Walther Schotte

Walther Schotte, (häufig auch Walter Schotte geschrieben) (* 3. Oktober 1886 in Berlin[1]; † nach 1948[2]) war ein deutscher Journalist, Historiker und Schriftsteller. Schotte wurde vor allem bekannt als langjähriger Herausgeber der Preußischen Jahrbücher.

Leben und Wirken

Herkunft und Ausbildung (1886 bis 1909)

Schotte wurde 1886 als Sohn des Geheimen Regierungsrates Professor Dr. Friedrich Schotte und seine Ehefrau Helene Dato geboren. Er besuchte das Gymnasium in Berlin. Anschließend studierte er an den Universitäten Heidelberg und Berlin. Dort war er ein Schüler Jellinek, Otto Hintzes, und Wilhelm Diltheys. Dem zuletzt Genannten stand Schotte zudem zeitweise als wissenschaftlicher Assistent zur Seite.

Schotte promovierte 1909 in Berlin zum Dr. phil. Bis 1916 war er in der Verwaltung des Preußischen Staatsarchivs tätig. Während des Ersten Weltkrieges fiel Schotte erstmals einer breiteren Öffentlichkeit auf als er als Mitherausgeber von Max Webers Schrift Wahlrecht und Demokratie in Deutschland in Erscheinung trat.

Publizistische und Politische Tätigkeit (1916 bis 1933)

Von 1916 bis 1917 war er der Sekretär von Friedrich Naumann. Anschließend wurde er Herausgeber der Wochenschrift Mitteleuropa. 1919 kam Schotte in den vorläufigen Hauptvorstand der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Da er in den folgenden Jahren immer weiter nach Rechts rückte, wandte er sich jedoch bald von der DDP ab. Bereits im selben Jahr schwebte Schotte der Gedanke vor die “deutsche Revolution [vom November 1918] in eine nationale Wiedergeburt zu verwandeln.”[3]

Im Dezember 1919 wurde Schotte als Nachfolger von Hans Delbrück zum Herausgeber der Preußischen Jahrbücher, die er bis 1927 redaktionell betreuen sollte. Unter seiner Ägide rückten die Jahrbücher in den folgenden Jahren politisch zunehmend nach Rechts. Der sprachliche Stil der Jahrbücher, die als vilzitiertes Traditionsorgan ein wichtiger Meinungsmacher und Multiplikator waren, blieb unter Schotte unverändert. Stattdessen vollzog sich der Umschwung der Zeitschrift, indem vorwiegend rechtsgerichtete Geschichtsideologen als Mitarbeiter eingestellt wurden, die das Blatt mit neuen Auffassungen füllten, die im alten Sprachduktus verpackt waren. Am Beispiel eines Leitartikels Schottes über die britische Regierung Bonar Law, der im Jahrbuch vom November 1922 erschien und in dem Lord Derby als „Jünger“ des „Frankfurter Juden“ Lord Northcliffe kritisiert wird, macht Benammi die These glaubwürdig, dass Schottes konservatives Denken unter anderem auch von antisemitischen Denkfiguren durchsetzt und geprägt war.[4]

1924 gründete Schotte zusammen mit Leonore Kühn die Zeitschrift Frau und Nation. Am 1. Oktober 1927 übernahm Schotte die Herausgeberschaft für die Halbmonatsschrift Politik und Gesellschaft (beziehungsweise für deren Jahresbände), die er bis 1933 ausübte.

In den 1920er Jahren war Schotte maßgeblich am Aufbau der Deutsch-Österreichischen Mittelstelle in Wien beteiligt, einem Propaganda- und Nachrichtenbüro, dem die Aufgabe zufiel die "Wertschätzung alles Deutschen" in Österreich zu steigern, um so den Boden für einen später angestrebten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zu bereiten. Dazu sollte vor allem die sogenannte Anschluss-Bewegung gefördert werde[5]

Mitte der 1920er Jahre war Schotte neben Heinrich von Gleichen Mitgründer des Deutschen Herrenklubs, als dessen Sprachrohr er galt.[6] Er stand dem konservativen Politiker Franz von Papen nahe und galt als dessen Redenschreiber. 1932 leitete er ein von der Regierung Papen ins Leben gerufenes Büro für Öffentlichkeitsarbeit in Berlin.[7]

Um 1930 wurde Schotte Geschäftsführer der katholischen Aktion zur Bekämpfung des Bolschewismus.

Schotte und der „Neuen Staat“ (1932/1933)

In der im Mai/Juni 1932 gebildeten Regierung Papen nahm Schotte den Rang eines Ideengebers und Theoretikers ein. Er und Edgar Jung waren zudem die „führende[n] Protagonisten [...] im publizistischen Kreis um Papen“[8] und in dieser Eigenschaft mit der sprachlichen Formulierung des „Programm[s] der Neuen Rechten“ betraut.[9]

In der Forschung finden sich dementsprechend Beschreibungen Schottes als Papens „Chefideologe“[10] „offiziöser Interpret des Kanzlers“[11] und sogar als „offizieller Sprecher des Kanzlers“[12]

In einem im selben Jahr veröffentlichten Buch erklärte er das „System der formalen Demokratie“ für „bankrott“. In einer im Vorfeld der Reichstagswahlen vom November veröffentlichten Broschüre, in der er sich bemühte, das Programm der Regierung zur Errichtung eines „Neuen Staates“[13] zu popularisieren, machte Schotte das Erscheinen des Vielparteiensystem für den desaströsen Kurs der innenpolitischen Entwicklung verantwortlich. Dieses System habe die Bedeutung der Verfassung verfälscht und das Staatsleben praktisch durch den kleinlichen Interessenkonflik der Parteien ersetzt.[14] Regierungen sollten nach Schottes Vorstellung zukünftig in einer Frontstellung gegen die Parteien gegründet werden. Sie sollten „nicht oberhalb sondern gegen die Parteien gebildet sein.“ Spätestens nach einer Reihe von Erschöpfungswahlen in schneller Abfolge sollte die Institution des Parlamentes als Kontrollogran der Regierung, zumindest vorläufig, vollständig ausgeschaltet werden: “Auf die Bestätigung durch Wahlen könnte man – sollte man [dann komplett] verzichten.”

Aus dieser „Erkenntnis“ folgerte er das Postulat, dass “das Gefühl der Nähe zu den metaphysischen Gewalten [..] lebendig sein [müsse] in jenen, die ein Volk zu führen wagen. [Doch] Unsere Parlamentäre spüren nichts von jenen Kräften, die den Blutschlag unseres Volkes regeln.”[15] Denn aus der Überwindung des „mechanistischen, liberalistischen Denkens eines ganzen Jahrhunderts, zur Überwindung dieses Jahrhunderts selbst.”

In Franz von Papen meinte Schotte 1932 den Mann gefunden zu haben, der erkannt habe, dass “die Wende der Zeit da ist.” Mit einer neuen Führungsschicht alleine war es für Schotte dabei noch nicht getan: „Das Volk soll nicht erwarten dass in seinen ureigensten Notwendigkeiten aller Segen nur von Oben kommt. Der neue Staat kann nicht notverordnet werden! Das Volk selbst muss ihn wollen, muss an seinem Werden mitwirken. Ein neuer Staatswille, eine neue Staatsgesinnung, ein neuer Staatsglaube - das sind die unerlässlichen Voraussetzungen des neuen Staates.”[16]

Jacques Delarue sieht Schotte als den Urheber einer von der Regierung Papen im November 1932 angewandten „politischen Taktik“, die die Wahlchancen der Nationalsozialisten „beinahe ruiniert“ habe.[17] In seinem Buch über die Regierung Papen - Schleicher - Gayl habe er die Methoden der Nazipartei so treffend sichtbar gemacht, „dass diese Enthüllung Hitler [bei den Novemberwahlen] zwei Millionen Stimmen gekostet“ habe.[18] Dementsprechen unbeliebt sei er in nationalsozialistischen Kreisen gewesen.

Leben im Nationalsozialismus (1933 bis 1945)

Nach der Bildung der Regierung Hitler im Frühjahr 1933, an der von Papen einen maßgeblichen Anteil hatte, beglückwünschte Schotte Papen zu seinem „gelungenen Manöver“ mit einem Lob für das „seltene diplomatische Geschick“ das Papen dabei angeblich bewiesen habe. Das Kabinett Hitler sah Schotte nur als eine „Zwischenlösung“, die der Stabilisierung der Lage dienen sollte, wenngleich sie die Möglichkeit hätte „fruchtbar zu werden“.

Im Juni 1934 war Schotte neben Edgar Julius Jung an der Abfassung der Marburger Rede von Papens beteiligt.[19]

Während der politischen Säuberungsaktion der Nationalsozialisten vom Frühsommer 1934, die bald unter dem Propagandanamen „Röhm-Putsch“ bekannt wurde, wurde das Büro Schottes von Angehörigen der Gestapo besetzt und durchsucht.[20] Schotte selbst wurde verhaftet und kam den Erinnerungen seines Freundes Henry Bernhard zufolge „gerade eben so mit dem Laben davon“.[21] Trotz seines Überlebens wurde Schotte in der Folgezeit in der ausländischen Presse und Publizistik häufig in der Liste der Todesopfer der Aktion gelistet.[22] Die Falschmeldung seiner Ermordung erwies sich dabei als derart hartnäckig, dass die Angabe, Schotte sei im Rahmen des „Röhm-Putsches“ von der Gestapo ermordet worden, selbst in die wissenschaftliche Literatur Einzug gehalten hat und bis heute als beliebter „Wanderfehler“ immer wieder anzutreffen ist.[23]

Schotte im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt

Lutz Graf Schwerin von Krosigk urteile über Schotte dass dieser „Papen stark beeinflußte“ und überhaupt: „Durch seine geistreichen Vorträge spielte Dr. Walter Schotte lange Zeit im Herrenklub eine bedeutende Rolle. Den mit einer bedeutenden Intelligenz ausgesttatten Herausgeber der Jahrbücher verführte die Neigung zum Paradoxon oft dazu, Voraussagen über politische Entwicklungen zu machen die der Wirklichkeit in keiner Weise standhielten. Als ich ihm das einmal vorhielt, hörte er dies natürlich nicht gern.“[24]

Fritz Günther von Tschirschky, der von 1933 bis 1934 als der wichtigsten Mitarbeiter Papens in ständigem Kontakt mit Schotte war, und auch zuvor schon als Mitglied der Schlesischen Herrengesellschaft in engem Kontakt mit Schotte gestanden hatte, erinnerte sich später an Schotte als eine der schillernsten Figuren im politischen Leben der Hauptstadt: Schotte sei ein Mann gewesen, „der alle Gerüchte über Vorgänge auf der politischen Bühne Berlins kannte und ein sehr ausgeprägtes Gefühl für sich anbahnende Entwicklungen“ besessen habe.[25]

Schriften

  • Das Rechtlich-Politische Verhältnis von Fürstentum und Ständen in der Mark Brandenburg unter der Regierung Joachims I., 1910. (Dissertation)
  • Fürstentum und Stände in der Mark Brandenburg unter der Regierung Joachims I., Leipzig 1911. (Für den Handel überarbeitete Version der Dissertation)
  • Ostdeutschland, 1919.
  • Weg zur Gesetzlichkeit. Die demokratischen Verfassungen der Welt im Vergleich, 1919.
  • Die Zukunft der Oberschlesischen Wirtschaft. Eine Kritik der Polnischen Propaganda, 1921. (englische Übersetzung als The Future of Upper Silesian Industry. A Criticism of Polish Propaganda, 1921)
  • Kampf! Um Scholle und Eigen. Um Scholle und Eigen, 1924.
  • Der neue Staat, Berlin 1932. (Mit einem Vorwort von Franz von Papen)
  • Das Kabinett Papen, Schleicher, Gayl, Leipzig 1932.

Vorlage:PND

Einzelnachweise

  1. Geburtsdatum nach August Ludwig Degener: Wer ist wer? Das Deutsche WHO's WHO, 1928, S. 1402.
  2. Henry Cord Meyer: Mitteleuropa in German Thought and Action, 1815-1945, 1955, S. 280 erwähnt ein Interview mit Schotte das im Sommer 1948 geführt wurde.
  3. Jürgen C. Hess: Das Ganze Deutschland soll es sein, 1978, S. 30.
  4. Benammi: Essays on Jewish Life and Thought by Benammi, 2004, S. 185. Benammi findet es bezeichnend, dass der schlimmste Titel den Schotte den von ihm „grausam gehassten“ Northcliffe geben zu können meint der eines „Frankfurter Juden“ ist. In summa ließe sich über Schottes Leitartikel sagen: “The intention of Schotte is not only to show that, from his anti-semitic point of view, Lord Northcliff was a villain because he was a jew, but also to connect the Jews with a man who in his opinion, was so great a villain.“
  5. Alfred D. Low: The Anschluss Movement, 1918-1919, and the Paris Peace Conference, 1974, S. 158.
  6. Jacques Delarue: The Gestapo. A History of Horror, 1964, S. 114.
  7. T. Hunt Tooley: National Identity and Weimar Germany, 1997, S. 57.
  8. Daniela Kahn: Die Steuerung der Wirtschaft durch Recht im nationalsozialistischen Deutschland, 2006, S. 96.
  9. Josef Roth: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 1973, S. 182.
  10. Reinhart Staats: Theologie der Reichskrone, 1976, S. 163.
  11. Heinrich August Winkler: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, 1972, S. 148.
  12. Florida State University Research Council: Florida State University Studies, 1959, S. 78.
  13. Dieter Haselbach: Autoritärer Liberalismus und soziale Markwirtschaft, 1991, S. 57 nennt ihn auch den „Theoretiker des starken Staates.“
  14. Hans Mommsen: The Rise and Fall of Weimar Democracy, 1996, S. 477.
  15. Helmut Theisen: Die Entwicklung zum nihilistishen Nationalismus in Deutschland, 1918-1933, 1955, S. 50.
  16. Rüdiger Graf: Die Zukunft der Weimarer Republik S. 277.
  17. Jacques Delarue: The Gestapo. A History of Horror, 1964, S. 114. „In 1932 he had worked out a political tactic which almost ruined the electoral hopes of the Nazis.“
  18. Jacques Delarue: The Gestapo. A History of Horror, 1964, S. 114. Im Original: „[Schotte] had defined the methods of the Nazi party so perfectly that this revelation had cost Hitler two million votes at the elections of November 6, 1932.“
  19. Henry Bernhard: Finis Germaniae. Aufzeichnungen und Betrachtungen, 1947, S. 41.
  20. Ramananda Chatterjee: The Modern Review, 1934, S. 214.
  21. Henry Bernhard: Finis Germaniae. Aufzeichnungen und Betrachtungen, 1947, S. 41.
  22. So reihte noch im selben Jahr das Exiltagebuch Leopold Schwarzschild: Das neue Tagebuch 1934, S. 667 Schotte in den Kreis der Ermordeten ein. Desgleichen 1935 Otto Strasser Studie des „Röhm-Putsches“, Otto Strasser: Die Deutsche Bartholmäusnacht, 1935, S. 123. Aufgeklärt wurde der Irrtum beispielsweise bei Heinrich von Sybel: Historische Zeitschrift, 1968, S. 115 und 169: „Der Publizist Walter Schotte, der das Dritte Reich überlebt hat, wird zu Unrecht unter den Opfern des 30. Juni 1934 angeführt.“
  23. So unterlagt beispielsweise Robert Thomson Clark: The Fall of the German Republic. A Political Study, 1959, S. 335 dem „Ermordungs-Irrtum“ als er schrieb: „One of his [Papen's] intimate associates was Walther Schotte, a journalist whose talent was too brilliant for the National Socialist leaders who murdered him in 1934.“
  24. Lutz Schwerin von Krosigk: Staatsbankrott, 1974, S. 114.
  25. Fritz Günther von Tschirschky: Erinnerungen eines Hochverräters, 1972, S. 78.