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Geschichte

Nutzungskonflikte zwischen Aach- und Donauanliegern

Als erste Erwähnung der Donauversinkung gilt ein Bericht des Möhringer Obervogts an den Landgraf von Fürstenberg von 1705, in dem die Verstopfung der Schlucklöcher erwähnt wird und darauf aufmerksam gemacht wird, dass ein Umleitungsgraben um die Versinkungsstellen gebaut werden könne. Offenbar war es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts üblich, dass Wasserkraftnutzer an der Donau Schlucklöcher verstopften, kleine Dämme um die Löcher bauten und Kies- oder Sandbänke beiseite räumten, um den Abfluss donauabwärts zu verstärken.[1]

An der Radolfzeller Aach gewann die Nutzung der Wasserkraft im Zuge der aufkommenden Industrialisierung an Bedeutung. Im Vergleich zu anderen Flüssen der Region war die Wasserführung der Aach deutlich ausgeglichener; ihr Abflussverhalten wurde maßgeblich von der Schüttung des Aachtopfs geprägt.[2] 1837 wurde die spätere Baumwoll-Spinn- und -weberei Arlen (BSWA) gegründet, die in Arlen die Wasserkraft der Aach nutzte. Zur Absicherung ihrer Interessen kaufte die BSWA 1854 die Donaumühle in Möhringen. 1855 untersagte das Bezirksamt Engen Veränderungen an den Schlucklöchern. Nachdem Unterlieger an der Donau Einspruch erhoben hatten, bestätigten vorgesetzte Behörden das Verbot. Ungeachtet dessen wurden weiterhin nachts heimlich Schlucklöcher verstopft, wie Berichte aus den Jahren 1868, 1871 oder 1882 bezeugen. Zeitweise wurden die Versinkungsstellen durch Gendarmen bewacht.[3][4]

Zum Zeitpunkt des Verbots 1855 war der Zusammenhang zwischen Donauversinkung und Aachtopf eine reine Vermutung, die erstmals 1719 von Friedrich Wilhelm Breuninger in seiner Veröffentlichung über die Quellen der Donau[5] geäußert worden war. Breuninger kannte die Versinkungsstellen am Brühl und beschrieb die Auflösung des Kalks durch das Wasser.[6] Dem Karlsruher Geologen Adolph Knop gelang 1877 der Nachweis, dass das Wasser aus der Donauversinkung im Aachtopf wieder zutage tritt. Knop führte den ersten erfolgreichen Markierungsversuch im Donau-Aach-Gebiet durch, bei dem er Schieferöl, Steinsalz und Fluorescein einsetzte.[7]

Kontroverse zwischen Baden und Württemberg

Mit der ersten Vollversickerung 1874 weitete sich der Konflikt zu einer heftigen politischen, publizistischen, fachwissenschaftlichen und juristischen Kontroverse zwischen Baden und Württemberg aus. Die Hauptversinkungsstellen am Brühl lagen ebenso wie der gesamte Lauf der Radolfzeller Aach in Baden. Zwischen Möhringen und Tuttlingen querte die Grenze zwischen Baden und Württemberg die Donau. Unterhalb von Tuttlingen wechselten sich Württemberg, Baden und die zu Preußen gehörenden Hohenzollernschen Lande als Flussanlieger ab, ehe die Donau unterhalb von Sigmaringen endgültig nach Württemberg floss. In etlichen Noten wies Württemberg auf die wirtschaftlichen, gesundheitlichen und hygienischen Folgen des fehlenden Wassers insbesondere für die Stadt Tuttlingen hin, während Baden auf die Interessen der Aachanlieger verwies und ein Eingreifen zusagte, falls die Versickerung stärker werden sollte. Eine Einigung über den Vorschlag Württembergs, 250 Liter pro Sekunde um die Versinkungsstellen am Brühl herum zu leiten, kam nicht zustande. Nach 1900 war die Donauversinkung auch mehrfach Thema in beiden Landtagen.[8]

Bei den Konflikten spielten die Fridinger Versinkungsstellen in Württemberg anfänglich keine Rolle.[9] 1907 unternahm der Fabrikant Krämer den Versuch, das nach ihm benannte Schluckloch zu verstopfen; im gleichen Jahr wurde durch einen Markierungsversuch erstmals nachgewiesen, dass auch das bei Fridingen versinkende Wasser zum Aachtopf fließt. Damit besaß Württemberg ein Kompensationsobjekt. Dem Plan, am Brühl Wasser umzuleiten und dies über Fridingen zum Aachtopf fließen zu lassen, stimmten beide Regierungen zu, allerdings bestand Uneinigkeit über die Entschädigung der Aachanlieger, auch bestanden Zweifel an der technischen Machbarkeit. Im Januar 1914 schlug Württemberg vor, den Streitfall dem Bundesrat oder einem Schiedsgericht vorzulegen; bis zum Anfang des Ersten Weltkriegs gab es keine Einigung in Detailfragen.[10]

Zwischen 1905 und 1926 wurden mehrere Projekte vorgestellt, die das Gefälle von rund 175 Metern zwischen der Hauptversinkungsstelle an der Donau und dem Aachtopf zur Gewinnung von Elektrizität nutzen wollten. Die Projekte sahen eine Ableitung eines Teils des Donauwassers von einer Stelle zwischen Hausen und Immendingen vor; über Stollen und Freispiegelkanäle sollte das Wasser zu einem Stelle an der Radolfzeller Aach zwischen dem Aachtopf und Hausen fließen. Zur Stromerzeugung sollten eines oder mehrere Kraftwerke gebaut werden; zum Teil war auch die Errichtung von Ausgleichsbecken vorgesehen. Gleichwohl die lebhaft diskutierten Pläne wahrscheinlich rentabel waren, unterblieb eine Realisierung wegen fehlender Finanzmittel und dem Streit der Flussanlieger.[11]

Die neue, nach der Novemberrevolution demokratisch legitimierte Regierung Württembergs erhob 1921 deutlich weitergehende Forderungen: Baden solle eine geordnete Flusspflege betreiben, sämtliche Schlucklöcher verschließen und das Immendinger Wehr zurückbauen; eine Entschädigung der Aachanlieger sei allenfalls aus Billigkeitsgründen möglich. Ein gemeinsamer Ausschuss von Baden und Württemberg brachte bis 1924 keine Lösung. In den 1920er Jahren wurde der zuvor strittige Anstieg der Vollversickerungstage statistisch erkennbar. 1923 ging das Wasserkraftwerk Fridingen in Betrieb, das den dortigen Versinkungsstellen Wasser entzog. Baden forderte die Wiederherstellung der vorherigen Verhältnisse.[12]

Donauversinkungsfall vor dem Staatsgerichtshof

Im Juni 1925 erhob Württemberg vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich Klage gegen Baden, der sich im Juni 1926 Preußen anschloss. Württemberg forderte die Beseitigung des Immendinger Wehrs und die Entfernung von Hindernissen im Flussbett am Brühl, zudem solle Baden für ein gleichmäßiges Flussbett sorgen. Baden forderte die Abweisung der Klage und die Wiederherstellung der Verhältnisse in Fridingen.[13]

Aus juristischer Sicht war die Donauversinkung schwierig zu beurteilen. Es war umstritten, welches Recht angewandt werden muss; auch war unklar, inwieweit es sich um einen natürlichen Vorgang handelte und ob Baden durch aktives Tun oder Unterlassen die Versinkung gefördert hatte.[14]

Im Juni 1927 entschied der Staatsgerichtshof, dass das Völkerrecht in gewissem Umfang auch auf das Verhältnis zwischen deutschen Ländern anwendbar sei; es bestehe ein Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme. Die Donauversinkung stufte das Gericht als natürlichen Vorgang ein, den Württemberg hinzunehmen hätte. Baden sei verpflichtet, die Vermehrung der Versinkung durch das Wehr in Immendingen und die Kiesbänke am Brühl zu beseitigen; Württemberg sei verpflichtet, die Verminderung der Versinkung in Fridingen durch das Kraftwerk und den Verschluss von Schlucklöchern zu beseitigen.[15]

Nachdem eine vom Gericht angeregte gütliche Einigung nicht zustande kam, bestellte das Gericht 1929 den Leiter der Thüringischen Anstalt für Gewässerkunde als Sachverständigen. Ein erstes, 1931 fertiggestelltes Gutachten stieß auf erhebliche Kritik Badens. Als im September 1933 das Schlussgutachten vorgelegt wurde, existierte der Staatsgerichtshof infolge der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nicht mehr.[16]

Das nationalsozialistische Regime erklärte in einem Erlass vom März 1934 den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft für zuständig für den Streit um die Donauversinkung, durch den Übergang der Hoheitsrechte der Länder an das Reich handele es sich um Meinungsverschiedenheiten von Reichsstellen. Das im Januar 1937 beschlossene Donau-Aach-Gesetz gab dem Reichsminister weitgehende Handlungsfreiheit. Der Zweite Weltkrieg unterbrach 1939 die Auseinandersetzungen.[17]

Umleitung durch den Immendinger Stollen

Nach der Bildung des Bundeslandes Baden-Württemberg 1952 wurde 1955 mit Arbeiten zur Abdichtung der Immendinger Versickerungsstellen begonnen. Rechtsgrundlage war das Donau-Aach-Gesetz. Die Arbeiten wurden nach vehementen Protesten von Aachanliegern eingestellt.[18]

Die zunehmende Gewässerverschmutzung, ein massenhaftes Fischsterben im Oktober 1959 sowie der Bau der Tuttlinger Kläranlage führten dazu, dass die Pläne zum Bau einer Umleitung in Form des Immendinger Stollens verwirklicht wurden. Dabei sollte das in der Donau verbleibende Wasser über die Versickerungsstellen bei Fridingen weiterhin der Radolfzeller Aach zufließen. Der 1972 in Betrieb genommene Stollen wird gemäß den Vorgaben aus dem Planfeststellung genutzt, um bei Niedrigwasser zwischen April und November Wasser um die Versinkungsstellen am Brühl zu leiten.[19] Nach Daten von 2010 beträgt der Abfluss durch den Stollen im langjährigen Mittel 0,15 m³/s.[20]

Nach einer wasserrechtlichen Erlaubnis vom März 1981 dürfen zusätzlich 2 m³/s umgeleitet werden, um bei Niedrigwasser die Entnahme von Donauwasser durch die Landeswasserversorgung bei Leipheim unterhalb von Ulm auszugleichen. Dabei darf nicht umgeleitet werden, wenn der Abfluss am Aachtopf 1,3 m³/s unterschreitet. Hintergrund der Regelung ist ein Staatsvertrag zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Seit einer Änderung des Staatsvertrags 1980 soll das benötigte Wasser durch die Umgehung der Donauversickerung bereitgestellt werden. Klagen von Aachanliegern und eines Naturschutzverbandes gegen die wasserrechtliche Erlaubnis blieben erfolglos. Bis 2020 wurde noch kein Wasser zugunsten der Landeswasserversorgung umgeleitet.[21]

Ausblick

Die Urdonau entstand im Obermiozän (vor 5–8 Millionen Jahren), als sich durch die Hebung des Südschwarzwaldes und des Tafeljuras die vorherige Fließrichtung umdrehte. Anfänglich hatte die Donau bei Tuttlingen ein Einzugsgebiet von etwa 20.000 km². Im mittleren Pliozän (vor 3–4 Millionen Jahren) wurde die Aare nach Westen abgelenkt; das Einzugsgebiet bei Tuttlingen reduzierte sich auf rund 3.600 km². Am Ende der Würmeiszeit, vor rund 20.000 Jahren, zapfte die Wutach die Feldbergdonau an; die Wutachschlucht ist heute am Anzapfungsknie rund 160 Meter eingetieft. Heute ist das Donaueinzugsgebiet bei Tuttlingen 894 km² groß.[22]

In geologisch absehbarer Zeit wird die aus dem Schwarzwald kommende Donau vollständig dem Rhein zufließen. Möglich ist die Entstehung einer in den Hegau führenden Schlucht ähnlich der des Flusses Reka in Slowenien. Oberster Zufluss der Donau wäre dann der bei Möhringen mündende Krähenbach. In der ferneren Zukunft wird auch bei Fridingen Vollversinkung eintreten; der Donauursprung wird dann bei Beuron liegen.[23]

Einzelnachweise

  1. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 8.
  2. Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Landkreis Konstanz (Hrsg.): Der Landkreis Konstanz. Amtliche Kreisbeschreibung. Band 1. Thorbecke, Sigmarigen 1968, S. 52, 54.
  3. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 8, 10.
  4. Käß, Donau-Aach-System, S. 17, 26, 29.
  5. Friedrich Wilhelm Breuninger: Fons Danubii Primus Et Naturalis oder die Ur-Quelle des Welt-berühmten Donau-Stroms. Franck, Tübingen 1719, S. 63 f. (Digitalisat)
  6. Käß, Donau-Aach-System, S. 16.
  7. Käß, Donau-Aach-System, S. 134–139.
  8. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 10–12.
  9. Verschiedentlich wird die Entdeckung der Fridinger Versickerungsstellen auf 1899 datiert und Baurat Guggenhan zugeschrieben. Ein als Beleg angeführter Vortrag Guggenhans von 1899 enthält keine Hinweise auf Fridingen, siehe Max Guggenhan: Über die Versinkung der Donauwasser zwischen Immendingen und Möhringen im Großherzogtum Baden. In: Monatsschrift des Württembergischen Vereins für Baukunde in Stuttgart. (1899) Heft 3, S. 16–21 (Digitalisat).
  10. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 12 f.
  11. Käß, Donau-Aach-System, S. 39–43.
  12. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 13 f.
  13. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 15.
  14. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 16–20.
  15. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 20–25.
  16. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 25 f.
  17. Syré, Donauversinkung und Völkerrecht, S. 25–29.
  18. Käß, Donau-Aach-System, S. 49 f.
  19. Käß, Donau-Aach-System, S. 50–52.
  20. Selg, Donau-Aach-System, S. 25.
  21. Käß, Donau-Aach-System, S. 53–55.
  22. Käß, Donau-Aach-System, S. 14 f.
  23. Käß, Donau-Aach-System, S. 15, 206.