Henni Lehmann

Henni Lehmann, um 1900
Vitte/Hiddensee Stolperstein: Henni Lehmann

Henriette „Henni“ Lehmann (geb. Straßmann; * 10. Oktober 1862 in Berlin; † 18. Februar 1937 ebenda) war eine politisch und sozial engagierte deutsche Künstlerin und Autorin. In der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, nahm sie sich 1937 das Leben.

Leben

Bäuerin auf der Straße in Kloster (Hiddensee)

Henni Lehmann entstammte einer jüdischen Berliner Familie. Ihr Vater, der Arzt Wolfgang Straßmann (1821–1885), war von 1862 bis 1885 liberaler Stadtverordneter in Berlin und Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Er war mit Louise geb. Cohen (1835–1889) verheiratet.

Die Tochter Henni besuchte die Königliche Kunstschule zu Berlin und heiratete 1888 Karl Lehmann, einen Rechtswissenschaftler, der ebenfalls jüdische Wurzeln hatte. Beide konvertierten nach der Hochzeit zum Protestantismus. Das Ehepaar zog nach Rostock, da ihr Mann an der Universität Rostock eine Professur erhalten hatte. 1904 wurde Lehmann zum Rektor der Universität gewählt. Das Paar hatte zwei Kinder, Karl Lehmann(-Hartleben) (1894–1960) und Eva Fiesel (1891–1937), die beide Altertumswissenschaftler wurden und 1933 ihre Stellungen in Deutschland verloren. In Rostock war Henni Lehmann bis 1911 Vorsitzende des Rostocker Frauenvereins.

1911 zog sie mit ihrer Familie nach Göttingen, nachdem ihr Mann eine Professur an der Universität Göttingen erhalten hatte. Während des Ersten Weltkriegs war sie Leiterin der Göttinger Abteilung des Nationalen Frauendienstes (NFD) innerhalb des Vaterländischen Kriegshilfsdiensts.[1]

Nach dem Tod ihres Mannes übersiedelte sie 1918 nach Weimar, wo sie bis 1933 in der Bismarckstraße 30 wohnte,[2] der heutigen Schubertstraße. Während der Weimarer Republik stand sie den Sozialdemokraten nahe und engagierte sich in der Arbeiterwohlfahrt. Sie schrieb sozial engagierte Romane und hielt Vorträge. Auch trat sie gegen den Antisemitismus auf.

Hiddensee

Die Blaue Scheune in Vitte, Lehmanns ehemaliges Ferienhaus

Ab 1907 verbrachte die Familie Lehmann die Sommerferien regelmäßig auf der Insel Hiddensee. Henni Lehmann engagierte sich dort sehr für die Schaffung besserer Lebensumstände. 1913 gab sie den Insulanern ein Darlehen zum Bau eines Arzthauses, und 1914 gehörte sie zu den Mitbegründern und ersten Vorstandsmitgliedern des Natur- und Heimatschutzbundes Hiddensee. 1909 zählte sie zu den Gründungsmitgliedern der Genossenschaftsreederei.

Landschaft am See

Ab 1919 traf sich in ihrem Ferienhaus in Vitte, der Blauen Scheune, regelmäßig der Hiddensoer Künstlerinnenbund, zu dem u. a. Clara Arnheim, Elisabeth Büchsel und Käthe Löwenthal gehörten. Durch die NS-Herrschaft war dies ab 1933 nicht mehr möglich, und 1934 verkaufte Henni Lehmann die Blaue Scheune an Elisabeth Niemeier (1879–1962), die geschiedene Ehefrau des Malers Nikolaus Niemeier (1876–1934).

Das 1907 neben der Blauen Scheune gebaute Landhaus der Familie Henni Lehmanns wurde bis 1937 als Sommersitz genutzt. Entworfen hatte den Bau der Schweriner Architekt Paul Ehmig.

Die letzten Jahre

Um 1934 scheint Henni Lehmann Weimar verlassen zu haben und lebte danach hauptsächlich auf Hiddensee. 1934 emigrierte ihre Tochter Eva Fiesel in die USA, 1935 folgte ihr Sohn Karl Lehmann-Hartleben.

Etwa 1935 wurde bei ihr Krebs diagnostiziert. In der Hoffnung auf eine fachgerechte medizinische Versorgung fuhr sie danach häufig nach Berlin und wohnte dort bei ihrer Freundin und Mitarbeiterin Clara Arnheim, deren Wohnung sich in der Uhlandstraße 181/182 in Berlin-Charlottenburg befand.[3] Am 18. Februar 1937 nahm sie sich dort das Leben. Ihr Cousin Paul Straßmann hielt die Trauerrede und schrieb später in seinem Tagebuch: „Ihre letzten Sorgen und Qualen beendete sie mit Veronal. Vor Jahren weigerte ich mich, es ihr zu verschreiben, also besorgte sie es sich in Weimar. Sie war der klügste Kopf unseres Clans: eine würdige Straßmann!“[4]

Posthume Ehrungen

Henni Lehmanns Landhaus wurde zu DDR-Zeiten renoviert und umgebaut. Danach diente es von 1989 bis 1991 als Rathaus von Vitte. Von 1997 bis zum Sommer 2000 wurde das Haus abermals umgebaut und erhielt am 5. Juni 2000 die offizielle Bezeichnung Henni-Lehmann-Haus. Es wird für Veranstaltungen und Ausstellungen sowie durch die örtliche Bibliothek genutzt. In den Gehweg zum Haus wurde am 14. Juli 2008 ein Stolperstein eingelassen, der an die Verfolgung der jüdischen Künstlerin durch die Nationalsozialisten und ihren Suizid erinnert.

Werke

Frauenporträt im Heimatmuseum Hiddensee
  • Die Frauen aus dem Alten Staden Nr. 17, Erzählung, Berlin 1921, Neuausgabe Dresden 2014
  • Es singt das Meer, Sonette und Terzinen, Weimar 1922, Neuausgabe Dresden 2015
  • Armenhauskinder, Erzählung, Jena 1924
  • Feldherr ohne Heer, Roman, Berlin 1928

Zitate von und über Henni Lehmann

Henni Lehmann im Nachwort zu ihrer Erzählung „Die Frauen aus dem Alten Staden Nr. 17“:

„Sie waren Proletarierfrauen und es war Krieg. Die Selbstgerechten und Frommen nennen die eine eine Verworfene, die andere eine sündige Selbstmörderin, aber sie und die andern alle waren nicht schlecht, sie waren nur unglücklich und schwach. Ach, urteilt nicht hart über sie! Wer weiß, wo ihr ständet und eure Frauen und Töchter, wenn ihr Proletarier wäret, und es wäre Krieg! Helft alle, Proletarier und ihr andern, daß die Welt besser, daß sie friedlicher und gerechter werde!“

Rezension zu Armenhauskinder von Karl Fischer in der SPD-Parteizeitung Vorwärts am 19. Oktober 1924:

Henni Lehmann hat vor Jahren einen Roman geschrieben: „Frauen aus dem Alten Staden Nr. 17“, einen Roman, der in grauen Häusern der Armut spielt und in niedrigen Stuben mit trüber hoffnungsloser Luft, in denen vom Schicksal Geknechtete still einem frühen Tod entgegenleben. Ein paar Personen aus dem alten Staden begegnen uns auch in dieser neuen Erzählung, die im Armenhaus einer kleinen Stadt spielt. Also Armeleutegeschichten mit Armeleutegeruch, wie ja wohl von den anderen, die nur die Sommerseite des Lebens kennen, naserümpfend gesagt wird. Und gerade diese Hochmütigen und Erbarmungslosen sollen die „Armenhauskinder“ lesen, gerade für sie hat Henni Lehmann den Roman geschrieben. Das Buch ist wie ein hohes Lied der Liebe zu den Enterbten des Glücks, und man kann sich denken, dass Menschen, die diese Geschichte lesen und deren Herzen so lange verhärtet waren, gut werden zu den Armen und Unglücklichen.

Gerhart Hauptmann schrieb am 20. August 1910 in seinem Tagebuch[5] über die Malerin:

„Hiddensee. Es ist ein ekelhaft bekrochenes Eiland geworden. Ein dickes Weib hat eine Villa errichtet und malt frech vor der Tür mit zwei Zentnern am Leibe. Fürchterlich!“

Siehe auch

Literatur

Commons: Henriette Lehmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vaterländischer Kriegshilfsdienst in Göttingen. Zweiter Bericht, gegeben Anfang März 1915, S. 21.
  2. Einwohnerbuch der Stadt Weimar […] 1933, Weimar [1932], S. 72: „Lehmann, Henni, geb. Straßmann, Malerin, Schriftstellerin, Bismarckstr. 30“. (Digitalisat)
  3. Berliner Adreßbuch für das Jahr 1937, Berlin [1936], Band 1, S. 50 (Digitalisat)
  4. Henni Lehmann Catalogue Raisonné
  5. Gerhart Hauptmann (Autor), Peter Sprengel (Hrsg.): Tagebücher 1906 bis 1913. Propyläen-Verlag, Frankfurt/M. 1996, ISBN 3-549-05839-X.