Gustl Mollath

Gustl Ferdinand Mollath (* 1956), ein Maschinenbauer aus Nürnberg, wurde als potentielles Opfer eines Justizirrtums bekannt. Mollath erstattete 2003 Anzeige wegen Schwarzgeldtransfers gegen Mitarbeiter der HypoVereinsbank, der die Staatsanwaltschaft nicht nachging. 2006 wurde Mollath von seiner Ex-Frau, früher Mitarbeiterin der HypoVereinsbank und in den Schwarzgeldtransfer nachweislich[1] verwickelt, angezeigt und als nicht schuldfähig und gemeingefährlich in die Forensische Psychiatrie Bayreuth zwangseingewiesen.[2][3][4]

Hintergrund

Mollath hatte eine Kfz-Werkstatt, die Oldtimer der Marke Ferrari tunte und restaurierte.[3][2] Nach der Geschäftsaufgabe 2000 war er arbeitslos.[3]

Seine damalige Frau Petra arbeitete als Vermögensberaterin[4] bei der HypoVereinsbank. Er sagte aus, er habe „für Kunden in den Süden fahren“ müssen, seine damalige Frau sei mitgefahren. Eine Route durch die Schweiz sei gewählt worden. Seine Frau habe dabei Geld und Unterlagen in ihrer Tasche gehabt. Er habe ihr über Jahre hinweg klar gemacht, dass das so nicht weiter gehen kann.[2]

Weil Mollath nach seiner Aussage sie von „Schwarzgeldverschiebungen“ abhalten wollte, kam es wiederholt zum Streit. Schließlich habe sie ihm gedroht, ihn „fertig“ zu machen, falls er die Vorwürfe nicht einstelle.[5]

Edward Braun, ein Freund von Mollath, beschreibt ihn als sehr begabten Ingenieur, seine damalige Frau als motorsportbegeistert, laut Braun soll Mollaths Frau auch ihm Schwarzgeldgeschäfte ab 100.000 DM angeboten haben.[2] Im Mai 2002 bekam Braun nach eigener Aussage einen sehr aggressiven Anruf von Mollaths ehemaliger Frau: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig. Dann zeige ich ihn auch an, das kannst du ihm sagen. Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch wie.“[6][2]

Im Dezember 2002 formulierte Mollath sachliche Briefe an die HypoVereinsbank und teilte mit, dass ihn diese Geschäftspraxis „seelisch und dadurch auch körperlich“ belaste.

Die Hypovereinsbank ließ die Vorwürfe durch ihre Innenrevision untersuchen. Diese kam in einem 17seitigen vertraulichen „Revisionsbericht Nr. 20456” zu dem Ergebnis, dass „alle nachprüfbaren Behauptungen sich als zutreffend herausgestellt“ haben.[1] Die Bank reagierte, indem sie sich von betroffenen Mitarbeitern trennte.[7][8]

Es seien weitere Hinweise auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Mitarbeiter gefunden worden, und einer „allgemein bekannten Persönlichkeit“ sei geholfen worden, Schwarzgeld zu waschen.[4] Zudem seien viele und gravierende Verstöße gegen interne Richtlinien sowie die Abgabenordnung, das Geldwäschegesetz und das Wertpapierhandelsgesetz festgestellt worden.[4] Am 25. Februar 2003 entließ die HVB Frau Mollath[7][8] und einen weiteren Mitarbeiter. Strafanzeige erstattete die Bank jedoch nicht, da „die Revisionsprüfung keine ausreichenden Erkenntnisse für ein strafrechtlich relevantes Verhalten von Kunden oder Mitarbeitern, die eine Strafanzeige als angemessen erscheinen ließen“, ergeben habe.[1]

Mollaths Strafanzeige lehnte die Staatsanwaltschaft Nürnberg als „zu pauschal“[4] , „zu vage“[9][2] oder "zu ungenau"[10]ab.

Mollath wurde schließlich von seiner Ex-Frau angezeigt: Er habe sie am 12. August 2001[4] geschlagen und gewürgt, zudem die Reifen mehrerer Fahrzeuge von Bekannten von ihr zerstochen, was er stets bestritt. Dem zur Zeit des Verfahrens ohne zweiten psychiatrischen Gutachter „weitestgehend nach Aktenlage erstellt[en]“[11] Gutachten zufolge leide Mollath an einer „wahnhaften Störung“[3] und gelte als „gemeingefährlich“. Die „Schwarzgeldverschiebungen“ seien Teil eines „paranoiden Gedankensystems“.[2] Das Landgericht Nürnberg hielt die Vorwürfe der Ehefrau Mollaths, hauptsächlich auf Grundlage dieses Gutachtens, für erwiesen, sprach ihn aber wegen fehlender Schuldfähigkeit frei. Zu dem damaligen Gutachten gibt es mittlerweile zwei weitere, die zu einem gegenteiligen Schluss kommen, die jedoch „nicht anerkannt“ werden[6].

Da weitere Taten zu befürchten seien, wurde im August 2006 seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.[3]

Diskussion seit 2011

Erst im Jahr 2011, also acht Jahre nach dessen Erstellung, forderte die Staatsanwaltschaft den Revisionsbericht der HVB an.[1]

Am 5. Dezember 2011 beschäftigte sich der Bayerische Landtag mit dem Fall. Wilhelm Schlötterer, ehemaliger Jurist im bayrischen Finanzministerium, meinte nach intensiver Akteneinsicht, dass sich die Staatsanwaltschaft zweifach schuldig gemacht habe. Sie sei Mollaths Strafanzeigen nicht nachgegangen und habe die Angaben über die Schwarzgeldgeschäfte nicht überprüft.[2] Schlötterer stellte gleichzeitig fest, dass die Staatsanwaltschaft bereits einem Verdacht nachgehen müsse und dass die eindeutigen Hinweise auf Namen und Konten mehr als einen Verdacht darstellten.

Justizministerin Beate Merk (CSU) bezeichnete die Unterbringung Mollaths in der Psychiatrie als Folge seiner Straftaten und als „blanken Unsinn“, dass die Staatsanwaltschaft Weisungen der Politik erhalten hätte,[3] und verwies auf die Staatsanwaltschaft.[12]

SPD und Grüne sehen als fraglich, warum die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige Mollaths ignoriert hatte.

Die Freien Wähler vermuten einen Justizskandal. Die Staatsanwaltschaft setzte sich mit der HypoVereinsbank schriftlich in Verbindung.[3][13]

Karl-Heinz Westenrieder (Krankenhausmanager und als damaliger Schöffe am Urteil beteiligt) ging zur Zeit des Prozesses davon aus, dass die Beschreibungen Mollaths über Geldwäsche zu ungenau seien.[2] Es sei aus heutiger Sicht ein Fehlurteil, und er wünsche sich die Wiederaufnahme des Verfahrens. Daten und Personen seien im Verfahren nicht genannt worden. Heute ist Westenrieder bekannt, dass damals diese Daten und Personen bereits bekannt waren.[2]

Rudolf Schmenger, ehemaliger Steuerfahnder, ist es ein Rätsel, warum die Staatsanwaltschaft „ganz klare[n] Ermittlungsansätze[n]“ nicht nachgegangen sei, und bezeichnete das als „unvorstellbaren Vorgang“ in einer „Dramaturgie, die unseres Rechtsstaates unwürdig ist“.[2]

Seit 30. Oktober 2012 gerät Beate Merk in Erklärungsnot. In einem Report Mainz-Interview bezeichnet sie die alte Version ausdrücklich als korrekt und sagt aus, dass die „verfolgbaren“ (im Unterschied zu „nachprüfbaren“) Aussagen Mollaths sich nicht bestätigt hätten. Sie verlangt zudem das Abstellen der Aufzeichnungsgeräte und bricht das Interview ab.[14] Im Rechtsausschuss des Landtages erklärt sie, dass der Revisionsbericht der HVB die Vorwürfe von Mollath gerade nicht bestätigt hätte, was dem der Presse vorliegenden Revisionsbericht offenbar widerspricht.[1]

Frank Wehrheim (ehemaliger Steuerfahnder) attestiert Beate Merk im November 2012 die gewollte Falschaussage einer promovierten Juristin und Falschinformation der Öffentlichkeit.[15] Florian Streibl (rechtspolitischer Sprecher der Freien Wähler) fühlt sich „schlicht und einfach belogen“ und hält Merk für nicht mehr tragbar.[15]

Eine bereits im Januar 2012 eingereichte Beschwerde des Karlsruher Rechtsanwalts Michael Kleine-Cosack gegen die Unterbringung Mollaths wird vom Bundesverfassungsgericht geprüft.[11]

Der Psychiater Friedrich Weinberger von der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie ist der Auffassung, dass Mollath „seit über fünf Jahren bei voller Gesundheit unschuldig in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt“ sitze.[3] Mollath befindet sich auf der Station FP6 des Bezirkskrankenhauses Bayreuth in Gewahrsam.

Im November 2012 meldet sich der damalige Schöffe, Heinz Westenrieder, erneut zu Wort. Er sagt aus, das psychiatrische Gutachten bereits zur Zeit des Verfahrens als „schwach“ eingeschätzt zu haben, da es weitestgehend nach Aktenlage angefertigt wurde, Mollath während des Verfahrens „nicht exploriert“ worden sei und kein Zweitgutachten erfolgte[11]. Ebenfalls im November 2012 teilt die Grünen-Rechtsexpertin Christine Stahl gegenüber der Presse mit, dass sie vermute, dass Merk den Bankenbericht gar nicht selbst gelesen habe: „Frau Merk hätte sich die Akten ansehen müssen […] Bei der angeblichen Wahnidee eines Schwarzgeldskandals muss Gustl Mollath rehabilitiert werden.“ [6].

Ebenfalls im November kritisiert der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Müller das damalige Verfahren scharf: den Angaben zur Körperverletzung sei alleinig aufgrund dieser Aussage geglaubt worden (Aussage-gegen-Aussage-Konstellation), Müller greift auch die Problematik der erst sehr späten Anzeigestellung durch die Frau auf, bei der die Suche nach Spuren am Körper der Frau nicht mehr möglich gewesen ist. Mit dem Vorwurf Mollaths habe man sich gar nicht auseinandergesetzt und diese kurzerhand als "fixe Idee des Angeklagten" bezeichnet. Die Behauptung der bayr. Justizministerin Merk, dass die Schwarzgeldvorwürfe Mollaths und seine Einstufung als gemeingefährlicher Geisteskranker, zwei ganz unabhängige Sachverhalte wären, die nichts miteinander zu tun hätten, hält Müller deshalb "bei objektiver Würdigung [für] nicht nachvollziehbar".<ref=tpho1611/>

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bayerischen Landesärztekammer Frau Maria Fick, die die Unterlagen studiert hat, und mit Mollath ausführlich gesprochen hat, sagt „es gibt keine eindeutige Diagnose, die eine siebenjährige ‚Versorgung‘ in der Forensik mit unbestimmter Dauer rechtfertigen würde“. Man gewinne „den Eindruck, es solle etwas nicht aufgeklärt werden, sondern Herr Mollath solle aus der Öffentlichkeit auf unbestimmte Zeit verschwinden“[16]. Frau Fick bemüht sich, dass die Ärztekammer über die Berufsordnung die Gutachten beurteilen lässt.[17]

Einzelnachweise

  1. a b c d e Bankbericht bringt Ministerin in Not. In: Berliner Zeitung vom 14. November 2012
  2. a b c d e f g h i j k Unschuldig in der Psychiatrie? Beitrag in der Sendung Report Mainz am 13. Dezember 2011, Artikel und Video abgerufen am 19. Dezember 2011.
  3. a b c d e f g h Christian Rath: Wahnvorstellung oder Bankenskandal? In: Taz, 18. Dezember 2011, abgerufen am 19. Dezember 2011.
  4. a b c d e f Olaf Przybilla und Uwe Ritzer: Fall Mollath und Hypo-Vereinsbank - Der Mann, der zu viel wusste. In: Süddeutsche Zeitung vom 13. November 2012
  5. Report Mainz Der Fall Mollath vom Dienstag, 13. Dezember 2011, Min 0:02:10 ff.
  6. a b c Justizministerin unter Verdacht. Psychiatrie-Insasse Mollath wusste von Geschäften, die Richter nicht kennen wollten. In: Tagblatt vom 15. November 2012
  7. a b Fall Gustl Mollath - Ministerin nimmt Stellung vom 14. November 2012
  8. a b Interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank, S. 25: Alle nachprüfbaren Behauptungen [von Herrn Mollath haben sich als zutreffend herausgestellt.
  9. Olaf Przybilla und Uwe Ritzer: Vorwürfe gegen HypoVereinsbank - Gustl und das Schwarzgeld. In: Süddeutsche Zeitung vom 13. November 2012
  10. Peter Mühlbauer: Schwarzgeldgeschäfte-Whistleblower in die Psychiatrie abgeschoben? Die bayerische Justizministerin Beate Merk gerät in der Affäre Mollath immer stärker unter Druck In: Telepolis/heise online vom 13. November 2012
  11. a b c Olaf Przybilla und Frank Müller: Nach Unterbringung in Psychiatrie: Schöffe kritisiert Mollath-Verfahren. In: Süddeutsche Zeitung vom 14. November 2012
  12. Fall Gustl Mollath - Justizministerin nimmt Richter in Schutz abgerufen am 13. November 2012
  13. Fall Gustl Mollath - Opposition wittert Justizskandal vom 31. Oktober 2012
  14. Report Mainz vollständiges Interview mit Beate Merk vom 13. November 2012
  15. a b Report Mainz vom 13. November 2012
  16. Olaf Przybilla und Uwe Ritzer: Justizministerin Merk in Erklärungsnot. In: Süddeutsche Zeitung vom 13. November 2012
  17. Brief der Menschenrechtsbeauftragten der Bayerischen Landesärztekammer Frau Dr. Fick vom 29. Oktober 2012 an die Bayerische Justizministerin Frau Dr. Merk im Wortlaut

Referenzfehler: Das in <references> definierte <ref>-Tag mit dem Namen „tpho1611“ wird im vorausgehenden Text nicht verwendet.