d’Europa. 10. Mai 2023, abgerufen am 13. Mai 2023 (italienisch).
  24. Schauspiel Leipzig: Widerstand (UA), von Lukas Rietzschel - 30.10.2021, 20:00 — 21:02 | Schauspiel Leipzig. Abgerufen am 23. Oktober 2021.