Ernst Gennat

Ernst August Ferdinand Gennat (* 1. Januar 1880 in Berlin-Plötzensee; † 20. August 1939 in Berlin) war ein deutscher Beamter der Berliner Kriminalpolizei. Mehr als 30 Jahre lang arbeitete er als einer der begabtesten und erfolgreichsten Kriminalisten Deutschlands. Er bearbeitete unter anderem den Fall des Hannoveraner Massenmörders Fritz Haarmann. Seinen Dienst verrichtete Ernst Gennat unter drei deutschen Regimes. Schon zu Lebzeiten Legende und Original gleichermaßen, entsprach er mitnichten dem klassischen Klischee des engstirnigen preußischen Beamten. Gennat war vielmehr eine "Type" mit ausgeprägten Marotten und der vollkommenste Berliner, den man sich denken konnte.

Hinter seinem Rücken wurde er freundlich oder hämisch von seinen Kollegen "Buddha der Polizei" oder "Der volle Ernst" genannt. Diese Spitznamen ironisierten ausschließlich seine imposante Gestalt mit einer Körperfülle von fast drei Zentnern. Der schriftstellernde Hobbykriminalist Franz von Schmidt beschrieb Gennats Äußeres treffend in seinem Buch "Vorgeführt erscheint": er war groß, trug seltsam enge und ungebügelte Röhrenhosen und sein Jackett wölbte sich, als zöge sein Besitzer es auch beim Schlafen nicht aus. Sein gewaltiger Schädel und die trotz der Verfettung guten Konturen dieses Kopfes warnten einen aber, den Mann komisch zu finden.

Der junge Ernst Gennat

Durch seinen Vater, der Oberinspektor des "Neuen Strafgefängnisses" Berlin-Plötzensee (im Volksmund auch "die Plötze" genannt) war, kam der junge Gennat schon relativ früh mit der sozialen und wirtschaftlichen Misere der untersten Bevölkerungsschichten in Berührung. Laut Adressbucheintragung von 1880 hatte die Familie Gennat (Mutter Clara Luise, geborene Bergemann, Vater August und Sohn Ernst August Ferdinand) eine Personalwohnung im "Neuen Strafgefängniß" bezogen.

Der schulische Werdegang

Nach der Volksschule lernte Ernst Gennat am Königlichen Luisen-Gymnasium in der Turmstraße 87 in Berlin, wo Georg Kern als Direktor wirkte. Am 13. September 1898 legte er seine Abiturprüfung ab. Ungeklärt ist, was er die folgenden drei Jahre bis zu seiner Immatrikulation am 18. Oktober 1901 tat. Vermutlich diente Gennat zu dieser Zeit in der kaiserlichen Armee. Die Wehrpflicht stellte damals in Preußen eine Selbstverständlichkeit dar, denn in die Universitätsmatrikel unter Nummer 37 – Rubrik "Künftiger Beruf" - vermerkte Gennat prägnant: "Militär".

An der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität studierte er dann acht Semester Jura. Am 12. Juli 1905 ließ er sich aus der Matrikel streichen - vor dem Semesterende am 15. August. Von offizieller Seite wurde dazu vermerkt: "wg. Unfl." ("wegen Unfleiß"), was jedoch rein hypothetisch zu verstehen ist. Wahrscheinlich ging dem ein verlockendes Angebot der Kriminalpolizei voraus.

Ernst Gennat und der Berliner "Adelsklub"

1904 trat Ernst Gennat in den Polizeidienst ein. Am 30. Mai 1905 legte der Kriminalanwärter seine Prüfung zum Kommissar ab, wurde zwei Tage später zum Hilfskommissar ernannt und am 1. August zum Kriminalkommissar.

Der Kopf und die wichtigsten Glieder der Berliner Polizei residierten damals im mächtigen Polizeipräsidium (erbaut: 1886 - 1889; im Zweiten Weltkrieg z. T. zerstört und 1960 abgerissen) aus rotem Backstein am Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Die dort Beschäftigten waren eine illustre Gesellschaft, die nicht umsonst "Adelsklub" titulierte wurde. Da es in der Kaiserzeit kaum einen Beamten gab, der nicht von Adel war. Die überwiegende Mehrheit der Beamten im höheren Dienst rekrutierte sich zum einen aus Offizieren, die, in der Regel aus pekuniären Gründen, den Militärdienst quittiert hatten, sowie aus Abkömmlingen mehr oder weniger verarmter Adelsfamilien, die aufgrund ihrer misslichen wirtschaftlichen Lage ebenfalls eine Karriere im Staatsdienst anstrebten.

Als Gennat 1904 zur Kriminalpolizei kam, gab es noch kein Morddezernat im eigentlichen Sinne. Am 25. August 1902 wurde zwar ein so genannter "Mordbereitschaftsdienst" innerhalb der Kriminalpolizei eingerichtet, damit zu jeder Tages- und Nachtzeit sofort Beamte an den Tatort geschickt werden konnten. Bis dahin hatte die Leitung der Kriminalpolizei immer erst im Bedarfsfall damit begonnen, geeignete Ermittler zu finden, sodass es mitunter Stunden dauerte, bis die Beamten am Tatort eintrafen.

Ernst Gennats "Mordinspektion" am Polizeipräsidium zu Berlin

Die Berliner Kriminalpolizei war in der Zeit der Weimarer Republik (1919 – 1933) zusammengefasst in der Abteilung IV des Polizeipräsidiums. Jene setzte sich aus neun Inspektionen zusammen, die ihrerseits noch einmal in einzelne Dezernate unterteilt waren.

Inspektionen der Abteilung IV (Kriminalpolizei):

  • Inspektion A: Mord und Körperverletzung (Morddezernat ab 1926)
  • Inspektion B: Raubüberfälle
  • Inspektion C: Diebstahl
  • Inspektion D: Betrug, Schwindel und Falschmünzerei
  • Inspektion E: Sittenpolizei
  • Inspektion F: Verstöße gegen die Gewerbe- und Konkursordnung
  • Inspektion G: Weibliche Kriminalpolizei, W. K. P. (ab 1927 hauptsächlich mit weiblichen Beamten besetzt)
  • Inspektion H: Fahndungspolizei
  • Inspektion I: Erkennungsdienst, E. D.

1925, mit 45 Jahren, wurde Ernst Gennat zum "Kriminalpolizeirat" befördert. Ein Rang, der ihm – im Vergleich mit anderen Kriminalisten seinerzeit – schon sehr lange gebührte. Die Gründung des "Landeskriminalamtes für Preußen", welches am 1. Juni 1925 seine Arbeit aufnahm, änderte auch nichts an der Tatsache, dass es in der Aufklärung von Kapitalverbrechen im damaligen Deutschland ein deutliches Defizit gab. Diesen Missstand wollte Kriminalrat Gennat nicht mehr hinnehmen und begründete die "Zentrale Mordinspektion für Berlin", die am 1. Januar 1926 offiziell ihre Arbeit aufnahm. Als Chef seiner neuen Inspektion koordinierte er nicht nur die Mordkommissionen, sondern hatte die Kontrolle über alle Morduntersuchungen inne und suchte selbst die fähigsten Kriminalisten aus.

Diese "Mordinspektion" bestand aus einer "aktiven" und zwei "Reserve-Mordkommissionen". Die aktive setzte sich aus einem älteren, einem jüngeren Kommissar und, je nach Bedarf, aus vier bis zehn Beamten anderer Inspektionen zusammen, je nachdem welche Fachkenntnisse vonnöten waren - plus einer Stenotypistin, Hundeführer nach Bedarf und dem Erkennungsdienst. Den Reservekommissionen gehörten zunächst jeweils nur ein Kommissar und zwei bis drei Beamte an.

Obwohl Ernst Gennat schon zur Kaiserzeit eine Unzahl von Verbrechen – nicht nur Tötungsdelikte – aufgeklärt hatte, ist er erst in den (Anfangs-) Jahren der Weimarer Republik auf dem Höhepunkt seiner Popularität und zu einer Art Medienstar avanciert. Der berühmte Mordsachverständige ist ein Stück Berlin geworden. Über Mordfälle, in denen Gennat ermittelte, berichteten die Tageszeitungen besonders ausführlich. Zeigte er sich auf einer Veranstaltung der Berliner Hautevolee, so wurde sein Name in den Gesellschaftsspalten der Boulevard-Presse in einem Atemzug mit der "Prominenz" genannt.

Im Jahre 1931 konnte die Zentrale Mordinspektion für Berlin von 114 begangenen Tötungsdelikten 108 aufklären. Das waren 94,7 Prozent. Die Aufklärungsrate für Morde liegt heute zwischen 85 und 95 Prozent.

Die Mitarbeiter der Mordbereitschaft in den Zwanziger Jahren

Seit den Zwanziger Jahren bestand die so genannte "Mordbereitschaft" der Kripo Berlin aus etwa vierzehn bis achtzehn Kommissaren, von denen je zwei in Mord- bzw. Mordreservekommissionen zusammengekoppelt waren. Die Dauer dieser so genannten "Mordehen", wie die "harte, männliche Schnodderigkeit" (Zitat: Franz von Schmidt) der Beamten diese Teams nannte, betrug theoretisch vier Wochen. Da aber die Aufklärung und Abwicklung der Fälle sich nicht zeitlich begrenzen ließen, ebenso wenig wie man es erreichen konnte, dass Morde nur während der Dienststunden begangen oder wenigstens entdeckt wurden, waren viele "Mordehen" langlebiger. Später bildeten sich Teams heraus, die sich besonders gut ergänzten, besonders leistungsfähig waren, und diese ließ dann Gennat bestehen und übernahm sie als "ständige" Kommission für "Mord".

Das sonderbarste, vielleicht auch stärkste Team bestand aus den Kriminalkommissaren Dr. Ernst Schambacher und Togotzes. Schambacher war knapp mittelgroß, feingliedrig und machte den Eindruck eines Gelehrten. Er war ein Ästhet, ein belesener und bildungshungriger Mann, spielte das Raubein und war für sein tolles "Berlinern" bekannt. Togotzes war groß und schlank, Sportler. Beide kleideten sich immer sehr elegant, und Togotzes trug sogar ein Monokel. Deshalb hatte er schon als Student den Biernamen "Graf". Dieser passte aber erst richtig, wenn er wie "Jraf", also berlinisch, ausgesprochen wurde. Die beiden ergänzten sich in der Arbeit prächtig. Der "kleine Doktor" (Schambachers Spitzname zur damaligen Zeit) war ein "kriminalistischer Diplomat", unterhielt sich ausschweifend mit seinen Delinquenten, sammelte Nuancen und Imponderabilien so lange, bis recht überraschend für den Verdächtigen diese Mosaiksteinchen ein erstaunlich klares Bild seiner Person, oft genug sogar ein Tatbild ergaben. Kam der Doktor mit dieser Vernehmungsart, die bei der Kripo die "süße Tour" hieß, nicht zum Ziel, so kam die Reihe an den "Jraf". Dieser hatte eine nüchterne Art an sich, fragte prägnant, beantwortete alle Ausweichversuche und Ablenkungen mit einem bewussten Nichtbeachten, unterbrach sie schnell mit konkreten Fragen oder tat sie überlegen lächelnd ab, sodass der Verdächtige, wenn er schuldig war, fast schon aus Verzweiflung über so viel Trockenheit gestand. Andererseits war es so, dass Schuldige, die das "Bohren" des "Jrafen" ohne Geständnis erlebt hatten, aufatmeten, wenn sich Schambacher ihrer wieder annahm und sich in seiner teilnahmsvollen Art mit ihnen unterhielt. Oft genug fiel dann einer ihrer "Kunden" auf diese geschickte Vernehmungsart herein.

Kriminalkommissar Otto Trettin, eine weitere Größe von "Kapitalverbrechen", einarmig und cholerisch, verbrauchte bei seinen meist im Fortissimo sich abspielenden Vernehmungen stets mehrere Sekretärinnen, die er nebenher auch noch fertig machte und dem Weinen nahe brachte.

Kriminaloberwachtmeister Albert Dettmann trug stets eine entsicherte Pistole in der äußeren Manteltasche, was mit Recht manchem Kollegen und Vorgesetzten recht unheimlich, aber doch nie abzustellen war. Dettmanns Ruf in Kollegenkreisen begründete sich weniger auf seine großen kriminalistischen Leistungen, sondern vielmehr darauf, dass er der erste Berliner Beamte war, der durch die Tasche schoss und dieses Kunststück in einem zweiten Fall persönlicher Bedrohung gleich erfolgreich wiederholte.

Kriminalkommissar Lehmann II. ging nie auf Außendienst, ohne sich einen Reservekragen und -schlips einzustecken, seitdem er am Anfang seiner Laufbahn bei einer turbulenten Festnahme einmal Schlips und Kragen verloren hatte und sich in diesem Zustand noch stundenlang den Blicken der Öffentlichkeit hatte aussetzen müssen.

Die berühmtesten Enfants terribles der Berliner Kriminalpolizei waren aber die so genannten "Zwillinge", die Kriminalobersekretäre Thiemann und Zimmermann, die unzertrennlich schienen, seit über einem Dutzend Jahren immer gemeinsam operierten und das oft genug in einer nicht nur alle Bürokratie, sondern auch Vorschriften und Gesetze missachtenden Art.

Kriminalsekretär Otto Knauf - kurz als "Otto" in der Kripo Berlin bekannt, war jahrzehntelang der Hüter von Gennats Archiv. Wegen seiner Grobheit und Dickköpfigkeit selbst gegen die höchsten Vorgesetzten kam er nie über den Kriminalobersekretär hinaus. In praktischer Kriminologie war Knauf der beschlagenste Mann in Deutschland, außerdem war er ein gern in Zitaten redendes Original.

Auch Arthur Nebe war ein Beamter, der anfangs unter Ernst Gennat diente. Seit 1920 bei der Kriminalpolizei, hatte er allerdings erst im zweiten Anlauf, 1923, seine Prüfung zum Kommissar bestanden. Sein verbissener Ehrgeiz machte ihn bei den Kollegen nicht eben beliebt. Im Laufe der Zwanziger Jahre wurde Nebe Chef des preußischen Kriminalpolizeiamtes. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ernannte man ihn zum Chef der Abteilung V des Reichssicherheitshauptamts, die für kriminalpolizeiliche Aufgaben zuständig war. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Nebe verdächtigt, an diesem Umsturzversuch teilgenommen zu haben. Im Frühjahr 1945 wurde Arthur Nebe durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Das "Mordauto", "Mordehen" und andere Kuriositäten

Nach Ernst Gennats Plänen hatte Daimler-Benz einen großen, schwarzen Spezialwagen – umgangssprachlich "Mordauto" genannt – angefertigt, in dem alle für die Ermittlung benötigten Utensilien untergebracht waren. Schon seit 1921 gab es eine Art Mordauto, einen schwarzen Pkw, der aber viel zu klein und bei weitem noch nicht so perfekt ausgestattet war. Der große, kastenförmige Wagen, in den dreißiger Jahren war es ein Maybach "Zeppelin", sollte nicht nur eine größere Personenzahl befördern können, sondern gleichzeitig auch alle am Tatort benötigten technischen Apparaturen "an Bord" haben. Das Publikum staunte, als es anlässlich der "Großen Polizeiausstellung" 1926 in Berlin das neue schwarze Mordauto besichtigen durfte.

Je nach Bedarf konnte der Wagen in ein behelfsmäßiges Büro umfunktioniert werden. Eine Schreibmaschine (mit Stenotypistin) gehörte ebenso zum Inventar wie ein Klapptisch und Klappstühle, damit, falls nötig, auch im Freien gearbeitet werden konnte. Für die unmittelbare Arbeit am Tatort dienten Materialien zur Spurensicherung, Markierungspfähle aus Stahl mit einem dreieckigen Feld und fortlaufenden Nummern. An alles war gedacht: Scheinwerfer, Taschenlampen, Fotomaterial, diverses Handwerkszeug von der Schere bis zum Beil, aber auch Bandmaß und Zollstock, Gummihandschuhe, Gummischürzen, Pinzetten, Sonden und Pipetten, um ausgelaufene Flüssigkeiten aufzunehmen, Deckelgläser und Pappschachteln zur Aufbewahrung von Beweisstücken. Der Stammplatz des fast drei Zentner schweren Ernst Gennat war mit verstärkten Federn versehen.

Die Münchner Kriminalpolizei schaffte 1927 nach diesem Muster ebenfalls ein "Mordauto" an.

Für den "Urtyp" des deutschen Fernsehkommissars, Kommissar Lohmann (u. a. Otto Wernicke, Gert Fröbe), stand Ernst Gennat Pate: schwergewichtig, jovial, patriarchalisch – autoritär. Seine ersten Auftritte hatte der "Kriminalkommissar Karl Lohmann" in den Fritz-Lang-Filmen M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) und Das Testament des Dr. Mabuse (1932). Beide Male wurde er exzellent von Otto Wernicke verkörpert.

Zu Weltruhm gelangte Gennats Archiv, das vom Kriminalsekretär Knauf betreut wurde. Keine andere Polizeibehörde besaß bis 1945 eine solche Anzahl von Fallsammlungen, wie die preußische Landespolizei in Berlin. In kürzester Zeit konnten so länger zurückliegende Fälle rekonstruiert werden, um mögliche Verbindungen in der Tatausführung erkenntlich zu machen. Gennat lieh sich auch Ermittlungsakten aus dem Ausland aus, um seine "Sammlung" zu komplettieren. Danach "vergaß" er dann einfach, sie zurück zu geben. Diese Akten waren nicht nur bei der Aufklärung aktueller Verbrechen hilfreich, sondern dienten auch gleichzeitig als Schulungsmaterial für Anwärter. Einige Stücke aus dem Gennatschen Archiv gingen in den Bestand der Berliner Polizeihistorischen Sammlung über.

In der Zeit des Dritten Reichs

1933 kam das nationalsozialistische Regime unter Adolf Hitler an die Macht und das Deutsche Reich wurde eine Diktatur. Gennat blieb auf seinem Posten. Die Säuberung im Bereich der Kriminalpolizei blieb oberflächlich. Vielleicht waren sich die neuen Machthaber einfach der Loyalität der Beamten gegenüber jeglicher Regierung sicher. Politisch Links eingestellte Mitarbeiter wurden in die Provinz versetzt oder aus dem Amt entfernt. Der Vizepräsident der Berliner Polizei Bernhard Weiß wurde auch entfernt, denn er war Jude. Es nützte ihm nichts, dass er während der Weimarer Zeit als Chef der Politischen Polizei (Abteilung I a) auch rechtsstaatlich umstrittene Aktionen angeordnet und geleitet hatte.

Ernst Gennat jedenfalls arbeitete weiter. Ermittlungen führte er nur noch von seinem Dienstzimmer aus (daher die Bezeichnung "Schreibtischkriminalist"). Das Gehen fiel ihm schwer, weil er selbst zu schwer wog. Er kümmerte sich um den polizeilichen "Nachwuchs", plante Ermittlungen präzise, verhörte Beschuldigte und Zeugen, fand nach wie vor mit "schlafwandlerischer Sicherheit" die Fehler bei Ermittlungen, hielt Vorträge und schrieb Aufsätze wie etwa die bekannte Artikelserie "Die Bearbeitung von Mord- (Todesermittlungs-) Sachen". Bemerkenswert in den schriftlichen Arbeiten ist die Wortwahl, die exakte Beschreibung von Sachverhalten. Erscheint ihm das gewählte Wort als nicht deutlich genug, fügt er ein zweites erklärendes an. Auffällig auch, dass er in allen seinen nach 1933 verfassten Artikeln niemals Begriffe oder Floskeln der neuen Machthaber verwendet, einmal nur benutzte er das Wort "Machtübernahme".

Gennat schrieb am 7. November 1938 um 20 Uhr nicht nur Kriminal-, sondern auch Fernsehgeschichte: auf seine Initiative hin wurde die erste Fernsehfahndung (mit Kriminalrat Theo Saevecke, der später wegen seiner Teilnahme bei diversen Exekutionen der SS in Italien als "Todes-Engel" Berühmtheit erlangen sollte) im Berliner Rundfunk ausgestrahlt.

Der geniale Kriminalist Gennat , dieser ruhige, gutmütige, menschenfreundliche, stets schlampig gekleidete Herr (wie er von Zeitzeugen beschrieben wurde), der völlig ohne den Dünkel einiger Polizisten war und den fast alle als eingefleischten Junggesellen charakterisierten, heiratete – völlig überraschend – die Kriminalkommissarin Elfriede Dinger. Da dieses kurz vor seinem Tod am 20. August 1939 geschah, er starb an Darmkrebs, verbreitete sich die Legende, er sei diesen Schritt deshalb gegangen, um der jungen Frau als Erbe die beachtliche Witwenrente zu vermachen. Belegt ist diese Absicht nicht.

Verbrechen, bei denen Ernst Gennat ermittelte

(Auswahl)

  • Mord an dem zwölfjährigen Botenjungen Otto Klähn (1913)
  • "Köpenickiade" von Berlin-Weißensee (1915)
  • Mord an Martha Franzke (1916)
  • Mord an dem Geldbriefträger Weber (1918/19)
  • Mord an dem Kaufmann Paul Wolfner (1920)
  • Mord an Gabriel Alexander (1921)
  • "Schöneberger Raubbande" (1932)
  • Mord an Auguste Könicke (1932)
  • Mord an Willi Waldner (1932)
  • Entführung des Fabrikanten Otto Schlesinger (1934)
  • Mord an einem ägyptischen Gesandten (1935)
  • Mord an dem Taxifahrer Paul Weiß (1938)

Literatur

  • Dietrich Nummert: Buddha oder der volle Ernst. Der Kriminalist Ernst Gennat (1880 - 1939). In: Berlinische Monatsschrift, 1999, Heft 9, S. 64 - 99 Volltext
  • Franz von Schmidt: Vorgeführt erscheint. Erlebte Kriminalistik. Stuttgarter Hausbücherei, Stuttgart 1955
  • Regina Stürickow: Der Kommissar vom Alexanderplatz. Aufbau Taschenbuch-Verlag, Berlin 2000 ISBN 3-7466-1383-3 (Biografie)