„Inobhutnahme“ – Versionsunterschied

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== Weblinks ==
*[http://www.sgbviii.de/S124.html SGB VIII: Inobhutnahme zur Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen] [Die Website ist offline; Inhalte veraltet]


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Version vom 5. Februar 2017, 11:26 Uhr

Blick in ein nicht belegtes Zimmer in der ehemaligen Geschlossenen Unterbringung ‚Feuerbergstraße‘ für Jugendliche in Hamburg (2006)

Inobhutnahme (ION) ist ein Begriff aus dem deutschen Rechtssystem und bezeichnet die vorläufige Aufnahme und Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen in einer Notsituation durch das Jugendamt. In Deutschland wird diese Maßnahme über § 42 SGB VIII geregelt und stellt eine so genannte andere Aufgabe der Jugendhilfe im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII dar. Sie erfolgte 77.645-mal im Jahre 2015.[1][2]

Um Inobhutnahme können Minderjährige selbst bitten (Selbstmelder, 11.447 Fälle im Jahr 2014 laut Statistischem Bundesamt) oder werden von Dritten (Polizei, Betreuern, et cetera) dem Jugendamt gemeldet (Fremdmelder, 36.612 Fälle im Jahr 2014). Unter anderem dafür wurden von vielen Jugendämtern spezielle Anlaufstellen (Kinder- und Jugendnotdienste) eigenständig oder über freie Träger realisiert, an die sich die Betroffenen wenden können. Wenden sich Minderjährige in Aufnahmeabsicht unmittelbar an eine pädagogische Einrichtung, die im Auftrag des Jugendamtes Minderjährige tatsächlich betreut, ist das noch keine Inobhutnahme. Die Inobhutnahme ist ein Verwaltungsakt. Die Entscheidung darüber, ob eine minderjährige Person in Obhut genommen wird, steht alleine dem Jugendamt zu, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Minderjährige tatsächlich aufhält.

Grundsätzliches

Die Inobhutnahme ist eine schnelle und möglichst unbürokratische Maßnahme zugunsten des Kindes und dient als Klärungshilfe für Betroffene in Krisensituationen sowie dem unmittelbaren Kinderschutz. Die Inobhutnahme gehört zu den wenigen rein fürsorglichen Leistungen der Jugendhilfe, bei denen der Staat sich selbst in die Pflicht nimmt, um das Wohl des Kindes bzw. des Jugendlichen in einer Ausnahmesituation sicherzustellen.

Sucht ein Kind oder Jugendlicher selbst um Schutz nach, so ist das Jugendamt verpflichtet, dieser Bitte nachzukommen. Maßgeblich ist ausschließlich das subjektive Empfinden des Schutzsuchenden. Selbst wenn beteiligte Erwachsene auf den ersten Blick zu einem anderen Schluss kommen, ist das Kind beziehungsweise der Jugendliche erst einmal durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen. Damit ist nicht zwangsläufig die Bestimmung des Aufenthaltes in einer Jugendhilfeeinrichtung verbunden. Die Mitarbeiter des Jugendamtes sind sich bewusst, dass eine mechanisch auf Wunsch des Kindes hin vorgenommene Trennung von seinen Eltern den Konflikt ausweitet und halten es für fachlich und rechtlich geboten, über die Folgen einer Inobhutnahme in geeigneter Weise aufzuklären. Häufig wollen nach dieser Beratung die Betroffenen nicht mehr in Obhut genommen werden und erklären sich zur Mitwirkung bei anderen, weniger einschneidenden Maßnahmen bereit.

Das Jugendamt ist verpflichtet, die Inobhutnahme den Personensorgeberechtigten mitzuteilen. Verlangen diese die Herausgabe des Kindes, so ist das Jugendamt (nach Prüfung des Sachverhalts) verpflichtet, dem nachzukommen oder andernfalls – falls das Kindeswohl dadurch nicht gesichert erscheint – eine Entscheidung des Familiengerichts über weitere Maßnahmen herbeizuführen.

Erfährt das Jugendamt von einer Kindeswohlgefährdung (vgl. dazu auch § 8a SGB VIII), kann es den/die Minderjährige/n in Obhut nehmen, wenn es keine andere geeignete Hilfemöglichkeit gibt. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind ohne richterliche Entscheidung einen Tag nach Beginn zu beenden (Art. 104 GG, § 42 Abs. 5 SGB VIII). Sie sind außerdem nur zulässig, um Gefahren für Leib und Leben des Betroffen oder von Dritten abzuwenden (§ 42 Abs. 5 SGB VIII). Zu freiheitsentziehenden Maßnahmen wird im Rahmen von Inobhutnahmen äußerst selten gegriffen. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht.

Nach Deutschland eingereiste ausländische Minderjährige werden vom Jugendamt gemäß § 42 Absatz 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut genommen, wenn sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Entgegen einer verbreiteten Annahme handelt es sich bei diesem Personenkreis nicht immer um Flüchtlinge. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter bezeichnet „als Flüchtling Bürger aus Staaten außerhalb der EU, die aus politischen, wirtschaftlichen, geschlechtsspezifischen, gesundheitlichen, religiösen oder sonstigen Gründen auf der Flucht sind oder aufgrund der familiären Situation, des Fehlens von persönlicher Sicherheit oder aus sonstigen Motiven ihr Heimatland verlassen haben und Schutz suchen. Nicht unter den Flüchtlingsbegriff fallen Ausländer/ -innen, die Staatsangehörige der EU-Staaten und anderer westlicher Industriestaaten sind.“[3]

In der Regel finden Kinder und Jugendliche Obhut in Bereitschaftspflegefamilien und Heimeinrichtungen, die mit den örtlichen Jugendämtern Verträge über Bereitstellung von Plätzen für Notsituationen geschlossen haben. Während einer Inobhutnahme liegt die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts unter Berücksichtigung des elterlichen Willens in einer Art „substituierender Notkompetenz“ temporär beim Jugendamt. Über eine weitergehende Übertragung von Teilen des Sorgerechts entscheidet das Familiengericht.[4]

Im Hinblick auf die Situation im Elternhaus ist das Jugendamt aufgrund seines Schutzauftrages (nun ausdrücklich in § 8a SGB VIII hervorgehoben) auch bei einer Gefährdung eines Minderjährigen zunächst verpflichtet, die Eltern zur Zusammenarbeit zu bewegen. Ist dies nicht möglich, muss das Jugendamt gegebenenfalls nach den § 1666 beziehungsweise § 1666a BGB eine Eilentscheidung des Familiengerichts erwirken (§ 157 FamFG). Bei Gefahr im Verzug ist der Minderjährige (ggf. mit Unterstützung durch die Polizei) direkt in Obhut zu nehmen und die Entscheidung des Gerichts nachzuholen. Eigene Befugnisse zur Anwendung eines sogenannten „unmittelbaren Zwangs“ hat das Jugendamt nicht (vgl. § 8a Abs. 4, § 42 Abs. 6 SGB VIII).

Statistik

Die Zahl der jährlichen Inobhutnahmen lag 2005 bei rund 25.664 und stieg bis zum Jahr 2014 kontinuierlich, auf 48.059 an. Die Kosten verdoppelten sich in dieser Zeit auf inzwischen neun Milliarden Euro pro Jahr.[5][6]

Literatur

  • Meysen, T./Schindler, G.: Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung: Hilfreiches Recht beim Helfen; JAmt 10/2004, S. 449-466.
  • Münder u. a. Frankfurter Kommentar zum SGB VIIII; § 42; 7. Auflage Weinheim 2013.
  • Thomas Trenczek: Inobhutnahme – Krisenintervention und Schutzgewährung durch die Jugendhilfe; Stuttgart 2008.
  • Lewis, G./ Riehm, R./ Neumann-Witt, A./ Bohnstengel, L./ Köstler, S./ Hensen, G. : Inobhutnahme konkret, IGFH Eigenverlag 2010.

Einzelnachweise

  1. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales/Sozialleistungen/KinderJugendhilfe/Tabellen/Schutzmassnahmen.html
  2. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales/Sozialleistungen/KinderJugendhilfe/Tabellen/Inobhutnahmen.html
  3. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen: Inobhutnahme, Clearingverfahren und Einleitung von Anschlussmaßnahmen (beschlossen auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz). (PDF) Abgerufen am 18. März 2015.
  4. Thomas Trenczek: Inobhutnahme zur Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen, 2003. In: Ingeborg Becker-Textor und Dr. Martin R. Textor (Hrsg.): SGB VIII – Online-Handbuch, Zugriff am 13. März 2015
  5. Zahl der Kinder in Heimen verdoppelt. In: Die Welt. Nr. 302, 29. Dezember 2015, ISSN 0173-8437, S. 1 (online).
  6. Dorothea Siems: Zahl der Kinder in Heimen verdoppelt. In: Die Welt. Nr. 302, 29. Dezember 2015, ISSN 0173-8437, S. 5 (online).