„Rassismus ohne Rassen“ – Versionsunterschied

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:''"Der symbolische Kern der Idee der „Rasse“, der es ermöglicht, die Individuen zu einem homogenen „Volk“ zusammenzuschließen, ist das Schema der Genealogie, d.h. die Vorstellung, daß die Verkettung der Individuen dazu führt, daß jede Generation der anderen eine biologische oder geistige Substanz übermittelt - biologisch oder geistig, weil die essentialistische Vorstellung eines gemeinsamen „Ursprungs“ sowohl [[Biologismus|biologistisch]] als auch [[Kulturalismus|kulturalistisch]] artikuliert sein kann (wie z.B. im Topos der „deutschen [[Kulturnation]]“). [...] Hier liegt ein historischer [[Nexus]] von Rassismus und Sexismus und zugleich ein Grund dafür warum es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht sexuell überdeterminiert wären ..."'' <ref>http://www.conne-island.de/nf/56/9.html Sexismus ohne Sex - Während der Komplex Rassismus/Nationalismus ausgiebig diskutiert wird, sieht es hinsichtlich des Sexismus eher dürftig aus.</ref>
:''"Der symbolische Kern der Idee der „Rasse“, der es ermöglicht, die Individuen zu einem homogenen „Volk“ zusammenzuschließen, ist das Schema der Genealogie, d.h. die Vorstellung, daß die Verkettung der Individuen dazu führt, daß jede Generation der anderen eine biologische oder geistige Substanz übermittelt - biologisch oder geistig, weil die essentialistische Vorstellung eines gemeinsamen „Ursprungs“ sowohl [[Biologismus|biologistisch]] als auch [[Kulturalismus|kulturalistisch]] artikuliert sein kann (wie z.B. im Topos der „deutschen [[Kulturnation]]“). [...] Hier liegt ein historischer [[Nexus]] von Rassismus und Sexismus und zugleich ein Grund dafür warum es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht sexuell überdeterminiert wären ..."'' <ref>http://www.conne-island.de/nf/56/9.html Sexismus ohne Sex - Während der Komplex Rassismus/Nationalismus ausgiebig diskutiert wird, sieht es hinsichtlich des Sexismus eher dürftig aus.</ref>


==Rassismus ohne Rassen in den Konzepten der Neuen Rechten==
Zum Teil werden [[Neue Rechte|neu-rechte]] Ansätze auch als ''Rassismus ohne Rassen'' beschrieben. <ref>Ines Aftenberger: ''Die Neue Rechte und der Neorassismus'', Leykam, 2007, ISBN 3701100888</ref> Argumentativ zielen neu-rechte Vordenker auf den Erhalt von Differenzen zwischen Kulturen, bzw. Völkern ab. Aus diesem Grund wollen sie Mischungen zwischen Gruppen und Kulturen vermeiden (sog. [[Ethnopluralismus]]). So vertritt der Vordenker der französischen ''Neuen Rechten'' [[Alain de Benoist]] ein Konzept der ''"Bewahrung kultureller Gruppenidentitäten"'' durch genetische Abgrenzung, welche er allerdings, da er eine wertende Rangordnung zwischen den Rassen ablehnt <ref> ''"Es gibt kein "universelles" Paradigma, das es erlaubt, eine Rangordnung zwischen den Rassen herzustellen; der Wert eines Individuums bemißt sich zunächst nach den ihm eigenen Qualitäten, und es ist klar, daß es ein nutzloses Unterfangen ist, die meisten Geschehnisse der Weltgeschichte auf den Faktor Rasse zurückführen zu wollen. Das ist der Grund, weshalb die Neue Rechte in Frankreich seit einem Vierteljahrhundert die Ideologie des Rassismus als irrig ablehnt."''; in: [http://www.jf-archiv.de/archiv98/308aa7.htm Politische Theorie: Interview von Peter Kraus mit Alain de Benoist über Rassismus und Antirassismus, Ideologien und Fremdenfeindlichkeit - "Einwanderung bedroht unsere kollektive Identität nicht"]</ref>, nicht als Rassismus sieht:


:''"Der Rassismus muß unterschieden werden von dem, was die Soziologen "Homofiliation" nennen, also den Wunsch nach Kontinuität der eigenen Identität durch Endogamie, der viele Religionen – wie etwa die jüdische – leitet, die Mischheiraten verbieten."'' <ref>ebd. 22</ref>


==Begriffsdebatte in der Rassismusforschung==
==Begriffsdebatte in der Rassismusforschung==

Version vom 7. Mai 2007, 18:28 Uhr

Der Begriff Rassismus ohne Rassen gehört zu einem von dem französischen Marxisten Étienne Balibar (1992) und Stuart Hall (1989) geprägten Ansatz der Rassismusforschung. Er geht dabei von der Existenz eines Rassismus aus, bei dem der Begriff der Rasse nicht verwendet wird. Er ist heute ein zentraler, allerdings auch kritisierter Topos in der Rassismusforschung. [1]

Rassismus ohne Rassen nach Étienne Balibar

Der Rassismus ohne Rassen geht nach Balibar einher mit der "Naturalisierung des Kulturellen, des Sozialen oder der Geschichte, wodurch diese sozusagen stillgestellt und jeglichem Versuch einer Veränderung entzogen sei." [2]

»Ideologisch gehört der gegenwärtige Rassismus in den Zusammenhang eines 'Rassismus ohne Rassen', (...) eines Rassismus, der - jedenfalls auf den ersten Blick - nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf beschränkt, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweise und Traditionen zu behaupten.« (Balibar S.28)

Balibar bezieht sich auch auf das ähnlich gelagerte Phänomen des "Antisemitismus ohne Juden". Dieser Begriff beschreibt die Tatsache, dass auch in Gegenden ohne jüdische Bevölkerung Antisemitismus mitunter fortbestehen oder sogar noch ausgeprägter sein kann, als in Regionen mit einer jüdischen Gemeinde.

Kritik am Begriff des Rassismus ohne Rassen

Kritiker bezeichnen Balibars Konzept des Rassismus ohne Rassen als "Inflation des Rassismus", so der Leipziger Philosophieprofessor Christoph Türcke. [3] Der Gefahr der Verschleierung des Rassismus stehe dann die Gefahr entgegen, den negativ besetzten Rassismusbegriff zur Tabuisierung und intellektuellen Abwertung von sachlich unverwandten Themenstellungen zu missbrauchen. Dies wiederum verzerre den intellektuellen Diskurs.

Ulrich Bielefeld plädiert für einen vorsichtigeren und präziseren Umgang mit dem Begriff des Rassismus, der immer in einem spezifischen historischen Kontext auftrete. Weite man den Begriff zu sehr aus, stehe er nicht mehr für die Fälle zur Verfügung, in denen er gleichzeitig als analytischer Begriff tatsächlich benötigt werde. [4]

Die Diplom-Psychologin Sabine Grimm vom Institut für Allgemeine Psychologie der Universität Leipzig kritisiert, dass der "Zusammenhang und die Verknüpfungen mit anderen sozialen Verhältnissen" wie dem Sexismus in der Auseinandersetzung mit Rassismus in der Linken zuweilen als "Nebenwiderspruch" ausgeblendet oder übersehen wird:

"Irgendwie funktioniert Sexismus wie Rassismus, quasi als Sonderform oder als Nebenwiderspruch. Man könnte diese Variante auch als Entlarvungsdiskurs bezeichnen. Er kritisiert die Stereotypen von „Rasse“ und „Geschlecht“ aus aufklärerisch- universalistischer Perspektive und wittert überall dort, wo von Besonderheit, Verschiedenheit oder - noch schlimmer - Differenz die Rede ist, Rassismus und Sexismus. [...] Der Entlarvungsdiskurs hat innerhalb der Linken zu einer Form von pauschaler Kritik geführt, die keinen Unterschied mehr macht zwischen Multikulturalismus und Ethnopluralismus und ebenso nicht mehr differenziert zwischen feministischen Theorien über sexuelle Differenz und konservativen bzw. rechten Geschlechterideologien." [5]

Grimm stellt die These auf, dass „Rassismus ohne Rassen“ oft nur in der Weise ideologiekritisch - im Sinne von „Wie uns die Wissenschaft gesagt hat, gibt es menschliche Rassen nicht“ – verstanden werde, und dass weiterhin "im Hintergrund immer noch eine naturalistische Vorstellung von Materialismus steht, die Materialität nicht über die soziale Praxis, sondern als Gegebensein denkt und letztlich dem hegemonialen biologischen Diskurs verhaftet bleibt."

Grimm weist in "Sexismus ohne Sex" auf den Zusammenhang (Nexus) von Rassismus und Sexismus hin:

"Der symbolische Kern der Idee der „Rasse“, der es ermöglicht, die Individuen zu einem homogenen „Volk“ zusammenzuschließen, ist das Schema der Genealogie, d.h. die Vorstellung, daß die Verkettung der Individuen dazu führt, daß jede Generation der anderen eine biologische oder geistige Substanz übermittelt - biologisch oder geistig, weil die essentialistische Vorstellung eines gemeinsamen „Ursprungs“ sowohl biologistisch als auch kulturalistisch artikuliert sein kann (wie z.B. im Topos der „deutschen Kulturnation“). [...] Hier liegt ein historischer Nexus von Rassismus und Sexismus und zugleich ein Grund dafür warum es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht sexuell überdeterminiert wären ..." [6]


Begriffsdebatte in der Rassismusforschung

Auch in der Rassismusforschung ist der Begriff Rasse aus etymologischen Gründen teilweise umstritten. Forscher wie Philip Cohnen erläutern, dass es keinen Zusammenhang zwischen Rasse und Rassismus geben müsse, denn "Rasse ist das Objekt des rassistischen Diskurses, außerhalb dessen sie keine Bedeutung besitzt; sie ist ein ideologisches Konstrukt und keine empirische Gesellschaftskategorie." [7] Jan Philipp Reemtsma plädiert aufgrund des seiner Ansicht nach wissenschaftlich unseriösen Hintergrunds der Begriffes Rasse dafür, den Begriff nicht in der Forschung als Untersuchungskategorie anzuwenden. [8] Vor dem Hintergrund, dass der Begriff zwar verschwinden kann, aber sein Sinngehalt weiterhin existent bleibe, ergaben sich für die Forschung – wie von seiten Robert Miles – Ansätze, Rassismus in seiner ideologischen Form zu untersuchen. [9] Dabei verwendet Miles eine berifflich strengere Definition als Hall, bei welcher nur eine "Ideologie von der Ungleichheit von Rassen" als Rassismus bezeichnet wird. Vorgänge, die bei formaler Gleichbehandlung aller Personen Folgeerscheinungen früherer dikriminierender Politik fortschreiben, zählt er nicht automatisch zum Rassismus. [10]

Literatur

  • E. Balibar, I. Wallerstein: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg: Argument, 2. Auflage, 1992.
  • Philip Cohen: Gefährliche Erbschaften: Studien zur Entstehung einer multirassistischen Kultur in Großbritannien.In: Annita Kalpaka/Nora Räthzel: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Köln 1994.
  • Stuart Hall 1989: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Das Argument Nr. 178.
  • Gazi Çağlar: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Der Westen gegen den Rest der Welt. Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons „Kampf der Kulturen“. Münster: Unrast, 2002. ISBN 3-89771-414-0
  • Siegfried Jäger: Rassismus und Rechtsextremismus – Gefahr für die Demokratie [1] (dort zu Stuart Hall)
  • A. Kalpaka, N. Räthzel [Hrsg]: Die Schwierigkeit nicht rassistisch zu sein, 2. Auflage, Leer: Mundo, 1990.
  • Angelika Magiros (2004): Kritik der Identität. 'Bio-Macht' und 'Dialektik der Aufklärung' - Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und (Neo-)Rassismus. (dort S. 6 f. ausführlich zur Debatte um den Theorieansatz)
  • S. Volkov: Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays, 2. Auflage, München: Beck, 2000.
  • Ulrich Bielefeld: Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt? 2. Aufl. Hamburg: Junius, 1992. ISBN 3-88506-190-2
  • Giaco Schiesser (1991): Rassismus ohne Rassen. Zur Geschichte und Theorie eines Begriffs. In: WoZ, Nr. 44. (Rezension von: Robert Miles: Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs. Hamburg 1991)

Anmerkungen

  1. Angelika Magiros (2004): Kritik der Identität. 'Bio-Macht' und 'Dialektik der Aufklärung' - Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und (Neo-)Rassismus. (dort S. 6 f. ausführlich zur Debatte um den Theorieansatz)
  2. Siegfried Jäger: Brandsätze - Synoptische Analyse vgl. Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation, Hamburg 1990, 1. Auflage.
  3. Christoph Türcke: Inflation des Rassismus; in Konkret 08/1993
  4. "Ulrich Bielefeld, Leiter des Arbeitsbereiches Nation und Gesellschaft am Hamburger Institut für Sozialforschung, zurzeit Gastdozent an der Universität Haifa, plädiert für einen vorsichtigen und präzisen Umgang mit dem Begriff des Rassismus, der immer einen spezifischen historischen Kontext aufrufe. Weite man diesen zu sehr aus, stehe er nicht mehr für die Fälle zur Verfügung, in denen „wir ihn gleichzeitig als analytischen und skandalisierenden Begriff tatsächlich benötigen."; auf Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Wir und sie: Was Menschen zu "Fremden" macht - Von der ganz alltäglichen Ausgrenzung und ihren Folgen
  5. http://www.conne-island.de/nf/56/9.html Sexismus ohne Sex - Während der Komplex Rassismus/Nationalismus ausgiebig diskutiert wird, sieht es hinsichtlich des Sexismus eher dürftig aus.
  6. http://www.conne-island.de/nf/56/9.html Sexismus ohne Sex - Während der Komplex Rassismus/Nationalismus ausgiebig diskutiert wird, sieht es hinsichtlich des Sexismus eher dürftig aus.
  7. Philip Cohen: »Gefährliche Erbschaften: Studien zur Entstehung einer multirassistischen Kultur in Großbritannien«, in: Annita Kalpaka/Nora Räthzel: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Köln 1994.
  8. Jan Philipp Reemtsma: »Die Falle des Antirassismus«, in: Uli Bielefeld (Hg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt? Hamburg 1991.
  9. Robert Miles: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs. Hamburg, 1999, Argument Verlag, Hamburg, 1999, ISBN 3886193896
  10. ebd. 27, Seite 37 und Seite 51 ff.

Siehe auch

Rassismus, Rassentheorien, Institutioneller Rassismus, Ethnopluralismus, Ethnisierung, Rassistisches Wissen