Martin Bonhoeffer

Martin Klaus Anton Bonhoeffer (* 29. März 1935 in Leipzig; † 5. April 1989 in Tübingen) war ein deutscher Sozialpädagoge und Heimerziehungsreformer.

Leben

Martin Bonhoeffer war der jüngste Sohn von Karl-Friedrich Bonhoeffer und dessen Frau Margarete von Dohnanyi. Er legte 1954 in Göttingen das Abitur ab. Nach dem Abitur absolvierte er ein Praktikum in einem Privatkinderheim für Berliner Fürsorgezöglinge in Detmold. Die dort gemachten negativen Erfahrungen prägten ihn nach eigener Aussage in Bezug auf seinen späteren Berufswunsch. Dennoch begann er auf Wunsch des Vaters zunächst ein Jurastudium.[1] 1955 begann er ein einjähriges Praktikum im von Andreas Mehringer geleiteten Münchner Waisenhaus, das zu dieser Zeit als Musterbeispiel für eine Reform der Anstaltserziehung galt. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1957 wechselte Martin Bonhoeffer schließlich vollständig zur Pädagogik studierte im Göttinger Pädagogischen Seminar beim Pädagogen und Psychologen Heinrich Roth, wo er auch den späteren Leiter der Odenwaldschule Gerold Becker kennenlernte.[2] Einen Studienabschluss erreichte Bonhoffer nicht und eine begonnene Dissertation blieb unvollendet.[3]

Bonhoeffer trieb die Reform der Heimerziehung in Deutschland in den Jahren 1969 bis 1982 voran und wies ihr zugleich die Richtung. Er war federführend am Zwischenbericht der Kommission Heimerziehung beteiligt. Zeitweise war er beim Berliner Senat für das Heimkinderwesen zuständig. Zusammen mit Gerold Becker nutzte er diese Position für ein Netzwerk, das Heimkinder Päderasten zur Fürsorge anvertraute.[4] Bonhoeffer wechselte in die Leitung der Sozialtherapeutischen Wohngruppen für benachteiligte Kinder und Jugendliche in Tübingen.[5] 1982 erlitt Bonhoeffer, gerade 47 Jahre alt, einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte: Er war bis zu seinem Tod 1989 auf Pflege angewiesen.

Die Jugendhilfeeinrichtung kit Jugendhilfe in Tübingen, deren Leitung er 1976 bis 1982 innehatte, war von 1991 an nach ihm benannt. Im Jahr 2020 legte die Einrichtung aufgrund der erhobenen Vorwürfe gegen Bonhoeffer dessen Namen ab.[6][7]

2010 erhob ein Schüler im Zusammenhang mit Missbrauchsskandalen an der Odenwaldschule auch gegen Bonhoeffer den Vorwurf der sexuellen Belästigung.[8] 2014 wurde der Vorwurf einer Pädophilie seinerseits von der ehemaligen Heimschülerin der Odenwaldschule und heutigen Film-Regisseurin Elfe Brandenburger wiederholt.[5]

In einem 2024 erschienenen Bericht einer Forschungsgruppe der Universität Hildesheim wird Bonhoeffer als einer der „zentrale[n] Akteure eines Beziehungsgeflechts“ bezeichnet, in dem sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ausgeübt wurde. Bonhoeffer wird zu einer Gruppe von als „bystander“ bezeichneten Personen gezählt, die „entweder von sexualisierten Übergriffen Kenntnis hatten oder über Wissen verfügten, dass es zu sexualisierten Übergriffen gekommen ist, dieses aber nicht problematisierten“ und „die dazu beitrugen, sexualisierte Gewalt im Zuge von Befreiungsrhetoriken, Neuausrichtungen oder sog. ‚Experimenten‘ zu legitimieren und zugleich zu verdecken“.[9]

Schriften

  • Das Haus auf der Hufe. In: Neue Sammlung, Heft 1, 1965
  • Forschungsaufgaben in der Heimerziehung. In: Neue Sammlung, Heft 2, 1966
  • Totale Heimerziehung oder begleitende Erziehungshilfen. In: Neue Sammlung, 1967, S. 470–478
  • Personale Organisation im Heim – emotionale Desorientierung für Kinder. In: Neue Sammlung, Heft 4, 1973
  • Kinder in Ersatzfamilien: Sozialpädagogische Pflegestellen; Projekte und Perspektive, zur Ablösung von Heimen. Klett, Stuttgart 1974 (2. Auflage 1980), ISBN 3-12-921330-9
  • Zerbrechen die Heime an der modernen Arbeitszeitregelung? In: Unsere Jugend, Heft 5, 1977
  • Kommission Heimerziehung, Internationale Gesellschaft für Heimerziehung (Hgg.): Zwischenbericht Kommission Heimerziehung der Obersten Landesjugendbehörden und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Heimerziehung und Alternativen; Analysen und Ziele für Strategien. Internationale Gesellschaft für Heimerziehung, Sektion Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/Main 1977

Literatur


Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Helga Dill: Pädagogische Nähe und mögliche sexuelle Grenzverletzungen beim Tübinger Verein für Sozialtherapie bei Kindern und Jugendlichen e.V. 1976–1982. Eine Aufarbeitungsstudie. Abschlussbericht, S. 28 f.
  2. Heike Schmoll: Bundesweiter Missbrauch. FAZ Nr. 48, 26. Februar 2024, S. 4
  3. Helga Dill: Pädagogische Nähe und mögliche sexuelle Grenzverletzungen beim Tübinger Verein für Sozialtherapie bei Kindern und Jugendlichen e.V. 1976–1982. Eine Aufarbeitungsstudie. Abschlussbericht, S. 30
  4. Heike Schmoll: Bundesweiter Missbrauch. FAZ Nr. 48, 26. Februar 2024, S. 4
  5. a b „Becker hat mich regelrecht verfolgt“. Taz, 30. Juli 2014.
  6. Vereinsgeschichte & Chronik. In: kit-jugendhilfe.de. Abgerufen am 23. März 2021.
  7. Martin Bonhoeffer in der Kritik. In: kit-jugendhilfe.de. Abgerufen am 23. März 2021.
  8. Missbrauch an der Odenwaldschule. Weiterer renommierter Pädagoge im Zwielicht. stern.de, abgerufen am 16. Oktober 2010.
  9. Meike S. Baader, Nastassia L. Böttcher, Carolin Ehlke et al.: Ergebnisbericht „Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe – Aufarbeitung der organisationalen Verfahren und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes“. Universitätsverlag Hildesheim, Hildesheim 2024.