Scipionenprozesse

Die Scipionenprozesse waren Angriffe auf Publius Cornelius Scipio Africanus und seinen jüngeren Bruder Lucius Cornelius Scipio Asiaticus vor dem Senat. Unklar ist, ob nur einmal 187 v. Chr. gegen sie Anklage erhoben wurde oder 187 v. Chr. Scipio Asiaticus und 184 v. Chr. Scipio Africanus der Prozess gemacht wurde. Die Angriffe auf die Scipionen gingen von zwei Volkstribunen aus, die vom älteren Cato unterstützt wurden. Ihr Anlass war das Geld, das Scipio Asiaticus vom Seleukiden Antiochos III. erhalten hatte.

Quellenproblematik

Quellen sind Polybios – der zumeist als zuverlässiger Autor gilt[1] – und die ältere annalistische Tradition. Diese wird vertreten von Aulus Gellius, der sich auf Cornelius Nepos stützt, Marcus Tullius Cicero und Titus Livius. Letzterer berichtet am ausführlichsten über die Ereignisse, stützt sich dabei aber auf den umstrittenen Valerius Antias.

Wahrscheinlicher Ablauf

Die wahrscheinliche Abfolge der Ereignisse war demnach diese: Zwei Volkstribunen namens Quintus Petillius, die von Cato angestiftet worden waren, verlangten im Jahre 187 im Senat Rede und Antwort von Scipio Asiaticus über 500 Talente,[2] die er in Asien von Antiochos III. bekommen hatte.[3]

Die Frage war, ob es sich bei dem Geld von Antiochos, von denen Scipio 500 Talente nicht in die Staatskasse gelegt hatte, um praeda oder um manubiae handelte.[4] Darüber hinaus hatte der Feldherr das Geld wohl dazu genutzt, den Sold der Soldaten zu verdoppeln, ohne dies abzusprechen. Darüber hinaus gab es mehrere weitere Gründe für die Prozesse, wie Livius uns mitteilt.[5] Dies geschah im Zusammenhang mit einer Verhandlung über den Triumph des Manlius Vulso, bei dem Cato als Belastungszeuge auftrat.[6] Nachdem Glabrio seine Kandidatur fallen gelassen hatte, wurde die juristische Verfolgung Glabrios aufgegeben.[7] Bei dem Prozess gegen Asiagenes stand das genannte Geld im Mittelpunkt.[8]

Der Bruder des Angeklagten trat bei der Verhandlung recht arrogant auf und trug wenig zur Aufklärung der Geschehnisse bei, sondern sorgte dafür, dass es zu einem Prozess vor dem Volk kam. Im Folgenden sollte Scipio Asiaticus eine hohe Strafe zahlen und – da er sich zu zahlen weigerte – ins Gefängnis gehen. Dies wurde dadurch verhindert, dass der Volkstribun Tiberius Sempronius Gracchus eingriff. Im Jahre 184 kam es dann vielleicht im Zusammenhang mit den Censorwahlen, bei denen auch Scipio Asiaticus kandidierte, zum Prozess gegen Scipio Africanus.[9] Auch Gruen plädiert dafür, dass es sich bei dem Vorgehen gegen Africanus nicht um eigenständige Vergehen gehandelt habe, sondern, dass dieser im Zuge des Prozesses gegen seinen Bruder ebenfalls angeklagt worden sei.[10] Die Begründung für das Jahr 184 stützte sich auf den Ankläger Marcus Naevius, der im Jahre 184 Tribun war. Seine tatsächliche Teilnahme am Prozess ist jedoch fragwürdig. Damit fällt der einzig stichhaltige Anhaltspunkt für das Jahr 184 in sich zusammen.[11] Schließlich berichten auch Plutarch und Polybios nicht von einem Prozess gegen den älteren Bruder. Die jüngste Quelle – der Byzantiner Johannes Zonaras – gibt uns die Information, Scipio Asiaticus und Scipio Africanus seien zusammen verurteilt worden.[12] Er triumphierte zwar, zog sich nach dem Ende des Prozesses jedoch in sein Privatleben zurück. Seinem Bruder war das Ritterpferd entzogen worden.[13]

Mögliche Gründe für die Prozesse

Aufgrund der unterschiedlichen Aussagen der Quellen ist es schwierig, die Gründe für die Prozesse zu benennen. Die Wahlkampftaktik war wohl ein wichtiger Aspekt.[14] Mögliche weitere Gründe für den Prozess können Interessenkonflikte einzelner Gruppierungen des Senates im Zusammenhang mit der Censorwahl von 184 v. Chr., die persönliche Feindschaft Catos oder auch gesellschaftliche Konflikte innerhalb der Nobilität gegen zu ehrgeizige und mächtige Führungspersönlichkeiten gewesen sein.

Es könnte sein, dass die Anklagen des Jahres 187 schon ein Vorspiel der Censorwahlen für 184 waren. Die scipionischen Gegner sollten ausgebremst werden. Denn neben Cato war auch Marcus Acilius Glabrio Kandidat für die Zensur.[15] Immerhin war das Glück auf Catos Seite. Ob der Prozess gegen die Scipionen nun bewusst und von ihm ausgegangen war, ist nicht endgültig zu klären. Dass er von dem Imageverlust des großen Feldherrn profitierte, scheint jedoch einsichtig. Hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass nicht eindeutig zu klären ist, ob die Attacke auch wirklich im Vorlauf der Wahl stattfand, denn die Datierung ist nicht sicher.[16] Auch dass Glabrio seine Kandidatur zurückzog, scheint ein Indiz dafür, dass die Wahlkampfstrategie eine wichtige Rolle spielte.

McDonald ist der Meinung, dass Cato eine entscheidende Rolle gespielt habe. Dieser habe schon 190 begonnen, sich gegen Africanus zu wenden.[17] Werner Schur plädiert sowohl für die wichtige Rolle Catos als auch für die entscheidende Rolle der Nobilität. Er ist der Meinung, dass im Vorlauf der Censorwahl von 189 die beiden Kandidaten, die Anhänger der Scipionen waren, Scipio Nasica und Acilius Glabrio, die größten Aussichten gehabt hätten. Cato und sein Freund Valerius Flaccus hätten dem gegenüber sehr viel geringere Chancen gehabt. Cato hätte daraufhin die Möglichkeit des Wahlkampfes entdeckt. Glabrio sei von mit Cato befreundete(n) Tribunen[18] vor dem Volk belangt worden, weil er Beute veruntreut habe.[19] Glabrio habe daraufhin seine Kandidatur zurückgezogen. Doch auch der Mitkandidat Glabrios – Scipio Nasica – sei in Mitleidenschaft gezogen worden. Cato sei ebenfalls gescheitert und die middle group[20] sei der Gewinner gewesen.

Nachdem Scipio Africanus 195 nach Rom zurückgekehrt war, sei seine Machtstellung zerschlagen[21] gewesen. Auch seien seine Anhänger in ihrer jeweiligen Position stark zurückgedrängt worden. Daraufhin hätten die Scipionen zur Wahl 187 versucht, die beiden Favoriten der Gegenpartei in ihrer Amtsführung zu verdächtigen und ihnen Mißbrauch der Amtsgewalt [...] nachzuweisen.[22] Doch es habe im Folgenden einen neuen Angriff von Cato gegeben. Dieser habe die Tribunen angestiftet, von Scipio Asiaticus Rechenschaft über Gelder aus dem Krieg gegen Antiochus zu fordern.[23] Auch 185 habe er wiederum jemanden angestiftet, einen Prozess gegen einen Scipionen einzuleiten. Diesmal wandte sich Naevius gegen Scipio Africanus.[24]

Als dieser die Vorwürfe durch den Verweis auf den Jahrestag habe abwenden können, habe Cato gegen seinen Bruder einen neuen Angriff gestartet.[25] Auch hinter dem Verlust des Ritterpferdes von Scipio Asiaticus stecke Cato, so Astin und Gelzer.[26] Gruen geht jedoch davon aus, dass es sich bei den Attacken gegen die beiden Brüder nicht um reine Politik verschiedener Fraktionen gehandelt habe. Dies werde dadurch deutlich, dass im Prozess gegen Asiagenus auch Manlius Vulso angeklagt worden sei.[27]

Auch die Begründung, dass die Prozesse aufgrund des Vorgehens gegen zu ehrgeizige und mächtige Führungspersönlichkeiten stattgefunden hätten, findet mehrere Anhänger. Harris nimmt an, dass Scipio teilweise wegen seines Unwillens, die Rolle der Mächtigen zu akzeptieren, seine Karriere beendet habe.[28] Zwar hatte der Senat die Angelegenheit gegen seinen Vorsitzenden fallen gelassen.[29] Doch muss das Auftreten Scipios vor dem Senat als ein sehr selbstbewusstes gewertet werden. Immerhin soll er gesagt haben, es stehe niemandem zu, von ihm, dem großen Feldherrn, Rechenschaft über die Gelder zu verlangen (Polybios 23,14,3). Dies muss als ein großer Affront angesehen worden sein. Demnach erscheint es verständlich, dass die Senatoren sich zumindest angegriffen fühlten. Vielleicht sahen sie aber auch nur ihre Macht gefährdet und hofften, durch die Vorgänge des Jahres 187 diesen so beliebten und mächtigen Feldherren in Schach halten zu können.[30] Aber das Verhalten des Feldherren kann auch als eine Reaktion gesehen werden. Immerhin waren die Scipionen aufgrund ihres Vorgehens in Asien zur Rechenschaft gezogen worden. Anscheinend war ihr Verhalten jedoch kein Einzelfall, vielmehr war ihr Fall wohl derjenige, der als Exempel dienen sollte. Somit könnte die vielfach kritisierte Überreaktion des Scipio Africanus auch als Abwehrverhalten gegen die Behandlung durch die Nobilität gesehen werden.[31] Wenn man diese Interpretation zulässt, dann scheint der nächste Schritt logisch. Gruen sieht die Vorgänge des Jahres 187 – denn er ist der Meinung, dass der Prozess gegen Scipio Teil des Vorgehens gegen den jüngeren Bruder war – als einen Teil einer Serie von Versuchen, die Grenzen der Macht von Feldherren festzulegen. So sollte über die Kriegsbeute verhandelt werden, damit die Regelungen diesbezüglich weniger willkürlich waren.[32] Diese Bestrebungen sieht Gruen als Versuch, die Spannungen, die im inneren des römischen Reiches unter den Eliten geherrscht hätten, abzubauen oder zumindest zu lindern.[33]

Quellen

  • Appian: Histoire Romaine. Tome IV. Livre VIII. Le livre africain. Herausgegeben und übersetzt von Paul Goukowsky. Paris 2002.
  • Aulus Gellius: Die Attischen Nächte. Erster Band. I.–VIII. Buch. Übersetzt von Fritz Weiss. Unveränderter reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1875, Darmstadt 1975.
  • Titus Livius: Römische Geschichte. Buch XXXV–XXXVIII. Herausgegeben und übersetzt von Hans Jürgen Hillen. München 1982.
  • Plutarch: Große Griechen und Römer. Band 1. Herausgegeben und eingeleitet von Konrat Ziegler. Zürich 1954.
  • Polybios: Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden. Zweiter Band. Eingeleitet und übertragen von Hans Drexler. Zürich.
  • Valerius Maximus: Memorable Doings and Sayings. Herausgegeben und übersetzt von D. R. Shackleton Bailey. London 2000.

Literatur

  • Alan E. Astin: Cato the Censor. Oxford University Press, Oxford 1978, ISBN 0-19-814809-7.
  • J. P. V. D. Baldson: L. Cornelius Scipio. A Salvage Operation. In: Historia 21, 1972, S. 224–234.
  • Matthias Gelzer: Die Nobilität der römischen Republik. 2. Auflage, Teubner, Stuttgart 1983, ISBN 3-519-07409-5.
  • Erich S. Gruen: The „Fall“ ot the Scipios. In: Leaders and Masses in the Roman World. Studies in the Honor of Zwi Yavetz. Leiden 1995, S. 59–80 (Mnemosyne, Supplement 139).
  • William V. Harris: War and Imperialism in Republican Rome. 327–70 B.C. Clarendon Press, Oxford 1979, ISBN 0-19-814827-5.
  • Dietmar Kienast: Cato der Zensor. Seine Persönlichkeit und seine Zeit. Bibliographisch erweiterter Nachdruck, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1979, ISBN 3-534-07146-8.
  • A. H. McDonald: Scipio Africanus and Roman Politics in the Second Century B.C. In: Journal of Roman Studies 38, 1938, S. 153–164.
  • Werner Schur: Scipio Africanus und die Begründung der römischen Weltherrschaft. Dieterich, Leipzig 1927.
  • Howard Hayes Scullard: Scipio Africanus. Soldier and politician. Thames & Hudson, London 1970, ISBN 0-500-40012-1.
  • Howard Hayes Scullard: Roman Politics 220–150 B.C. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1973, ISBN 0-19-814816-X.
  • Renate Stolle: Ambitus et Invidia. Peter Lang, Frankfurt 1999, ISBN 3-631-34596-8.

Anmerkungen

  1. Vgl. Scullard, Roman Politics, S. 290.
  2. Eigentlich handelte es sich um insgesamt 15.000 Talente, die mit Antiochos III. ausgehandelt worden waren. Davon waren 500 Talente, um die es in der Verhandlung ging, sofort zu zahlen, 2.500 Talente – die sein Nachfolger Manlius Vulso erhielt, über die aber vielleicht auch im Zusammenhang mit den Scipionenprozessen verhandelt wurde – nach der Ratifizierung des Vertrages und der Rest in 12 jährlichen Raten. Vgl. Scullard, Roman Politics, S. 292.
  3. Vgl. Renate Stolle, Ambitus und Invidia, S. 52.
  4. Diese Frage ist auch auf Grundlage der Quellen nicht eindeutig bzw. objektiv zu beantworten. Scipio war wohl der Meinung, das Geld sei praeda, doch heißt dies nicht, dass es seine Zeitgenossen auch so sahen. Vgl. Scullard, Politics, S. 293.
  5. Gruen ist jedoch der Meinung, dass dabei auch Gründe angeführt, werden, die aus der Zeit des zweiten punischen Krieges stammen. Er zieht den Schluss, dass die Ankläger wahrscheinlich simply threw in every damaging item they could discover in addition to the formal change (Gruen, Fall, S. 82). Als eigentliche Gründe lässt er mismanagement or misappropriation (Gruen, S. 86) gelten.
  6. Vgl. Gruen, Fall, S. 71, 75.
  7. Vgl. Gruen, Fall, S. 72.
  8. Offiziell sollte Scipio Asiaticus Rede und Antwort stehen, doch war der Angriff wohl eigentlich auf dessen älteren Bruder gerichtet, der dies auch so verstand. Vgl. Scullard, Politics, S. 292. Verlässt man sich auf Valerius Maximus als Quelle, besteht die Möglichkeit, dass der Prozess gegen den älteren Bruder dem gegen den jüngeren beigeordnet war.
  9. Es ist jedoch nicht ganz klar, ob es sich wirklich um einen eigenständigen Prozess handelte. Scullard ist der Meinung, es könne sich auch um einen Vorfall handeln, der dem Prozess gegen den jüngeren Bruder beigeordnet war. Vgl. Scullard. Politics. S. 293.
  10. Vgl. Gruen, Fall, S. 78ff., 82ff.
  11. Vgl. Gruen, Fall, S. 83ff.
  12. Vgl. Gruen, Fall S. 88f.
  13. Vgl. Stolle, Ambitus, S. 53.
  14. Vgl. Stolle, Ambitus, S. 53.
  15. Vgl. Astin, Cato the Censor, S. 93, der jedoch der Meinung ist, für diese These gebe es recht wenig Belege.
  16. Vgl. Scullard, Politics, S. 150, der es jedoch für unwahrscheinlicher hält, dass Cato – durch den für ihn erfolgreichen Wahlausgang motiviert – die Attacke gegen Scipio Africanus lanciert habe.
  17. Vgl. McDonald, Scipio, S. 161.
  18. Schur, Scipio Africanus und die Begründung der römischen Weltherrschaft, S. 90; vgl. auch Scullard, Scipio, S. 217.
  19. Vgl. Baldson, Scipio, S. 232.
  20. McDonald, Scipio, S. 162.
  21. Schur, Scipio, S. 90.
  22. Schur, Scipio, S. 91.
  23. Vgl. Scullard, Politics, S. 142.
  24. Vgl. Sculluard, Politics, S. 93.
  25. Vgl. Sculluard, Politics, S. 94; auch wenn man nach Gruen annimmt, dass es sich nur um einen einzigen Prozess gegen die beiden Brüder gehandelt habe, ist diese Argumentation durchaus nachzuvollziehen.
  26. Vgl. Astin, Cato, S. 72f., der jedoch darauf hinweist, dass man nicht von einer tiefen Fehde als alleiniges Motiv ausgehen könne und M. Gelzer, Die Nobilität der römischen Republik, S. 106.
  27. Vgl. Gruen, Fall, S. 75.
  28. Harris, War and Imperialism in Republican Rome. Auch McDonald betont die Unnachgiebigkeit des Feldherrn: McDonald, Scipio, S. 162.
  29. Vgl. Scullard, Scipio, S. 172.
  30. Vgl. Kienast, Cato, S. 66. Sicherlich waren einige Senatoren zumindest neidisch, dass Scipio sich so verhalten konnte, vgl. Scullard, Politics, S. 142.
  31. Vgl. Gruen, Fall, S. 79.
  32. Gruen, Fall, S. 87.
  33. Vgl. Gruen, Fall, S. 89.