Zeitenwende-Rede

Olaf Scholz, 2022

Die Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022 war eine Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz vor dem zu einer Sondersitzung zusammengekommenen Deutschen Bundestag anlässlich des drei Tage zuvor begonnenen russischen Überfalls auf die Ukraine.

Rahmen

Bereits am Abend des 24. Februar 2022 hatte sich Scholz in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung gewandt.[1] Die Rede im Reichstagsgebäude am 27. Februar 2022, einem Sonntag, dauerte von 11:07 bis 11:36 Uhr. Anschließend folgte eine Aussprache. Das Plenum und die Regierungsbank waren gut gefüllt. Auf der Ehrentribüne saßen der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sowie der damalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. Die Sitzung war auf Verlangen des Bundeskanzlers gemäß Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes angesetzt worden.

Inhalte

Der Begriff Zeitenwende war das zentrale Motiv der Rede. Sie begann mit dem Satz:

„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“

Im Verlauf der Rede betonte Scholz erneut:

„Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“

Im Weiteren beschrieb Scholz fünf Handlungsaufträge:

  • Die Unterstützung der Ukraine in ihrer verzweifelten Lage
  • Putin vom Kriegskurs abbringen
  • Verhindern, dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift
  • Die eigene Verteidigungsfähigkeit herstellen
  • Eine Zäsur der deutschen Außenpolitik

Zur Verteidigungsfähigkeit formulierte Scholz, dass Putin ein russisches Imperium errichten wolle und Deutschland Fähigkeiten bräuchte, um dieser Bedrohung zu begegnen. Deutschland müsse daher mehr in die Sicherheit investieren, was „eine große nationale Kraftanstrengung“ sei. Ziel sei „eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt“. Scholz kündigte an, dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einzurichten; der Bundeshaushalt 2022 werde dieses „einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten“ und die Mittel „für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben“ nutzen. Deutschland werde „von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ in seine Verteidigung investieren. Als besondere Investitionsschwerpunkte nannte er die Eurodrohne, die Anschaffung der bewaffneten Heron-Drohnen aus Israel, die Befähigung des Eurofighters zur elektronischen Kampfführung sowie die Beschaffung des Kampfflugzeuges F-35.

Die Rede endete mit den Sätzen:

„Und ich danke allen, die in diesen Zeiten mit uns einstehen für ein freies und offenes, gerechtes und friedliches Europa. Wir werden es verteidigen.“

Anschließende Aussprache

In der anschließenden Aussprache sagte der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion, Friedrich Merz, der Bundesregierung die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zu. Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Bundeskanzler gehen. Er warnte aber, das von Scholz angekündigte Sondervermögen bedeute zunächst neue Schulden. Wie man diese neuen Schulden aufnehme und möglicherweise in der Verfassung verankere, das gehe „nicht allein mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen zu machen. Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen.“

Der Bundesminister der Finanzen Christian Lindner (FDP) betonte, der laufende Betrieb der Bundeswehr müsse aus den normalen Haushalten unter Achtung der Schuldenbremse finanziert werden. Eine jahrelange Vernachlässigung der Bundeswehr aber könne man so nicht korrigieren. Deshalb solle es ein Sondervermögen geben. Es handele sich dabei allerdings nicht um Schulden, sondern „in Wahrheit natürlich [um] Kredite“; diese seien in der aktuellen Weltlage „Investitionen in die Freiheit“.

Für die Fraktion Die Linke lehnte deren Vorsitzende Amira Mohammed Ali das geplante Sondervermögen ab: „Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen.“[2]

Einordnung

Die Zeitenwende ist sowohl Zustandsbeschreibung als Einschnitt in der Geschichte Europas als auch Beschreibung für einen außen- und sicherheitspolitischen Kurswechsel. Der Begriff Zeitenwende wurde zum häufig gebrauchten politischen Schlagwort und zum Wort des Jahres 2022 erklärt.[3] Bundestag und Bundesrat beschlossen im Juni 2022 das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr und verankerten es mit 2/3-Mehrheit unter Zustimmung der oppositionellen CDU/CSU im Grundgesetz.[4]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Scholz in Fernsehansprache: „Putin wird nicht gewinnen“. In: tagesschau.de. 24. Februar 2022, abgerufen am 13. November 2023.
  2. Bundestag: Plenarprotokoll 20/19. 2022, S. 1364, abgerufen am 8. Dezember 2022.
  3. Robin Alexander: Ein Jahr Ampel – In der Multi-Krise wird erkennbar, woran Scholz sich klammert. In: welt.de. 4. Dezember 2022, abgerufen am 13. November 2023 (Paywall).
  4. Sondervermögen zur Stärkung der Bundeswehr. Bundesregierung, abgerufen am 13. November 2023.