Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er schrieb auch unter den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel.

Tucholsky zählte zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Die Weltbühne erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. Zugleich war er Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter und Dichter. Er verstand sich selbst als linker Demokrat, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor antidemokratischen Tendenzen - v.a. in Politik, Militär und Justiz - und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus.


Leben

Jugend, Schulzeit, Studium

Kurt Tucholskys Elternhaus, in dem er am 9. Januar 1890 zur Welt kam, stand in der Lübecker Straße 13 in Berlin-Moabit. Seine frühe Kindheit verbrachte er jedoch in Stettin, wohin sein Vater aus beruflichen Gründen versetzt worden war. Der jüdische Bankkaufmann Alex Tucholsky hatte 1887 seine Cousine Doris Tucholski geheiratet, mit der er drei Kinder hatte: Kurt, ihren ältesten Sohn, sowie Fritz und Ellen. 1899 kehrte die Familie nach Berlin zurück.

Erinnerungstafel in Berlin-Friedenau, Bundesallee 79

Während Tucholskys Verhältnis zu seiner Mutter zeitlebens getrübt war, hat er seinen Vater sehr geliebt und verehrt. Alex Tucholsky starb jedoch bereits 1905 an den Folgen einer Syphilis-Erkrankung. Er hinterließ seiner Frau und den Kindern ein beachtliches Vermögen, das es seinem ältesten Sohn gestattete, ohne finanzielle Sorgen sein Studium aufzunehmen.

Kurt Tucholsky war 1899 im Französischen Gymnasium eingeschult worden. 1903 wechselte er auf das Königliche Wilhelms-Gymnasium, das er aber 1907 verließ, um sich mit einem Privatlehrer auf das Abitur vorzubereiten. Nach dem Externen-Abitur im Jahre 1909 begann er im Oktober desselben Jahres ein Jurastudium in Berlin, dessen zweites Semester er im Frühjahr 1910 in Genf verbrachte.

Tucholskys Interesse galt auch während des Studiums vor allem der Literatur. So reiste er mit seinem Freund Kurt Szafranski im September 1911 nach Prag, um den von ihm geschätzten Schriftsteller und Kafka-Freund Max Brod mit einem Besuch und einer selbstgebastelten Miniaturlandschaft zu überraschen. Nach einer Begegnung mit Franz Kafka notierte dieser am 30. September 1911 über Tucholsky in seinem Tagebuch:

... ein ganz einheitlicher Mensch von 21 Jahren. Vom gemäßigten und starken Schwingen des Spazierstocks, das die Schulter jugendlich hebt, angefangen bis zum überlegten Vergnügen und Mißachten seiner eigenen schriftstellerischen Arbeiten. Will Verteidiger werden, ...

Zu einer juristischen Karriere kam es trotz Promotion später aber nie. Die Neigung zur Literatur und zum Journalismus war stärker.

Erste Erfolge als Schriftsteller

Bereits während seiner Zeit als Schüler hatte Tucholsky seine ersten journalistischen Arbeiten verfasst. Die satirische Wochenzeitschrift Ulk hatte 1907 den kurzen Text "Märchen" gedruckt, in dem sich der 17-Jährige über den Kunstgeschmack Kaiser Wilhelms II. lustig gemacht hatte. Während des Studiums intensivierte er seine journalistische Tätigkeit, unter anderem für das sozialdemokratische Parteiorgan Vorwärts. Für die SPD zog er 1911 in den Wahlkampf.

Mit Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte veröffentlichte Tucholsky 1912 eine Erzählung, in der er einen für die damalige Zeit ungewohnt frischen, verspielten Ton anschlug und die ihn erstmals einem größeren Publikum bekannt machte. Um den Absatz des Buches zu fördern, eröffnete Tucholsky zusammen mit Szafranski, der die Erzählung illustriert hatte, auf dem Berliner Kurfürstendamm eine Bücherbar. Jeder Käufer bekam dort zusätzlich zu seinem Buch noch einen Schnaps eingeschenkt. Der Studentenulk wurde jedoch nach wenigen Wochen wieder eingestellt.

Viel langfristiger sollte dagegen ein Engagement werden, das Tucholsky Anfang 1913 begann. Am 9. Januar 1913 erschien sein erster Artikel in der Theaterzeitschrift Die Schaubühne, dem später in Die Weltbühne umbenannten Wochenblatt des Publizisten Siegfried Jacobsohn, der bis zu seinem Tod Tucholskys Mentor und Freund war. In einer eigenhändigen Vita, die Tucholsky zwei Jahre vor seinem Tod in Schweden verfassen sollte, schrieb er über dieses besondere Verhältnis: "Dem im Jahre 1926 verstorbenen Herausgeber des Blattes, Siegfried Jacobsohn, verdankt Tucholsky alles, was er geworden ist."

Soldat im 1. Weltkrieg

Der Beginn der journalistischen Karriere wurde durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Mehr als zwei Jahre erschien kein Artikel von Tucholsky. Er beendete zunächst sein Studium an der Universität Jena, wo er Anfang 1915 mit einer Arbeit über Hypothekenrecht cum laude zum Dr. iur. promoviert wurde. Bereits im April des selben Jahres wurde er eingezogen und an die Ostfront geschickt. Dort erlebte er zunächst Stellungskämpfe mit und diente als Armierungssoldat, dann als Kompanieschreiber. Von November 1916 an brachte er die Feldzeitung Der Flieger heraus. In der Verwaltung der Artillerie-Fliegerschule in Alt-Autz in Kurland lernte er seine spätere Frau Mary Gerold kennen. Die Posten als Schreiber und Feldzeitungs-Redakteur sah Tucholsky als gute Möglichkeiten an, einen Dienst im Schützengraben zu umgehen. Rückblickend schrieb er:

"Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Kriege gedrückt, wo ich nur konnte. (...) ich wandte viele Mittel an um nicht erschossen zu werden und um nicht zu schießen - nicht einmal die schlimmsten Mittel. Aber ich hätte alle, ohne jede Ausnahme alle angewandt, wenn man mich gezwungen hätte: keine Bestechung, keine andre strafbare Handlung hätt' ich verschmäht. Viele taten ebenso."
(Ignaz Wrobel: "Wo waren Sie im Kriege, Herr -?", in: Die Weltbühne, 30.3.1926, S. 490)

Diese Mittel entbehrten zum Teil nicht einer gewissen Komik, wie aus einem Brief an Mary Gerold hervorgeht:

"Eines Tages bekam ich für den Marsch ein altes schweres Schießgewehr eingehändigt. Ein Gewehr? Und im Kriege? Nie, dachte ich mir. Und lehnte es an eine Hütte. Und ging weg. Das fiel sogar in unserm damaligen Verein auf. Ich weiß nicht mehr, wie ich die Sache rangiert habe - aber irgendwie glückte es. Und es ging auch ohne Gewehr."
(Kurt Tucholsky: Unser ungelebtes Leben. Briefe an Mary, Reinbek 1982, S. 247)

Die Begegnung mit dem Juristen Erich Danehl führte schließlich dazu, dass er 1918 als Vizefeldwebel und Feldpolizeikommissar nach Rumänien versetzt wurde. (Tucholskys Freund Danehl tauchte später als "Karlchen" in mehreren Texten auf, zum Beispiel in Wirtshaus im Spessart.) Im rumänischen Drobeta-Turnu Severin ließ Tucholsky sich im Sommer 1918 protestantisch taufen. Aus der jüdischen Gemeinde war er bereits am 1. Juli 1914 ausgetreten.

Obwohl Tucholsky sich noch im August 1918 an einem Preisausschreiben zur 9. Kriegsanleihe beteiligt hatte, kehrte er im Herbst 1918 als überzeugter Antimilitarist und Pazifist aus dem Krieg zurück.

Kampf um die Republik

Schon im Dezember 1918 übernahm Tucholsky die Chefredaktion des Ulk, die er bis zum April 1920 innehatte. Ulk war die wöchentliche satirische Beilage des linksliberalen Berliner Tageblatts des Verlegers Rudolf Mosse.

Auch für die Weltbühne arbeitete er nun wieder regelmäßig. Um das linksdemokratische Wochenblatt nicht allzu "Tucholsky-lastig" erscheinen zu lassen, hatte er sich bereits 1913 drei Pseudonyme zugelegt, die er bis zum Ende seines publizistischen Wirkens beibehielt: Ignaz Wrobel, Theobald Tiger und Peter Panter. Da Theobald Tiger zeitweise für den Ulk reserviert war, erschienen in der Weltbühne im Dezember 1918 erstmals Gedichte unter einem vierten Pseudonym: Kaspar Hauser. Denn es gab kaum eine Rubrik, zu der Tucholsky nichts beizutragen hatte: von politischen Leitartikeln und Gerichtsreportagen über Glossen und Satiren bis zu Gedichten und Buchbesprechungen. Zudem dichtete er Texte, Lieder und Couplets für das Kabarett - etwa für die Bühne "Schall und Rauch" - und für Sängerinnen wie Claire Waldoff und Trude Hesterberg. Im Oktober 1919 erschien seine Gedichtsammlung Fromme Gesänge.

In die unmittelbare Nachkriegszeit fällt ein wenig rühmliches Kapitel im Leben Tucholskys: seine kurzfristige, aber gut bezahlte Tätigkeit für das Propagandablatt Pieron. Im Auftrag der Reichsregierung sollte die Zeitschrift vor der Volksabstimmung über die endgültige deutsch-polnische Grenzziehung in Oberschlesien anti-polnische Stimmung machen. Dieses von anderen Zeitungen stark kritisierte Engagement führte schließlich dazu, dass Tucholsky nicht mehr für Blätter der USPD schreiben durfte. Tucholsky hat die Mitarbeit am Pieron, auf die er sich wegen finanzieller Schwierigkeiten eingelassen hatte, später selbst als Fehler bezeichnet.

Doch auch in dieser Zeit hatte Tucholsky nicht aufgehört, in linken Blättern die aus der Novemberrevolution hervorgegangene, demokratische Weimarer Republik gegen ihre erklärten Feinde in Militär, Justiz und Verwaltung, in den alten monarchistisch gesinnten Eliten und in den neuen, antidemokratischen, völkischen Bewegungen zu verteidigen. Bereits im Januar 1919 hatte er in der Weltbühne die anti-militaristische Artikelserie Militaria gestartet, ein Angriff auf den wilhelminischen Geist der Offiziere, den er durch den Krieg zusätzlich verroht sah und der in der Republik weiterlebte. Seine eigene Haltung als Soldat während des Krieges soll sich aber nicht wesentlich von derjenigen unterschieden haben, die er am deutschen Offizierskorps so scharf kritisierte. Biographen sehen daher in den "Militaria"-Artikeln "eine Art öffentliche Selbstanalyse" (Hepp). Im ersten Artikel der Serie heißt es unter anderem:

Wir haben auszufressen, was ein entarteter Militarismus uns eingebrockt hat.
Nur durch völlige Abkehr von dieser schmählichen Epoche kommen wir wieder zur Ordnung. Spartakus ist es nicht; der Offizier, der sein eigenes Volk als Mittel zum Zweck ansah, ist es auch nicht - was wird es denn sein am Ende?
Der aufrechte Deutsche.

("Militaria: Offizier und Mann", in: Die Weltbühne. 9.1.1919, S. 39)

In ebenso heftiger Weise prangerte Tucholsky auch die zahlreichen politischen Morde an, die die Weimarer Republik in den ersten Jahren erschütterten. Immer wieder wurden Anschläge auf linke, pazifistische oder auch nur liberale Politiker und Publizisten verübt, zum Beispiel auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Walter Rathenau, Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann oder Maximilian Harden. Als Prozessbeobachter in Verfahren gegen rechtsradikale Fememörder musste er feststellen, dass die Richter in aller Regel die monarchistischen und nationalistischen Ansichten der Angeklagten teilten und mit ihnen sympathisierten. In seinem Artikel Prozeß Harden schrieb er 1922:

Der deutsche politische Mord der letzten vier Jahre ist schematisch und straff organisiert. (...) Alles steht von vornherein fest: Anstiftung durch unbekannte Geldgeber, die Tat (stets von hinten), schludrige Untersuchung, faule Ausreden, ein paar Phrasen, jämmerliches Kneifertum, milde Strafen, Strafaufschub, Vergünstigungen - "Weitermachen!" (...)
Das ist keine schlechte Justiz. Das ist keine mangelhafte Justiz. Das ist überhaupt keine Justiz. (...) Balkan und Südamerika werden sich den Vergleich mit diesem Deutschland verbitten.

("Prozeß Harden", in: Die Weltbühne, 21.12.1922, S. 638)

Tucholsky sparte auch nicht mit Kritik an den demokratischen Politikern, die seiner Meinung nach zu nachsichtig mit ihren Gegnern umgingen. Nach dem Mord an Außenminister Rathenau 1922 richtete er in einem Gedicht einen Appell an die Selbstachtung der Republik:

Steh einmal auf! Schlag mit der Faust darein!
Schlaf nicht nach vierzehn Tagen wieder ein!
Heraus mit deinem Monarchistenrichter,
mit Offizieren - und mit dem Gelichter,
das von dir lebt und das dich sabotiert
an deine Häuser Hakenkreuze schmiert.
(...)
Vier Jahre Mord - das sind, weiß Gott, genug
Du stehst jetzt vor dem letzten Atemzug.
Zeig, was du bist. Halt mit dir selbst Gericht.
Stirb oder kämpfe. Drittes gibt es nicht.

("Rathenau", in: Die Weltbühne, 29.6.1922, S. 653)

Elf Jahre, bevor die erste deutsche Demokratie tatsächlich ihren letzten Atemzug tat, hatte Tucholsky ihre Totengräber bereits beim Namen genannt. Er beließ es daher auch nicht bei seiner publizistischen Tätigkeit, sondern betätigte sich auch direkt politisch. So wirkte er unter anderem an der Gründung des "Friedensbundes der Kriegsteilnehmer" mit und engagierte sich in der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, der er 1920 beigetreten war. Die Mitgliedschaft in einer Partei hielt Tucholsky aber nie von der Kritik an ihren Mitgliedern ab. So urteilte er zum Beispiel über die Leistung von Rudolf Hilferding als Chefredakteur der USPD-Zeitung Freiheit:

Herr Dr. Rudolf Hilferding wurde vom Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie in die Redaktion der 'Freiheit' entsandt. Es gelang ihm, das gefährliche Blatt in zwei Jahren derart herunterzuwirtschaften, daß sowohl von einem Blatt wie von einer Gefahr nicht mehr gesprochen werden kann.
("Dienstzeugnisse", in: Die Weltbühne, 3.3.1925, S. 329)

Besonders hart ging er mit der SPD ins Gericht, deren Führung er ihr Versagen, ja Verrat an den eigenen Anhängern während der Novemberrevolution vorwarf. Über Friedrich Ebert schrieb er 1922 in Prozeß Harden:

Und über allem thront dieser Präsident, der seine Überzeugungen in dem Augenblick hinter sich warf, als er in die Lage gekommen war, sie zu verwirklichen.

In der Hochphase der Inflation sah Tucholsky sich gezwungen, seine publizistische Arbeit zugunsten einer Tätigkeit in der Wirtschaft zurückzustellen. Doch nicht nur finanzielle Gründe sollen für diesen Schritt eine Rolle gespielt haben. Im Herbst 1922 hatte er eine schwere Depression, zweifelte am Sinn des Schreibens und soll sogar einen ersten Selbstmordversuch begangen haben. Am 1. März 1923 trat er schließlich in das Berliner Bankhaus Bett, Simon & Co. ein, schloss aber schon am 15. Februar 1924 wieder einen Mitarbeitervertrag mit Siegfried Jacobsohn. Als Korrespondent der Weltbühne und der angesehenen Vossischen Zeitung ging er im Frühjahr 1924 nach Paris.

Auch in privater Hinsicht gab es 1924 große Veränderungen im Leben Tucholskys. Im Februar 1924 ließ er sich von der Ärztin Else Weil, die er im Mai 1920 geheiratet hatte, wieder scheiden. Am 30. August des selben Jahres heiratete er schließlich Mary Gerold, mit der er seit seiner Abkommandierung von Alt-Autz weiter in Briefkontakt gestanden hatte. Bei einem Wiedertreffen in Berlin, im Frühjahr 1920, hatten die beiden jedoch rasch festgestellt, dass sie sich sehr voneinander entfremdet hatten. In Paris sollte sich ebenfalls zeigen, dass es die beiden über längere Zeit nicht miteinander aushielten.

Zwischen Frankreich und Deutschland

Wie sein Vorbild Heinrich Heine verbrachte Tucholsky darauf bis zu seinem Tode die meiste Zeit im Ausland und kehrte nur noch sporadisch nach Deutschland zurück. Die Distanz schärfte aber eher noch sein Wahrnehmungsvermögen für die Angelegenheiten Deutschlands und der Deutschen. Er beteiligte sich über die Weltbühne weiter an den politischen Debatten in der Heimat. Darüber hinaus versuchte er, wie Heine im 19. Jahrhundert, das gegenseitige Verständnis von Deutschen und Franzosen zu fördern.

Als Siegfried Jacobsohn im Dezember 1926 starb, erklärte sich Kurt Tucholsky sofort bereit, die Leitung der Weltbühne zu übernehmen. Da ihm die Arbeit als "Oberschriftleitungsherausgeber" aber nicht behagte, und er dafür dauerhaft nach Berlin hätte zurückkehren müssen, übergab er das Blatt schon bald seinem Kollegen und Freund Carl von Ossietzky. Als Mitherausgeber sorgte er immer auch für den Abdruck unorthodoxer Beiträge, wie etwa die des "Neusozialisten" Kurt Hiller.

In den Jahren 1927 und 1928 erschienen seine essayistische Reisebeschreibung Ein Pyrenäenbuch, die Textsammlung Mit 5 PS (womit sein Name und die 4 Pseudonyme gemeint waren) und Das Lächeln der Mona Lisa. Mit den literarischen Figuren des "Herrn Wendriner" und des "Lottchen" beschrieb er typische Berliner Charaktere seiner Zeit.

Auch während seiner Zeit im Ausland musste sich Tucholsky in Prozessen mit politischen Gegnern auseinandersetzen, die sich von seinen Äußerungen beleidigt oder attackiert fühlten. Wegen des Gedichts Gesang der englischen Chorknaben wurde 1928 gar ein Prozess wegen Gotteslästerung gegen ihn eingeleitet.

Im gleichen Jahr trennten sich Kurt und Mary Tucholsky (geb. Gerold) endgültig. Tucholsky hatte bereits 1927 Lisa Matthias kennengelernt, mit der er 1929 einen Urlaub in Schweden verbrachte. Dieser Aufenthalt inspirierte ihn zu dem 1931 bei Rowohlt erschienenen Kurzroman Schloß Gripsholm, in dem noch einmal die jugendliche Unbeschwertheit und Leichtigkeit von Rheinsberg anklang.

Der Kontrast zu dem 1929 gemeinsam mit dem Graphiker John Heartfield veröffentlichten gesellschaftskritischen Werk Deutschland, Deutschland über alles könnte kaum größer sein. Darin bringt Tucholsky das Kunststück fertig, die schärfsten Attacken auf alles, was er am Deutschland seiner Zeit hasst, mit einer Liebeserklärung an das Land zu verbinden. Im letzten Kapitel des Buches heißt es unter der Überschrift „Heimat“:

Nun haben wir auf 225 Seiten Nein gesagt, Nein aus Mitleid und Nein aus Liebe, Nein aus Haß und Nein aus Leidenschaft - und nun wollen wir auch einmal Ja sagen. Ja -: zu der Landschaft und dem Land Deutschland. Dem Land, in dem wir geboren sind und dessen Sprache wir sprechen.(...)
Und nun will ich euch mal etwas sagen: Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich 'national' nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Damen und Herren des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.(...)
Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht - unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert - die stille Liebe zu unserer Heimat.

("Heimat", in: Deutschland, Deutschland über alles, Berlin 1929, S. 226)

Verstummen

Es traf Tucholsky tief, als ihm zu Beginn der 1930er Jahre klar wurde, dass alle seine Warnungen ungehört verhallten und sein Eintreten für die Republik, für Demokratie und Menschenrechte offenbar ohne jede Wirkung blieb. Als einer der klarsichtigsten Beobachter der deutschen Politik erkannte er die mit Hitler heraufziehenden Gefahren. "Sie rüsten für die Reise ins Dritte Reich", schrieb er schon Jahre vor der Machtergreifung, und er machte sich keine Illusionen, wohin eine Kanzlerschaft Hitlers das Land führen würde. Das bezeugte Erich Kästner rückblickend im Jahre 1946, als er den Schriftsteller als "kleinen dicken Berliner" bezeichnete, der "mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten" wollte. (Aus: Erich Kästner: "Kurt Tucholsky, Carl v. Ossietzky, 'Weltbühne'", in: Die Weltbühne, 4.6.1946, S. 22)

1930 verlegte Tucholsky schließlich seinen Wohnsitz dauerhaft ins schwedische Hindås bei Göteborg. Dass kritische Publizistik in Deutschland damals schon stark eingeschränkt war, zeigte ihm der so genannte Weltbühne-Prozess. Carl von Ossietzky und der Journalist Walter Kreiser waren 1929 wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse angeklagt worden, da die Weltbühne in dem Artikel Windiges aus der deutschen Luftfahrt die verbotene fliegerische Aufrüstung der Reichswehr offengelegt hatte. Ende 1931 wurde von Ossietzky schließlich wegen Spionage zu 18 Monaten Haft verurteilt. Wegen des berühmt gewordenen Tucholsky-Satzes "Soldaten sind Mörder" klagte man von Ossietzky ebenfalls an. Ein Gericht wertete im Juli 1932 diesen Satz jedoch nicht als Verunglimpfung der Reichswehr. Da Tucholsky im Ausland lebte, war gegen ihn auf eine Anklageerhebung verzichtet worden. Dennoch überlegte er, zu dem Prozess nach Deutschland zu kommen, da Ossietzky zu diesem Zeitpunkt wegen des Luftfahrt-Artikels bereits im Gefängnis saß. Doch die Situation war Tucholsky zu riskant. Er befürchtete, den Nazis in die Hände zu fallen. Allerdings war ihm klar, dass die Abwesenheit keinen guten Eindruck machen würde. "Nach außen bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich. Es hat so etwas von Desertion, Ausland, im Stich lassen, der Kamerad Oss im Gefängnis", schrieb er an Mary Gerold, die ihn "so nett aufmerksam gemacht hat, daß von seiten der Nazis Lebensgefahr bestehe". (Kurt Tucholsky: Unser ungelebtes Leben. Briefe an Mary, Reinbek 1982, S. 537)

Seit 1931 verstummte Tucholsky publizistisch zusehends. Das Ende seiner Beziehung zu Lisa Matthias, der Tod eines engen Freundes und ein chronisches Nasenleiden verstärkten seine resignative Stimmung. Tucholskys letzter größerer Beitrag erschien am 8. November 1932 in der Weltbühne. Es waren nur noch Schnipsel, wie er seine Aphorismen nannte. Am 17. Januar 1933 meldete er sich in der Weltbühne noch einmal mit einer kleinen Notiz aus Basel. Zu größeren literarischen Formen fehlte ihm zusehends die Kraft. Zwar legte er dem Rowohlt-Verlag ein Exposé für einen Roman vor, die politische Entwicklung in Deutschland verhinderten jedoch dessen Realisierung. 1933 verboten die Nazis die Weltbühne, verbrannten Tucholskys Bücher (vgl. Bücherverbrennung) und bürgerten ihn aus.

Grab in Mariefred
„Alles Vergängliche ist Nur Ein Gleichnis“

Über Tucholskys letzte Jahre und seine Gedanken über die Entwicklungen in Deutschland und Europa geben seine Briefe Auskunft, die seit Beginn der 1960er Jahre publiziert wurden. Sie waren unter anderem an Freunde wie Walter Hasenclever oder an seine letzte Geliebte, die Zürcher Ärztin Hedwig Müller, die er "Nuuna" nannte, gerichtet. Den Briefen an Nuuna legte er zudem lose Tagebuchblätter bei, die heute als "Q-Tagebücher" bekannt sind. Darin und in den Briefen bezeichnete sich Tucholsky als "aufgehörten Deutschen" und "aufgehörten Dichter". An Hasenclever schrieb er am 11. April 1933:

„Daß unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher:
Werde ich erst amal das Maul halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.“

(Kurt Tucholsky: Politische Briefe, Reinbek 1969, S. 16)

Er gab sich auch nicht der Illusion vieler Exilanten hin, dass die Diktatur Hitlers bald zusammenbrechen werde. Verbittert stellte er fest, dass sich die Mehrheit der Deutschen mit der Diktatur arrangierte und selbst das Ausland Hitlers Herrschaft akzeptierte. Er rechnete mit einem Krieg innerhalb weniger Jahre.

Tucholsky lehnte es strikt ab, sich an der entstehenden Exil-Presse zu beteiligen. Zum einen verstand er sich nicht als Emigrant, da er Deutschland schon 1924 verlassen hatte und erwog, sich um die schwedische Staatsbürgerschaft zu bewerben. Seine tieferen Gründe, warum er sich nicht mehr mit Deutschland beschäftigte, schilderte er in dem bewegenden letzten Brief an Mary Gerold:

„Ich habe über das, was da geschehen ist, nicht eine Zeile veröffentlicht - auf alle Bitten hin nicht. Es geht mich nichts mehr an. Es ist nicht Feigheit - was dazu schon gehört, in diesen Käseblättern zu schreiben! Aber ich bin au-dessus de la mêlée, es geht mich nichts mehr an. Ich bin damit fertig.“
(Kurt Tucholsky: Unser ungelebtes Leben. Briefe an Mary, Reinbek 1982, S. 545)

Tatsächlich aber war er noch nicht mit allem fertig, und er nahm sehr wohl Anteil an den Entwicklungen in Deutschland und Europa. Um dem inhaftierten Ossietzky beizustehen, dachte er auch daran, wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Kurz vor seinem Tod plante er, in einem scharfen Artikel mit dem einst von ihm verehrten norwegischen Dichter Knut Hamsun abzurechnen. Hamsun hatte sich offen für das Hitler-Regime ausgesprochen und Carl von Ossietzky angegriffen, der ohne sich wehren zu können, im Konzentrationslager Papenburg-Esterwegen einsaß. Hinter den Kulissen unterstützte Tucholsky auch die Verleihung des Friedensnobelpreises des Jahres 1935 an den inhaftierten Freund. Ossietzky erhielt die Auszeichnung tatsächlich im folgenden Jahr rückwirkend für 1935. Den Erfolg seiner Bemühungen hat Kurt Tucholsky jedoch nicht mehr erlebt.

Von der lang anhaltenden Krankheit geschwächt, nahm er am Abend des 20. Dezember 1935 in seinem Haus in Hindås eine Überdosis Schlaftabletten ein. Tags darauf wurde er, schon im Koma liegend, gefunden und ins Sahlgrensche Krankenhaus nach Göteborg gebracht. Dort verstarb Kurt Tucholsky am Abend des 21. Dezember. Die These vom Suizid wird in jüngster Zeit von Tucholskys Biographen Michael Hepp (siehe unten) angezweifelt. Er hält eine Selbsttötung aus Versehen für möglich.

Die Asche Kurt Tucholskys wurde im Sommer 1936 unter einer Eiche nahe Schloss Gripsholm im schwedischen Mariefred beigesetzt. Die Grabplatte mit der Inschrift "Alles Vergängliche ist Nur Ein Gleichnis" aus Goethes Faust II wurde erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf das Grab gelegt. Tucholsky selbst hatte 1923 in der Satire Requiem folgenden Grabspruch für sein Pseudonym Ignaz Wrobel vorgeschlagen:


(Ignaz Wrobel: "Requiem", in: Die Weltbühne, 21.6.1923, S. 732)

Rezeption und Einzelaspekte

Tucholsky gehörte zu den meist beschäftigten und bestbezahlten Journalisten der Weimarer Republik. In den 25 Jahren seines publizistischen Schaffens veröffentlichte er in fast 100 Publikationen mehr als 3000 Artikel, die meisten davon, etwa 1.600, in der Wochenzeitschrift Die Weltbühne. Zu seinen Lebzeiten erschienen bereits sieben Sammelbände mit kürzeren Texten und Gedichten, die zum Teil dutzende Auflagen erzielten. Werke und Äußerungen Tucholskys polarisieren zum Teil bis heute, wie die Auseinandersetzungen um seinen Satz "Soldaten sind Mörder" in den 90er Jahren belegen. Seine Kritik an der Politik und der Literatur seiner Zeit, aber auch an Teilen des deutschen Judentums riefen immer wieder Widerspruch hervor.

Der politische Schriftsteller

Tucholskys Rolle als politischer Journalist wurde von jeher kontrovers beurteilt. Sein Selbstverständnis als linker Intellektueller legte er in dem programmatischen Text "Wir Negativen" dar, in dem er schon im März 1919 zu den Vorwürfen Stellung beziehen musste, die junge Republik nicht positiv genug zu sehen. Sein Fazit lautete damals:

"Wir können nicht zu einem Volk Ja sagen, das, noch heute, in einer Verfassung ist, die, wäre der Krieg zufälligerweise glücklich ausgegangen, das Schlimmste hätte befürchten lassen. Wir können nicht zu einem Land Ja sagen, das von Kollektivitäten besessen ist, und dem die Korporation weit über dem Individuum steht."
("Wir Negativen", in: Die Weltbühne, 13.3.1919, S. 279)

Seine scharfen Angriffe auf Justiz, Verwaltung und Militär in den folgenden Jahren machten deutlich, dass er zu den Institutionen der Weimarer Republik bis zum Schluss kein Vertrauen fasste. Angesichts seiner kompromisslosen Haltung gegen die Nationalsozialisten, war es nur folgerichtig, dass Tucholsky seinen Namen auf der ersten Ausbürgerungsliste des Dritten Reiches wiederfand und dass seine Werke nach 1933 verboten wurden. Bei den Bücherverbrennungen durch Studenten in Berlin und anderen Städten am 10. Mai wurden er und Ossietzky explizit genannt: "Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!" Tucholsky kommentierte entsprechende Nachrichten nur noch gleichgültig, etwa in einem Brief an Walter Hasenclever vom 17. Mai 1933:

In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern. Nun aber zu Ernsthafterem.
(Kurt Tucholsky: Politische Briefe, Reinbek 1969, S. 23)

In der Nachkriegszeit wurden aber auch in der Bundesrepublik Stimmen laut, die linken Literaten wie Tucholsky und Bertolt Brecht eine Mitschuld am Scheitern der Weimarer Republik gaben. Mit ihrer unbarmherzigen Kritik hätten Zeitschriften wie die Weltbühne letztlich den Nazis in die Hände gespielt, lautete der Tenor der Vorwürfe. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Auffassung war der Historiker Golo Mann. Tucholsky selbst sah seine Kritik dagegen immer als konstruktiv: Er trat für das ein, was nach 1949 als "wehrhafte Demokratie" bezeichnet wurde. In seinen Augen hatte das Scheitern von Weimar nichts damit zu tun, dass Autoren wie er zuviel, sondern damit, dass sie zu wenig Wirkung erzielten. Im Mai 1931 schrieb er an den Publizisten Franz Hammer:

"Das, worum mir manchmal so bange ist, ist die Wirkung meiner Arbeit. Hat sie eine? (Ich meine nicht den Erfolg; er läßt mich kalt.) Aber mir erscheint es manchmal als so entsetzlich wirkungslos: da schreibt man und arbeitet man - und was ereignet sich nun realiter in der Verwaltung? Bekommt man diese üblen und verquälten, quälenden invertierten Anstaltsweiber fort? Gehen die Sadisten? Werden die Bürokraten entlassen (...)? Das bedrückt mich mitunter."
(Kurt Tucholsky: Briefe. Auswahl 1913-1935, Berlin 1983, S. 255)

Und wie eine vorweggenommene Antwort auf die Kritiker der Nachkriegszeit liest sich eine weitere Stelle aus dem bereits zitierten Brief an Hasenclever vom 17. Mai 1933 (S. 24):

"Ich werde nun langsam größenwahnsinnig - wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe. Seit zwanzig Jahren aber hat mich immer dasselbe geschmerzt: daß ich auch nicht einen Schutzmann von seinem Posten habe wegbekommen können."

Tucholsky und die Arbeiterbewegung

Tucholsky verstand sich seit je her als linker Intellektueller, der für die Arbeiterbewegung eintrat. Er engagierte sich vor dem 1. Weltkrieg in der SPD, ging aber 1918 zunehmend auf Distanz zu der Partei, deren Führern er Verrat an der Novemberrevolution vorwarf. Er näherte sich der USPD und der KPD an, beharrte jedoch gegenüber allen Arbeiterparteien auf einem unabhängigen Standpunkt abseits der Parteidisziplin.

Dass er die Weltbühne nicht als dogmatisches Verkündigungsorgan, sondern als Diskussionsforum für die gesamte Linke betrachtete, brachte ihm 1929 folgende Kritik der kommunistischen Zeitschrift "Die Front" ein: "Die Tragödie Deutschlands ist nicht zuletzt die jämmerliche Halbheit seiner 'linken' Intellektuellen, die da über den Parteien thronten, weil es 'einem in den Reihen nicht leicht gemacht wird' (um mit Kurt Tucholsky zu sprechen). Diese Leute haben 1918 glänzend versagt, sie versagen noch heute".

Tucholsky antwortete darauf in seinem Artikel "Die Rolle des Intellektuellen in der Partei":

"Der Intellektuelle schreibe sich hinter die Ohren:
Er ist nur unter zwei Bedingungen überhaupt befugt, in die Führung einer Arbeiterpartei einzutreten: wenn er soziologische Kenntnisse besitzt und wenn er für die Arbeitersache politische Opfer bringt und gebracht hat. (...)
Die Partei schreibe sich hinter die Ohren:
Fast jeder Intellektuelle der zu ihr kommt, ist ein entlaufener Bürger. Ein gewisses Mißtrauen ist am Platz. Aber dieses Mißtrauen darf nicht jedes Maß übersteigen.(...)
Es kommt nur auf eins an: zu arbeiten für die gemeinsame Sache.

("Die Rolle des Intellektuellen in der Partei", in: Die Front, Nr. 9, S. 250)

Anders als die Bundesrepublik, versuchte die DDR nach dem Krieg, Tucholsky in die eigene Traditionsbildung einzubeziehen. Dabei wurde jedoch unterschlagen, dass er den moskauhörigen Kurs der KPD, den er für die Zersplitterung der Linken und den Sieg der Nationalsozialisten mit verantwortlich machte, aufs schärfste abgelehnt hatte. In einem Brief an den Journalisten Heinz Pol schrieb er kurz nach Hitlers Machtübernahme am 7. April 1933, als in ganz Europa Boykott-Maßnahmen gegen Deutschland diskutiert wurden:

"Wichtig erscheint mir ferner: die Haltung Russlands gegenüber Deutschland. Wäre ich Kommunist: ich spuckte auf diese Partei. Ist das eine Art, die Leute in der Tinte sitzen zu lassen, weil man die deutschen Kredite braucht?"
(Kurt Tucholsky: Politische Briefe, Reinbek 1969, S. 76f.)

In einem Schreiben an den gleiche Adressaten heißt es am 20. April:

"Die KPD hat in Deutschland von vorn bis hinten dummes Zeug gemacht, sie hat ihre Leute auf der Straße nicht begriffen, sie hat die Massen eben nicht hinter sich gehabt. Und wie hat sich Moskau dann benommen, als es schief gegangen ist? (...) Und dann haben die Russen nicht einmal den Mut, aus ihrer Niederlage - denn es ist ihre Niederlage - zu lernen? Auch sie werden nach bittern Erfahrungen eines Tages einsehen, dass es nichts ist mit:
der absoluten Totalität der Staatsherrschaft;
mit dem einseitigen vulgären Materialismus;
mit der frechen Dreistigkeit, die ganze Welt über einen Leisten zu hauen, der nicht einmal Moskau passt.

(Kurt Tucholsky: Politische Briefe, Reinbek 1969, S. 77f.)

Der Literaturkritiker und Dichter

Auf dem Gebiet der Literaturkritik gehört es zum Verdienst Tucholsky, als einer der ersten auf das Werk Franz Kafkas aufmerksam gemacht zu haben. Als "tief und mit den feinfühligsten Fingern gemacht" beschrieb er bereits 1913 Kafkas Prosa in dessen Erstlingswerk "Betrachtung". Den Roman "Der Process" bezeichnete er in seiner Rezension als das "das unheimlichste und stärkste Buch der letzten Jahre". Zu seinen Entdeckungen für die deutschen Leser gehörte auch der "Schwejk" von Jaroslav Hašek. Kritisch beurteilte er dagegen "Ulysses" von James Joyce: "Ganze Partien des "Ulysses" sind schlicht langweilig." Insgesamt rezensierte Tucholsky mehr als 500 literarische Werke, in seinen seitenlangen Rubriken "Auf dem Nachttisch" oft ein halbes Dutzend auf einmal.

Als Chanson- und Coupletdichter trug Tucholsky dazu bei, diese Genres für die deutsche Sprachwelt zu erschließen. "Die Mühe, die es macht, der deutschen Sprache ein Chanson - und nun noch gar eins für den Vortrag - abzuringen, ist umgekehrt proportional zur Geltung dieser Dinge", klagte er in dem Text "Aus dem Ärmel geschüttelt". Als Lyriker verstand er sich jedoch nur als "Talent", im Gegensatz zum "Jahrhundertkerl" Heinrich Heine. Das Gedicht "Mutterns Hände" ist ein typisches Beispiel seiner "Gebrauchslyrik", wie Tucholsky diese poetische Richtung, deren Hauptvertreter Erich Kästner war, in einem gleichnamigen Artikel bezeichnete. Zum Tucholsky-Repertoire in Schullesebüchern gehören auch Gedichte wie "Augen in der Großstadt" und "Das Ideal".

Tucholsky und das Judentum

Sehr kontrovers wird auch Tucholskys Einstellung zum Judentum gewertet. Der jüdische Wissenschaftler Gershom Scholem bezeichnete ihn als einen der "begabtesten und widerwärtigsten jüdischen Antisemiten". Ursache für dieses Urteil waren unter anderem die "Wendriner"-Geschichten, die nach Ansicht Scholems die jüdische Bourgeoisie in "erbarmungslosesten Nacktaufnahmen" darstellten. Dagegen wurde vorgebracht, dass Tucholsky in der Figur des "Herrn Wendriner" nicht den Juden bloßstelle, sondern den Bourgeois. Ihm ging es darum, die gesinnungslose Mentalität eines Teils des konservativen jüdischen Bürgertums anzuprangern, der seiner Meinung nach selbst die größten Demütigungen durch eine nationalistische Umwelt hinnehme, so lange er seinen Geschäften nachgehen könne.

Scholems Kritik ist umso bemerkenswerter, da Tucholsky selbst aus Sicht der Konservativen und Rechtsextremen - auch der deutschnationalen Juden - geradezu das perfekte Feindbild vom "zersetzenden, jüdischen Literaten" abgab. Dass Tucholsky aus dem Judentum ausgetreten war und sich protestantisch hatte taufen lassen, spielte für diese Kritiker keine Rolle. Auch das heute noch gegen Juden vorgebrachte Argument, dass sie mit ihren Äußerungen selbst den Antisemitismus provozierten, wurde schon gegen Tucholsky ins Feld geführt. In seiner "Literaturgeschichte des deutschen Volkes" brachte Josef Nadler 1941 den Hass der Nazis gegen den bereits Verstorbenen aufs Deutlichste zum Ausdruck: "Kein Volk dieser Erde ist jemals in seiner eigenen Sprache so geschmäht worden wie das deutsche durch Tucholsky." Seinen letzten langen Brief vor seinem Tod widmete Tucholsky erstaunlicherweise vollständig der Situation des deutschen Judentums. An den nach Palästina emigrierten Arnold Zweig schrieb er resigniert: "Man muß ganz von vorn anfangen."

Tucholsky und die Frauen

Spätestens seit dem Erscheinen von Lisa Matthias' Autobiographie "Ich war Tucholskys Lottchen" verfügen die Tucholsky-Forscher über genügend Stoff, um ausgiebig Spekulationen über das Verhältnis Tucholskys zu den Frauen anzustellen. Matthias schilderte in ihren Erinnerungen Tucholsky als einen beziehungsunfähigen Erotomanen, der sie, selbst eine Geliebte, mit mehreren Frauen gleichzeitig betrogen habe. Die Veröffentlichung der Memoiren wurde 1962 als Skandal empfunden, weil Matthias nach Auffassung der Literaturkritiker zu sehr die Sexualität Tucholskys zum Thema gemacht habe. Dass sie Tucholsky "in noch weniger als Unterhosen" (Walther Karsch) geschildert habe, trifft allerdings nicht zu. Auch Tucholskys erste Frau Else Weil bestätigte, dass dieser es mit der Treue nicht sehr genau genommen habe. Von ihr ist der Satz überliefert: "Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden." Tucholskys zweite Frau Mary Gerold äußerte sich dagegen nie über das Privatleben ihres Mannes.

Für das Scheitern von Tucholskys beiden Ehen machen Biographen meist sein schlechtes Verhältnis zu seiner Mutter verantwortlich, unter deren Regiment er nach dem frühen Tod des Vaters gelitten habe. Tucholsky und seine beiden Geschwister beschrieben sie übereinstimmend als tyrannischen Typus der "alleinstehenden Hausmegäre". Dies habe es dem "erotisch leicht irritierten Damenmann" (Raddatz) unmöglich gemacht, auf Dauer die Nähe einer Frau zu ertragen. Kurz vor seinem Tod, als er noch mit Hedwig Müller und Gertrude Meyer liiert war, bekannte sich Tucholsky allerdings wieder zu seiner zweiten Frau Mary Gerold, die er auch zu seiner Alleinerbin machte. In seinem Abschiedsbrief an sie, schrieb er über sich selbst: "Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt; hat nicht verstanden und hat Dummheiten gemacht, hat zwar nicht verraten, aber betrogen, und hat nicht verstanden."

Gerhard Zwerenz vertritt in seiner Biographie die These, Tucholsky sei nicht in der Lage gewesen, "intellektuelle Fähigkeiten beim Weib zu akzeptieren, ohne die Frau zugleich zu maskulinisieren". Als Belege dafür führt er Aussagen an wie: "Frankfurt hat zwei große Männer hervorgebracht: Goethe und Gussy Holl", oder die Tatsache, dass er Mary Gerold in seinen Briefen meist mit "Er" angesprochen habe. Letztlich bleiben nachträgliche psychologische Betrachtungen dieser Art immer Spekulation. Fest steht, dass Tucholsky in seinen Erzählungen "Rheinsberg" und "Schloß Gripsholm" ein für damalige Verhältnisse fortschrittliches Frauenbild propagierte. Die "Claire", die "Prinzessin" und "Billie" sind selbständige Frauen, die ihre Sexualität nach eigenen Vorstellungen ausleben und sich nicht überkommenen Moralvorstellungen unterwerfen. Dies gilt auch für die Figur des "Lottchen". Seine Abneigung gegen asexuelle Intellektuelle im Reformkleid brachte Tucholsky in der Figur der Lissy Aachner in "Rheinsberg" zum Ausdruck. Die bösartige Direktorin des Kinderheims in "Schloß Gripsholm" entspricht dagegen eher dem Typus, den Tucholsky in seiner Mutter Doris gesehen haben könnte.

Zitate von Kurt Tucholsky

  • Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein. (aus: "Die Verteidigung des Vaterlandes", in: Die Weltbühne, 6. Oktober 1921, S. 338f.)
  • Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg. (aus: "Über wirkungsvollen Pazifismus", in: Die Weltbühne, 11. Oktober 1927, S. 555f.)
  • Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist. (aus: "Was darf die Satire?", in: Berliner Tageblatt, 27. Januar 1919, Nr. 36.)
  • Eine Regierung ist nicht der Ausdruck des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk erträgt. (aus einem Brief an Dr. Hedwig Müller vom 29. März 1934, in: "Briefe aus dem Schweigen" (s.u.), S. 97)
  • Shaw. So ernst, wie der heiter tut, ist er gar nicht. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 3. November 1931, S. 673)
  • Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. (aus: "Der Mensch", in: Die Weltbühne, 16. Juni 1931, S. 889f.)
  • Dick sein ist keine physiologische Eigenschaft - das ist eine Weltanschauung. (aus: "Priester und Detektiv", in: Die Weltbühne, 10. Juni 1920, S. 700f.)
  • Erwarte nichts. Heute: das ist dein Leben. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 15. September 1931, S. 416)
  • Alles ist richtig, auch das Gegenteil. Nur 'zwar - aber', das ist nie richtig. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 30. Dezember 1930, S. 999)
  • Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 27. Mai 1930, S. 799f.)
  • Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit: Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 3. Februar 1931, S. 185f.)
  • Wenn die Amerikanerin so lieben könnte, wie die Deutsche glaubt, daß die Französin es täte - dann würde sich die Engländerin schön freuen. Sie hätte einen herrlichen Anlaß, sich zu entrüsten. (aus: "Nationales", in: Die Weltbühne, 16. Februar 1926, S. 266)
  • In der Ehe pflegt gewöhnlich immer einer der Dumme zu sein. Nur wenn zwei Dumme heiraten -: das kann mitunter gut gehn. (aus: "Schnipsel", in: Die Weltbühne, 9. August 1932, S. 205)
  • Soldaten sind Mörder. (aus: "Der bewachte Kriegsschauplatz", in: Die Weltbühne, 4. August 1931, S. 191f.)
  • Deutsche, kauft deutsche Zitronen! (aus: "Europa", in: Die Weltbühne, 12. Januar 1932, S. 73)

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Werke

  • Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte (1912)
  • Der Zeitsparer. Grotesken von Ignaz Wrobel (1914)
  • Fromme Gesänge. Von Theobald Tiger mit einer Vorrede von Ignaz Wrobel (1919)
  • Träumereien an preußischen Kaminen. Von Peter Panter (1920)
  • Die verkehrte Welt in Knüttelversen dargestellt von Kaspar Hauser (1922)
  • Ein Pyrenäenbuch (1927)
  • Mit 5 PS (1928)
  • Deutschland, Deutschland über alles. Ein Bilderbuch von Kurt Tucholsky und vielen Fotografen. Montiert von John Heartfield (1929)
  • Das Lächeln der Mona Lisa (1929)
  • Lerne lachen ohne zu weinen (1931)
  • Schloß Gripsholm (1931)
  • Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas. Komödie in einem Vorspiel und sechs Bildern. Von Walter Hasenclever und Peter Panter (1932)

Werkausgaben

  • Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff.
  • Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1975.
  • Kurt Tucholsky: Deutsches Tempo. Gesammelte Werke. Ergänzungsband 1. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und J. Raddatz. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1985.
  • Kurt Tucholsky: Republik wider Willen. Gesammelte Werke. Ergänzungsband 2. Hrsg. von Fritz J. Raddatz, Rowohlt Verlag, Reinbek, 1989.

Briefe und Tagebücher

  • Sudelbuch. Reinbek 1993
  • Die Q-Tagebücher. 1934-1935. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Gustav Huonker. Rowohlt Verlag, Reinbek 1978.
  • Ausgewählte Briefe 1913-1935. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1962.
  • Unser ungelebtes Leben. Briefe an Mary. Hrsg. von Fritz J. Raddatz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1982.
  • Briefe aus dem Schweigen. 1932-1935. Briefe an Nuuna. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Gustav Huonker. Rowohlt Verlag, Reinbek 1977.
  • Briefe an eine Katholikin. 1929-1931. Rowohlt Verlag, Reinbek 1969.

Literatur

  • Helga Bemmann: Kurt Tucholsky. Ein Lebensbild, Berlin 1990
  • dies.: In mein' Verein bin ich hineingetreten. Kurt Tucholsky als Chanson- und Liederdichter, Berlin 1989
  • Michael Hepp: Kurt Tucholsky. Biographische Annäherungen, Reinbek 1993
  • Michael Hepp: Kurt Tucholsky, Rowohlt Monographie, Reinbek 1998
  • Fritz J. Raddatz: Tucholsky. Ein Pseudonym, Reinbek 1989
  • R. v. Soldenhoff (Hg.): Kurt Tucholsky - 1890-1935. Ein Lebensbild, Weinheim u. Berlin 1987
  • Gerhard Zwerenz: Kurt Tucholsky. Biographie eines guten Deutschen, München 1979

Weblinks

Biographie | Bibliographie | Textauswahl
Tucholsky als Freimaurer

siehe auch