Benjamin Hasselhorn

Benjamin Hasselhorn (* 9. Mai 1986 in Göttingen) ist ein deutscher evangelischer Theologe und Historiker. Er forscht und publiziert insbesondere zu historischen Mythen, zur Wirkungsgeschichte des Reformators Martin Luther sowie zu Kaiser Wilhelm II., dem Ende der Monarchie in Deutschland und der Rolle der Hohenzollern nach 1918.

Leben und Wirken

Benjamin Hasselhorn ist der Sohn des Psychologen Marcus Hasselhorn, der Opernsänger Samuel Hasselhorn ist sein jüngerer Bruder.[1] Er besuchte das Gymnasium Corvinianum in Northeim, wo Karlheinz Weißmann sein Geschichtslehrer war,[2] und legte dort im Jahre 2004 sein Abitur ab. Anschließend studierte er bis 2008 Evangelische Theologie, Geschichte und Pädagogik an den Universitäten Göttingen und Mainz. Danach war er bis 2011 Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Er wurde mit einer Dissertation in Systematischer Theologie über die Politische Theologie Wilhelms II. an der Humboldt-Universität zu Berlin bei Notger Slenczka promoviert.

Zwischen 2011 und 2014 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München und als Lehrbeauftragter für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau. 2014 wurde er bei Hans-Christof Kraus mit einer Arbeit über den deutsch-baltischen Historiker Johannes Haller zum Dr. phil. promoviert. Von 2014 bis 2019 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und war Kurator der Nationalen Sonderausstellung 2017 „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ im Augusteum des Wittenberger Lutherhauses. Seit April 2019 ist er Akademischer Rat auf Zeit am Lehrstuhl für Neueste Geschichte von Peter Hoeres an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.[3]

Sein Buch Das Ende des Luthertums? ist eine Streitschrift, in der er trotz aller Aktivitäten zum Reformationsjubiläum 2017 eine Krise des Lutherischen ausmacht.[4] Dabei betonte Hasselhorn in einem 3sat-Interview am Ende des Lutherjahres, es sei ein Fehler gewesen, dass die evangelische Kirche das Reformationsjubiläum „vorbei an Martin Luther“ habe feiern wollen. Auf Luther statt auf Gesellschaftspolitik zu setzen, habe im Jubiläumsjahr dagegen funktioniert.[5]

Hasselhorn plädiert gemeinsam mit dem Historiker Mirko Gutjahr für die Faktizität von Martin Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517. Er beruft sich dabei neben der 2006 wiederentdeckten Notiz Georg Rörers zum Thesenanschlag auf eine Neuinterpretation des Leipziger Drucks der 95 Thesen, den er für den von Luther autorisierten Erstdruck hält.[6][7]

In seinem Buch Königstod. 1918 und das Ende der Monarchie in Deutschland vertritt Hasselhorn die These, dass der Sturz der Monarchie 1918 für den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland mitverantwortlich sei, und wirbt für einen „unvoreingenommenen Blick auf die letzte deutsche Monarchie“.[8] Darin vertritt Hasselhorn unter anderem die These, Kaiser Wilhelms II. Stärke sei, „allem Säbelrasseln zum Trotz, das Friedenskaisertum“ gewesen, da er sich stets für die „États-Unis de l’Europe“ eingesetzt habe. Diese Sicht nennt der Historiker Eckart Conze „ostentativ revisionistisch“.[9]

Entschädigungsforderungen der Hohenzollern und Kontroverse

Mit Blick auf die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern veranstaltete der Kulturausschuss des Bundestages im Januar 2020 eine Anhörung von Historikern und Juristen, in der es hauptsächlich um die Frage ging, ob der 1945 enteignete ehemalige Kronprinz Wilhelm dem nationalsozialistischen System „erheblich Vorschub“ geleistet habe. Hasselhorn nahm auf Einladung der CDU teil. Er erklärte, die Bedeutung Wilhelms für den Aufstieg des Nationalsozialismus ließe sich historisch nicht eindeutig beantworten, gute Argumente hätten beide Seiten. Nach seiner Ansicht seien die historischen Quellen bislang nicht ausreichend erschlossen und erforscht, um diese Frage abschließend zu beurteilen. Es gebe nicht einmal eine wissenschaftliche Biografie über den Kronprinzen.[10]

Daraufhin warf Niklas Weber, ein Doktorand am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin,[11] Hasselhorn im März 2020 in der Süddeutschen Zeitung vor, er gehöre einem neurechten Netzwerk in den Geisteswissenschaften an. Er habe in Cato, Cicero und der neurechten Blauen Narzisse publiziert und mehrfach für die evangelikale Nachrichtenseite idea geschrieben. Hasselhorn sei durch persönliche Kontakte ins neurechte Milieu eingebunden. Nun sei er von der CDU berufen worden, da er sich in der 3sat-Dokumentation „Wem gehören die Schätze des Kaisers?“ zu dieser Thematik geäußert hatte.[12] Hasselhorn verfasste eine Stellungnahme, in welcher er erklärte, er sei für die Blaue Narzisse als Autor nur tätig gewesen, als sie noch eine Schülerzeitung war. Auf seinen Wunsch hin seien sie auf der dazugehörigen Internetseite nicht mehr abrufbar. Völkisches, „identitäres“ und „national-soziales“ Denken lehne er ab.[13] Nach den Recherchen Niklas Webers hat Hasselhorn im Jahr 2014 wiederholt unter dem Pseudonym „Martin Grundweg“ in der neurechten Zeitschrift Sezession publiziert.[2] Auch das Pseudonym „Dominique Riwal“, unter dem 2019 eine Einführung in das Werk des „Gegen-Aufklärers“ Karlheinz Weißmann in der Festschrift zu dessen 60. Geburtstag erschien,[14] identifiziert Weber mit Benjamin Hasselhorn. „Riwal“ schreibe „in streckenweise identischem Wortlaut und identischer Syntax“ wie Hasselhorn in seiner ein Jahr zuvor erschienenen Monographie Königstod.[15][16][17]

Auszeichnungen

Veröffentlichungen

Monographien

  • Politische Theologie Wilhelms II. Duncker & Humblot, Berlin 2012, ISBN 978-3-428-13865-4 (zugl. theol. Dissertation, Humboldt-Universität, Berlin 2011/2012).
  • Johannes Haller. Eine politische Gelehrtenbiographie. Mit einer Edition des unveröffentlichten Teils der Lebenserinnerungen Johannes Hallers (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Band 93). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-525-36084-2 (zugl. phil. Dissertation, Universität Passau 2014) (als Vorschau online bei Google Books).
  • Das Ende des Luthertums? Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, ISBN 978-3-374-04883-0.
  • mit Mirko Gutjahr: Tatsache! Die Wahrheit über Luthers Thesenanschlag, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, ISBN 978-3-374-05638-5.
  • Königstod. 1918 und das Ende der Monarchie in Deutschland, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, ISBN 978-3-374-05730-6.

Herausgeberschaften

  • Luther vermitteln: Reformationsgeschichte zwischen Historisierung und Aktualisierung, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016, ISBN 978-3-374-04432-0.
  • mit Christian Kleinert: Johannes Haller (1865–1947). Briefe eines Historikers (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 71). Oldenbourg, München 2014, ISBN 3-11-036968-0.
  • mit Mirko Gutjahr, Catherine Nichols und Katja Schneider: Luther! 95 Schätze – 95 Menschen. Hirmer Verlag, München 2017, ISBN 978-3777428031.
  • mit Marc von Knorring: Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (= Prinz-Albert-Forschungen / Prince Albert Research Publications. Neue Folge, Band 1), Duncker & Humblot, Berlin 2018, ISBN 978-3-428-15358-9.

Aufsätze

  • Religion bei Wilhelm Bölsche. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 64 (2012), S. 117–137.
  • Religiöse Form. Das evangelische Kultusproblem und die Liturgische Bewegung der Zwischenkriegszeit. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 124 (2013), S. 17–38.
  • Johannes Haller (1865–1947). Briefe eines Historikers. In: Akademie aktuell 4 (2014), S. 62–65; sowie im Jahresbericht 2014 der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 2015, S. 31–46.
  • Der Mythos des Freiwilligen in den Befreiungskriegen. In: Roland Gehrke (Hrsg.): Von Breslau nach Leipzig. Wahrnehmung, Erinnerung und Deutung der antinapoleonischen Befreiungskriege (= Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte, Band 24), Köln 2014, S. 215–240.
  • Erinnerung im Streit. Zum Umgang der deutschen Geschichtswissenschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit. In: Erziehungswissenschaft 49 (2014), S. 27–36.
  • Die Freiwilligen der Befreiungskriege. In: Eberhard Birk, Thorsten Loch und Peter Andreas Popp (Hrsg.): Wie Napoleon nach Waterloo kam. Eine kleine Geschichte der Befreiungskriege 1813 bis 1815, Freiburg i. Br. 2015, S. 158–163.
  • Kriegsfreiwillige Reichstagsabgeordnete. Überlegungen zum historischen Realitätsgehalt des „Augusterlebnisses“ 1914. In: Lothar Höbelt (Hrsg.): European Parliaments in World War I (= Studia Universitatis Cibiniensis. Series Historica, Band 12), Sibiu 2015, S. 135–147.
  • Erfindung von Tradition? Viktorianische und wilhelminische Monarchie im Vergleich. In: Frank-Lothar Kroll und Martin Munke (Hrsg.): Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert (= Prinz-Albert-Studien, Band 32), Berlin 2015, S. 277–293.
  • Die Bismarckdeutschen – Die Verehrung des Reichskanzlers als politische Aussage. In: Die Mark Brandenburg, Nr. 97, Marika Grosser Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-910134-71-3.
  • Der Kaiser und sein Großvater. Zur politischen Mythologie Wilhelms II. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, NF 25 (2015), S. 321–335.
  • Wilhelm II. in neuer Sicht. Plädoyer für eine sachliche Beurteilung des letzten deutschen Kaisers. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, NF 25 (2015), S. 337–351.
  • Reflektiertes Erzählen. Lutherdeutung zwischen Mythos und Wissenschaft. In: Benjamin Hasselhorn (Hrsg.): Luther vermitteln. Reformationsgeschichte zwischen Historisierung und Aktualisierung, Leipzig 2016, S. 15–33.
  • Luther und die Politik. In: Harald Meller (Hrsg.): Martin Luther. Aufbruch in eine neue Welt. Essays, Dresden 2016, S. 315–321.
  • Mythos Luther. Überlegungen zum öffentlichen Umgang mit Reformationsgeschichte. In: Stiftung Kloster Dalheim (Hrsg.): Luther. 1917 bis heute, Münster 2016, S. 86–94.
  • Dritter Weg. Richtiges Erinnern changiert zwischen Historisierung und Aktualisierung. In: zeitzeichen 18/5, Mai 2017, S. 25–27.
  • mit Mirko Gutjahr, Catherine Nichols und Katja Schneider: Luther existenziell. Kuratorische Einleitung. In: Luther! 95 Schätze – 95 Menschen, München 2017, S. 20–23.
  • Das Ende des Luthertums?. In: Confessio Augustana 2 (2017), S. 42–48.
  • Literatur zu Luther und der Reformation für ein größeres Publikum. In: Theologische Literaturzeitung 142 (2017), Sp. 1119–1132.
  • Das Fremde vermitteln. Über die Vereinbarkeit von Historisierung und Aktualisierung der Reformation. In: Johann Hinrich Claussen und Stefan Rhein (Hrsg.): Reformation 2017. Eine Bilanz, Leipzig 2017, S. 69–74.
  • Neuere Literatur zur Reformationsgeschichte. In: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 3/4 (2017), S. 290–303.
  • Einleitung. In: Benjamin Hasselhorn / Marc von Knorring (Hrsg.): Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (= Prinz-Albert-Forschungen / Prince Albert Research Publications. Neue Folge, Band 1), Berlin 2018, S. 1–8.
  • Das Monarchiesterben 1914–1945. Ein Siegeszug der Demokratie?. In: Benjamin Hasselhorn / Marc von Knorring (Hrsg.): Vom Olymp zum Boulevard. Die europäischen Monarchien 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (= Prinz-Albert-Forschungen / Prince Albert Research Publications. Neue Folge, Band 1), Berlin 2018, S. 47–60.
  • Lutherbilder in England. In: Frank-Lothar Kroll / Glyn Redworth / Dieter J. Weiß (Hrsg.): Deutschland und die Britischen Inseln im Reformationsgeschehen. Vergleich, Transfer, Verflechtungen (= Prinz-Albert-Studien, Band 34), Berlin 2018, S. 177–186.
  • Mehr Luther wagen! Ein Rückblick auf 2017. In: Annette Seemann / Thomas A. Seidel / Thomas Wurzel (Hrsg.): Die Reformationsdekade „Luther 2017“ in Thüringen. Dokumentation, Reflexion, Perspektive, Leipzig 2018, S. 286–289.
  • Lutherische Existenz heute. In: Thomas Martin Schneider (Hrsg.): Luther und das Wort. Interdisziplinäre Annäherungen (= Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte, Kleine Reihe, Heft 9), Bonn 2018, S. 230–27.
  • mit Mirko Gutjahr: Wer hat Angst vor dem Mythos? Der Thesenanschlag Luthers ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine historische Tatsache. In: zeitzeichen 3 (2019), S. 12–14.
  • Glauben heute: Das Ernsthaftigkeitsdefizit. In: Der Tagesspiegel, 22. April 2019.

Einzelnachweise

  1. Ute Lawrenz: Fünf minus eins für den Chorgesang. In: goettinger-tageblatt.de. 2. Mai 2008, abgerufen am 1. Februar 2020.
  2. a b Niklas Weber: Neue Rechte und die Akte Hasselhorn. Die Wiederkehr des Martin Grundweg. In: taz, 29. November 2021.
  3. Benjamin Hasselhorn: Vita, uni-wuerzburg.de, abgerufen am 6. April 2019.
  4. Wie lutherisch ist die evangelische Kirche?, rotary.de, Artikel vom 1. Februar 2017.
  5. Hasselhorn über das Luther-Jahr. Kulturzeit-Gespräch mit dem Theologen, 3sat kulturzeit, am 30. Oktober 2017, abgerufen am 9. November 2017.
  6. René Nehring: „Wir wollen an die Faktenlage erinnern“. In: Rotary Magazin. 1. Oktober 2018, abgerufen am 5. März 2020.
  7. Und es gab ihn doch! Den Thesenanschlag. Abgerufen am 22. November 2018.
  8. Rotary Magazin Artikel vom 1. September 2018: Titelthema – Der verpasste Abgang (Memento vom 4. April 2019 im Internet Archive)
  9. Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. dtv, München 2020, ISBN 978-3-423-28256-7, S. 249.
  10. Deutscher Bundestag: Rolle des Kronprinzen Wilhelm von Preußen im Urteil von Historikern. Abgerufen am 5. März 2020.
  11. Promovierende mit Kurzbiographie von Niklas Weber. Information der Humboldt-Universität zu Weber, abgefragt am 26. März 2021.
  12. Niklas Weber: Wie eng Konservative und Rechtsradikale verstrickt sind. In: Süddeutsche Zeitung. 3. März 2020, abgerufen am 10. März 2020.
  13. Benjamin Hasselhorn (Uni Würzburg): Stellungnahme zum Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 3. März 2020. 6. März 2020, abgerufen am 19. Dezember 2021.
  14. Dominique Riwal: Der Gegen-Aufklärer. Eine Einführung in das Werk Karlheinz Weißmanns. In: Dieter Stein (Hrsg.): Festschrift für Karlheinz Weißmann zum sechzigsten Geburtstag. JF Edition, Berlin 2019.
  15. Niklas Weber: Rückruf aus den Neuzigern. In: Merkur, Nr. 859, Dezember 2020.
  16. Gregor Dotzauer: Rechtskonservatismus – Alter Wein in neuen Schläuchen. In: Tagesspiegel, 11. Januar 2021.
  17. Johann Hinrich Claussen: „Scharfe Zähne, dünne Haut“. Warum echter Dialog nur ohne Camouflage und Einschüchterung geht. In: Zeitzeichen, Juni 2021.
  18. Theologe Hasselhorn erhält Preis für verständliche Sprache, evangelisch.de, Artikel vom 14. März 2019.