Gidon Kremer

Gidon Kremer (2008)

Gidon Kremer (lettisch Gidons Krēmers; russisch Гидон Маркусович Кремер / Gidon Markussowitsch Kremer; * 27. Februar 1947 in Riga, Lettische SSR, UdSSR) ist ein ehemals sowjetischer, heute lettisch-deutscher Violinist.[1]

Leben

Herkunft, Jugend und Studium

Gidon Kremer wurde 1947 in Riga als Sohn des jüdischstämmigen Violinisten Markus Kremer (1898–1981), der aus dem Ghetto Riga entkommen konnte,[2] und der deutsch-schwedischstämmigen Marianne Brückner (1922–2011) geboren. Sein Großvater Karl Brückner, der mit einer Schwedin verheiratet war, und sein Urgroßvater Gustav Brückner waren auch Geiger und Musikpädagogen, die aber einer Gelehrtenfamilie entstammten. So erhielt Kremer ab dem Alter von vier Jahren im häuslichen Kreis Musikunterricht von Vater und Großvater. 1954 besuchte er das Konservatorium von Riga und nahm Unterricht bei Voldemārs Stūresteps. Bereits mit sechzehn wurde er mit dem Ersten Preis der Lettischen Sowjetrepublik ausgezeichnet.

1965 ging Kremer an das Moskauer Konservatorium, wo er Schüler von David Oistrach wurde. 1967 war er Preisträger beim Concours Reine Elisabeth in Brüssel (3. Platz), zwei Jahre später gewann er den Paganini-Wettbewerb in Genua, 1970 wiederum den Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau.

Musikalische Karriere

Als Mitglied des Leningrader Kammerorchesters entwickelte Kremer in den 1970er Jahren gemeinsam mit Emil Gilels und Lazar Gosman Aufarbeitungen von mehr als 200 Werken der Kammermusik, darunter Stücke von Dmitri Schostakowitsch und Benjamin Britten. Er gab 1973 sein erstes Konzert in der DDR, wo er in Berlin, Dresden, Halle (Saale) und Rostock spielte, 1975 in der Bundesrepublik. 1976 spielte er bei den Salzburger Festspielen in der Uraufführung von Hans Werner Henzes Chaconne für Solovioline und Kammerorchester „Il Vitalino raddoppiato. 1977 gab er sein Debüt in den USA. Im folgenden Jahr, am 20. Januar 1978, heiratete er die Pianistin Jelena Baschkirowa, die später die zweite Frau von Daniel Barenboim wurde.

Anfang 1978 bat Kremer die sowjetische Regierung um einen zweijährigen Urlaub[3] und erhielt diesen auch.[4]

1980 blieb er länger im Westen, als sein sowjetisches Visum ihm erlaubte.[5] Kremer entschied sich, nicht mehr in die (damalige) UdSSR zurückzukehren (Glasnost und Perestroika begannen erst fünf Jahre später).

1980 stieg er auf eine Stradivari aus dem Jahr 1734 um, die „Ex-Baron von Feilitzsch“, anschließend auf eine Guarneri del Gesù (ex David) aus dem Jahre 1730. Zurzeit spielt er eine Nicola Amati aus dem Jahr 1641.[6]

1981 gründete Kremer das Kammermusikfest Lockenhaus, das seitdem jedes Jahr im Sommer stattfindet, seit 1992 unter dem Namen Kremerata Musica. 1997 gründete er das Streichorchester Kremerata Baltica mit jungen Musikern aus den baltischen Staaten.[7] Im selben Jahr wurde er als Nachfolger von Yehudi Menuhin zum künstlerischen Leiter des Festivals in Gstaad ernannt. Seit 2002 ist er künstlerischer Leiter des Basler Festivals les muséiques und ist außerdem im Künstlerischen Beirat der Kronberg Academy. Seit 2004 veranstaltet er Ende Juni/Anfang Juli mit der Kremerata Baltica ein Festival in der lettischen Stadt Sigulda.

1993 veröffentlichte Kremer das Buch Kindheitssplitter, 1997 Obertöne, 2003 Zwischen Welten und 2013 Briefe an eine junge Pianistin.[8] Die Bücher enthalten autobiografische Erzählungen und Auseinandersetzungen mit künstlerischen Themen.

Kremer hat mit zahlreichen bedeutenden Orchestern und Dirigenten (Leonard Bernstein, Herbert von Karajan, Christoph Eschenbach, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Riccardo Muti, Zubin Mehta, James Levine, Valery Gergiev, Claudio Abbado und Sir Neville Marriner) gespielt und über 100 CDs für die Labels Melodija, Teldec, BIS Records, Nonesuch, Sony, ECM und Deutsche Grammophon eingespielt. Zu seinen Kammermusikpartnern gehören u. a. Martha Argerich, Mischa Maisky, Oleg Maisenberg, Eduard Brunner, Kim Kashkashian, Isabelle van Keulen, Waleri Afanassjew und Tabea Zimmermann.

Er spielte zahlreiche Werke zeitgenössischer Komponisten und nahm sie auch auf (als Uraufführungen: Sofia Gubajdulinas Offertorium, Arvo Pärts Tabula rasa und Stabat Mater, Michael Nymans erstes Violinkonzert). Außer den klassischen Komponisten hat er Werke von Alfred Schnittke, Gija Kantscheli, Valentin Silvestrov, Luigi Nono, Aribert Reimann, Peteris Vasks, Kaija Saariaho und John Adams im Programm. In den neunziger Jahren kümmerte er sich ausgiebig um das kompositorische Werk von Astor Piazzolla.

Kremers zuvor häufige Konzerte in Russland endeten aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022.[2]

Familie

Kremer hat zwei Töchter, die Schauspielerin und Medienunternehmerin Lika Kremer aus einer Beziehung mit der russischen Pianistin Ksenija Knorre, und Gigi.[9]

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)

Publikationen

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Philipp Weismann: Auszeichnung fürs Lebenswerk. In: br-klassik.de. BR-Klassik, 13. September 2016, abgerufen am 6. Januar 2017.
  2. a b Clemens Haustein: Kolonien des Sowjetimperiums. Gidon Kremer im Interview über das Baltikum und Russland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. April 2024, S. 10.
  3. Felix Schmidt: „Ich möchte mich frei bewegen können“. Gidon Kremer wartet auf Antwort. Ein Gespräch mit dem sowjetischen Geiger, der seine Regierung um einen zweijährigen Urlaub bat. In: Die Zeit. 3/1978, 13. Januar 1978, aktualisiert am 21. November 2012, abgerufen am 25. Januar 2018 (eingeschränkte Vorschau).
  4. Zu den Gründen siehe z. B. sein Interview mit Klaus Umbach in Der Spiegel. 51/1979: Über den Musikbetrieb in Ost und West. In: spiegel.de. 17. Dezember 1979, abgerufen am 25. Januar 2018 (auch zur staatlichen Künstleragentur Goskonzert).
  5. Gidon Kremer und die Deutsche Grammophon. Gefeiert und gefeuert. In: Die Zeit. 6. Juni 1980, aktualisiert am 21. November 2012, abgerufen am 25. Januar 2018 (eingeschränkte Vorschau).
  6. Biographies. Kremerata Baltica, archiviert vom Original am 27. Januar 2013; abgerufen am 24. Juli 2013.
  7. Charlotte Higgins: ‘Perfect isn’t good enough’. The Guardian, 22. November 2000, abgerufen am 24. Juli 2013.
  8. Anne-Catherine Simon: Kremer: „Unsere Musikwelt ist vergiftet“. In: diepresse.com. Die Presse, 7. Juni 2013, abgerufen am 6. Januar 2017.
  9. Van-Magazin.de, 29. März 2023. Abgerufen am 22. Mai 2023.
  10. Gidon Kremer. Geiger und Künstlerischer Leiter. In: orden-pourlemerite.de, abgerufen am 12. April 2018.