Münchner Räterepublik

Die Münchner oder Bayerische Räterepublik war 1918 und 1919 der kurzlebige Versuch, nach dem Ersten Weltkrieg einen sozialistischen Staat in Form einer Rätedemokratie in Bayern zu schaffen.

Einleitender Überblick

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Kurt Eisner

Am Ende des Ersten Weltkriegs kam es angesichts der sich spätestens ab Ende September 1918 abzeichnenden deutschen Kriegsniederlage und vor dem Hintergrund der notleidenden Bevölkerung in Deutschland zur Novemberrevolution. Die Revolution breitete sich innerhalb weniger Tage ausgehend vom Matrosenaufstand in Kiel im ganzen Deutschen Reich aus und erfasste auch das Königreich Bayern und dessen Hauptstadt München - noch vor der Reichshauptstadt Berlin.

Als erster deutscher Monarch wurde am 7. November 1918 der bayerische König Ludwig III. abgesetzt. Kurt Eisner von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) rief den Freien Volksstaat Bayern aus und wurde vom schnell gebildeten Arbeiter- und Soldatenrat zum ersten Ministerpräsidenten der bayrischen Republik gewählt.

Nachdem Eisner am 21. Februar 1919 von einem rechtsextremen Attentäter ermordet worden war, kam es zu Machtkämpfen zwischen Anhängern des Rätesystems und des pluralistischen Parlamentarismus. Im März wurde Johannes Hoffmann (SPD) als Vertreter einer pluralistisch-parlamentarischen Demokratie vom im Januar gewählten Landtag zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt. Gegen dessen Regierung kam es im April in relativ kurzer Folge zur Bildung unterschiedlich geprägter Räterepubliken; - zuerst dominiert von anarchistischen Intellektuellen und danach von Anhängern und Mitgliedern der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Ende April griffen vom inzwischen nach Bamberg ausgewichenen Kabinett Hoffmann zu Hilfe gerufene Freikorpseinheiten, vereinzelt auch als Weiße Truppen bezeichnet, die Verteidiger der Räterepublik an und eroberten zusammen mit aus Berlin entsandten Reichswehrverbänden München bis zum 2. Mai zurück. Im Laufe der Kämpfe und danach kam es auf beiden Seiten zu Grausamkeiten, bei denen hunderte Menschen starben, in der Mehrzahl jedoch Opfer der rechtsextremen Freikorps.

Der Ablauf der Revolution und die sich daran anschließenden von blutiger Vergeltung der Konterrevolutionäre geprägten Ereignisse begünstigten den Aufstieg des Nationalsozialismus. In den folgenden Jahren wurde Bayern zur "Ordnungszelle" Deutschlands. Hier begann auch der politische Aufstieg Adolf Hitlers, der 1923 in München mit einigen Anhängern den zunächst erfolglosen „Hitlerputsch“ durchführte.

Chronik

1918

1919

Die Ereignisse in Bayern, v.a. in München:

  • 12. Januar: Wahl zu verfassungsgebendem Landtag
  • 21. Februar und Folgetage: Eisner wird auf dem Weg zum Landtag von Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Nach Tumulten mit Schusswechseln und zwei weiteren Todesopfern wird die Landtagssitzung vertagt. Konstituierung des Zentralrats der bayrischen Räte unter Ernst Niekisch (SPD, später USPD). Der Generalstreik wird ausgerufen, über München der Belagerungszustand verhängt
  • 4. März: Der Rätekongress lehnt die Bildung einer Koalitionsregierung zwischen SPD, USPD und dem damals als liberal geltenden Bayrischen Bauernbund sowie die Einberufung des Landtags und Neuwahlen der Räte ab
  • 18. März: Johannes Hoffmann (SPD) wird vom bayrischen Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt
  • 7. April bis 13. April: "Erste Münchner Räterepublik" unter Führung eines von linken Intellektuellen und Anarchisten dominierten "Zentralrats". Das Kabinett Hoffmann zieht sich aus München nach Bamberg zurück. Die USPD tritt aus der Koalition aus
  • 13. April: Ein mit Billigung der Bamberger Regierung angezettelter Putschversuch von Militärs gegen die Räterepublik wird niedergeschlagen. Kommunisten setzen den Zentralrat ab und übertragen die Regierung einem "Vollzugsrat" unter Eugen Leviné und Max Levien. Gustav Landauer und Ernst Toller erkennen den Vollzugsrat an und beteiligen sich auch an der "zweiten Räterepublik"
  • 14. April: Ankündigung des Einsatzes von Freikorpseinheiten gegen die Räterepublik durch die Regierung Hoffmann
  • 15. April: Zunächst erfolgreiche Verteidigung der Räterepublik gegen den Versuch der Freikorps, München einzukesseln
  • 17. April: Reichswehrminister Gustav Noske beschließt den Einsatz von Reichswehrverbänden gegen München
  • 27. April: Nach Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten um Eugen Leviné und anderen linken Revolutionären um Ernst Toller über das Vorgehen im Kampf um die Verteidigung der Räterepublik tritt der Aktionsausschuss unter Leviné zurück und wird als Provisorium unter Toller neu gewählt
  • 28. April: Erneute Wahl eines Aktionsausschusses, dem weder Toller noch Kommunisten angehören
  • 30. April: Bei heftigen Kämpfen in den Vororten Münchens kommt es zu grausamen Massakern der Freikorps an Angehörigen der "Roten Armee" der Räterepublik und unbeteiligten Zivilisten
  • 1. Mai: Gustav Landauer wird von Freikorps verhaftet und am darauffolgenden Tag im Gefängnis von München Stadelheim mißhandelt und ermordet
  • 2. Mai: Reichswehr und Freikorps nehmen München ein und beenden gewaltsam die Räterepublik

Nachwirkungen:

  • Mai/Juni: Die meisten führenden Mitglieder der Münchner Räterepublik werden zu langen Haftstrafen (Ernst Toller: 5 Jahre; Erich Mühsam: 15 Jahre) - oder zum Tode verurteilt (Hinrichtung Eugen Levinés am 5. Juni). Dagegen wird Graf Arco, der zunächst zum Tode verurteilte Mörder Kurt Eisners zu einer Haftstrafe begnadigt und 1924 aus dem Gefängnis entlassen

Vorgeschichte

Durch die Versorgungsengpässe und das Massensterben im Ersten Weltkrieg wuchs auch in Bayern die Unzufriedenheit. Bei den Januarstreiks von 1918 wurden in Bayern ebenso wie in vielen anderen Orten des Deutschen Reiches ein Verständigungsfriede und Demokratisierung gefordert. Zum Ende des Krieges wurde Deutschland de facto nicht vom Kaiser oder der Reichsregierung, sondern von der Obersten Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff regiert. In weiten Kreisen der bayrischen Bevölkerung wurde die Politik des preußischen Obrigkeitsstaats als eine der Hauptursachen für den Krieg betrachtet. Dem bayerischen König wurde vorgeworfen, nur ein Parteigänger des Kaisers zu sein. Dadurch und durch das Eingeständnis der Niederlage verlor der unbeliebte König Ludwig III., der sich nach Ansicht der Bevölkerung zu Unrecht zum König gemacht hatte, die letzte Autorität und Loyalität in Bayern. Die von ihm eingeleitete Reform und Parlamentarisierung kam zu spät, um die Monarchie zu retten.

Am 29. Oktober kam es in Wilhelmshaven zur Meuterei der Besatzung der Kriegsflotte und wenig später in Kiel zum offenen Aufstand der Matrosen, die die Stadt bis zum 3. November in ihre Gewalt brachten.

Die Oberste Heeresleitung hatte erst Ende September 1918 die Niederlage eingestanden, obwohl sie die Lage schon im August als aussichtslos eingestuft hatte. Ende Oktober sollte die Hochseeflotte zu einer aussichtslosen Entscheidungsschlacht auslaufen. Die Matrosen weigerten sich, sich so kurz vor dem ersehnten Kriegsende auf eine Selbstmordmission zu begeben. Während des Aufstands wurden Soldaten- und Arbeiterräte gebildet. Der Erfolg der Matrosen breitete sich in kurzer Zeit in ganz Deutschland aus und entwickelte sich zur Novemberrevolution.

Die verschiedenen Interessengruppen

Die drei im Zusammenhang mit der Revolution wichtigsten politischen Parteien dieser Zeit sowohl im Reich als auch in Bayern waren die MSPD oder SPD, die USPD und die KPD.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD, damals auch unter dem Kürzel MSPD für Mehrheits-SPD firmierend) war eher gemäßigt; ihr Ziel war eine parlamentarische Demokratie. Sie wollte keine Revolution, sondern Reformen; im Rahmen der Burgfriedenspolitik hatte sie den Krieg unterstützt. Einige ihrer Mitglieder waren bereits während der Monarchie in der bayrischen Regierung vertreten. An der Revolutionsregierung beteiligte sich die SPD, um die Kontrolle zu behalten. Erhard Auer und Johannes Hoffmann waren während der Revolution die führenden Köpfe der bayrischen SPD. Spätestens ab Mitte März 1919, als Hoffmann Ministerpräsident geworden war, wandte sich die Partei von der nach links abdriftenden Revolution in München und ein paar wenigen anderen Städten Bayerns ab. Die vom Landtag gewählte Regierung musste nach Bamberg ausweichen und bekämpfte von dort aus die Räterepublik. Hoffmann bat seinen Parteigenossen in Berlin, den Reichswehrminister Gustav Noske um Truppen zu deren Niederschlagung.

Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), in Bayern unter dem Vorsitz Kurt Eisners, war die wesentliche Urheberpartei des Umsturzes in München und befürwortete größtenteils, zumindest für eine Übergangsphase, das Rätesystem. Reichsweit hatte sich die USPD 1917 von der damaligen SPD aus Protest gegen die kriegsbilligende Haltung der Mutterpartei abgespalten und die Beendigung des Krieges gefordert. Als Pazifist und Organisator des Münchner Munitionsarbeiterstreiks im Rahmen der deutschlandweiten Streikwelle im Januar 1918 war Kurt Eisner von Januar bis Oktober 1918 inhaftiert. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis setzte er sich an führender Stelle für die Revolution in Bayern ein und wurde zum ersten Ministerpräsidenten der bayrischen Republik. Allerdings betrachtete ein Großteil der linken Wähler nach dem Krieg die Spaltung der Sozialdemokratie in MSPD und USPD für überholt und wählte bei der Wahl für den verfassungsgebenden Landtag mehrheitlich wieder die SPD (MSPD). Die USPD kam dabei nur auf 2,5 Prozent der Stimmen.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wurde um den Jahreswechsel 1918/19 reichsweit aus dem linken Flügel der USPD, dem Spartakusbund und anderen linksrevolutionären Gruppierungen in Berlin gegründet. Sie kämpfte für das Rätesystem, die Verstaatlichung von Betrieben und die Weltrevolution. Eines ihrer Mitglieder war der aus Russland stammende Eugen Leviné. Er wurde von der Berliner KPD-Zentrale nach München entsandt, um den kommunistischen Einfluss auf die Räterepublik voranzutreiben. Nachdem sich die Kommunisten unter seiner Führung an die Spitze der Räterepublik gesetzt hatten, nahm er Kontakt zu Lenin in Moskau auf, um sich der Unterstützung durch die russischen Bolschewiki, die seit der Oktoberrevolution von 1917 den ersten kommunistisch regierten Staat der Welt anführten, zu versichern.

Eine weitere wichtige beteiligte Gruppe waren einige linksintellektuelle, anarchistische und/oder pazifistische Schriftsteller und Philosophen, teilweise USPD-Mitglieder wie etwa Ernst Toller oder Parteilose wie z. B. die Anarchisten Erich Mühsam und Gustav Landauer. Sie riefen am 7. April 1919 die eigentliche Räterepublik aus und dominierten die erste Räteregierung, den so genannten "Zentralrat". Toller und Landauer wurden auch nach der Führungsübernahme durch die KPD, die die erste Räterepublik als Scheinräterepublik bezeichnet hatte, in die kommunistisch dominierte Räteregierung gewählt.

Abgesehen von der SPD-Führung traten einige konservative und rechtsextreme Gruppierungen als strikte Gegner der linken Revolution auf, die jedoch als politische Parteien bis zur Niederschlagung der Räterepublik nur eine marginale Rolle hatten.

Am 12. November 1918 wurde die Bayerische Volkspartei gegründet. Sie war ein Ableger der Zentrumspartei und schürte im Wahlkampf die Furcht vor den "Bolschewisten".

Ebenfalls während der Revolution, am 5. Januar 1919, wurde mit der Deutschen Arbeiterpartei eine völkisch-rechtsextreme und antisemitische Partei gegründet, die aber zunächst relativ bedeutungslos blieb. 1920 wurde sie in NSDAP umbenannt und gewann später unter der Führung Adolf Hitlers ab 1921 eine zunehmend verhängnisvolle Bedeutung in der deutschen Geschichte.

Ende der Monarchie (Erste Revolution)

Demonstration auf der Theresienwiese

Am 7. November 1918, als sich die russische Oktoberrevolution zum ersten Mal jährte, veranstalteten die SPD, Gewerkschaften und die USPD eine gemeinsame Friedenskundgebung auf der Münchner Theresienwiese. Damit der von ihm angestrebte Übergang zur parlamentarischen Monarchie in Bayern nicht gefährdet würde, forderte der bayerische König Ludwig III. die Polizei zur Zurückhaltung auf, obwohl Hinweise auf einen Umsturzversuch durch die USPD vorlagen.

Um 15 Uhr begann die Demonstration auf der Theresienwiese mit etwa 60.000 Teilnehmern. Zuerst sprachen zwölf verschiedene Redner, unter anderem Erhard Auer, der Vorsitzende der bayerischen SPD, Ludwig Gandorfer, ein radikaler Bauernführer, sowie Kurt Eisner. Eisner war der Vorsitzende der USPD und hatte sich bereits im Norden der Theresienwiese aufgestellt, um gut zu den Kasernen zu kommen. Einige Redner wollten die Leute beruhigen und wiesen auf die kommenden Reformen hin, andere forderten ein sozialistisches Rätesystem. Der Hauptzug der Demonstration bewegte sich nach der Annahme einer Resolution, die einen sofortigen Friedensschluss, einen Rücktritt des deutschen Kaisers, einen Achtstundentag und eine Arbeitslosenversicherung forderte, zum Friedensengel. Dort löste sich der Zug nach einer Rede von Franz Schmitt, einem Abgeordneten der SPD, auf. Die meisten Betriebe, Geschäfte und Ämter hatten an diesem Tag geschlossen, um ihren Angestellten die Möglichkeit zu geben, an der Kundgebung teilzunehmen.

Marsch zu den Kasernen

Ohne dass es die meisten anderen bemerken, entfernten sich etwa 2000 Menschen unter Führung von Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer zuerst zur Kraftwagenkolonne der Kraftfahr-Ersatzabteilung in der Kazmairstraße. Die Behörden vertrauten auf die Münchner Garnisonstruppen und maßen der Aktion keine große Bedeutung bei. Die Kraftfahrer schlossen sich dem Zug an, der nacheinander zur Ersatzkompanie des Münchner Landsturmbataillons, zur Marsfeldkaserne, Türkenkaserne und zu den Kasernen auf dem Oberwiesenfeld und an der Dachauer Straße marschierte. Auch dort schlossen sich jeweils viele Soldaten an, wegen Kriegsmüdigkeit, der Überzeugungskraft der Revolutionäre oder der Teilnahme anderer Soldaten. Um ungefähr 19 Uhr erschienen Demonstranten vor der königlichen Residenz. Philipp von Hellingrath, der Kriegsminister, musste eingestehen, dass in München keine Truppen zur Verfügung standen. Mit auswärtiger Hilfe konnte nicht gerechnet werden, da Meldungen von Unruhen eintrafen. Otto Ritter von Dandl riet Ludwig III. zu fliehen. Ludwig verließ in Zivilkleidung zusammen mit seiner schwerkranken Frau, drei Töchtern, dem Erbprinzen Albrecht und einem kleinen Hofstaat München in drei Mietautos mit dem Ziel Schloss Wildenwart am Chiemsee.

Übernahme der Regierung

Nachdem die Revolutionäre Einrichtungen wie den Hauptbahnhof, Gebäude der Regierung oder militärische Einrichtungen ohne Widerstand besetzt hatten, hielt Kurt Eisner eine Versammlung im Franziskaner-Bierkeller ab und nahm danach im Mathäserbräu an einer Massenveranstaltung teil. Dort bildete er einen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat. Zum Vorsitzenden wurde Franz Schmitt, ein SPD-Abgeordneter gewählt.

Eisner verkündete in der ersten Stunde des 8. November den Freien Volksstaat Bayern als Freistaat. Einen Tag später proklamierte Karl Liebknecht vom Spartakusbund in Berlin die Freie Sozialistische Republik Deutschland. In ganz Deutschland kam es zur Novemberrevolution und zu politischen Aufständen, beispielsweise in Kiel (Matrosenaufstand), Berlin, Bremen und Hamburg. Es wurden Arbeiter- und Soldatenräte gegründet, wobei München ein Zentrum der Rätebewegung war. Bis zum 23. November mussten alle Monarchen der deutschen Länder dem Bayerischen König folgen und abdanken. Auf Grund der Ereignisse in München kam es auch in anderen bayerischen Städten, zum Beispiel in Kaiserslautern (damals war die Pfalz bayrisch), Ingolstadt und Kempten, zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten durch Mitglieder von SPD und USPD. Die Teilnahme von SPD-Mitgliedern an diesen Räteregierungen zeigt, dass "gemäßigte Kräfte" die Revolution dominierten.

Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wählte eine Revolutionsregierung aus USPD und SPD mit Kurt Eisner als Ministerpräsident und Außenminister, Erhard Auer (SPD) als Innenminister, Johannes Hoffmann (SPD) als Kultusminister, Edgar Jaffé als Finanzminister und Albert Roßhaupter (SPD) als Militärminister. Ein provisorischer Nationalrat, der sich aus Vertretern des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates, der Gewerkschaften, der Berufs- und Frauenverbände und den Fraktionen der SPD und des Bauernbundes im bayerischen Landtag zusammensetzte, trat an die Stelle des Landtags. Am 11. November kam es zum Waffenstillstand zwischen den Alliierten und dem Deutschen Reich, der erste Weltkrieg endete. Am 12. November entband der Ludwig III. die Beamten vom Treueeid auf seine Person, erklärte sich aber nicht bereit abzudanken. Die Revolutionsregierung erlaubte dem ehemaligen König sich in Bayern aufzuhalten und er erhielt als "Unterstützung" 600.000 Mark. Am 12. November wurde auch die Bayerische Volkspartei gegründet.

Haltung der Öffentlichkeit

Die Stimmung der Bevölkerung schwankte zwischen Hoffnung auf Demokratie, vor allem bei den Arbeitern, und Abneigung gegen die Revolution, vor allem auf dem Land und im Bürgertum. Die Mehrheit hatte weder eine euphorische, noch eine ablehnende Meinung. Die katholische und die evangelische Kirche standen auf der Seite der Monarchie und sahen in der Linken eine größere Gefahr für Deutschland als in der Rechten. Die Kirchen spielten allerdings für das Schicksal der Räterepublik keine große Rolle. Die gesellschaftliche Struktur blieb trotz der Änderung der Staatsform erhalten. Die Beamten, zum Beispiel Gustav Ritter von Kahr, der Regierungspräsident von Oberbayern und spätere Diktator, blieben in ihren Stellungen

Künstler, Intellektuelle und die Revolution

Bei den Revolutionen spielten auch Vertreter des kulturellen Lebens eine wichtige Rolle. Einige Intellektuelle wie der Nationalökonom Lujo Brentano, der Dirigent Bruno Walter, die Schriftsteller Gustav Landauer, Heinrich Mann und Rainer Maria Rilke bildeten den Rat der geistigen Arbeit. Weitere Vereinigungen waren der Allgemeine Studentenausschuss, der Rat der bildenden Künstler Münchens und der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler. Es gab unter den Künstlern auch Gegner der Revolution, beispielsweise Thomas Mann, aber auch er sah die Revolution als durch den fehlenden Widerstand legitimiert an.

Die erste Räterepublik war von den Literaten wie Ernst Toller, Gustav Landauer oder Erich Mühsam geprägt. Auch der Finanztheoretiker Silvio Gesell war Mitglied in der Regierung der ersten Räterepublik.

Politik der Revolutionsregierung

Da sich die Revolutionsregierung nur als Übergangsregierung sah, kam es zu keinen tiefgreifenden Reformen. Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung waren die inhaltlichen Gegensätze zwischen der revolutionäreren USPD und der SPD, welche die Revolution eindämmen wollte. Nachdem Eisner nicht durchsetzen konnte, dass die Weimarer Verfassung der Zustimmung der Länder bedurfte, sprach er sich im Regierungsprogramm vom 15. November für einen gemeinsamen deutsch-österreichischen Staat aus und nahm auch Kontakt zum tschechischen Staatspräsidenten zur Gründung einer Donauföderation auf. Die Föderation sollte vor allem von den Ländern gelenkt werden; der Plan scheiterte am Eingreifen der Reichsregierung. Die Verstaatlichung der Industrie wurde zurückgestellt, lediglich einige Forderungen der Gewerkschaften wie der Achtstundentag und eine bessere Unterstützung der Arbeitslosen wurden umgesetzt. Die monarchischen Beamten blieben wie im übrigen Deutschland im Amt.

Eisner ernannte entsprechend den Reservatrechten Gesandte für Bern, Berlin, Wien und Prag. Um einen besseren Friedensvertrag für Bayern zu erreichen, veröffentlichte er Berichte, die für die Kriegsschuld Deutschlands sprachen und rief damit Empörung hervor. Unter Kultusminister Johannes Hoffmann wurde ein Schulreform zur Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht durchgeführt. Die Reform ging in das Vorläufige Staatsgrundgesetz mit ein und hatte auch später Bestand. Der Heraldiker Otto Hupp wurde beauftragt, ein neues Staatswappen zu gestalten.

Wahlen, Mord an Eisner und Zweite Revolution

Im Januar begann in ganz Deutschland mit Aufständen in Berlin die zweite Phase der Revolution. In der Regierung gab es eine Kontroverse zwischen den Befürwortern des Rätesystems (USPD) und den Befürwortern einer starken Stellung des Parlaments (SPD). Die Befürworter eines starken Parlaments setzten sich durch, und der Einfluss der Räte sank im ganzen Land. Auf Druck der SPD fanden am 12. Januar 1919 Wahlen zu einem verfassungsgebenden Landtag statt; vorher wurde jedoch am 4. Januar 1919 ein vorläufiges Staatsgrundgesetz beschlossen. Das Staatsgrundgesetz enthielt keine Elemente des Rätesystems, sondern basierte auf der parlamentarischen Demokratie.

Bei den Wahlen gab es erstmals das Verhältniswahlrecht und das Wahlrecht für Frauen. Die Verlierer dieser Wahl waren mit dem Bayerische Bauernbund, der 9 Prozent (16 Sitze) und der USPD, die 2,5 Prozent (3 Sitze) der abgegebenen Stimmen erhielt, die Parteien der Revolution. Gewinner waren die Bayerische Volkspartei, die Nachfolgepartei des Bayerischen Zentrums, mit 35 Prozent (66 Sitzen) und die SPD mit 33 Prozent (61 Sitzen) der Stimmen. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) erhielt 14 Prozent (25 Sitze), die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zusammen mit der pfälzischen Mittelpartei 6 Prozent (9 Sitze).

Eisner wurde am 21. Februar auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des Landtags, wo er den Rücktritt seines Kabinetts anbieten wollte, vom rechtsradikalen Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Eisner hatte sich die politische Rechte auf Grund seiner jüdischen Abstammung, als "Preuße", wegen seiner Anerkennung der deutschen Kriegsschuld und auf Grund seines Versuchs, die Sozialistische Internationale wiederzubeleben, zum Feind gemacht. Ein Mitglied des Arbeiter, Soldaten- und Bauernrates erschoss als Rache zwei konservative Abgeordnete und verletzte Erhard Auer schwer. Als Reaktion vertagte sich der Landtag. Auer und der niedergeschossene Graf von Arco auf Valley wurden vom berühmten Ferdinand Sauerbruch behandelt.

Nach einem Aufruf der USPD kam es zu einem Generalstreik. Die Macht übernahm der "Zentralrat der Bayerischen Republik" unter Ernst Niekisch (SPD), über München wurde der Belagerungszustand verhängt. Am 25. Februar lehnte der elfköpfige Bayerische Rätekongress aus Mitgliedern von USPD, SPD und KPD den Antrag von Erich Mühsam die Räterepublik auszurufen ab. Die Presse wurde zensiert, es gab eine Radikalisierung der bisher eher unblutigen Revolution und eine zunehmende Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Rätesystems und des Parlamentarismus.

Neue Regierung

Der Rätekongress bildete am 1. März eine neue Regierung unter Martin Segitz, die Regierung wurde aber von den Landtagsabgeordneten nicht anerkannt. Am 17. März wählten die Abgeordneten Johannes Hoffmann (SPD) zum neuen Ministerpräsidenten und bestätigten das vorläufige Staatsgrundgesetz.

Im neuen Kabinett war Hoffmann Außenminister und Kultusminister, Martin Segitz (SPD) Innenminister, Ernst Schneppenhorst (SPD) Militärminister und Karl Neumaier (parteilos) Finanzminister. Der Regierung gehörten auch ein Mitglied des Bauernbundes und Mitglieder der USPD an. Es gelang der neuen Regierung aber nicht, die Spannungen zwischen Anhängern des Rätesystems und des Parlamentarismus abzubauen.

Regierung und Parlament mussten nach einer neuerlichen Revolution fliehen, sie setzten aber ihre Arbeit fort. Am 24. Mai legte die Regierung dem Landtag die neue Verfassung vor, der sie an einen Ausschuss weiterleitete. Am 24. April wurde eine neue Gemeindeverfassung erlassen.

Räterepublik der Schwabinger Literaten (Dritte Revolution)

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Die Regierung der ersten Räterepublik, in der Mitte sitzend: Erich Mühsam

Am 7. April riefen der Literat Ernst Toller, der Anarchist und Literat Erich Mühsam, sowie der ebenfalls anarchistische Philosoph und Literat Gustav Landauer die Räterepublik Baiern aus (Foto unten). Die Führung übernahm anfangs Ernst Niekisch, den noch am ersten Tag Toller ablöste. Die neue Führung beendete den Kontakt zur Reichsregierung. Da die Räterepublik nicht von Kommunisten geführt wurde, bezeichneten diese sie als Scheinräterepublik.

Auch in vielen Städten, vor allem südlich der Donau, wurde die Räterepublik ausgerufen.

Aus der Regierung Hoffmann traten die USPD-Minister und Karl Neumaier aus, die restliche Regierung floh nach Bamberg, wo auch die Bamberger Verfassung entstand. Diese Räterepublik hatte nur geringe Bedeutung und wurde bald abgelöst.

Es kam in München zu Problemen mit der Lebensmittelversorgung und zu einem Generalstreik. Am 13. April (Palmsonntag) kam es unter der Anführung von Heinrich Aschenbrenner, einem Kommandanten der regierungstreuen Republikanischen Schutzwehr, zur Verhaftung von Mitgliedern der Räterepublik. Die Aktion wurde von der Roten Armee unter Soldatenrat Rudolf Egelhofer am selben Tag niedergeschlagen, wobei 17 Personen starben.

Kommunistische Räterepublik (Vierte Revolution)

Als Reaktion riefen im Hofbräuhaus die Betriebs- und Soldatenräte noch während der Kämpfe die Kommunistische Räterepublik aus. Die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt wurden in dieser zweiten Räterepublik an einen "Aktionsausschuss" aus 15 Personen unter Führung von Eugen Leviné übertragen. Von diesem Aktionsausschuss wurde ein aus vier Personen bestehender Vollzugsrat gewählt, dem auch die aus Russland stammenden und von der KPD-Zentrale in Berlin nach München entsandten Eugen Leviné und Max Levien angehörten. Ernst Toller und Gustav Landauer erkannten den Aktionsausschuss an und beteiligten sich auch an der Kommunistischen Räterepublik.

Um die Räterepublik zu schützen, wurde eine so genannte Rote Armee unter Rudolf Egelhofer aufgebaut, die bürgerliche Presse verboten, Lebensmittel beschlagnahmt und ein zehntägiger Generalstreik ausgerufen. Die Führung beabsichtigte, keinen eigenen Weg zu gehen, sondern die Revolution in Bayern zu einem Teil der internationalen Revolution unter Moskauer Führung zu machen und nahm dazu Kontakt zu Russland auf, um sich der Unterstützung Lenins zu versichern.

Ende der Räterepublik

Inzwischen verbreiteten sich Gerüchte über angebliche Greueltaten in München, die zu einer massiven Gegenbewegung führten. Die Regierung Hoffmann in Bamberg hetzte die Landbevölkerung gegen die "Diktatur der Russen und Juden" in der Stadt auf, die angeblich die Frauen zu Gemeineigentum erklärt hatten. Eine Hungerblockade gegen die Münchner Räterepublik war die Folge. Die Regierung Hoffmann unterstützte die Bildung von Freikorps, dennoch gelang es nicht, ausreichend bayerische Truppen zu rekrutieren, die bereit waren, gegen ihre Landsleute in München zu kämpfen. So forderte Ministerpräsident Hoffmann (SPD) vom Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) Freikorps aus Berlin an. In der zweiten Aprilhälfte rückten 35.000 Soldaten unter General Burghard von Oven auf München zu. Mit dabei waren Offiziere wie Franz Ritter von Epp, der bereits bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China und an dem berüchtigten Massaker an den Hereros in Deutsch Süd-West-Afrika beteiligt war. Viele Soldaten trugen schon das Hakenkreuz, das Symbol der völkischen Thule-Gesellschaft am Helm.

Die Rote Armee konnte anfängliche Gefechte gewinnen, doch die "weiße" Armee aus preußischen und württembergischen Truppen sowie Freikorps besetzte am 20. April Augsburg, wo es daraufhin zu einem Generalstreik kam. Die Bamberger Regierung verhängte am 25. April über München das Standrecht. Es gelang den Revolutionären nicht, ausländische Hilfe zu gewinnen oder den Erzbischof als Geisel zu nehmen. In der Folge entstanden Spannungen zwischen Mitgliedern der USPD (Toller) und der KPD (Leviné); am 27. April trat der Aktionsausschuss zurück, und es wurde ein neuer Aktionsausschuss, diesmal ohne Kommunisten, gewählt.

Am 1. Mai 1919 schloss die "weiße" Armee München ein und eroberte die Stadt bis zum darauffolgenden Tag vollständig, damit endete die letzte Räteregierung in Deutschland. Der Widerstand der etwa 2000 Kämpfer der "Roten Armee" war insgesamt schwach und blieb auf einige wenige Stellen beschränkt. Die Regierung Hoffmann kehrte daraufhin zurück. Nachdem es beim Vormarsch der Freikorps auf München zu willkürlichen Erschießungen gekommen war, wurden zehn im Münchner Luitpold-Gymnasium festgehaltene Geiseln von Mitgliedern der "Roten Armee" erschossen. Dieser "Geiselmord" galt den Freikorps als zusätzliche Rechtfertigung für ihre Terrorherrschaft in München, die zahlreiche Menschenleben forderte. Das Standrecht wurde am 1. August aufgehoben, am 14. August wurde die Bamberger Verfassung unterzeichnet, der Kriegszustand endete am 1. Dezember.

Ende und Folgen der Revolution

Bei der Niederschlagung der Revolution starben einige Dutzend Revolutionsgegner und Freikorpssoldaten; unterschiedliche Quellen berichten von mehr als 600 oder 1000 toten Revolutionären und Verteidigern der Münchner Räterepublik. Unter anderem wurden 52 russische Kriegsgefangene von einem Freikorps in einer Kiesgrube bei Gräfelfing erschossen. Gustav Landauer wurde am 2. Mai von Soldaten und Freikorps-Mitgliedern im Gefängnis Stadelheim brutal misshandelt und erschossen. Hunderte wurden wegen falscher Denunziationen verhaftet und hingerichtet. Beispielsweise denunzierte ein Pfarrer aus München-Perlach zwölf Arbeiter, die dann vom Freikorps ausgeplündert und erschossen wurden. Auch Adolf Hitler, der sich während der Revolutionszeit in München versteckt hatte, denunzierte danach mehrere mit der Räterepublik sympathisierende Kameraden seines ehemaligen Regiments. In den folgenden Wochen wurden über 2200 Unterstützer der Räterepublik zu Haftstrafen verurteilt. Rudolf Egelhofer und Gustav Landauer wurden von Freikorpssoldaten ermordet; nur Max Levien gelang die Flucht. Eugen Leviné wurde wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Nach seiner Hinrichtung am 5. Juni 1919 kam es unter anderem in Berlin zu einem Generalstreik. Erich Mühsam wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, Toller zu fünf Jahren.

Der auf beiden Seiten entstandene Hass vergiftete lange die politischen Verhältnisse. Die Tatsache, dass einige der führenden Personen jüdischer Abstammung waren (Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Eugen Leviné), wurde als Grund für den entstehenden Antisemitismus missbraucht. Das Trauma, die Wunden und die Folgen der Revolutionszeit, Hunger, Angst, viele Tote, Hass und die Dolchstoßlegende sowie die Versäumnisse der Revolution wie etwa eine Demokratisierung der monarchistischen Justiz und Verwaltung waren ein schweres Erbe für die Demokratie und begünstigten den Aufstieg der Nationalsozialisten. Die juristische Aufarbeitung der Münchner Räterepublik nach ihrer Niederschlagung zeigte zum ersten Mal in großem Stil die politische Einseitigkeit der Justiz in der Weimarer Republik: Während rechte Verbrechen gar nicht oder sehr milde bestraft wurden, wurden linke Verbrechen und andere Taten mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt. Nach der Niederschlagung der Revolution wurde Bayern zur "Ordnungszelle" in Deutschland; es wurde die Zuflucht von Rechtsextremen. 1923 fand in München der Hitlerputsch statt.


Siehe auch: Geschichte Bayerns

Literatur

  • Peter Jakob Kock, Franz Menges, Manfred Tremel, Wolf Volker Weigand: Geschichte des modernen Bayern, München: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2000.
  • Allan Mitchell: Revolution in Bayern 1918/1919. Beck, 1967.
  • Karl-Ludwig Ay: Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des ersten Weltkrieges. Berlin, 1968.
  • Karl Bosl: Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen. München/Wien, 1969.
  • Rudolf Herz, Dirk Halfbrodt: Revolution und Fotografie - München 1918/19. Berlin, 1988. - ISBN 3-88940-027-2

Weblinks