Echte Kraken

Echte Kraken

Pinnoctopus cordiformis, aufgenommen vor der Küste Neuseelands

Systematik
Stamm: Weichtiere (Mollusca)
Klasse: Kopffüßer (Cephalopoda)
Unterklasse: Tintenfische (Coleoidea)
Überordnung: Achtarmige Tintenfische (Vampyropoda)
Ordnung: Kraken (Octopoda)
Familie: Echte Kraken
Wissenschaftlicher Name
Octopodidae
d’Orbigny, 1839

Die Echten Kraken (Octopodidae) sind Weichtiere und bilden mit über 40 Gattungen die größte Familie in der Ordnung der Kraken.[1][2] Namensgebende Gattung der Familie ist Octopus, die mit mehr als 80 Arten zugleich die größte ist.

Etymologie

In der Fachsprache ist Krake stets ein Maskulinum: der Krake. In der Umgangssprache kommt auch die Krake vor.[3]

Die Bezeichnung Krake bürgerte sich aus dem Dänisch-Norwegischen ins Deutsche ein und könnte für „entwurzelter Baum“ stehen, da die Arme der Tiere wie Wurzeln in alle Richtungen davonragen.[4] Der Duden gibt als Herkunftssprache mundartliches Norwegisch an; die weitere Herkunft von norwegisch krake oder kraken ist unklar.[3]

Merkmale

Anatomie

Grundanatomie eines Octopodidae, Ansicht von rechts
Mimik-Oktopus (Thaumoctopus mimicus), von vorn

Körperbau

Echte Kraken unterscheiden sich untereinander zwischen gallertartigen, fleischigen oder muskulösen Arten, wobei die Beschaffenheit der Körpermasse nicht gattungsspezifisch ist.[5] Der Körper der Echten Kraken unterteilt sich in Mantel, Kopf und Tentakel, wobei die Gesamtlänge von den Tentakelspitzen bis zum hintersten Ende des Mantels reicht. Die Mantellänge beschreibt die Länge vom hinteren Mantelende bis zu den Augen, die in der Regel in der Mitte des Kopfes liegen. Die Armlänge umfasst die Länge der Tentakel vom Ende des Kopfes bis zu den Tentakelspitzen.[6] Größe und Körperproportionen variieren zwischen den einzelnen Arten. Die größte bisher bekannte Art ist der Pazifische Riesenkrake (Enteroctopus dofleini) aus der Gattung Enteroctopus mit einer Armlänge von fünf Metern.[7] Die kleinste bisher bekannte Art ist der Pygmäenkrake (Octopus wolfi) aus der Gattung der Oktopusse. Dieser wird lediglich zehn Zentimeter groß.

Ein wichtiger Unterschied zu anderen Kopffüßern ist die komplette Rückbildung der Schulp oder auch Gladius genannten inneren Rückenschale. Octopodidae besitzen somit kein Innenskelett und sind dadurch hochflexibel; sie können sich durch die engsten Öffnungen zwängen, sie können sich so schmal machen wie der Abstand zwischen ihren Augansätzen[8].

Tentakel

Echte Kraken besitzen im Unterschied zu anderen Kopffüßern – wie Kalmare und Zwergtintenfische – acht statt zehn Arme.[9] Die relative Länge der Tentakel ist bei den einzelnen Arten unterschiedlich; sie kann von der doppelten Mantellänge bis zu der zehnfachen Länge des Mantels variieren.[7] Die Innenseiten der Tentakel sind mit Saugnäpfen besetzt; deren Anzahl variiert bei den einzelnen Arten. Im Gegensatz zu anderen Kopffüßern wie zum Beispiel Kalmaren sind die Saugnapfringe sitzend und radiär gebaut und nicht mit Widerhaken oder Zähnen bestückt.[5]

Bei Männchen bildet sich einer der Arme zu einem Hectocotylus um. Dieser spezielle Tentakel dient bei Echten Kraken der Spermaübergabe. Der Hectocotylus weist bei den meisten Arten weniger Saugnäpfe auf als an den übrigen Tentakeln. Die meisten Echte Kraken besitzen an der Spitze des hectocotylen Armes eine Anschlussstruktur, genannt Ligula. Diese wird während der Begattung in die Eileiter des Weibchens eingeführt und überträgt die Spermatophoren an das Weibchen.[5]

Haut

Die Haut besteht aus einer einschichtigen Oberhaut (Epidermis) mit eingelagerten Drüsen und einer strafffaserigen, bei manchen Arten aber gallertartigen Lederhaut (Cutis). Viele Arten sind mit warzenartigen Gebilden bedeckt. Diese sogenannten Papillen können unterschiedliche Größe erreichen. Rund um die Augenregion sind die Papillen bei den meisten Arten am dichtesten gewachsen und werden oft am größten.[5] Die unterste Hautschicht besteht aus reflektierenden Zellen, so genannten Leucophoren. Diese bestehen aus transparenten, reflektierenden Proteinen. Die Zellen sind in der Lage, alle Wellenlängen von Licht zu reflektieren.[10]

Körperorgane

Echte Kraken haben ein mehrteiliges Herz mit einem Hauptherzen und zwei Kiemenherzen. Sie besitzen interne Körperhöhlen, genannt Coelome. Diese mit Flüssigkeit gefüllten Hohlräume sind mesodermalen Ursprungs und werden von einem Epithel ausgekleidet. Echte Kraken besitzen zwei Coelome: Das Viscero-Herzbeutel-Coelom (Körperorgane und Herz) und das Nephridial-Coelom.

Octopodidae besitzen sehr leistungsfähige Linsenaugen, die im Gegensatz zu denen der Wirbeltiere evers aufgebaut sind. Das bedeutet, dass die Licht absorbierende Schicht der Sehzellen dem Licht zugewandt ist. Die Augen sind die primären sensorischen Organe und sind in der Regel groß.[11] Es gibt aber auch kleinäugige Arten. Die Augen befinden sich meistens jeweils eines auf jeder Seite des Kopfes. Einige Arten besitzen Stielaugen oder Teleskopaugen.[11] Echte Kraken besitzen eine rechteckige Pupille, die das Licht einfängt, das vom Meeresboden reflektiert wird.

Echte Kraken besitzen ein Trichterorgan (Trichter, Siphon; engl.: Funnel).[12] Dieses rohrförmige Organ dient der Atmung und der Fortbewegung: Sie können damit stoßartig Wasser aus der Mantelhöhle treiben und sich so per Rückstoß nach vorn oder hinten rasch fortbewegen. Zusätzlich dient das Organ zur stoßweisen Abgabe von Tinte aus dem Tintenbeutel und von Abfallprodukten. Der Trichter wird von seitlich liegenden Muskeln unterstützt.

Mundwerkzeug

Anstelle eines Gebisses besitzen Echte Kraken eine Radula. Dieses bezahnte Mundwerkzeug, welches auch Raspelzunge (oder Reibezunge) genannt wird, ist bei ihnen sehr gut entwickelt. Die Radula dient zum Festhalten, Zermahlen und Zerkleinern der Nahrung.[13] Die meisten Arten besitzen eine weiterentwickelte „Schmalzunge“. Dieser Typ von Radula besteht aus einem Mittelzahn, genannt Rhachis, Seitenzähnen, beidseitig jeweils einer Mittelplatte und Seitenplatten aus Chitin. Der Rhachis kann mehrere Spitzen haben. Unterhalb der Radula und im hinteren Schlundbereich befinden sich weitere Zähnchen. Außerdem besitzen viele Arten oberhalb der Radula eine Verengung des Darmtrakts durch Laterallappen, die bei den Tintenfischen mit einer bezahnten Chitinschicht verkleidet sind und ein Zurückrutschen der Beute verhindern sollen.[13]

Intelligenz

Videobeispiel für Octopodidae (Hier zu beobachten: Octopus vulgaris)

Das Nervensystem der Kraken ist hoch organisiert und leistungsfähig sowie stark zentralisiert.[14] Echte Kraken sind sehr intelligente Tiere. Versuche mit verschiedenen Arten haben gezeigt, dass sie sogar komplexe Aufgaben lösen können. Sie sind unter anderem in der Lage, Gläser mit Schraubverschluss oder anderen Mechanismen zu öffnen und können durch Abtasten einer Öffnung abschätzen, ob sie hindurch passen. Octopodidae können auch durch gegenseitige Beobachtung verschiedene Fähigkeiten erlernen. Manche Arten ahmen das Aussehen anderer Tiere nach. Bei Versuchen konnten die Echten Kraken sogar komplexe Farbmuster nachahmen, die in der Natur nicht vorkommen.

Tarnung

Viele Arten können ihre Farbe ändern und andere Lebewesen und Dinge imitieren. Obwohl Echte Kraken in der Regel farbenblind sind, zeigen sie meist eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Farbe und Textur des Hintergrunds.[7] Diese Tarnung ergibt sich aus einer Kombination der Reaktion verschiedener Chromatophoren und einer Veränderung der Hauttextur.[10][7] Die unterste Hautschicht besteht aus reflektierenden Zellen, sogenannten Leucophoren. Diese bestehen aus transparenten, reflektierenden Proteinen. Die Zellen sind in der Lage, alle Wellenlängen von Licht zu reflektieren.[10] Hinzu kommen Iridophoren. Dies sind Zellen mit einem Inhalt aus dünnen Chitinplättchen. Sie schillern in blauen, grünen und silbrigen Farbtönen und arbeiten wie ein Interferenzfilter.[10] Inwieweit die Iridophoren die Helligkeit verstärken, ist jedoch noch nicht geklärt. Zusätzlich zum schnellen Farbwechsel können Octopodidae ihre Hautoberfläche von glatt bis grobwarzig verändern und sich so zusätzlich dem Untergrund anpassen.[10]

Gift

Bis auf die Arten der Gattung Hapalochlaena besitzen Echte Kraken nur ein sehr schwaches, für den Menschen unbedeutendes Gift. Erstgenannte besitzen jedoch ein starkes Gift, das sie bei einem Biss abgeben und das auch für den Menschen tödlich sein kann. Dabei handelt es sich um ein Nervengift, das Tetrodotoxin (TTX), das auch unter den Namen Maculotoxin oder Tarichatoxin bekannt ist, welches auch einige andere Tiere besitzen, wie zum Beispiel Kugelfische und Schnecken.[15] Produzenten dieses Giftes sind allerdings nicht die Kraken selbst, sondern Bakterien, die im Vorderdarm und den Speicheldrüsen der Kraken leben und die an die Nachkommen weitergegeben werden.[15]

Fortpflanzung

Die Begattung findet statt, indem die Männchen Spermienpakete, so genannte Spermatophoren, bilden. Diese werden mit einem speziellen Tentakel, dem Hectocotylus, an das Weibchen übertragen. Die Spermatophoren liegen entlang einer offenen Vertiefung auf dem Hectocotylus, der in einer löffelförmigen Spitze, der Ligula, endet.[7] Das Männchen platziert die Spermapakete direkt in den Eileiter des Weibchens. Die Weibchen vieler Gattungen können das Sperma bis zu zehn Monate in ihrem Körper befruchtungsfähig aufbewahren. Bei einigen Gattungen kommt es auch vor, dass sich die Weibchen schon vor ihrer Geschlechtsreife paaren und das Sperma des Männchens so lange in sich tragen, bis sie empfänglich geworden sind.[7] Bei vielen Arten der Octopodidae bleiben die Weibchen während der Brutzeit bei ihren Eiern und stellen die Nahrungsaufnahme komplett ein. Nachdem die Jungen geschlüpft sind, verstirbt das Weibchen.

Bei den meisten Arten kommen Weibchen häufiger vor als Männchen.

Verbreitung

Die verschiedenen Gattungen der Octopodidae sind in allen Ozeanen und in sämtlichen Klimazonen der Erde anzutreffen.[8][7] Sie besetzen eine breite Palette von Lebensräumen, unter anderem Felsen- und Korallenriffe, Seegraswiesen und Algenbetten, Sand, Schlamm und andere weiche Substrate.[7] Die meisten Octopodidae sind Grundbewohner.[8] Einige Flachmeerarten können auch eine gewisse Zeit außerhalb des Wassers überleben und sich dort fortbewegen.[8][9] Oft suchen Exemplare Gezeitentümpel auf, um dort nach Krebsen, Schnecken und anderen Tieren zu jagen. Da sie jedoch wie alle Kopffüßer mit Kiemen atmen, können sie nicht dauerhaft an Land überleben.[8] Gattungen der Octopodidae wurden bisher in einer Tiefe von bis zu 5000 Meter nachgewiesen.[7]

Systematik

Die Familie der Kraken umfasst mehr als 40 Gattungen mit weit über 250 Arten. Einige Arten werden in Unterarten aufgeteilt. Viele Arten sind jedoch noch unbeschrieben und wurden hier noch nicht berücksichtigt.

Commons: Echte Kraken (Octopodidae) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. World Register of Marine Species
  2. Catalogue of Life
  3. a b Vgl. Krake bei Duden online
  4. Vgl. Wolfgang Pfeifer (Red.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Hrsg. vom Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, Berlin (Ost) 1989, S. 921
  5. a b c d Kopffüßer Tintenfische, Siegfried H. Jaeckel (1957), A. Ziemsen Verlag, ISBN 3 89432 638 7
  6. Cephalopods of the world. An annotated and illustrated catalogue of cephalopod species known to date (s.22)
  7. a b c d e f g h i Octopodidae - Artikel bei Tree of Life
  8. a b c d e Robert Nordsieck: Kraken (Octopodidae)
  9. a b A classification of the living Mollusca, Vaught, K.C. (1989), American Malacologists, ISBN 0-915826-22-4
  10. a b c d e Oktopus-Haut als Superreflektoren
  11. a b Cephalopods of the world. An annotated and illustrated catalogue of cephalopod species known to date (s.25)
  12. Urania Tierreich, Band 1 Niedere Tiere, ISBN 3-332-00491-3, S. 575, 580
  13. a b Herder - Lexikon der Biologie (2003)
  14. Gerhard Roth, Wie einzigartig ist der Mensch? – Die lange Evolution der Gehirne und des Geistes, Spektrum Akademischer Verlag ISBN 978-3-8274-2147-0, S. 105, 107, 110, 139 ff
  15. a b Becky L. Williams, Charles T. Hanifin, Edmund D. Brodie Jr., Roy L. Caldwell: Ontogeny of tetrodotoxin levels in blue-ringed octopuses: Maternal investment and apparent independent production in offspring of Hapalochlaena lunulata. In: Journal of Chemical Ecology. Band 37, Nr. 1, 2011, S. 10–17, doi:10.1007/s10886-010-9901-4