Königreich von Araukanien und Patagonien

Das Königreich Araukanien und Patagonien (auch Nueva Francia bzw. Nouvelle France genannt) war ein Mitte des 19. Jahrhunderts vom französischen Anwalt und Abenteurer Orélie Antoine de Tounens in Südamerika geplanter Staat. De Tounens verfolgte damit das Ziel, die einheimische indigene Mapuche-Bevölkerung im Arauco-Krieg gegen das militärische und wirtschaftliche Vordringen von Chile und Argentinien zu verteidigen. Die Staatsgründung wurde jedoch von den Regierungen der anderen Staaten ignoriert und de Tounens nur zwei Jahre später von chilenischen Behörden festgesetzt und nach Frankreich abgeschoben. Dieser Versuch der Errichtung des Königreiches wird von Historikern als kuriose und teilweise komische Episode betrachtet.[1]

Orélie Antoine de Tounens I.

Geschichte

Orélie Antoine de Tounens sympathisierte mit den Mapuche, die ihre Unabhängigkeit seit dem 16. Jahrhundert immer wieder erfolgreich verteidigt hatten. Nach Verhandlungen mit deren Kaziken wählten ihn die Führer der Indianer am 17. November 1860 zum König. Er hatte sie von seinem selbst ausgefertigten Verfassungsentwurf, möglicherweise auch einfach von der Idee überzeugen können, dass ihre Sache von einem Europäer besser vertreten werde. Dann begann de Tounens damit, eine Regierung zu bilden, kreierte eine Flagge und ließ Münzen für seine Nation mit dem Namen Nouvelle France prägen.

Seine Bemühungen um internationale Anerkennung für die Mapuche wurden durch die chilenische und argentinische Regierung, die ihn bei verschiedenen Gelegenheiten gefangen nahmen und einsperrten, verhindert. Der französische Botschafter in Santiago hatte lange vergeblich argumentiert, de Tounens sei nicht „Herr seiner Sinne“[2], erwirkte dann aber trotz Verurteilung zu zehn Jahren Kerker, dass de Tounens schließlich nach Frankreich abgeschoben wurde.

Er arbeitete in Frankreich als Laternenanzünder und startete noch weitere erfolglose Versuche, doch noch die Herrschaft über sein „Königreich“ zu erlangen. De Tounens starb 1878 in der Dordogne.

Die kuriose Fortsetzung des „Phantomstaates“[3], gehört mehr zu den Obsessionen des bourgeoisen Frankreichs, als zur Politik Südamerikas.[4] Ein französischer Champagnerhändler und Freund von de Tounens, beeindruckt von der Geschichte, reklamierte als Aquiles I. (1878–1902) den vakanten „Thron“ für sich. Dessen Nachkomme Antonio III. (1916–1952) überließ den Titel gegen Bezahlung,[5] seinem Freund, dem Rechtsanwalt Philippe Boiry (1927–2014).[6] Dieser lebte in Frankreich und verkündete den anhaltenden Kampf der Mapuche für Selbstbestimmung zu unterstützen. Er bezeichnete sich selbst als „König von Araukanien und Patagonien“. Bei einem Besuch des Landes wurde Boiry von den chilenischen und argentinischen Behörden feindlich behandelt und auch die meisten Mapuche-Organisationen ignorierten ihn.[7]

Nach Boirys Tod wählte der „Staatsrat“ Araukaunien-Patagoniens den Sozialarbeiter Jean-Michel Parasiliti di Para zum neuen König, der unter dem Namen Antoine IV. amtiert.[8]

Literatur

  • Jutta Müther: Orlie-Antoine I., König von Araukanien und Patagonien oder Nouvelle France. Konsolidierungsprobleme in Chile 1860–1870 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, Bd. 421). Lang, Frankfurt am Main u. a. 1990, ISBN 3-631-42595-3 (Zugleich: Köln, Univ., Diss., 1989).
  • Eckart Kroneberg: Don Quijote in den Anden. Roman. Volk & Welt, Berlin 1991, ISBN 3-353-00875-6.
  • Heinz-Siegfried Strelow: König der Indianer. Das abenteuerliche Leben eines Franzosen in Patagonien. Telesma-Verlag, Treuenbrietzen 2014, ISBN 978-3-941094-08-6.

Einzelnachweise

  1. Simon Collier, William F. Sater: A history of Chile, 1808–2002 (= Cambridge Latin American Studies 82). 2nd edition. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004, ISBN 0-521-82749-3, S. 96.
  2. Ortrun C. Hörtreiter: Chile mit Osterinsel. Reisehandbuch. 5. aktualisierte Auflage. Iwanowski's Reisebuchverlag, Dormagen 2009, ISBN 978-3-933041-50-0, S. 34.
  3. Clive Cheesman, Jonathan Williams: Rebels, Pretenders & Imposters. British Museum, London 2000, ISBN 0714108995, S. 141.
  4. Bruce Chatwin: In Patagonia. Summit Books, New York 1977, ISBN 0671400452, S. 25.
  5. Leslie Ray: Language of the land. The Mapuche in Argentina and Chile. IWGIA, Copenhagen 2007, ISBN 978-87-91563-37-9, S. 61.
  6. Natalie Minnis: Chile (=Insight Guides. South America Series). 3. edition, updated. Langenscheidt Publishing Group u. a., Maspeth NY u. a. 2002, ISBN 981-234-890-5, S. 41.
  7. Leslie Ray: Language of the land. The Mapuche in Argentina and Chile (=IWGIA. Document 119). IWGIA, Kopenhagen 2007, ISBN 978-87-91563-37-9, S. 61f.
  8. Private Webseite der royale d’Araucanie et de Patagonie