Sonnabendskreis

Der Sonnabendskreis (1988–1989) war eine inoffizielle, nichtstaatliche und außerkirchliche Zusammenkunft des organisierten Widerstandes subversiver Gruppen bzw. der gegen den SED-Staat gerichteten Opposition in der DDR in Leipzig.

Geschichte und Funktion

Er traf sich jeweils am 3. Sonnabend des Monats (also zwischen dem 15.-21. eines Monats) in Leipzig. Das erste Treffen fand am 20. August 1988 statt.[1] Die Einladungen geschahen mündlich, um nur Vertrauenspersonen zuzuziehen.

„Einmal im Monat trafen sich seit Sommer 1988 in Leipzig Vertreter von mehr als 40 Gruppen. Nicht der Einzelne, sondern der organisierte Zusammenschluss und dessen gemeinschaftliches Handeln gegen die Herrschenden, war das Politikum.“

Frank Richter zum 25. Jubiläum der Revolution in der Nikolaikirche 2014[2]

Der Zweck des Treffens war die DDR-weite Vernetzung von Gruppen und aktiven Einzelpersonen, um einen schnellen und überwachungsfreien Austausch zwischen den Gruppen, Meldungen von Übergriffen der Staatsorgane und Kontakte mit der Westpresse zu gewährleisten. Zu den Erstmitgliedern zählten die Bürgerrechtler Thomas Rudolph und Rainer Müller. Weitere Mitbegründer waren Bernd Oehler, Till Böttcher und Peter Grimm.

„Der seit Sommer 1988 monatlich stattfindende Sonnabendskreis mit zahlreichen Gruppen, vor allem aus dem Süden der "DDR" hatte auch den Zweck, Texte abzustimmen, zu verbreiten und einen relevanten Rückfluss an Zustimmungen zu erzeugen, der den Texten Gewicht verleihen konnte. Überdies hatte der Sonnabendskreis die Funktion, Menschen zu motivieren, am Montag nach Leipzig zu kommen.“

Rainer Müller und Oliver Kloss[3]

Der Sonnabendskreis blieb unerkannt, obwohl bis zum letzten Treffen des Sonnabendskreises am 17. März 1990 nachweislich mindestens drei Inoffizielle Mitarbeiter teilgenommen hatten. Hinweise häufen sich zum Beispiel in den Dokumenten des Ministeriums für Staatssicherheit über Rainer Müller, einen der beteiligten Organisatoren (OV "Märtyrer").[4] In den sogenannten Quartalseinschätzungen werden regelmäßig auch Informations-Veranstaltungen genannt, die nach dem Datum unschwer jeweils als der regelmäßige 3. Sonnabend eines Monats erkennbar sind.[5] Es wurden Basisgruppenvertreter eingeladen, es wurde von einem "internen" überregionalen Treffen oder vom "konspirativen Treffen feindlich-negativer Kräfte" oder von "streng internen" Treffen berichtet. Die Staatssicherheit erkannte jedoch offenbar keinen regelmäßigen Zusammenhang.

Die IMs geben mehrfach an, es sei eine Veranstaltung im Theologischen Seminars Leipzig (ThSL) gewesen. Orte waren z. B. die Gemeinderäume von Pfarrer Rolf-Michael Turek, später von Pfarrer Christoph Wonneberger an der Lukaskirche. Mehrere Treffen fanden in einem Studentenwohnheim des Theologischen Seminars Leipzig statt, das Rainer Müller u. a. unter dem Vorwand einer persönlichen Geburtstagsfeier angemietet hatte. Die Einschätzung der IMs war immer, es handle sich um eine „Informationsveranstaltung“. Dass auch Aktionen vorbereitet wurden, konnte nicht immer wahrgenommen werden, blieb zumindest ohne Konsequenzen. So diente ein Treffen z. B. der Vorbereitung des Straßenmusikfestivals in Leipzig, konspirativ konnten DDR-weit die Musiker und auch Künstler für Straßentheater eingeladen werden.

Da es keine explizite Programmatik gab, keine Hierarchie, keinen Gruppenzwang, keine ideologischen Vorgaben, wurden keine höheren staatlichen Stellen aufmerksam, obwohl es bis zu 50 Anwesende gab. Zum Beispiel verabredeten sich einige aus der Gruppe in einer Pause, um im Park einen Text zu verfassen. Später wurde darüber abgestimmt. Durch solche Vorsicht waren letztlich nie Einzelne dingfest zu machen.

Durch diese Freiheit von Zensur wurde dieser Kreis zur wichtigen Anlaufstelle und Ideen-Schmiede für die sich entwickelnde Friedliche Revolution in Leipzig. Teilnehmer kamen unter anderem aus Umweltbibliotheken, aus dem „Konziliaren Prozeß“, aus der Arbeitsgruppe Menschenrechte, dem Arbeitskreis Gerechtigkeit Leipzig und weiteren subversiven bzw. Basis-Gruppen sowie (aus/von) Redaktionen „innerkirchlicher“ und unabhängiger Zeitschriften. Gemeinsam wurden Demonstrationsaufrufe, Beiträge zur innerkirchlichen Auseinandersetzung oder theoretische Themen behandelt und aufgearbeitet. Eines der Medien, die sich von Anfang an zur Verfügung stellten, war die Zeitschrift Grenzfall von Peter Grimm.

Der Sonnabendskreis unterzeichnete nie als Gruppe; es unterzeichneten immer die jeweils betroffenen oder agierenden Gruppen oder die sie repräsentierenden Einzelpersonen, wodurch der Zusammenhang anonym und unangreifbar blieb.

Literatur

  • Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg. im Auftrage des IFM-Archivs e.V.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989. Bd. 1, Leipzig, Araki Verlag, 2014, ISBN 978-3-941848-17-7, S. XXXII im Vorwort sowie S. 310–315.
  • Jörg Augsburg, Tobias Prüwer, Tommy Schwarwel (Hrsg.): 1989 – „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“. Der Almanach zur Friedlichen Revolution (Das Buch zum Film 1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer, Regie: Schwarwel). Leipzig, Glücklicher Montag, 2014, ISBN 978-3-9815274-6-9, S. 55: Sonnabendskreis.

Radio- und Fernseh-Dokumentation

Einzelnachweise

  1. IFM-Archiv e.V. (Hrsg.): Organisation von Protesten 1988 (20. August 1988).
  2. Frank Richter: Einleitung anlässlich des 25. Jubiläums im Friedensgebet der Nikolaikirche zum historischen Flugblatt „Appell vom 9. Oktober 1989“
  3. Rainer Müller, Oliver Kloss: Vorwort, in: Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis Dezember 1989. Band 1, Leipzig, Araki Verlag, 2014, ISBN 978-3-941848-17-7, S. XXXII.
  4. IFM-Archiv Sachsen e.V.(Hrsg.): Aus den MfS-Akten der DDR zum Arbeitskreis Gerechtigkeit: Ausgewählte Quartalseinschätzungen der Bezirksverwaltung Leipzig des Ministeriums für Staatssicherheit über den OV "Märtyrer". Rainer Müller, ehemaliger Student am Theologischen Seminar Leipzig und Sprecher des Arbeitskreises Gerechtigkeit. Leipzig, Edition Kritik und Kreation, 2014, Quartalseinschätzung IV, S. 6 zum 19. November 1988; Quartaleinschätzung I, S. 7 zum 18. Februar 1989 u. S. 10 zum 18. März 1989; Quartalseinschätzung II, S. 3 zum 20. Mai 1989.
  5. Z.B. ist auch der Sonnabendskreis vom 17. Dezember 1988 belegt in: Ebenda, Quartaleinschätzung I/ 1989, S. 2 unten: „Am 17.12.88 nahm M.[üller] an einer konspirativen Zusammenkunft im Theologischen Seminar Leipzig teil. [...] M. verkaufte an die Teilnehmer eine Vielzahl von Untergrundmaterialien.“