Großer Preis von Frankreich 1948

Der XXXV. Große Preis von Frankreich (XXI Grand Prix de l’Automobile Club de France)[1] fand am 18. Juli 1948 auf dem Circuit de Reims-Gueux in Frankreich statt. Das Rennen zählte zur Kategorie der Grandes Épreuves und wurde nach den Bestimmungen der Internationalen Grand-Prix-Formel bzw. Formel 1 (Rennwagen mit Motoren bis 1,5 Liter Hubraum mit Kompressor bzw. bis 4,5 Liter Hubraum ohne Kompressor; Renndistanz mindestens 300 km bzw. mindestens drei Stunden Renndauer) über 64 Runden à 7,816[2] km ausgetragen, was einer Gesamtdistanz von 500,224 km entsprach.

Sieger wurde Jean-Pierre Wimille mit einem Alfa Romeo Tipo 158 „Alfetta“. Mit Consalvo Sanesi und Alberto Ascari auf den Plätzen zwei und drei kam das Alfa-Romeo-Team dabei zu einem Dreifacherfolg.

Das Rennen

Nachdem sich die Behelfs-Rennstrecke von Lyon-Parilly im Vorjahr eines Grand-Prix-Rennens als komplett unwürdig erwiesen hatte, kehrte der Frankreich-Grand-Prix 1948 mit dem schnellen Dreieckskurs von Reims-Gueux wieder an einen seiner traditionellen Austragungsorte zurück.

Trotz der anhaltenden Siegesserie mit dem Erfolgsmodell „Alfetta“ erschien die Mannschaft von Alfa Romeo in äußerst gedrückter Stimmung zum Rennen. Nach dem Unfalltod von Achille Varzi im Training zum Großen Preis der Schweiz hatte sich Carlo Felice Trossi unmittelbar nach seinem dortigen Sieg zur Behandlung seines Gehirntumors in eine Klinik begeben müssen, so dass das ehedem so eindrucksvoll besetzte Team mit Jean-Pierre Wimille nur noch über einen fest verpflichteten Spitzenfahrer verfügte, der sich zudem in der Vergangenheit einige Male durch Nichtbeachtung der Stallorder bei der Teamleitung um Gianbattista Guidotti recht unbeliebt gemacht hatte. Der nunmehr zum zweiten Fahrer aufgestiegene Consalvo Sanesi war dagegen in erster Linie ursprünglich deswegen unter Vertrag genommen worden, um die eigene Firmenbelegschaft durch Verpflichtung eines „Werktätigen“ – Sanesi war angestellter Testfahrer des Konzerns – zufrieden zu stellen, konnte aber fahrerisch nie an die Leistungen seiner wesentlich erfolgreicheren Teamkollegen heranreichen. Um die von Varzi und Trossi hinterlassene Lücke wenigstens einigermaßen zu schließen, wurde für dieses eine Rennen daher der aufstrebende Nachwuchsfahrer Alberto Ascari ins Team aufgenommen, der damit unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit in die Fußstapfen seines zu diesem Zeitpunkt noch wesentlich berühmteren Vaters Antonio Ascari, dem Sieger der Großen Preise von Italien 1924 und von Belgien 1925, jeweils auf Alfa Romeo, trat.

Die Verpflichtung Ascaris stellte gleichzeitig auch eine erhebliche Schwächung im Lager des in dieser Saison bislang einzigen halbwegs ernstzunehmenden Alfa-Romeo-Konkurrenten dar, wo nun Ascaris enger Freund Luigi Villoresi – der sich nach dem frühen Unfalltod seines Bruders Emilio in 1939 geschworen hatte, nie für Alfa Romeo zu fahren – nun praktisch ganz allein die Fahne von Maserati am Steuer seines von der Scuderia Ambrosiana als halboffizielles Werksteam eingesetzten neuen Maserati 4CLT/48[3] hochhalten musste. Ältere Maserati-Modelle wurden außerdem von Raymond Sommer, Emmanuel de Graffenried und Nello Pagani gefahren, waren gegen die übermächtigen Alfetta aber praktisch von vorneherein chancenlos.

Ebenso unterlegen, aber zumindest in der Zwischenzeit deutlich standfester erwiesen sich dagegen die Lago-Talbot mit ihren genügsamen 4,5-Liter-Sechszylinder-Saugmotoren, von denen neben den zwei Vorkriegs-Prototypen der Ecurie France mit Louis Chiron (auf dem „Monoplace Centrale“) und Yves Giraud-Cabantous („Monplace Decalée“) am Steuer mittlerweile nicht weniger als vier aktuelle Grand-Prix-Modelle vom Typ Talbot T26C für die Privatfahrer Philippe Étancelin, Louis Rosier, George Raphaël Béthenod de Montbressieux (aka „Georges Raph“) und Gianfranco Comotti – bis auf Rosier allesamt Grand-Prix-Veteranen der Vorkriegszeit – zur Verfügung standen.

Relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit erfolgte außerdem das Grand-Prix-Debüt des in Europa noch weitgehend unbekannten Argentiniers Juan Manuel Fangio – der jedoch schon bald zu den ganz Großen des Automobilsports gezählt werden sollte – am Steuer eines deutlich untermotorisierten Simca-Gordini T11 Formel-2-Rennwagen. Schließlich tauchte zum Training auch der französische Nationalrennwagen CTA-Arsenal noch einmal auf, wurde aber nach einer erneut blamabel verlaufenden Vorstellung schließlich endgültig zur Seite gestellt.

Während des Trainings gelang es Wimille mit seiner Alfetta, bereits wieder nah an die 1939 von Hermann Lang noch auf dem 3-Liter-Mercedes-Benz W154 aufgestellte Trainingsbestzeit heranzukommen, und auch im Rennen lag er die ersten 20 Runden hindurch völlig unangefochten vor seinem neuen Teamkollegen Ascari in Führung. Das einzige Spannungsmoment hatte zunächst Villoresi geboten, der sich von seiner hinteren Startposition – die Maserati-Mannschaften waren berüchtigt dafür, zu den Rennen häufig zu spät für die Trainingssitzungen anzureisen – innerhalb einer Runde quer durchs gesamte Feld nach vorne arbeiten und in der zweiten Runde sogar den drittplatzierten Alfa Romeo von Sanesi hinter sich lassen konnte. Bald musste er jedoch erneut den Preis für seine materialbeanspruchende Fahrweise bezahlen und sein Rennen bestand ab der siebten Runde im Prinzip nur noch aus einer Abfolge von regelmäßigen Reparaturstopps für seinen Maserati, während der auch der als Ersatzfahrer gemeldete Topstar der Vorkriegszeit Tazio Nuvolari, körperlich und psychisch bereits schwer gezeichnet, beim allerletzten Grand-Prix-Einsatz seiner Karriere das Auto für ein paar Runden übernahm.

Aber auch am Alfa Romeo von Wimille stellten sich nun mehr und mehr Probleme ein. In der 20. Runde musste er seine Führungsposition wegen eines außerplanmäßigen Reifenwechsels zum ersten Mal an Ascari abgeben, der jedoch von den Boxen aus an die ausgegebene Stallregie erinnert wurde und seinen Teamkapitän wenige Umläufe später wieder passieren ließ. Nach den planmäßigen Tankstopps zu Rennmitte musste Wimille ab der 36. Runde die Boxen mit leckgeschlagenem Kühler noch drei weitere Male aufsuchen, um Kühlflüssigkeit nachzufüllen. Nur unter großen Mühen gelang es dem Team, Ascari möglichst unauffällig für das Publikum – unter anderem durch einen vorsorglichen Boxenstopp für eine gründliche Inspektion seines Rennwagens – so weit einzubremsen, dass Wimille wie vorgesehen den Sieg vor heimischer Kulisse doch noch erringen konnte. Ascari beugte sich schließlich der Teamorder sogar noch ein weiteres Mal und ließ auch Sanesi noch passieren.

Am Ende kam Alfa Romeo trotz dieser Widrigkeiten somit sogar noch zu einem Dreifacherfolg mit Comotti auf seinem Talbot als bestplatzierter Fahrer eines „Fremdfabrikats“ mit ganzen zwei Runden Rückstand auf den Sieger auf Platz vier, Ausdruck totaler Alfa-Romeo-Dominanz.

Meldeliste

TeamNr.FahrerInfoChassisMotorReifen
Frankreich Écurie France02Monaco Louis ChironTalbot-Lago T26 „Monoplace Centrale“Talbot-Lago T26 4.5L I6
04Frankreich Yves Giraud-CabantousTalbot-Lago T26 „Monoplace Décalée“
FrankreichFrankreich Écurie Mundia Course06Frankreich „Raph“Talbot-Lago T26CTalbot-Lago T26 4.5L I6
Frankreich Écurie Rosier08Frankreich Louis RosierTalbot-Lago T26CTalbot-Lago T26 4.5L I6
Italien G. Comotti10Italien Gianfranco ComottiTalbot-Lago T26CTalbot-Lago T26 4.5L I6
Frankreich Écurie Lutetia12Frankreich Eugène ChaboudDelahaye 135S „Spéciale“Delahaye 175 4.5L V12
14Frankreich Charles PozziTalbot-Lago T150C/T26SS „Spéciale“Talbot-Lago T26 4.5L I6
Frankreich Centre d’étude technique de l’automobile et du cycle16Frankreich Eugène MartinDNS⁠aCTA-ArsenalCTA-Arsenal 1.5L V8 Kompressor
18Frankreich Raymond SommerDNSb
18Frankreich Raymond SommerMaserati 4CLMaserati 4CL 1.5L I4 Kompressor
Frankreich Équipe Simca-Gordini20Italien Giuseppe FarinaDNASimca-Gordini T15Simca-Gordini 1.4L I4
20Frankreich Pierre Veyron
22Argentinien Juan Manuel Fangio
Frankreich P. Étancelin24Frankreich Philippe ÉtancelinTalbot-Lago T26CTalbot-Lago T26 4.5L I6
Italien Alfa Corse26Italien Carlo Felice TrossiDNAcAlfa Romeo 158Alfa Romeo 1.5L I8 Kompressor
26Italien Alberto Ascari
28Italien Consalvo Sanesi
30Frankreich Jean-Pierre Wimille
Italien Scuderia Ambrosiana32Italien Luigi Villoresi/
Italien Tazio Nuvolari
Maserati „4CLT/48“dMaserati 4CL 1.5L I4 Kompressor
34Italien Alberto AscariDNAe
Argentinien Automóvil Club Argentino36Argentinien Oscar GálvezDNAMaserati 4CLMaserati 4CL 1.5L I4 Kompressor
38Argentinien Juan Manuel FangioDNAf
Italien Scuderia E. Platé40Schweiz Emmanuel de GraffenriedMaserati 4CL(T)gMaserati 4CL 1.5L I4 Kompressor
42Italien Nello Pagani
Italien Scuderia Besana44Italien Soave BesanaFerrari 166 Spyder Corsa/„Inter“Ferrari 166 2.0L V12
Vereinigtes Konigreich HW Motors46Vereinigtes Konigreich John HeathAlta „Grand Prix“Alta 1.5L I4 Kompressor
46Vereinigtes Konigreich George AbecassisRES
Thailand White Mouse Stableh48Thailand „B. Bira“EXCiERA B-TypeERA 1.5L I6 Kompressor
Vereinigtes Konigreich ERA Ltd.50Vereinigtes Konigreich Leslie JohnsonDNAjERA E-TypeERA 1.5L I6 Kompressor
Vereinigtes Konigreich L. Brooke52Vereinigtes Konigreich Leslie BrookeDNAiERA B-TypeERA 1.5L I6 Kompressor
a 
Auto nicht rennbereit.
b 
Aufgrund der enttäuschenden Trainingsleistungen stieg Sommer für das Rennen auf seinen persönlichen Maserati um.
c 
Wegen Erkrankung nicht angetreten.
d 
Maseratis 1948er Modell lief weiterhin offiziell unter der Typbezeichnung 4CL, wich aber sowohl technisch als nun auch in der Formgebung von der ursprünglichen Baureihe ab. Zur Unterscheidung wird in der Literatur daher üblicherweise die Modellangabe „4CLT/48“ verwendet.
e 
Ascari trat stattdessen für Alfa Romeo an.
f 
Fangio trat stattdessen für Simca-Gordini an.
g 
Bei Maseratis 1947er Baureihe waren die bisherigen Profilträger im Chassis nun durch einen Rohrrahmen (Italienisch: „tubolare“) ersetzt worden, bei einigen Fahrzeuge kamen außerdem bereits Motoren mit zweistufiger Kompressoraufladung zum Einsatz. Generell entsprachen Konstruktion und Formgestaltung jedoch weitgehend dem Ursprungsmodell, wie auch die offizielle Typbezeichnung „4CL“ weiterhin beibehalten wurde.
h 
Das Team gab seine Meldungen verschiedentlich unter White Mouse Stable, Prince Chula of Siam oder durch „B. Bira“ persönlich ab.
i 
Fahrzeug wegen Überalterung nicht zum Rennen zugelassen.
j 
Auto nicht rennbereit.

Klassifikation

Startaufstellung

321
Italien Sanesi
2:51,2 min
Italien Ascari
2:44,7 min
Frankreich Wimille
2:35,2 min
54
Monaco Chiron
2:54,8 min
Frankreich Étancelin
2:54,6 min
876
Frankreich „Raph“
2:57,6 min
Frankreich Giraud-Cabantous
2:57,4 min
Italien Comotti
2:55,8 min
109
Frankreich Rosier
3:05,2 min
Frankreich Chaboud
3:04,8 min
131211
Frankreich Pozzi
3:10,4 min
Frankreich Sommer
3:07,2
Argentinien Fangio
3:05,4 min
1514
Schweiz de Graffenried
ohne Zeit
Italien Besana
ohne Zeit
181716
Vereinigtes Konigreich Heath
ohne Zeit
Frankreich Veyron
ohne Zeit
Italien Villoresi
ohne Zeit
19
Italien Pagani
ohne Zeit

Rennergebnis

Pos.Nr.FahrerKonstrukteurRundenZeitAusfallgrund
130Frankreich Jean-Pierre WimilleItalien Alfa Romeo643:01:07,5 h
228Italien Consalvo SanesiItalien Alfa Romeo643:01:32,0 h
326Italien Alberto AscariItalien Alfa Romeo643:01:32,5 h
410Italien Gianfranco ComottiFrankreich Talbot62+ 2 Runden
56Frankreich „Raph“Frankreich Talbot62+ 2 Runden
68Frankreich Louis RosierFrankreich Talbot60+ 4 Runden
732Italien Luigi Villoresi/
Italien Tazio Nuvolari
Italien Maserati59+ 5 Runden
812Frankreich Eugène ChaboudFrankreich Delahaye59+ 5 Runden
92Monaco Louis ChironFrankreich Talbot49+ 15 Runden
(10)14Frankreich Charles PozziFrankreich Talbot45+ 19 Rundennicht im Ziel, aber gewertet?
DNF22Argentinien Juan Manuel FangioFrankreich Simca-Gordini41Motor
DNF42Italien Nello PaganiItalien Maserati37Ölleitung
DNF4Frankreich Yves Giraud-CabantousFrankreich Talbot31Benzintank undicht
DNF24Frankreich Philippe ÉtancelinFrankreich Talbot22Motor
DNF44Italien Soave BesanaItalien Ferrari19Motor
DNF40Schweiz Emmanuel de GraffenriedItalien Maserati11Ölleitung
DNF46Vereinigtes Konigreich John HeathVereinigtes Konigreich Alta7Kupplung
DNF20Frankreich Pierre VeyronFrankreich Simca-Gordini5Ölpumpe
DNF18Frankreich Raymond SommerItalien Maserati2Pleuellager
DNS16Frankreich Eugène MartinFrankreich CTA-ArsenalAuto unfahrbar
DNS18Frankreich Raymond SommerFrankreich CTA-ArsenalAuto unfahrbar
EXC48Thailand „B. Bira“Vereinigtes Konigreich ERAFahrzeug wegen Überalterung nicht zur Rennteilnahme zugelassen
EXC48Vereinigtes Konigreich Leslie BrookeVereinigtes Konigreich ERAFahrzeug wegen Überalterung nicht zur Rennteilnahme zugelassen

Schnellste Rennrunde: Frankreich Jean-Pierre Wimille (Alfa Romeo), 2:41,2 min = 174,5 km/h

Anmerkungen

  1. Das erste als Grand Prix de l’ACF organisierte Rennen fand 1906 statt. In den 1920er Jahren wurden jedoch rückwirkend auch den „großen“ Stadt-zu-Stadt-Rennen der Anfangsjahre zwischen 1895 und 1903 dieser Titel verliehen, obwohl das Gründungsdatum des ACF sogar erst nach dem Rennen Paris-Bordeaux-Paris 1895 liegt. Durch diese Zählweise wurde die Veranstaltung von 1906 nachträglich zum offiziell neunten Grand Prix de l’A.C.F ernannt. Diese Nummerierung wurde auch nach der 1968er Umbenennung des Grand Prix de l’ACF zum Grand Prix de France durchgängig weiter fortgeführt.
  2. Wert errechnet, wer kann bitte belegte Angaben ergänzen?
  3. Die offizielle Typbezeichnung lautete weiterhin 4CL wie beim Vorgängermodell, die Benennung als 4CLT/48 wurde zur besseren Unterscheidung erst nachträglich in der Literatur eingeführt, hat sich seitdem jedoch mittlerweile allgemein durchgesetzt.