Trikline Anisotropie

Bravais-Gitter eines triklin anisotropen Kristalls (a≠b≠c, α,β,γ≠90°)

Die trikline Anisotropie (von altgriechisch τρία tria „drei“ und κλίνειν klinein „neigen“, „beugen“) ist die vollständige Anisotropie eines Werkstoffs/Materials, der / das im triklinen Kristallsystem – mit einer Elementarzelle wie im Bild – vorliegt.

Triklin anisotrope Materialien wie im Bild haben folgende Eigenschaften:

  1. Das Kraft-Verformungs-Verhalten ändert sich, sobald das Material irgendwie gedreht wird.
  2. Bei reinem Zug kommt es zu Schubverzerrungen.
  3. Bei Scherungen treten Normaldehnungen auf.
  4. Scherungen in einer Ebene führen zu Scherungen in anderen Ebenen.

Die Beschreibung von triklin anisotropem linear-elastischem Materialverhalten benötigt die größtmögliche Anzahl an Materialparametern, nämlich 21. Für #Thermo- und Elektromechanische Gleichgewichtseigenschaften werden höchstens 34 weitere Parameter benötigt.

Ein Material ist isotrop, wenn es richtungsunabhängig dasselbe Kraft-Verformungs-Verhalten hat. Bei anisotropen Materialien dagegen hängt das Kraft-Verformungs-Verhalten von der Belastungsrichtung ab. Die trikline Anisotropie ist die umfassendste Art der Anisotropie und enthält alle anderen Arten als Spezialfall, z. B. monokline Anisotropie (α=γ=90°) oder Orthotropie (α=β=γ=90°).

Bedeutung

Feldspate gelten als die wichtigsten gesteinsbildenden Minerale der Erdkruste und kristallisieren monoklin oder triklin.

Die kristallinen Bereiche von PET sind triklin anisotrop, ein Kunststoff, der bei Flaschen (PET-Flaschen), Folien und Textilfasern eingesetzt wird (2008 lag die Produktion bei 40 Millionen Tonnen.)

Materialtheoretische Beschreibung

Symmetriegruppe

Die Richtungsabhängigkeit eines Materials zeichnet sich dadurch aus, dass das Kraft-Verformungs-Verhalten unabhängig (invariant) ist gegenüber nur bestimmten Drehungen des Materials. Diese Drehungen bilden zusammen mit der Punktspiegelung die Symmetriegruppe des Materials.[1]:381

Bei trikliner Anisotropie sind keinerlei Drehungen möglich, ohne dass sich das Materialverhalten ändern würde.[1]:380

Das veranschaulichen zwei Experimente an einem Teilchen: Im ersten Experiment bringt man am Teilchen eine bestimmte Kraft auf und misst die resultierende Verformung. Im zweiten Experiment dreht man das Material irgendwie, aber nicht um Vielfache von 360°. Dann bringt man dieselbe Kraft auf wie im ersten Experiment und misst erneut die Verformung. Bei wirklich triklin anisotropem Material wird man im zweiten Experiment immer eine andere Verformung messen wie im ersten.

Die angesprochenen Drehungen werden in der Kontinuumsmechanik durch orthogonale Tensoren Q repräsentiert. Eine Symmetriegruppe gR besteht aus denjenigen Transformationen, die die Formänderungsenergie w invariant lassen. Mathematisch wird das mit dem Verzerrungstensor E durch

 für alle E

ausgedrückt.[1]:379 Darin bedeutet „·“ das Matrizenprodukt und das hochgestellte „⊤“ eine Transponierung. Mit Q gehört in der Mechanik auch -Q zur Symmetriegruppe, was durch Hinzufügen des negativen Einheitstensors -1, der eine Punktspiegelung repräsentiert, zu gR berücksichtigt wird. Die Symmetriegruppe wird durch die Erzeugenden bestimmt, mit denen sämtliche Elemente der Gruppe durch Matrizenmultiplikation berechnet werden können. Die Symmetriegruppe des triklinen Materials ist in der Mechanik[1]:381

mit Gruppenordnung 2

Diese kleinste aller möglichen mechanischen Symmetriegruppen drückt aus, dass das Material keinerlei Symmetrieeigenschaften besitzt. Der Einheitstensor ist mit -1 zwar bereits in gR enthalten (1=(-1)·(-1)). Seine Angabe soll hier unterstreichen, dass als einzige eigentliche Drehung, die keine Drehspiegelung ist, nur die 0-Grad-„Drehung“ in der Symmetriegruppe enthalten ist.[1]:380

Invarianten

In der isotropen Hyperelastizität hängt die Formänderungsenergie von den Hauptinvarianten I1,2,3 des Verzerrungstensors E ab:

w(E)=w(I1, I2, I3)

Die analoge Darstellung der Anisotropie erfordert, dass ein komplettes System von skalarwertigen Funktionen bekannt ist, die unter allen Transformationen in der Symmetriegruppe gR invariant sind.[1]:380 In der triklinen Anisotropie sind alle Komponenten des Verzerrungstensors in einem körperfesten System Invarianten:[1]:381

E11, E22, E33, E12, E13, E23.

Darin ist Eij := êi·E·êj für i,j=1,2,3 und ê1,2,3 sind Basisvektoren einer körperfesten Orthonormalbasis. Auf diese, bei trikliner Anisotropie weitgehend beliebige Basis wird im Folgenden Bezug genommen.

Strukturvariable

Die Invarianten können mit Strukturvariablen M dargestellt werden, bei denen

 für alle E

gilt. Ihr Name rührt daher, dass die Variablen auf diese Weise die interne Struktur des Materials repräsentieren. Dieser Ansatz hat den Vorteil koordinatenunabhängig zu sein.[1]:386f Die Strukturvariablen sind in gR invariant[2]:38, siehe Euklidische Transformation:

In der triklinen Anisotropie werden die beiden, zu ê1,2 gehörenden, schiefsymmetrischen Tensoren

N=[ê1]×, V=[ê2]×

als Strukturvariablen benutzt, die im ê1,2,3-System mit dem Kronecker-Delta δ die Darstellung

besitzen, siehe Kreuzprodukt#Kreuzproduktmatrix. Aus dem Matrizenprodukt des Verzerrungstensors E mit den Strukturvariablen entstehen im ê1,2,3-System die bereits genannten #Invarianten[2]:54

E11=Sp(E)+Sp(E·N2),

E22=Sp(E)+Sp(E·V2),E33=-Sp(E)-Sp(E·N2)-Sp(E·V2),
E23=Sp(E·N·V2),E13=Sp(E·N2·V),E12=Sp(E·N·V)

Triklin anisotrope lineare Elastizität

Dieser Abschnitt befasst sich mit den linearen mechanischen Eigenschaften triklin anisotroper Stoffe. Merkmale wie Wärmeausdehnung, Piezoelektrizität oder Doppelbrechung sind Gegenstand des Abschnitts #Weitere Eigenschaften.

Materialgesetz

Gegeben sind zwei Tensoren zweiter Stufe und mit 3×3-Koeffizienten bzw. . Der allgemeinste lineare Zusammenhang, den es zwischen diesen Koeffizienten gibt, ist:

.

Darin sind 81 Koeffizienten mit denen die neun Komponenten auf neun Komponenten abgebildet werden. In der linearen Elastizitätstheorie, in der der symmetrische Spannungstensor eine lineare Funktion des ebenfalls symmetrischen Verzerrungstensors ist, reduziert sich die Anzahl der unabhängigen Tensor-Komponenten auf sechs, so dass nur 36 Koeffizienten unabhängig sind (wegen ). Die Hyperelastizität bewirkt die zusätzliche Symmetrie , sodass maximal 21 Koeffizienten ausreichen, um das Material zu beschreiben, und die werden bei der triklinen Anisotropie auch gebraucht.

Der Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen kann in Voigt’scher Notation auch als Matrizengleichung geschrieben werden. In einem triklin anisotropen linear elastischen Material nimmt die Spannungs-Dehnungs-Beziehung bezüglich der #körperfesten Basisvektoren die Form[1]:389

.

an. Mittels der Zuordnung 11→1, 22→2, 33→3, 23→4, 13→5 und 12→6 wird die Anzahl der Indizes halbiert. Die Steifigkeitsmatrix C mit den 21 unabhängigen Komponenten Cij repräsentiert den Elastizitätstensor des Materials.

Da die Inverse der Steifigkeitsmatrix, die sogenannte Nachgiebigkeitsmatrix, ebenfalls voll besetzt ist wie die Steifigkeitsmatrix, ist ersichtlich, dass jede Spannungskomponente für sich einen vollbesetzten Verzerrungstensor verursacht.

Materialparameter

Die Koeffizienten Cij der Steifigkeitsmatrix haben die Dimension von Kraft pro Fläche und sind Parameter des Materials. Die Materialparameter können nicht beliebig gewählt werden, sondern müssen gewissen Stabilitätskriterien genügen. Diese folgen aus der Forderung, dass die Steifigkeits- und Nachgiebigkeitsmatrizen positiv definit sein müssen.

Notwendig dafür ist:

  • Alle Diagonalelemente der Steifigkeits- und Nachgiebigkeitsmatrix müssen positiv sein (damit sich das Material in Zugrichtung streckt, wenn man daran zieht, und nicht staucht) und
  • die Determinante der Steifigkeits- und Nachgiebigkeitsmatrix muss positiv sein (damit es unter Druck komprimiert und nicht expandiert).

Notwendig und hinreichend ist, das alle sechs Eigenwerte der Steifigkeitsmatrix positiv sind, denn dann sind es die der Nachgiebigkeitsmatrix ebenfalls.

Werden an einem realen Werkstoff Materialparameter identifiziert, die diesen Stabilitätskriterien widersprechen, ist Vorsicht geboten.

Hydrostatischer Spannungszustand und Kompressibilität

Der hydrostatische Spannungszustand stellt sich in einem allseitigem Druck ausgesetzten Körper ein. Wegen des auf der Erdoberfläche allgegenwärtigen Luftdrucks, ist dieser Zustand dort überall präsent. Wenn ein Körper aus kompressiblem isotropem Material allseitigem Druck ausgesetzt wird, dann schrumpft er in allen Raumrichtungen gleichermaßen. Ein kompressibles triklin anisotropes Material schrumpft in jeder Raumrichtung unterschiedlich und wird dabei geschert.

Das ist am einfachsten mit der Nachgiebigkeitsmatrix S in Voigt’scher Notation nachzuweisen:

Darin ist p der Druck. Beim triklin anisotropen linear elastischen Werkstoff kommt es bei allseitigem Druck zu Scherungen

in allen Raumebenen, eine Eigenschaft, die keine andere real existierende Form der Anisotropie aufweist.

Die Kompression wird von den oberen drei Einträgen im rechten Vektor repräsentiert und wenn deren Summe verschwindet, dann zeigt

dass das Material in erster Näherung inkompressibel ist, denn die Summe der Normaldehnungen ist die Volumendehnung εv, siehe Deviator#Deviatoren und Volumendehnung. Darin ist V das Volumen bei p=0 und v dasjenige beim aktuellen Druck. Bei kompressiblem Material ergibt sich der Kompressionsmodul K aus dem Kehrwert:[3]:146

Beim triklin anisotropen, linear elastischen Werkstoff kontrahiert das Material in allen Raumrichtungen unterschiedlich, was die lineare Kompressibilität[3]:146

ausdrückt. Hier sind n1,2,3 die Koordinaten des Einheitsvektors bezüglich der #körperfesten Basisvektoren.

Richtungsabhängigkeit des Elastizitätsmoduls

Der Elastizitätsmodul ist definiert als das Verhältnis der Spannung σ zur Dehnung ε bei reinem Zug:

Bei anisotropem Werkstoff ist der Modul richtungsabhängig und ergibt sich in Richtung des Einheitsvektors aus

Bei reinem Zug in Richtung ist oder in voigtscher Notation

mit den Komponenten n1,2,3 des Richtungsvektors. Mit der Nachgiebigkeitsmatrix S werden daraus die Verzerrungen und der Verzerrungstensor berechnet mit dem Ergebnis[3]:144

Herleitung

In der Hyperelastizität ergeben sich die Spannungen aus der Ableitung der Formänderungsenergie nach den Dehnungen. Damit die Spannungen linear in den Dehnungen sind, muss demnach die Formänderungsenergie quadratisch in den Dehnungen sein, denn nur dann ist ihre Ableitung linear. Unter Verwendung der #Invarianten ergibt sich der Ansatz

mit 21 Parametern a bis z. Nicht-linear hyperelastisches Verhalten kann modelliert werden, indem die Parameter a bis z durch Funktionen der Invarianten ersetzt werden.

Um die Formänderungsenergie nach ε ableiten zu können, müssen die Komponenten εij als Funktion des Tensors ε ausgedrückt werden. Dies gelingt mit der Darstellung des Frobenius-Skalarprodukts ":" als Spur:

Darin bedeutet "·" das Matrizenprodukt und das hochgestellte ⊤ eine Transponierung. Mit der Abkürzung für die symmetrisierten dyadischen Produkte ⊗ der #körperfesten Basisvektoren ê1,2,3 ist dann[4]

Aus dem Ansatz der Formänderungsenergie berechnen sich die Spannungen zu

oder in Voigt-Notation im ê1,2,3-System

Die Parameter lassen sich den Einträgen in der #Steifigkeitsmatrix direkt zuordnen. Ableitung der Spannungen nach den Dehnungen liefert den konstanten und symmetrischen Elastizitätstensor 4. Stufe:

Die Voigt-Notation der Tensoren Kij mit i≠j besitzen den Eintrag ½ an einer Stelle und sonst nur nullen. Mit den Definitionen Vi=Kii für i=1,2,3 und V4=2K23, V5=2K13 sowie V6=2K12, deren Koeffizienten nur nullen und einsen sind, entsteht eine Darstellung des Elastizitätstensors, an der seine Voigt-Notation direkt ablesbar ist:

Weitere Eigenschaften

Dieser Abschnitt behandelt Eigenschaften die Gegenstand der Mechanik, Elektrizitätslehre, Thermodynamik oder Kristalloptik sind.

Zur Notation: Die Komponenten von Vektoren und Tensoren beziehen sich immer auf die #körperfesten Basisvektoren ê1,2,3, beispielsweise vi= · êi wenn ein Vektor ist oder Tiji · T · êj wenn T ein Tensor zweiter Stufe ist, und es gilt die einsteinsche Summenkonvention.

Gleichgewichtseigenschaften

Die Eigenschaften dieses Abschnitts beziehen sich auf Gleichgewichts­lagen oder reversible Prozesse.

Elektrische Permittivität und magnetische Permeabilität

Die elektrische Permittivität und magnetische Permeabilität sind Materialeigenschaften, die die Kräfte bestimmen, die ein elektrisches oder magnetisches Feld auf einen Körper ausübt. Die elektrische Flussdichte oder dielektrische Verschiebung Di ist in einem triklin anisotropen Stoff nicht parallel zur elektrischen Feldstärke Ei, weswegen der Zusammenhang in einem nicht zu starken Feld mit einem Tensor zweiter Stufe, dem Permittivitäts­tensor κij, ausgedrückt wird:[3]:68

Diij Ej

Die Schreibweise κ statt ε wurde hier gewählt, um eine Verwechslung mit der mechanischen Dehnung zu vermeiden. Der Permittivitätstensor ist symmetrisch, hat damit reelle Eigenwerte und paarweise orthogonale oder orthgonalisierbare Eigenvektoren, und er besitzt in der triklinen Anisotropie sechs unabhängige Komponenten.[3]:69,296

Ähnliche Verhältnisse gelten in einem Magnetfeld; es ist nur die dielektrische Verschiebung durch die magnetische Flussdichte Bi, die elektrische Feldstärke durch die magnetische Hi und die Permittivität durch die magnetische Permeabilität μij zu ersetzen:

Biij Hj

Auch der Permeabilitätstensor ist symmetrisch und besitzt in der triklinen Anisotropie sechs unabhängige Komponenten.[3]:23,55,296

Thermodynamik

Mit den Werkzeugen der Thermodynamik können verschiedene Effekte wie elastische Verformung und Piezoelektrizität einheitlich dargestellt und in Beziehung gesetzt werden. Es werden nur kleine, reversible Zustandsänderungen betrachtet, bei denen die mechanischen Dehnungen εij, die dielektrischen Verschiebungen Di und die Entropie s ausschließlich und linear von den mechanischen Spannungen σij, der elektrischen Feldstärke Ei und der Temperatur T abhängen.[3]:170ff

Die Differenziale der abhängigen Größen berechnen sich zu

 
 
 (*)
 

Die Indizes hinter den Klammern bedeuten, dass die Klammerausdrücke unter Konstanthaltung der aufgeführten Größen ausgewertet werden. Wegen der angenommenen Linearität sind die Klammerausdrücke konstant, und die insgesamt 13 Gleichungen (9 Verzerrungen, 3 dielektrische Verschiebungen und die Entropie) können in Matrizenform geschrieben werden, mit einer Systemmatrix, die, wie sich unten zeigt, symmetrisch ist. Durch Ausnutzung der Symmetrie des mechanischen Spannungs- und Verzerrungstensors kann die Systemmatrix auf eine 10×10-Matrix reduziert werden.

Dem ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zufolge ist das Differenzial der inneren Energie[3]:179

Das Differenzial der Funktion

wird damit

Koeffizientenvergleich liefert

und nach dem Satz von Schwarz mit Gleichung (*)

Dies zeigt:[3]:180

  • Die oben erwähnte Systemmatrix von Gleichung (*) ist symmetrisch.
  • Die Koeffizienten des inversen Piezoeffekts sind gleich denen des direkten Effekts.
  • Die Koeffizienten für die thermische Ausdehnung sind gleich denen für den piezokalorischen Effekt.
  • Die Koeffizienten für den pyroelektrischen Effekt sind gleich denen für den elektrokalorischen Effekt.

Thermo- und Elektromechanische Gleichgewichtseigenschaften

Das trikline Kristallsystem umfasst die beiden Kristallklassen (Punktgruppen), die in den Tabellen aufgeführt sind.

KristallsystemTriklin
Kristallklasse¹,           ¹=[2]:331
Her­mann-Mauguin-Symbol¹1
#Symmetriegruppe¹
Gruppenordnung¹1
Systemmatrix:[3]:296
σ1σ2σ3σ4σ5σ6E1E2E3𝚫T
ε1S11 S12S13S14S15S16d11 d21d31α1
ε2S12S22 S23S24S25S26d12d22 d32α2
ε3S13S23S33 S34S35S36d13d23d33 α3
ε4S14S24S34S44 S45S46d14d24d34α4
ε5S15S25S35S45S55 S56d15d25d35α5
ε6S16S26S36S46S56S66 d16d26d36α6
D1d11d12d13d14d15d16κ11 κ12κ13p1
D2d21d22d23d24d25d26κ12κ22 κ23p2
D3d31d32d33d34d35d36κ13κ23κ33 p3
𝚫sα1α2α3α4α5α6p1p2p3cσ/T
KristallsystemTriklin
Kristallklasse¹,           ¹=[2]:332
Her­mann-Mauguin-Symbol¹1
#Symmetriegruppe¹
Gruppenordnung¹2
Systemmatrix:[3]:296
σ1σ2σ3σ4σ5σ6E1E2E3𝚫T
ε1S11 S12S13S14S15S16  ·  ·  ·α1
ε2S12S22 S23S24S25S26  ·  ·  ·α2
ε3S13S23S33 S34S35S36  ·  ·  ·α3
ε4S14S24S34S44 S45S46  ·  ·  ·α4
ε5S15S25S35S45S55 S56  ·  ·  ·α5
ε6S16S26S36S46S56S66   ·  ·  ·α6
D1  ·  ·  ·  ·  ·  ·κ11 κ12κ13  ·
D2  ·  ·  ·  ·  ·  ·κ12κ22 κ23  ·
D3  ·  ·  ·  ·  ·  ·κ13κ23κ33   ·
𝚫sα1α2α3α4α5α6  ·  ·  ·cσ/T

Die Symmetriegruppe 2 gehört zu den elf mechanischen Symmetriegruppen oder Anisotropietypen, bei denen die Lage der Atome oder Moleküle in der Elementarzelle die Symmetrien des Kristallgitters widerspiegelt, und sie enthält die Punktspiegelung -1.[2]:35

Die Systemmatrix der physikalischen Eigenschaften ist symmetrisch, siehe #Thermodynamik, und erfasst hier nur die linearen Effekte einer Theorie erster Ordnung. Der zehnparametrige Zustandsvektor enthält die mechanischen Spannungen σk, die Elektrische Feldstärke Ej und die Temperatur­differenz 𝚫T. Sie verursachen Dehnungen εk, dielektrische Verschiebungen Dj und Entropie­änderungen 𝚫s, was hier klein geschrieben wird, um eine Verwechselung mit den Koeffizienten der Nachgiebigkeitsmatrix zu vermeiden. Die Matrix gibt die Kopplungsgrößen an, wobei die Punkte · für nullen stehen. In der ersten Kristallklasse beschreiben 55, in der zweiten 34 Parameter alle hier aufgeführten, linearisierten, physikalischen Effekte.

Die Gleichungen werden unten in Voigtscher Indexnotation geschrieben. Bei den piezoelektrischen Verzerrungskoeffizienten dik, den Ausdehnungskoeffizient αk, den Verzerrungen εk und Spannungen σk sind für k die Zuordnungen 1→11, 2→22, 3→33, 4→23, 5→13, 6→12 zu beachten, die bei den Nachgiebigkeitskoeffizienten Sjk auf beide Indizies anwendbar sind.[3]:180

Elastizität (Physik)
Die Nachgiebigkeitsmatrix mit Koeffizienten Sjk vermittelt zwischen Spannungen und Dehnungen, wie im Abschnitt #Triklin anisotrope lineare Elastizität dargelegt: εj=Sjk σk
Inverser Piezoeffekt
Anlegen einer elektrischen Spannung bewirkt eine Verformung: εk=Ej djk gemäß den piezoelektrischen Verzerrungskoeffizienten djk. Dieser Effekt ist nur in der ersten Kristallklasse zu beobachten.
Thermische Ausdehnung
Eine Temperaturerhöhung lässt das Material sich in allen Raumrichtungen ausdehnen: εkk 𝚫T[3]:176 Die Ausdehnungskoeffizienten sind die Koeffizienten eines symmetrischen Tensors zweiter Stufe. Eine Temperaturänderung bewirkt neben Normaldehnungen auch Schubverzerrungen.
Piezoeffekt
Eine mechanische Spannung erzeugt eine dielektrische Verschiebung Dj=djk σk, was nur in der ersten Kristallklasse möglich ist.
Permittivität
Eine angelegte elektrischen Feldstärke Ei bewirkt mit der Permittivität κij eine dielektrische Verschiebung Diij Ej.
Pyroelektrischer Effekt
Eine Temperaturänderung 𝚫T bewirkt eine dielektrische Verschiebung Di=pi 𝚫T mit der pyroelektrischen Konstante pi, die in der zweiten Kristallklasse null ist, d. h. der Effekt tritt dort nicht auf.
Entropie­änderung
Eine Entropieänderung wird durch mechanische und elektrische Spannungen sowie eine Temperaturänderung erzeugt: 𝚫s=αk σk+pi Ei+(cσ/T) 𝚫T, wobei cσ die spezifische Wärmekapazität bei konstanter mechanischer Spannung ist.[3]:176 In der zweiten Kristallklasse trägt die elektrische Spannung wegen p1,2,3=0 nichts dazu bei.

Transport-Eigenschaften

Bei den Eigenschaften in diesem Abschnitt geht es um Transport von Wärme oder elektrischer Ladung, Prozesse die mit Dissipation und Irreversibilität zu tun haben.

Wärmeleitfähigkeit

In der triklinen Anisotropie ist die Wärmestromdichte nicht – wie in isotropen Medien – antiparallel zum Temperaturgradient grad T, weshalb für die Wärmeleitfähigkeit λ ein Wärmeleitfähigkeitstensor λ einzusetzen ist:[3]:195

Der Wärmeleitfähigkeitstensor ist symmetrisch und in der triklinen Anisotropie voll besetzt.[3]:195

Das Onsagersche Prinzip führt zwar nur darauf, dass die Divergenz des schiefsymmetrischen Anteils div(λ-λ) den Nullvektor ergibt, λ also durchaus schiefsymmetrisch sein kann (das hochgestellte „⊤“ bedeutet eine Transponierung). Da dies aber erstens zu keinen messbaren Effekten führt und zweitens die Konsequenz hätte, dass das Vakuum eine nicht verschwindende Wärmeleitfähigkeit besitzen müsste, ist die Annahme der Symmetrie zwar nicht erzwungen, so doch statthaft.[3]:211

Spezifischer Widerstand

In der triklinen Anisotropie ist die Stromdichte Ji nicht – wie in isotropen Medien – parallel zur elektrischen Feldstärke Ei, weshalb sich der spezifische Widerstand ρ als Tensor zweiter Stufe darstellt:[3]:204f

Eiik Jk

Die elektrische Leitfähigkeit σ ist dann ebenfalls ein Tensor:

Jiik Ek

(nicht zu verwechseln mit dem mechanischen Spannungstensor.) Diese Tensoren sind symmetrisch und in der triklinen Anisotropie voll besetzt.

Thermoelektrizität

Die Thermoelektrizität wird im anisotropen Stoff mathematisch beschrieben durch die Gleichungen[3]:225

mit

Der thermoelektrische Tensor Σ ist unsymmetrisch und im triklinen Material voll besetzt.[3]:227

Optische Eigenschaften

Bei den Eigenschaften in diesem Abschnitt geht es darum, wie durchsichtige Kristalle auf sie durchdringendes Licht wirken und wie das von äußeren Einflüssen abhängt. Allgemein lässt sich sagen:

“A crystal under an external influence will exhibit only those symmetry elements that are common to the crystal without the influence and the influence without the crystal”

„Ein Kristall unter äußerem Einfluss weist nur die Symmetrieelemente auf, die dem Kristall ohne Einfluss und dem Einfluss ohne den Kristall gemeinsam sind“

John Nye[3]:245

Ein äußerer Einfluss vermag die Symmetrieeigenschaften eines Kristalls nur zu verringern. Wenn ein dem Kristall (ohne Einfluss) und dem äußeren Einfluss (bevor er auf das Kristall angewendet wird) gemeinsames Symmetrieelement auf das Kristall und den äußeren Einfluss angewendet wird, dann wird sich bei beiden keine Veränderung zeigen.

Doppelbrechung

Der Brechungsindex ist eine Materialeigenschaft, die nach dem snelliusschen Brechungsgesetz angibt, wie groß die Richtungsänderung eines Lichtstrahls beim Durchtritt durch ein transparentes Kristall sein wird. Der Brechungsindex lässt sich anschaulich aus dem Indexellipsoid ableiten, dessen Halbachsen erstens parallel zu den Eigenvektoren der dielektrischen Moduln ηij ausgerichtet und deren Länge zweitens eine Funktion der entsprechenden Eigenwerte sind. Die dielektrischen Moduln sind an denselben Stellen besetzt wie die Permittivität κij und daher wie sie symmetrisch (ηijji). Triklin anisotrope Stoffe sind optisch zweiachsig, denn sie besitzen sechs unabhängige dielektrische Moduln.[3]:296 Ferner beeinflussen mechanische und elektrische Spannungen die Moduln, siehe #Photoelastischer und elektrooptischer Effekt.

Photoelastischer und elektrooptischer Effekt

Die dielektrischen Moduln, siehe #Doppelbrechung, werden von der elektrischen Feldstärke Ek und von mechanischen Spannungen σkl beeinflusst:

𝚫ηij=zijk Ek + πijkl σkl

Die zijk werden elektro-optische und die πijkl piezo-optische Koeffizienten genannt.[3]:244 Ein einachsiger Zug oder ein elektrisches Feld ergibt auf diese Weise ein optisch zweiachsiges Kristall.[3]:246 Die ηij sind aus den gleichen Gründen symmetrisch (ηijji) wie die Permittivität κij, siehe #Thermodynamik. Von den 27 möglichen elektro-optischen Koeffizienten sind daher nur 18 unabhängig, genauso viele wie piezoelektrische Verzerrungskoeffizienten dijk, siehe #Thermo- und Elektromechanische Gleichgewichtseigenschaften. Der elektro-optische Effekt tritt daher nur in der ersten und nicht in der zweiten Kristallklasse auf.

Weil der mechanische Spannungstensor σij symmetrisch ist, sind von den 34=81 piezo-optischen Koeffizienten nur 36 unabhängig (wegen πijklijlkjikl.) Diese Anzahl wird in der triklinen Anisotropie für die Beschreibung der optischen Elastizität gebraucht, weil keine weiteren Symmetrien auftreten.[3]:250

Optische Aktivität

Die optische Aktivität bezeichnet die Eigenschaft durchsichtiger Materialien die Polarisations­richtung des durchdringenden Lichts zu drehen. Der Drehwinkel ist[3]:262,266

mit

Ein Kristall, dessen #Symmetriegruppe die Punktspiegelung -1 enthält, kann nicht optisch aktiv sein[3]:271, und daher ist in der zweiten Kristallklasse g=0. Im triklin anisotropen Material der ersten Kristallklasse besitzt der Drehtensor sechs unabhängige Komponenten.

Siehe auch

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. a b c d e f g h i P. Haupt: Kontinuumsmechanik und Materialtheorie. 2002.
  2. a b c d e Nikolas Apel: Ansätze zur Beschreibung des anisotropen Materialverhaltens bei finiten elastischen und plastischen Verformungen. Theorie und Numerik. 2004.
  3. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab J.F. Nye: Physikalische Eigenschaften von Kristallen. Ihre Representation durch Tensoren und Matrizen. 1985.
  4. Die ij-Komponente eines beliebigen Tensors zweiter Stufe T im ê1,2,3-System ist
    Die Fréchet-Ableitung hiervon nach T ist der beschränkte lineare Operator der – sofern er existiert – in allen Richtungen H dem Gâteaux-Differenzial entspricht, also
    Darin ist und der lineare Operator ist das Skalarprodukt mit . Hier ist ein symmetrischer Tensor, dessen Differenzial H auch symmetrisch ist. Beim Skalarprodukt mit diesem trägt nur der symmetrische Anteil etwas bei:
    wo nun H auch unsymmetrisch sein kann. Dann wird auch
    geschrieben.

Literatur

  • J. Betten: Kontinuumsmechanik – Elastisches und inelastisches Verhalten isotroper und anisotroper Stoffe. Springer, 2012, ISBN 3-642-62645-9.
  • Nikolas Apel: Ansätze zur Beschreibung des anisotropen Materialverhaltens bei finiten elastischen und plastischen Verformungen. Theorie und Numerik. Hrsg.: Universität Stuttgart. OPUS – Online Publikationen der Universität Stuttgart, Stuttgart 2004, ISBN 3-937859-00-4 (englisch, researchgate.net [abgerufen am 28. Oktober 2021] Originaltitel: Approaches to the Description of Anisotropic Material Behaviour at Finite Elastic and Plastic Deformations – Theory and Numerics.).
  • P. Haupt: Kontinuumsmechanik und Materialtheorie. Springer, 2002, ISBN 978-3-642-07718-0, doi:10.1007/978-3-662-04775-0 (englisch, Originaltitel: Continuum Mechanics and Theory of Materials.).
  • R. E. Newnham: Eigenschaften von Materialien. Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0-19-852075-7 (englisch, Originaltitel: Properties of materials.).
  • J.F. Nye: Physikalische Eigenschaften von Kristallen. Ihre Representation durch Tensoren und Matrizen. Oxford University Press, 1985, ISBN 978-0-19-851165-6 (englisch, Originaltitel: Physical Properties of Crystals: Their Representation by Tensors and Matrices.).