Ultraorthodoxes Judentum

Chassidische Knaben, Polen, Postkarte ca. 1915

Das ultraorthodoxe Judentum (hebr. יַהֲדוּת חֲרֵדִית jahadut charedit) ist die theologisch, politisch und sozial konservativste Richtung innerhalb des Judentums. Die im Hebräischen gebräuchliche Bezeichnung für einen Anhänger dieser Richtung lautet Charedi (חֲרֵדִי, Mehrzahl Charedim חֲרֵדִים, von charada חֲרָדָה „Furcht“, deutsch etwa „Gottesfürchtiger“). Das ultraorthodoxe Judentum entstand im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die jüdische Aufklärung und die Emanzipationsbestrebungen der Juden in Mittel- und Osteuropa.

Ultraorthodoxe Juden gibt es sowohl unter den aschkenasischen wie unter den sephardischen Juden, letztere machen jedoch nur rund 20 Prozent aus.[1] Die aschkenasischen ultraorthodoxen Juden teilen sich in chassidische und litauisch-jeschiwische, auch Mitnagdim genannte Gruppen. Äußerlich an ihrem Kleidungsstil erkennbar, unterscheiden sie sich von den übrigen orthodoxen Juden, die oft als „modern orthodox“ bezeichnet werden, dadurch, dass sie weltlichem Wissen ablehnend gegenüberstehen und ein streng reguliertes, meist auf ein rabbinisches Oberhaupt ausgerichtetes Leben abseits der Mainstream-Gesellschaft, sowohl der jüdischen wie nichtjüdischen, führen.[2]

Die Zahl der ultraorthodoxen Juden wird weltweit auf ca. 1,3 bis 1,5 Millionen geschätzt. Davon lebt der größte Teil, ca. 700.000, in Israel, wo sie rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen.[3] In den USA und Kanada leben etwa 500.000 ultraorthodoxe Juden,[4] in Europa gibt es im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Belgien und der Schweiz größere ultraorthodoxe jüdische Gemeinschaften, die größte davon in England, wo im Jahr 2007 rund 46.500 ultraorthodoxe Juden lebten.[5]

Zentren des ultraorthodoxen Judentums befinden sich unter anderem in New York, besonders in Brooklyn, in London, Manchester und Gateshead, in Antwerpen und in Straßburg. In Israel gehören Jerusalem, etwa das Stadtviertel Me'a Sche'arim im Westen der Stadt, sowie die Städte Bnei Brak und Bet Schemesch zu den Orten mit großer ultraorthodoxer Bevölkerung, zahlreiche Charedim leben auch in Siedlungen in der Westbank, so etwa in Betar Illit und Modi'in Illit.[6]

Ultraorthodoxe jüdische Männer beim Einkauf, Bnei Brak 2010

In Israel gehen rund 60 bis 70 Prozent der charedischen jüdischen Männer keiner Arbeit nach, sondern verbringen ihre Zeit ausschließlich in religiösen Lehranstalten mit dem Studium religiöser Schriften. Sie sind vom obligatorischen Militärdienst befreit und werden vom Staat finanziell unterstützt. Oft sind die Frauen berufstätig, die vielfach besser ausgebildet sind als die Männer. In der Regel heiraten sie im Alter von 18 bis 20 Jahren und haben im Durchschnitt sieben Kinder. Etwa 60 Prozent der ultraorthodoxen Familien in Israel leben in Armut.[7]

In seiner Haltung zum Staat Israel ist das ultraorthodoxe Judentum, sowohl in Israel wie außerhalb, gespalten. Manche Gruppierungen lehnen den Staat Israel in seiner heutigen Form ab, da ihrer Ansicht nach nur der Messias einen jüdischen Staat wiedererrichten kann, wie Neturei Karta und die in der Organisation Edah HaChareidis zusammengeschlossenen Gruppierungen; andere beteiligen sich trotz ihrer Ablehnung des Zionismus aktiv an der israelischen Politik wie Agudat Jisra’el und Degel haTora als Vertretung der ultraorthodoxen Aschkenasim; wieder andere, besonders sephardische Juden, die von der Partei Schas vertreten werden, befürworten den Zionismus.

In Israel haben ultraorthodoxe Gruppierungen und Parteien, sowohl zionistische wie nicht-zionistische, seit der Staatsgründung einen bedeutenden politischen Einfluss, da ohne ihre Unterstützung oft keine Regierungsmehrheiten zustandekommen.[8] Einen ebenfalls großen Einfluss auf die israelische Gesellschaft übt das Oberrabinat aus, dem zwei ultraorthoxe Oberrabbiner, ein aschkenasischer und ein sephardischer, vorstehen, da es für viele zivilrechtliche Fragen zuständig ist.[9]

Siehe auch

Commons: Ultraorthodoxes Judentum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Isabel Kershner: Israel’s Ultra-Orthodox Protest Schools Ruling. In: The New York Times. 17. Juni 2010
  2. Nathaniel Deutsch: The Forbidden Fork, the Cell Phone Holocaust, and Other Haredi Encounters with Technology. In: Contemporary Jewry. Volume 29, Issue 1, April 2009, S. 3-19, DOI:10.1007/s12397-008-9002-7 (PDF; 150 KB)
  3. Matti Friedman: Ultra-Orthodox Jews Pose Challenges In Israel. In: The Huffington Post. 14. Januar 2011
  4. „Majority of Jews will be Ultra-Orthodox by 2050“. Website der University of Manchester. 23. Juli 2007 (englisch)
  5. Britain’s Jewish population on the rise. In: The Daily Telegraph. 20. Mai 2008
  6. Dan Ephron: Israel's Ultra-Orthodox Problem. The Daily Beast, Newsweek Magazine. 2. Januar 2012
  7. Nati Tucker: BoI: Only 39% of Haredi men work. In: Haaretz. 21. September 2010
  8. Peter Lintl: Die Ultraorthodoxen, die Armee und warum sich nichts ändern wird. In: fokus-nahost.de
  9. Orthodox rabbi seeks Israeli religious revolution. U.S.News & World Report. 13. Februar 2013

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