„Tscherkessen“ – Versionsunterschied

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Einer der zwölf Tscherkessenstämme, die [[Ubychen]], sprachen die [[Ubychische Sprache]], die nach Dokumentationen mehrerer Sprachwissenschaftler, u.&nbsp;a. [[Adolf Dirr]] und [[Georges Dumézil]], kaum mit den tscherkessischen (kabardinisch-adygeischen) Dialekten verständlich war und sich wesentlich eher abspaltete, wenn auch die Ubychen sich als Teilstamm der Tscherkessen sahen. Fast alle Ubychen emigrierten im 19. Jahrhundert in das [[Osmanisches Reich|Osmanische Reich]], wo ihre Sprachkenntnisse verschwanden und die Sprache ausstarb. Letzter Muttersprachler war [[Tevfik Esenç]].<ref>Georgij A. Klimov: ''Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft.'' Hamburg 1994, S. 49</ref>
Einer der zwölf Tscherkessenstämme, die [[Ubychen]], sprachen die [[Ubychische Sprache]], die nach Dokumentationen mehrerer Sprachwissenschaftler, u.&nbsp;a. [[Adolf Dirr]] und [[Georges Dumézil]], kaum mit den tscherkessischen (kabardinisch-adygeischen) Dialekten verständlich war und sich wesentlich eher abspaltete, wenn auch die Ubychen sich als Teilstamm der Tscherkessen sahen. Fast alle Ubychen emigrierten im 19. Jahrhundert in das [[Osmanisches Reich|Osmanische Reich]], wo ihre Sprachkenntnisse verschwanden und die Sprache ausstarb. Letzter Muttersprachler war [[Tevfik Esenç]].<ref>Georgij A. Klimov: ''Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft.'' Hamburg 1994, S. 49</ref>


Gemeinsam mit der [[Abchasische Sprache|abchasischen]], [[Abasinische Sprache|abasinischen]] und ubychischen Sprache gehören die tscherkessischen Dialekte zur [[Nordwestkaukasische Sprachen|Adyge-abchasischen Sprachfamilie]], die auch als (Nord-)Westkaukasische Sprachfamilie bezeichnet wird. Die Mehrheit der [[Kaukasiologie|Kaukasiologen]] meint, dass die beiden Hauptzweige dieser Sprachfamilie, der abchasisch-abasinische und der tscherkessische (adygische) seit etwa 3000–5000 Jahren getrennt sind.<ref>Georgij A. Klimov: ''Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft.'' Hamburg 1994, S. 47</ref> Die historische Stellung des Ubychischen als mittlerer Zweig ist umstritten. Für einige Forscher hat es sich danach vom tscherkessischen Zweig entfernt, für viele Forscher vom abchasisch-abasinischen Zweig dagegen näherte es sich durch areale Sprachkontakte den tscherkessischen Dialekten an.
Gemeinsam mit der [[Abchasische Sprache|abchasischen]], [[Abasinische Sprache|abasinischen]] und ubychischen Sprache gehören die tscherkessischen Dialekte zur [[Nordwestkaukasische Sprachen|Adyge-abchasischen Sprachfamilie]], die auch als (Nord-)Westkaukasische Sprachfamilie bezeichnet wird. Die Mehrheit der [[Kaukasiologie|Kaukasiologen]] meint, dass die beiden Hauptzweige dieser Sprachfamilie, der abchasisch-abasinische und der tscherkessische (adygische) seit etwa 3000–5000 Jahren getrennt sind.<ref>Georgij A. Klimov: ''Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft.'' Hamburg 1994, S. 47</ref> Die historische Stellung des Ubychischen als mittlerer Zweig ist umstritten. Für einige Forscher hat es sich danach vom tscherkessischen Zweig entfernt, für viele Forscher dagegen vom abchasisch-abasinischen Zweig, näherte sich aber durch areale Sprachkontakte den tscherkessischen Dialekten an.


== Siedlungsgebiet ==
== Siedlungsgebiet ==

Version vom 25. September 2015, 13:12 Uhr

Hauptsiedlungsgebiete der Tscherkessen in Kaukasien. Die beiden westlichen Gebiete in Adygeja gelten in Russland als Titularnation der „Adygejer“, die die Westtscherkessische/ Adygeische Schriftsprache verwenden. Die beiden östlichen Gebiete sind die Titularnation Kabardiner in Kabardino-Balkarien, die die Osttscherkessische/ Kabardinische Schriftsprache verwenden und als historisch eigene Fürstentümer bildeten. Das mittlere Feld sind Beslenejer und einige Kabardiner in Karatschai-Tscherkessien, die die Kabardinische Schriftsprache verwenden, ohne historische Staatsbildung. Sie gelten in Russland als Titularnation „Tscherkessen“.

Die Tscherkessen sind ein kaukasisches Volk. Sie sind eines der namensgebenden Völker der Teilrepubliken im Staatsverband Russlands Adygeja, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. In Europa ist das Volk unter dem Namen „Tscherkessen“, auch Zirkassier, bekannt; sie selbst nennen sich „adyge“. Davon abgeleitet gibt es die Bezeichnung Adygejer.

Nach der russischen Volkszählung 2010 leben in Russland rund 719.000 Tscherkessen. Infolge des Kaukasuskrieges im 19. Jahrhundert lebt die große Mehrheit der Tscherkessen oder der Menschen tscherkessischer Herkunft in der Diaspora in Staaten des Nahen Ostens und des Balkans, von denen einige in jüngerer Zeit auch in weitere Länder auswanderten. Die größte Gruppe bilden die Tscherkessen in der Türkei, gefolgt von Minderheiten in Syrien, Jordanien, und kleineren Gruppen im Irak, in Ägypten, Libyen, Israel, dem Kosovo und Südserbien. Sie werden auf fast drei bis über vier Millionen Menschen geschätzt. Von ihnen spricht nur noch eine Minderheit tscherkessische Dialekte.

Namensherkunft

Die Herkunft der Fremdbezeichnung „Tscherkessen“ oder englisch „Circassians“ ist umstritten. Sie taucht im 14. Jahrhundert etwa zeitgleich in den Quellen als türkisch Çerkez, persisch چرکس tscharkas und bei Kaufleuten aus Genua, die zu dieser Zeit durch die Genueser Kolonien im Schwarzmeergebiet Kontakte unterhielten, als italienisch Ci(a)rcassi oder lateinisch Ci(a)rcassiani auf. Daraus entwickelten sich fast alle Bezeichnungen der Tscherkessen in europäischen und orientalischen Sprachen. Nach einer umstrittenen Hypothese geht sie vielleicht auf die vorherige Fremdbezeichnung kaschag, russisch kassog, kerket oder lateinisch Cercetae zurück, eventuell vermittelt von der ossetischen Sprache.[1]

Ebenso umstritten ist die Herkunft der Selbstbezeichnung „adyge“ und „adygei“. Eine ältere Etymologie aus dem 19. Jahrhundert, nach der sie sich von tscherkessisch „attéghéi“ ableiten soll, wobei „atté“ Gebirgsbewohner und „ghéi“ Meeresbewohner (Küstenbewohner) bedeutet[2], gilt heute vielen Forschern aufgrund der Lautstruktur des Tscherkessischen und seiner späten Überlieferung seit dem 19. Jahrhundert als fraglich.

Sprache

Die Sprache der Tscherkessen war ursprünglich eine Gruppe von Dialekten, die von den verschiedenen tscherkessischen Stämmen gesprochen wurden und sich wohl etwa seit dem 13./14. Jahrhundert auseinander entwickelt hatten. Aus zwei dieser Dialekte wurden im 20. Jahrhundert die beiden tscherkessischen Schriftsprachen West-Tscherkessisch (Adygeisch) und Ost-Tscherkessisch (Kabardinisch) entwickelt. Das West-Tscherkessische ist in der Autonomen Republik Adygeja die offizielle Sprache, das Ost-Tscherkessische wiederum in Kabardino-Balkarien und in Karatschai-Tscherkessien. Da das Ost-Tscherkessische weniger konsonantische Laute als West-Tscherkessisch besitzt, ist es für ost-tscherkessisch Sprechende schwieriger, das West-Tscherkessische zu verstehen, als umgekehrt. Nach ihrer Sprache befragt, geben alle die Antwort, Adygejisch („adygebze“) zu sprechen, die in Russland offiziellen Bezeichnungen Adygejisch und Kabardinisch oder auch die Bezeichnungen West-Tscherkessisch und Ost-Tscherkessisch verwenden sie kaum.

Die Tscherkessen besaßen früher keine eigene Schriftsprache. Mit der Islamisierung war ihre Schriftsprache die arabische Sprache. 1855 gab es den ersten Versuch, die tscherkessische Sprache zu schreiben, 1917 wurde ein Alphabet gebildet, das auf der arabischen Schrift basierte, 1925 bediente man sich des lateinischen Alphabets zur Schreibung des Tscherkessischen. Seit 1937/38 wird das kyrillische Alphabet mit einigen Ergänzungen benutzt.[3] Man verwendet zwei kyrillische Alphabete: das des West-Tscherkessischen, welches hauptsächlich auf dem temirgojischen Dialekt aufgebaut ist, und das des Ost-Tscherkessischen, dem kabardinischen Dialekt.

Tscherkessisch und Ubychisch in den nordwestkaukasischen Sprachen nach einer möglichen Genealogie
Tscherkessisch, Ubychisch und Abchasisch-Abasinisch nach einer anderen möglichen Genealogie, mit einigen Dialekten

Einer der zwölf Tscherkessenstämme, die Ubychen, sprachen die Ubychische Sprache, die nach Dokumentationen mehrerer Sprachwissenschaftler, u. a. Adolf Dirr und Georges Dumézil, kaum mit den tscherkessischen (kabardinisch-adygeischen) Dialekten verständlich war und sich wesentlich eher abspaltete, wenn auch die Ubychen sich als Teilstamm der Tscherkessen sahen. Fast alle Ubychen emigrierten im 19. Jahrhundert in das Osmanische Reich, wo ihre Sprachkenntnisse verschwanden und die Sprache ausstarb. Letzter Muttersprachler war Tevfik Esenç.[4]

Gemeinsam mit der abchasischen, abasinischen und ubychischen Sprache gehören die tscherkessischen Dialekte zur Adyge-abchasischen Sprachfamilie, die auch als (Nord-)Westkaukasische Sprachfamilie bezeichnet wird. Die Mehrheit der Kaukasiologen meint, dass die beiden Hauptzweige dieser Sprachfamilie, der abchasisch-abasinische und der tscherkessische (adygische) seit etwa 3000–5000 Jahren getrennt sind.[5] Die historische Stellung des Ubychischen als mittlerer Zweig ist umstritten. Für einige Forscher hat es sich danach vom tscherkessischen Zweig entfernt, für viele Forscher dagegen vom abchasisch-abasinischen Zweig, näherte sich aber durch areale Sprachkontakte den tscherkessischen Dialekten an.

Siedlungsgebiet

Tscherkessien im Jahr 1840 mit einigen Stämmen und Nachbarvölkern (Karte von James Stanislaus Bell)[6]

Das Siedlungsgebiet reichte im 16. Jahrhundert bis ans Asowsche Meer und umfasste Steppen des heutigen Südrussland bis zum Unterlauf des Don. Durch Kriege wurden die Tscherkessen immer weiter nach Süden zurückgedrängt. Im 18. Jahrhundert bildete der Kuban die nördliche Grenze ihres Siedlungsgebietes. Dieses erstreckte sich über die Ostküste des Schwarzen Meeres, den mittleren Kuban, den unteren Kuban, das Westufer des Terek-Flusses und den Großteil der Kabardei bis zur heutigen Stadt Mosdok in Nordossetien.[7] Im 19. Jahrhundert, nach dem Ende des russisch-kaukasischen Krieges, wurden über 500.000 Nordkaukasier ins damalige Osmanische Reich zwangsumgesiedelt. Diese Ereignisse wurden durch das Parlament Georgiens als Genozid eingestuft.[8] In das Gebiet der Tscherkessen wurden zumeist christliche russische Bauern aus dem Landesinneren des Russischen Reiches angesiedelt.[9]

Heute lebt die Mehrheit der Tscherkessen außerhalb des Kaukasus: in der Türkei etwa zwei Millionen[10], in Syrien ca. 100.000, in Jordanien min. 65.000, in Israel 4000 sowie in der EU 40.000 und in den USA 9000. Es gibt auch Tscherkessen im Kosovo (um Obiliq) und in Südserbien. Die Assimilation spielt eine bedeutende Rolle und entfernt die Tscherkessen mehrheitlich von ihrer Kultur. Deshalb sprechen Kinder oft kein Tscherkessisch mehr.[11]

Karte mit den heutigen russischen Republiken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien und Kabardino-Balkarien im Nordwesten

Im Kaukasus ist eine Minderheit verblieben, die in drei autonomen Republiken lebt. In Adygeja waren von 440.000 Einwohnern bei der Volkszählung 2010 in Russland 107.048 Tscherkessen, die in Russland „Adygejer“ genannt werden, 25,2 % der Einwohner dieser Republik.[12] In der Autonomen Republik Karatschai-Tscherkessien sind von etwa 478.000 Einwohnern 56.466 Tscherkessen (11,9 %), die in Russland auch offiziell so genannt werden.[13] In der Autonomen Republik Kabardino-Balkarien sind von 860.000 Einwohnern etwa 490.453 Tscherkessen (57,2 %),[14] die in Russland offiziell als „Kabardiner“ bezeichnet werden. Weitere etwa 17.500 Tscherkessen leben als „Adygejer“ oder „Schapsugen“ in der Region Krasnodar, besonders in der Umgebung der Stadt Tuapse an der Schwarzmeerküste.[15] Bis auf Kabardino-Balkarien sind die Tscherkessen in ihrer heutigen Heimat Minderheiten. Natürlich entsprechen sie nicht dem ursprünglichen Siedlungsgebiet. Die verschiedenen Namen erwecken den Anschein, dass es sich bei den Adygejern, Tscherkessen, Kabardinern und Schapsugen um verschiedene Völker handelt. Alle Begriffe bezeichnen im Grunde die Tscherkessen. Der Begriff „Tscherkessen“ wird häufig in Europa benutzt. Die Tscherkessen selbst nennen sich „Adyge“ und die Kabardiner und Schapsugen sind Stämme der Adyge und somit auch Tscherkessen. In ganz Russland registrierte die Volkszählung 2010 124.835 Adygejer, 516.826 Kabardiner, 73.184 Tscherkessen und 3882 Schapsugen,[16] also insgesamt 718.757 Tscherkessen.

Die zwölf tscherkessischen Stämme

Die Flagge der Tscherkessen, gleichzeitig Flagge der Republik Adygeja. Die zwölf Sterne repräsentieren die zwölf Stämme der Tscherkessen.
Heutige Hauptsiedlungsgebiete der tscherkessischen Stämme (grün) im westlichen Kaukasus.

Traditionell teilte sich die Gesellschaft der Tscherkessen in zwölf alte Stämme, die verschiedene Dialekte oder Sprachformen sprechen:

  1. Abadzechen oder Abzachen
  2. Beslenejer
  3. Bjjedughen
  4. Hatkuajer
  5. Kabardiner (meist in Kabardino-Balkarien)
  6. Makhoscher
  7. Mamkeyher
  8. Natkhuajer
  9. Schapsugen
  10. Temirgojer auch Chemgujer genannt
  11. Ubychen und
  12. Yecerikhuajer

Die Zahl der Mitglieder schwankt zwischen mehreren Tausend (z. B. Hatkuajer) bis zu über einer Million (Kabardiner, inklusive Diaspora), je nach Größe des früheren Siedlungsgebietes. Der Dialekt der Temirgojer wurde zur Grundlage der Adygejischen Schriftsprache, der Dialekt der Kabardiner zur Grundlage der Kabardinischen Schriftsprache. Andere Dialekte wurden nicht verschriftlicht.

Nur noch sechs dieser Stämme leben zumindest teilweise im Kaukasus. Die anderen sechs - Hatkuajer, Makhoscher, Mamkeyher, Natkhuajer, Ubychen und Yecerikhuajer - sind fast vollständig in die Diaspora gegangen, und die wenigen Zurückgebliebenen schlossen sich anderen Stämmen an.

Bis Mitte des 18./Anfang 19. Jahrhunderts gab es weitere Stämme, die für diese Kriegszeiten aber zu klein waren und sich deshalb zum Schutz größeren Stämmen anschlossen: besonders die Schanejer auf der Taman-Halbinsel, die im Konflikt mit Kubankosaken so starke Verluste erlitten, dass sich die Reste 1802 den Natkhuajern anschlossen, und die Adamijer in der Region der Wendung des Kuban nach Westen, die Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Nogaier so stark dezimiert wurden, dass sich die Reste den Temirgojern anschlossen. In Quellen der Zeit werden weitere schon immer kleine Stämme erwähnt, alle im äußersten Westen: die Adaler (Inselbewohner) im Westen der Taman, die Hegaiken bei Anapa und-alle im Hochland des äußeren Westkaukasus-die Nadho und Netaho (vielleicht identisch), die Koble, die S’schchapete, die Sotochen und die Guajer und Hakutschen. Abgesehen von den letzten beiden ist aber aufgrund widersprüchlicher Quellenangaben unklar, ob sie wirklich früher selbstständig waren, oder nur Untergruppen größerer Stämme. Alle diese kleineren Stämme gingen später in die Natkhuajer, Schapsugen oder Abadzechen auf.[17] Nach Angaben zeitgenössischer Quellen (Evliya Çelebi, Suleiman Khan-Giraj, Heinrich Julius Klaproth und Johann Anton Güldenstädt) sprachen die Schanejer früher, wie auch die Ubychen, eine von den anderen tscherkessischen Dialekten stark unterschiedliche eigene Sprache. Mangels Überlieferung des Schanejischen sind keine näheren Aussagen möglich. Der Hakutschi-Dialekt hat heute nur noch einzelne Sprecher und ist kurz vor dem Verschwinden.

Zum Siedlungsgebiet der größeren Stämme im 18. Jahrhundert vgl. die Karte im Kapitel Geschichte seit dem 15. Jahrhundert.

Religion

Seit dem 5. Jahrhundert wurden Tscherkessen teilweise zum Christentum bekehrt, im Mittelalter folgten Bekehrungen durch georgische-orthodoxe, byzantinisch-orthodoxe und genuesisch-katholische (ein Erzbistum und zwei Bistümer) Missionare, die aber aufgrund der geografischen und politischen Abgeschnittenheit Tscherkessiens alle nicht von Dauer waren. Katholischen Bistümer verschwanden im 14., die orthodoxen im 15. Jahrhundert, nachdem der Kontakt zu den Mutterkirchen abriss.[18]

Statue der Narten-Heldin Satanaya[19], hier als Muse der Weisheit, in der syrisch-tscherkessischen Siedlung Beerajam.

Die Tscherkessen verehrten weiterhin Naturgötter und der christlich-pagane Mischkult wurde von einer eigenen Priesterschaft zelebriert. Die Tscherkessen pflegten einen respektvollen Umgang mit der Natur, früher wurde kein Baum ohne Beschluss des Ältestenrates (Chase) gefällt. Jede Sippe hatte ihren speziellen Baum, bei dem man sich zu Versammlungen oder wichtigen Entscheidungen traf. Naturgötter waren z. B. Schible – Gott des Donners, Tlepsch – Gott des Feuers, Soserez – Gott des Wassers, Mezischa – Gott der Wälder. Zahlreiche weitere animistische und Stammesgottheiten wurden verehrt.[20] Kulte zu ihren Ehren waren auch mit der Islamisierung nie ganz verschwunden und werden in jüngerer Zeit als Teil des empfundenen Nationalerbes teilweise wiederbelebt oder verstärkt gepflegt. Sie kommen auch im Narten-Epos neben mythologischen Heroen und historischen Tradierungen vor. Das Narten-Epos wird von mehreren nordkaukasischen Völkern zum Teil mit zwischen den Sprachversionen und Regionen differierenden Handlungen tradiert. Über die Herkunft der Grundmotive aus altkaukasischen, altiranischen oder altturksprachigen Mythologien gibt es in der Mythenforschung Debatten. Gesänge des Narten-Epos werden bis heute in traditionellen oder traditionsbewussten Kreisen vorgetragen.

Große Moschee in Maikop, der Hauptstadt von Adygeja.

Im 15. Jahrhundert wurden die kabardinischen Tscherkessen unter dem Einfluss der Krim-Tataren zum Islam bekehrt. Die Kabardiner verbreiteten ab dem 15. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert den Islam unter den tscherkessischen Stämmen und benachbarten Völkern, der christliche und animistische Kulte zurückdrängte.

Der schottische Gesandte James Stanislaus Bell, der sich von 1837 bis 1839 in Tscherkessien aufhielt, berichtete, dass damals die Bibel und der Koran gelesen wurde und auch alte Kulte verbreitet waren, wobei der Koran bevorzugt wurde.[21]

Bis auf eine kleine Minderheit der kabardinischen Tscherkessen in der Umgebung der Stadt Mosdok, die orthodoxe Christen sind, sind die meisten Tscherkessen heute sunnitische Muslime (Hanafiten). Während es in Nordostkaukasien (Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien) eine stark vom Sufismus geprägte islamische Religiosität gibt (die der Islamismus aber ablehnt und bekämpft), durch die große Mehrheiten der Bevölkerung bis heute religiös sind, ist der Anteil der Sufi-Anhänger im Nordwestkaukasus deutlich geringer. Auch durch die atheistische Erziehung der Sowjetunion sind große Minderheiten der Bevölkerung des Nordwestkaukasus, auch der Tscherkessen, heute nicht oder wenig religiös.

Ethnologie: Lebensweise im 19. Jahrhundert

Sozialordnung und Kultur

„Vornehmer Tscherkesse in gewöhnlicher Kleidung“ (Mitte), „Gewappneter Tscherkesse“ (links) und „Tscherkessische Fürstentochter“, Bild 1808

Bis ins 19./20. Jahrhundert hatten die meisten Tscherkessenstämme eine soziale Schichtung aus vier oder mehr Ständen, die untereinander heirateten.[22] Am stärksten ausgeprägt war diese Schichtung bei den Kabardinern im Osten[23], gefolgt von den nordwestlichen Stämmen am Kuban. Stämme im südwestlichen Hochgebirge – Ubychen, Abadzechen, Natkhuajer und Schapsugen – hatten diese soziale Staffelung nicht[24] und wurden in russischen Quellen auch als „freie Tscherkessen“ oder „demokratische Tscherkessen“ bezeichnet, im Gegensatz zu den „aristokratischen Tscherkessen“. Die Schapsugen und Abadzechen hatten erst im 18./19. Jahrhundert die Vorrechte des Adels beseitigt,[25] die Ubychen und Natkhuajer hatten ihn nie.

  1. Fürsten (pschi) aus einigen dynastischen Geschlechtern, die oft an einer konzentrisch gewölbten Mütze aus Samt zu erkennen waren.
  2. Ritter (work oder elsden), ein niederer Adel im Gefolge, der neben den Fürsten im Kriegsfall oft in Kettenrüstungen auftrat. Bei den Kabardinern war er noch unterteilt in eine höherstehende Gruppe tlakotle, die sich ihren Patron selbst suchen durften und der niederen Gruppe deschenugo, die auf einen Anführer festgelegt waren.
  3. Freie (zokol oder waguscheh), die große Mehrheit der Bevölkerung. Bei den Kabardinern tlofokotle, bei einigen westlichen Stämmen auch techokotle genannt. Sie unterteilten sich in verschiedene Clan-Gemeinschaften (dschamaat)
  4. Leibeigene (pschitli=„den Fürsten gehörend“), selten persönlich abhängige Sklaven (asat), die kleinste Gruppe. Sklaven waren entweder Gefangene oder gerichtlich verurteilte Tscherkessen. Die Zugehörigkeit zu den Leibeigenen war erblich. Während sie im Südwesten nicht vorkamen, im Nordwesten relativ selten waren, hatte das Fürstentum Kabarda der Kabardiner die größte Zahl und den größten leibeigenen Bevölkerungsanteil im Nordkaukasus.

Es war ungewöhnlich, dass die Tscherkessen trotz dieser mehrheitlich differenzierten Gesellschaft mit Ausnahme der Kabardiner nie Staaten mit einem Fürsten an der Spitze bildeten. Als Ursache gilt allgemein, dass die tscherkessische Tradition Adyge-Chabse (siehe nächstes Kapitel) die Anhäufung und Zurschaustellung von Reichtum als Schande betrachtete, was die Konzentration von Macht in einzelnen Händen behinderte. Wichtige Entscheidungen wurden in Versammlungen (chase) getroffen. Diese Versammlungen wurden oft außerhalb der Siedlungen an traditionellen heiligen Plätzen von einer Familie, einem Clan oder einem ganzen Stamm stehend abgehalten. Bei den demokratischen Stämmen waren es Volksversammlungen unter Vorsitz der Ältesten, bei den aristokratischen tagten die Fürsten und Ritter an verschiedenen Orten und tauschten sich über Gesandte aus, zu denen selten noch eine Versammlung der Freien trat. Die zweiten Versammlungen wurden deshalb trotz oberflächlicher Unterschiede schon in Literatur des 19. Jahrhunderts als „Kongress“ bezeichnet. 1861–64 unterhielten die letzten drei noch gegen Russland kämpfenden Stämme der Abadsechen, Schapsugen und Ubychen einen gemeinsamen Madschlis aus dauerhaft gesandten Ältesten, Militärführern und Geistlichen in der Nähe des Dorfes Sotschi, der auch eine Art Regierung bestimmte und Gesandtschaften in verschiedene Staaten schickte. Dieser Madschlis wird häufig als erstes tscherkessisches Parlament bezeichnet.

Tscherkessisches Wohnhaus, Bild 1810

Traditionelle tscherkessische Siedlungen unterschieden sich bis auf wenige Ausnahmen stark vom mittel- und ostkaukasischen Aul, bei dem die Häuser sehr dicht am Hang stehen. Typisch waren rechteckige Langhäuser aus Lehm mit Stroh gedeckt. Oft befanden sich neben dem Wohnhaus ein Gästehaus, ein Küchenhaus, eine Scheune, Stallungen und weitere Wirtschaftsgebäude auf einem Hof, der zur Verteidigung von einer Mauer, meist aber nur von einem Flechtzaun umgeben war.[26] Wehrtürme waren selten. Nach zahlreichen Berichten im 19. Jahrhundert hatten die Bewohner des niederschlagsreichen Westkaukasus eine im Gegensatz zum zentralen und östlichen Kaukasus andere Verteidigungsstrategie entwickelt. Sie blieben nicht in ihren Ortschaften, sondern zogen sich in die dicht bewaldete und zerklüftete Wildnis zurück, aus der sie die Dörfer wieder eroberten. Die Höfe standen in den Siedlungen oft weit auseinander, eine Tradition, die die Tscherkessen in der Diaspora wiederholten.[27]

Tscherkessische Ritter mit Kabardinerpferd

Wie viele Bewohner des Kaukasus und auch anderer Hochgebirge lebten die Tscherkessen traditionell halbnomadisch in Transhumanz, d. h. ein Großteil der Bevölkerung zog im Winter mit den Viehherden auf Weiden am Rand des Gebirges. Im Gegenzug trieben die Tscherkessen des nördlichen steppenartigen Hügellandes und auch benachbarte Volksgruppen ihre Herden im Hochsommer auf die Gebirgsalm. Die Schafzucht war der wichtigste Teil der Viehzucht, gefolgt von der Pferdezucht, die in der Kultur einen sehr breiten Raum einnahm.[28] Seit dem Mittelalter wurden im zentralen und westlichen Nordkaukasus Gebirgspferde gezüchtet, die als „Kabardiner[29] bezeichnet werden, weil die kabardinischen Adelsfamilien die bekanntesten Züchter waren. Rinder, Hühner, Schäferhunde und Katzen waren weitere Haustiere. Im Ackerbau dominierte Getreide, meist Weizen, auch Hirse und Linsen, danach Obst, Gemüse und Gewürze, zu dem seit dem 18. Jahrhundert die aus Amerika stammenden Kartoffeln, Tomaten, Mais und Chilis kamen. Der Weinbau spielte eine große Rolle, wie schon italienische Reisende berichteten. Der Fisch-und Kaviarfang im Schwarzen Meer und den Flüssen des Westkaukasus war auch für den Export wichtig. Ergänzend kam dazu die Jagd, die v. a. vom Adel gepflegt wurde.[30] Die Tscherkessen, wie auch die Abchasen oder Inguschen hatten eine geheime „Jägersprache“.[31]

Tracht im Circassian Heritage Center von Kfar Kama (Israel). Von links nach rechts: Blusengewand mit Umhang für Frauen, darunter die Holzsandalen, Männerkleidung, Papacha-Mütze mit Kapuzen-Baschlik und Stiefeln, Burka-Umhang.

Die traditionelle Kleidung der Tscherkessen[32] ähnelte im 16. bis 19. Jahrhundert zunehmend der Tracht anderer Bewohner Kaukasiens, die auch von den südrussischen Kosaken übernommen wurde. Männer trugen eine Tschocha (tscherkessisch: sai, russisch: tscherkesska), darunter ein Hemd (dschane), eine Papacha (paʾo) oder die Filzmütze Beschmet (schʾharchon), weiche Lederstiefel (schasma) und einen silberbeschlagenen Gürtel (tidschhin bghiripch).[33] Bei Wind oder Regen wurde darüber die kaukasische Burka (dschako-schtschaque)[34] und der Baschlik[35] getragen. Zur Verteidigung diente der Kindjal (kama), eine Schaschka und die Gazyr oder Gasiren genannten[36] Schießpulverladungen im Brustbereich. Frauen trugen ein verziertes Blusengewand (sch'i'w oder bgh'ewlh) mit falscher Hemdfront vorn und eine Pluderhose zu denen öffentlich ein Kaftan-ähnlicher Leinenumhang kam[37] und je nach festlichem Anlass und Kälte noch eine bestickte Kappe, ein tunikaähnlicher Umhang (zey)[38] sowie weitere Gewänder, z. T. mit Goldapplikationen und Schmuck, dies aber nur zu festlichen Anlässen oder bei adeligen Frauen. Gesichtsschleier waren nicht üblich. Auffällig waren verzierte hohe Holzsandalen (pch'evaqe). Diese Tracht wird heute nur noch in entlegenen Regionen, von älteren Menschen oder zu Festen getragen und war, wie erwähnt, bei vielen Völkern Kaukasiens ähnlich.

Kabardinisches Folklore-Ensemble Islamej

Der traditionelle Tanz der Tscherkessen[39] ist die Lesginka, die weitgehend dem tscherkessischen Paartanz islamej/islamij (Islamischer) entspricht. Er ist in ganz Kaukasien verbreitet und entgegen dem tscherkessischen Namen nicht nur bei muslimischen Völkern, sondern auch bei christlichen und jüdischen. Der lheperischw (leperischu) ist eine Variante, die nur von Männern getanzt wird, dazu kommt der Springtanz zighelhet. Neben diesen oft sehr akrobatisch getanzten Tänzen existieren weitere, wie der langsamere Geschlechtertanz zechwek’we (zefaqu) und der alte Ritualtanz w(u)idsch, der eine Tanzparty (zekes) beendet, mit seiner schapsugischen Variante ch’wrasche. Der sehr langsame qafe (=Tanz) war vor allem im Adel beliebt, wo er auch worq qafe (Rittertanz) genannt wurde, und wird sehr getragen getanzt.[40]

Früher gab es auch Sänger (kikwakwa[41] oder dschegwak’we),[42] die eher romantische, melancholische und heroische[43] Gesänge vortrugen, aber auch Gesänge des nordkaukasischen Narten-Epos[44], Volkslieder[45], Märchen, Witze, satirische[46] und Lobgesänge. Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Leitung von Tanzbanketten. Die Tscherkessen setzten beruhigende Musik, Rituale, motivierende Ansprachen und Unterhaltung auch zur Therapie Verwundeter ein.[47] Eine Sonderform tscherkessischer Volkslieder sind die sogenannten Istanbulako (=Weg nach Istanbul; auch Jistanbulakue)-Gesänge: Mehrstimmige Klagegesänge, die an die Flucht ins Osmanische Reich 1864 erinnern und besonders in der Diaspora die Erinnerung erhielten.[48]

Die tscherkessische Küche[49] war im Alltag der einfachen Bevölkerung oft vegetarisch: Brot, gewürzte Suppen oder Aufläufe aus Graupen, Linsen, Gemüse oder Hirse. Durch die größere Rolle der Viehzucht waren auch Fleisch und Milchprodukte häufiger. Viel der heutigen Nationalküche war im 19. Jahrhundert die Küche des Adels, an Festtagen oder besonders zur Bewirtung von Gästen. Es gibt Ähnlichkeiten zur Küche anderer nordkaukasischer Ethnien, zur georgischen Küche und zur Küche der Krimtataren. Häufig waren gekochte oder gebratene Teigtaschen, Spieße, Eierspeisen und Halwa. Bekannt ist auch im Nahen Osten der „Tscherkessenkäse“ (q´wey) aus Kuhmilch oder „Tscherkessenhuhn“ in Walnuss-Knoblauch-Paste. Übliche Getränke waren der sogenannte „Kalmücken-Tee“ (mit Butter und Pfeffer oder Chili), Kefir und die mit der Islamisierung weniger getrunkenen alkoholischen Getränke Hirse-und Maisbier (machsima oder bachsima), Bier (sira), Wein und Met.

Zum traditionellen Kunsthandwerk der Tscherkessen gehörten Schaffelle, Kleidungsstücke, Bastmatten, Sattel und Gold-, Silber-, Eisen- und Waffenschmiedearbeiten, die oft sehr hochwertig waren, weil sie neben Fisch, Holz, Getreide, Kaviar oder Wachs auch für den Export bestimmt waren. Seit der Antike bis ins 19. Jahrhundert wurden auch immer wieder gefangene Sklaven aus dem Westkaukasus verkauft.[50]

Adyge-Chabse (Tradition und Gewohnheitsrecht)

Grabstein des Fürsten Zhebaghi mit späterer Erinnerungstafel

„Adyge-Chabse“ (tscherkessische Tradition) ist bei den Tscherkessen der Inbegriff ihrer alten Lebensweise.[51] Auch die Siedlungsformen, Musik, Sozialstruktur und Küche im letzten Kapitel können als Teile des Adyge-Chabses bezeichnet werden. Es ist ein Ehrenkodex, der auf gegenseitiger Achtung und Respekt basiert und Verantwortung, Disziplin und Selbstbeherrschung voraussetzt. Es sind die Alltagsgesetze der Tscherkessen, die nie niedergeschrieben wurden, aber dennoch in der Vergangenheit ihr Alltagsleben regelten. Nach diesem Kodex und Konformitätsdruck wurden Kühnheit, Verlässlichkeit und Großzügigkeit als Eigenschaften eines Ritters betrachtet, Habgier, Drang nach angehäuftem Besitz, Reichtum und Prahlerei jedoch als Schande („Haynape“). Obwohl der Adyge-Chabse[52] im Volksmund schon den legendären Narten nachgesagt wird, wurde er auch immer wieder reformiert, z. B. von Fürst Beslan (ca. 1498–1525), einem Enkel des Gründers des Fürstentums Kabarda, Inal und Onkel seines größten Herrschers Temrjuk, von Fürst Zhebaghi (Dschebachi, ca. 1684–1750) und nochmals im Jahr 1807 durch mehrere Älteste.

Tscherkessen, Gemälde von Theodor Horschelt, 19. Jahrhundert

Alle Stationen des Lebens von Tscherkessen wurden bis ins 19./20. Jahrhundert von Traditionen des Adyge-Chabses bestimmt: Schwangerschaft, Geburt, Taufe, Erziehung, Partnerwerbung und Hochzeit, Scheidung, Krankenpflege, Tod und Beerdigung. So gab es Einschränkungen für Schwangere, nach der Geburt wurden die Kinder in kaltem Bergwasser oder Schnee gereinigt. Die Namensgebung geschah beim Fest des Neugeborenen, bei dem mehrere Rituale durchgeführt wurden, nicht durch die eigenen Eltern, sondern durch fremde Besucher. Es gab viele Erziehungsweisheiten und Wiegenlieder für Kinder. Die Taufe wurde oft noch nach der Islamisierung beibehalten, da ihre christliche Herkunft nicht mehr beachtet wurde und war seltener ein Fest für Babys, meist ein Initiationsfest ins frühe Jugendalter. Kinder von Adeligen wurden zwischen sechs und zehn Jahren von ihren leiblichen Eltern weg zu einem Ziehvater (ataliq) gegeben, der ihnen in Gruppen die kriegerische und gesellschaftliche Erziehung zukommen ließ, weshalb die Bindung an die Zieheltern und Ziehgeschwister ein Leben lang oft enger war, als zu den leiblichen Verwandten. Diese Erziehungseinrichtung (ataliqate) wird oft mit der spartanischen agoge verglichen. Braut und Bräutigam lernten sich auf Tanzpartys oder Brautschauen kennen, und man traf sich danach in Begleitung von Freunden, aber immer ohne die Eltern (Regeln des semercho-der Brautschau und des Flirts). Die Verlobung und Hochzeit wurde danach mit Zustimmung der Eltern geplant. Waren die Eltern gegen die Hochzeit, bestand die im gesamten Nordkaukasus bis ins 20. Jahrhundert streng reguliert bestehende Möglichkeit des Brautraubes, nach dem zwischen den Familien nachverhandelt werden musste. Nur selten entstanden daraus ernsthafte Fehden der Familien. Die Hochzeit war ein von sehr vielen Ritualen begleitetes zentrales Ereignis des tscherkessischen Lebens.[53] Die Scheidung war prinzipiell möglich, aber selten; ein Ehrenmord bei Ehebruch wurde gesellschaftlich nicht erwartet und kam deshalb nicht vor. Im Fall des Ehebruchs konnte die Ehe gegen Entschädigungszahlungen durch die Familien geschieden werden. Prinzipiell war die Gesellschaft monogam aufgebaut, Polygamie kam nur in der Diaspora und selten auf, und ist heute in allen Ländern nicht mehr legal. Der genuesische Reisende Giorgio Interiano berichtete im 16. Jahrhundert von einigen Ritualen rund um den Tod: eine legale Gnadentötung pflegebedürftiger Alter, eine zehntägige Wache am sitzenden Toten, eine Bestattung mit Grabbeigaben für das Jenseits und ein 40-tägiges tägliches Besuchen mit Lieblingsmahl und Lieblingspferd mit Auffordungen, gemeinsam zu essen. Diese Rituale bestanden im 18. Jahrhundert nicht mehr, die tscherkessische Erzählung kannte sie aber und bestätigte, dass sie im Adyge-Chabse abgeschafft wurden.

Tscherkessische Frau in Tracht 1855

Dem ritterlichen Männerideal stand ein Frauenideal gegenüber: großer und schlanker Wuchs und eine zurückhaltende Art, sich zu geben und zu reden. Die Figur sollte bei den Mädchen durch ein eng anliegendes Lederkorsett, welches das Brustwachstum hemmen sollte, erreicht werden.[54] Das Wachsen der Brust wurde aber als Zeichen des Erwachsenwerdens akzeptiert. Obwohl die Gesellschaft prinzipiell patriarchalisch-kriegerisch war, standen Frauen Sonderrechte zu.

Grundstein der tscherkessischen Gesellschaft ist die Eigenschaft eines „Thamades“. Nach allgemeinem Verständnis werden die „Älteren“ als „Thamade“ bezeichnet, aber nicht immer. Ein „Thamade“ ist auch derjenige, der, unabhängig von seinem Alter, innerhalb einer Hochzeitsgesellschaft oder einer anderen Veranstaltung die Verantwortung übernimmt. Voraussetzung ist, dass dieser Person die Regeln der „Chabse“ bekannt sind. Oft ist es ein Ältester, in frühere Zeiten auch oft ein Sänger. Er übernimmt auch die Leitung einer Festtafel und spricht die Trinksprüche aus. Auch in der georgischen Küche wird die Festtafel von einem Tamada geleitet.

Zum Adyge-Chabse gehörten drei Bereiche, die aus dem Rittertum stammen und deshalb gemeinsam auch „Worq Chabse“ genannt wurden. Sie strahlten aber auf andere gesellschaftliche Schichten, den Hochadel, die Freien und Leibeigenen aus und wurden gesamtgesellschaftlich: die Regeln der Blutrache, der Gastfreundschaft und des Respekts für Ältere und Frauen. Letztere waren auch verbunden mit einem ausgeprägten Ideal der Höflichkeit und Mäßigung.

Wie viele alte Gewohnheitsrechte regelte auch das Adyge-Chabse in der Vergangenheit im Fall kriegerischer Konflikte, des Mordes an Verwandten, die Frage der Verhandlungen um Entschädigung, oder welche Schritte der Blutrache möglich waren und welche zu weit gingen.[55] Die Blutrache wurde gesellschaftlich erwartet und war, weil auch die Familie des Mörders oder des aus Rache getöteten Verwandten, die Schande nicht auf sich sitzen ließ, oft der Ausgangspunkt längerer Fehden zwischen den Familien. Es gab Möglichkeiten, durch ein Verzeihen, durch Entschädigungszahlungen oder durch eine arrangierte Ehe zwischen den Familien dem Gewaltkreis zu entkommen, aber sie galten besonders für Adelsfamilien als ehrenrührig.

Die Gesellschaft galt allgemein als kriegerisch. Tscherkessen und andere Kaukasier waren in der Vergangenheit, wie die Steppennomaden für ihre Kampftaktik bekannt, nie lange in Deckungen zu bleiben, sondern sehr schnell ungeachtet der eigenen Verluste anzugreifen, weshalb sie als Elitekrieger beliebt waren. Der Wert dieser Eliteeinheiten wurde aber dadurch geschmälert, dass Feuerwaffen lange Zeit verpönt waren, nur Hieb- und Stichwaffen und Pfeil und Bogen anerkannt. Zuletzt bis ins 19. Jahrhundert noch im Ritterstand. Diese Einstellung ist auch von den Burdschi-Mamluken (siehe unten) bekannt, weshalb ihr Reich der Artillerie der Osmanen nichts entgegenzusetzen hatte. Im Ursprung waren die sehr schnellen kaukasischen Tänze auch eine unterhaltsame Übung der notwendigen Schnelligkeit und Wendigkeit. Die horizontale Grundhaltung der Oberarme geht auf die Armhaltung von Bogenschützen zurück. Als besonders ehrenhaft galt, Streitigkeiten statt in der Schlacht im Zweikampf zu entscheiden. Diese Tradition scheint sehr alt zu sein, denn schon 1022 kämpften der Kassogen-Fürst Reidade und der altrussische Fürst Mstislaw von Tmutarakan statt in der Schlacht im Zweikampf.[56] Wie die Nestorchronik berichtet, hielt sich Mstislaw nicht an die Vereinbarung und ließ seine Krieger die Kassogen angreifen. Später wurde der Außenposten der Kiewer Rus Tmutarakan aber von Kassogen zerstört.

Die Gastfreundschaft war und ist bei den Tscherkessen besonders ausgeprägt. Ein Gast war nicht nur ein Gast der Familie, sondern immer ein Gast der ganzen Ortschaft und der Sippe. Wie in weiten Teilen den Kaukasus wurde der Gast im besten Haus des Gehöfts mit den besten Vorräten bewirtet. Selbst Feinden gegenüber wurde diese Gastfreundschaft weiterhin als eine Pflicht angesehen. Wenn ein Feind das Haus betrat, wurde auch er respektvoll behandelt und bedient. Es gehörte sich auch nicht, ihn zu fragen wer er ist, woher er kommt und wohin er will. Der Kaukasiologe Adolf Dirr schrieb: „Der Gast ist wie ein Sklave des Gastgebers“, womit er meinte, dass auch der Gast die Vorschriften der „Chabse“ zu befolgen hat, z. B. durfte der Gast nicht ohne die Erlaubnis seines Gastgebers der Gast einer anderen Familie werden. In der Vergangenheit gab es eine komplizierte Hierarchie der Gäste, die aber heute kaum noch verbreitet ist.

Der Gastfreundschaft entsprach eine Höflichkeit in der tscherkessischen Gesellschaft. Jeder Tscherkesse erhebt sich, sobald jemand den Raum betritt, bietet diesem einen Platz an und redet nur, wenn er dazu aufgefordert wird. Es gab früher auch eine heute weitgehend vergessenes kompliziertes System an Grußformeln[57]. Die Anwesenheit von Älteren und Frauen verlangt Rücksicht und Respekt. In Gegenwart von Frauen werden Streitigkeiten unterbunden, bricht eine Frau in so eine Situation herein, wird der Streit sofort beendet. Auf Wunsch einer Frau versöhnen sich sogar die zerstrittenen Parteien. Frauen hatten auch die Möglichkeit, einen von der Blutrache Bedrohten in ihrem Haus zu schützen, oder durch den Wurf eines Taschentuchs zwischen zwei bewaffnet Streitende, den Streit zu unterbrechen. Speziell aus dem Rittertum stammt die Tradition des kaschen oder psetluk: eine eher idealisierte Beziehung zwischen Männern und Frauen, die manchmal mit der mittelalterlichen Minne verglichen wird.[58]

Der „Adyge-Chabse“ hatte eine kulturformende, allgegenwärtige Prägekraft. Dieser ritterliche Geist soll auch die benachbarten Völker fasziniert haben, so dass sie einen Ehrenkodex ähnlich dem tscherkessischen „Chabse“ entwickelten. Vom krimischen Hof bis zum georgischen Adel wurde die „Chabse“ als Ideal wertgeschätzt. Ihre Kinder sandten sie als Schüler in die ataliqate, damit auch sie anhand des tscherkessischen Ehren- und Pflichtenkodex erzogen würden. Sicherlich ist die tscherkessische Lebensweise nie von allen Tscherkessen praktiziert worden. Die Gesellschaft versucht aber, ihre Sitten und Traditionen am Leben zu erhalten und zu leben.

Ein weiteres Element des Adyge-Chabses ist u. a.[59] die Tradition des regelmäßigen Verschenkens der eigenen Besitztümer, die in der Ethnologie als Potlatch-System bezeichnet wird - durch die sehr freigiebige Gastfreundschaft, aber besonders im Westen auch innerhalb der Gemeinschaft, v.a. durch das Verbot, reich zu werden und den Reichtum zur Schau zu stellen.

In seinen heute noch legalen Teilen - Sklaverei und Blutrache gehören natürlich nicht dazu - hat das „Adyge-Chabse“ bis heute eine Bedeutung für die Identität der Tscherkessen. Oft meint man heute damit das Brauchtum, die Tänze und Musik, die Gastfreundschaft und Höflichkeit, also die Teile, die von der Umgebung positiv aufgenommen werden.

In der Gegenwart sind die Tscherkessen, vor allem die, die in der Diaspora leben, vom Verlust ihrer Kultur bedroht. Dabei spielt die Assimilierung eine bedeutende Rolle, deren Folge vor allem die zumeist fehlenden tscherkessischen Sprachkenntnisse der Kinder sind.

Herkunft und historische Entwicklung tscherkessischer Gruppen außerhalb und im Kaukasus

Herkunft nordwestkaukasischer (adyge-abchasischer) Sprachen

Die frühe Geschichte der Nordwestkaukasischen Sprachen in der Region ist schwer rekonstruierbar, weil sie lange Zeit keine verschriftlichten Sprachen waren und erst ab dem 17. Jahrhundert (Abchasisch, erste Versuche einer Niederschrift in den Reiseberichten von Evliya Çelebi) bzw. ab dem 18./19. Jahrhundert (Tscherkessisch, Abasinisch und Ubychisch) niedergeschrieben und erforscht wurden. Wissenschaftler sind deshalb auf Hypothesen durch den Vergleich sprachhistorischer Rekonstruktionen mit archäologischen Forschungen und den Angaben über Stammesverbände im westlichen Kaukasus in Quellen angewiesen. Die meisten Kaukasiologen gehen seit den 1960er Jahren davon aus, dass die nordwestkaukasischen Sprachen neben den nordostkaukasischen Sprachen und den südkaukasischen Sprachen zu den autochthonen Sprachfamilien gehören, die seit mindestens 5000 Jahren in Kaukasien gesprochen werden und nicht, wie man bis ins 20. Jahrhundert (einige Autoren bis heute) annahm, aus dem Süden eingewandert sind.[60]

Es ist zu beachten, dass der Prozess der Ethnogenese nie so geradlinig verläuft, wie man es sich noch im 19. Jahrhundert vorstellte. Im Verlauf der Jahrtausende wurden immer wieder verschiedene anderssprachige Gruppen assimiliert. Das gilt auch für das zerklüftete Gebiet des Großen Kaukasus, in dem sich sehr viele Sprachen sehr lange erhalten haben. Die Veränderungen waren hier nur seltener und langsamer, als unter den mobilen Reiter-Nomaden der nördlich angrenzenden Steppe.

Eine ältere Hypothese verweist auf Ähnlichkeiten zwischen den Nordwestkaukasischen Sprachen und der Hattischen Sprache, der ältesten Schriftsprache Anatoliens überhaupt (bis ca. 1500 v. Chr.), und sehen eine Verwandtschaft, die tscherkessische und abchasische Nationalverbände bis heute vertreten. Darauf und auf ähnlichen Stammesnamen aufbauend vertraten ältere Kaukasiologen (zuletzt u. a. Igor Diakonow) die Hypothese, die Anwesenheit nordwestkaukasischer Sprachen sei auf eine Einwanderung von Hattiern in den Westkaukasus zurückzuführen. Sie wird auch heute noch von einigen abchasischen Historikern und Sprachwissenschaftlern (Wladislaw Ardsinba, Wjatscheslaw Chirikba[61] und Stanislaw Lakoba) und tscherkessischen (u. a. Kadir I. Natho und Amjad M. Jaimoukha) vertreten. Tscherkessische Nationalverbände haben diese Hypothese als Ideologie übernommen, der Adler im Wappen Kabardino-Balkariens soll z.B. den Adler der Hattier symbolisieren, als deren Nachkommen sich nationale Tscherkessen und Kabardiner fühlen.[62] Dem halten führende Kaukasiologen entgegen, dass sich diese Einwanderung aus dem Süden nicht archäologisch nachweisen lässt, dass der zeitliche Abstand von über 3000 Jahren zu groß für gesicherte linguistische Aussagen ist, dass das System der grammatischen Einschübe, Vorsilben und Nachsilben im Hattischen noch zu schlecht erforscht ist und dass viele rekonstruierte nordwestkaukasische Grundworte auf einen Siedlungsraum im Hochgebirge und am Meer, also etwa der Region der heutigen Verbreitung dieser Sprachen hinweisen.[63] Es bleiben also weitere Forschungen abzuwarten, ob die nordwestkaukasischen Sprachen und Hattisch wirklich verwandt sind und ob es eine Einwanderung in den westlichen Kaukasus gab.

Eine weitere, früher anerkannte und heute wieder umstrittene Frage ist die Hypothese der Verbindungen der Westkaukasier zu den Bewohnern der nördlicheren Steppen am Schwarzen Meer von etwa 4000 v. Chr. bis 300 n. Chr. Die Kulturen im Westkaukasus dieser Zeit (vgl. nächste Kapitel) zeigen in diesem Zeitraum archäologisch starke Ähnlichkeiten zu denen in den Schwarzmeersteppen. Diese westliche Steppenregion war nach Meinung vieler Indogermanisten eventuell ab 5000 v. Chr. Sprachgebiet früher Formen der Indogermanischen Sprachen.[64] Glaubte man bis Anfang 20. Jahrhundert, dass damals auch im Westkaukasus indogermanische Sprachen gesprochen wurden, wird diese These heute allgemein verworfen und man geht davon aus, dass schon damals nordwestkaukasische Sprachen in der Region vorherrschten und es lediglich Kontakte mit den nördlichen Nachbarn gab.[65]Einige Sprachwissenschaftler versuchten, diese Kontakte auch durch eine Gruppe von Lehnworten aus dem Frühindogermanischen in den nordwestkaukasischen Sprachen nachzuweisen.[66] Auch diese Hypothese wird methodisch kritisiert, weil der große Zeitabstand ohne sprachhistorische Rekonstruktionen keine sicheren Aussagen zulässt.[67] Die Hypothese der Kontakte mit und eventuellen Aufnahme von indogermanischen Gruppen in nordwestkaukasische bleibt also, wie auch die Hypothese der Zuwanderung der nordwestkaukasischen Sprachen aus dem Süden, „hochspekulativ“ (James Patrick Mallory)[68], beide werden aber auch von Autoren vertreten[69]; die Klärung bleibt zukünftigen Forschungen überlassen.

Frühe Geschichte

Ein typisch kaukasisches Dolmen

Im späten Neolithikum (Jungsteinzeit) und der Bronzezeit existierte in Westkaukasien ca. 3100–1900 v. Chr. eine kaukasische Ausprägung der sogenannten Dolmen- oder Megalithkultur, die sich in dieser Region durch eine charakteristische geschlossene Bauweise des Dolmen mit Deckplatte und Lochöffnung auszeichnet, die oft in der Region erhalten sind. Kaukasische Dolmen waren im Gegensatz zu anderen oft mit Steinmetzarbeiten verziert. Archäologisch konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich um Grabmäler, Altäre oder andere religiöse Kultstätten handelte.

Maikop-Kultur

Etwa zur selben Zeit bestand etwas östlicher und nördlicher in Nordwestkaukasien die „Maikop-Kultur“ (ca. 3700–2500 v. Chr., benannt nach dem ältesten Fundplatz Maikop), die bereits eine starke soziale Hierarchie mit reich ausgestatteten Fürsten-Grabhügeln entwickelte.[70] Wie erwähnt, vermuten viele Forscher heute, dass bereits die Maikop-Leute zumindest teilweise frühe nordwestkaukasische Sprachen gesprochen haben könnten, obwohl ihre Kultur große Ähnlichkeit zu nördlicheren Kulturen, besonders der Jamnaja-Kultur hatte. Aus der Maikop-Kultur wurden (neben anderen Funden zwischen Mitteleuropa und der Indus-Kultur) sehr frühe Reste und Darstellungen von Rädern und Wagen und auch die ältesten Wagengräber gefunden. Zeitlich überlappte sich mit ihr die ebenfalls kaukasische, etwas nördlichere Nowotitarowskaja-Kultur[71] (3300–2700 v. Chr., zwischen Asowschem und Kaspischem Meer, nach dem ältesten Fundort Nowotitarowskaja), die der Maikop-Kultur stark ähnelt, aber eine andere Keramik und mehr Wagengräber aufwies.

Metallschmuck aus einem Grabmal der Koban-Kultur

In der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends bis zur Mitte 2. Jahrtausends v. Chr. folgte diesen drei Kulturen die Nordkaukasische Kultur[72], die materiell etwas einfacher, als die beiden Vorgängerinnen und die Nachfolgerin war.

Ihr folgte etwas später, ca. 1200 bis 400 v. Chr., die spätbronzezeitlich-eisenzeitliche Koban-Kultur, die trotz Kontakten nach Norden und Süden auch eine gewisse Eigenständigkeit mit großen, planmäßig angelegten Siedlungen mit rechteckigem Straßennetz und schwarzer Keramik zeigte. Die Koban-Kultur war, wie die westgeorgische Kolchis-Kultur ein überregionales Zentrum des Metallabbaus, der Metallverarbeitung und des Metallexports, besonders von Eisen, Kupfer, Zink, Zinn, Gold und Silber.

Antike und mittelalterliche Geschichte vortscherkessischer Gruppen bis ins 14. Jahrhundert

Statue eines Kriegers der Sindi

In historischer Zeit werden im Vorland des Westkaukasus die Stammesverbände der Maioten und Siraken erwähnt. Strabon erwähnt mehrere Teilstämme des Stammesverbandes der Maioten[73], von denen der Teilstamm der Sinder im Land Sindika, der heutigen Taman-Halbinsel,später noch häufig erwähnt wird. Die Hauptstadt Sindikas war Gorgippa, das heutige Anapa. Sindika war lange mit dem griechisch dominierten Bosporanischen Reich verbündet. Die Kultur der Sindi stand unter griechischen Einfluss; es wurden viele handwerklich hochstehende Fundstücke der Maioten, Siraken, besonders der Sindi gefunden. Während ältere und westliche Forschung oft bis heute davon ausgeht, dass es sich bei diesen sesshaften Stammesverbänden um Untergruppen der eigentlich nomadischen, iranischsprachigen Sarmaten handelte, halten es seit den 1960er und 1970er Jahren einige sowjetische bzw. russische Forscher für möglich, dass besonders die Maioten westkaukasischsprachig waren.[74]

Unzweifelhaft historische Vorläufer der Tscherkessen waren die Cercetae (Kerket(en), Kaschag(en), Kassog(en) oder ähnlich genannt) nördlich des westlichen Kaukasus von der Taman-Halbinsel bis ins Gebiet des oberen Kuban, auf deren Name wie erwähnt vielleicht der Name der Tscherkessen zurückgeht, und der Stammesverband der Zichi (Zekchia, Zygii, Sichen) südlich des Westkaukasus, etwa zwischen dem heutigen Gagra und Gelendschik.

Die Kerketen wurden erstmals von Pseudo-Skylax um 330 v. Chr. neben weiteren Stämmen in der Region beschrieben.[75] Seit dieser Zeit werden sie von antiken griechischen und römischen Quellen, z. B. Strabon[76], Pomponius Mela, Quintus Curtius Rufus, bis hin zu mittelalterlichen byzantinischen (z. B. Konstantin VII. Porphyrogennetos), armenischen, georgischen, muslimischen, russischen (Nestorchronik) und genuesischen Quellen immer wieder erwähnt und beschrieben.[77] Nach den Angaben der Quellen scheinen sich die Kerketen/Kaschagen/Kassogen aus ihrem ursprünglich kleinen Siedlungsgebiet an der Nordostküste des Schwarzen Meeres mit Hinterland schrittweise vom 5. bis 10. Jahrhundert auf ihr mittelalterliches Siedlungsgebiet von Gelendschik, der Taman-Halbinsel und der Umgebung des Asowschen Meeres im Westen bis zum Oberlauf des Kuban im Osten ausgedehnt zu haben. Dabei scheinen sie ältere Stämme der Maioten und Siraken mit den Sindi assimiliert oder verdrängt zu haben, deren Erwähnung aus historischen Quellen verschwindet.[78] Aus dem 6./7. Jahrhundert sind kurze Inschriften der Kassogen in einer runenähnlichen Schrift überliefert, die man lesen kann, weil sie den sog. Murfatlar-Runen der Proto-Bulgaren ähneln[79], die zeigen, dass die Kassogen westkaukasischsprachig waren. Eventuell wurden daraus die von tscherkessischen Adelsfamilien verwendeten Symbole ohne Lautwert gebildet.[80] Dass aus diesen eine lautlich systematische „alte tscherkessische Schrift“ gebildet wurde, ist eine sehr junge Erfindung.[81] Jaimoukha setzt die Kerketen aufgrund ihres späten Siedlungsgebietes weitgehend mit den späteren Kabardinern gleich, was allerdings viele Autoren nicht teilen.

Die Zichi 250 n. Chr. (im Nordwesten) und benachbarte Gruppen

Die Zichi wurden anfangs vor über 2000 Jahren bei Strabon[82] beschrieben. Auch sie lebten anfangs in einem kleinen Siedlungsgebiet zwischen dem heutigen Gagra und Tuapse und breiteten sich auch mit römischer-byzantinischer Hilfe im 3.–8. Jahrhundert nach Norden bis etwa Gelendschik aus, wobei die älteren Stämme der Acheaner und Tetraxiten (eine östliche Splittergruppe der Krimgoten) verdrängt oder assimiliert wurden.[83] Ab dem 10. Jahrhundert erwähnen die Quellen nördlich des Königreiches Georgien und westlich des kaukasischen Königreiches der Alanen nur noch die beiden Stammesverbände der Kerketen und Zichen. Zur Sprache der Zichi gibt es verschiedene Hypothesen. Die Mehrheit der Forscher geht davon aus, dass sie ebenfalls westkaukasischsprachig waren. Einige Forscher vermuten, dass sie frühe Formen des Ubychischen sprachen und verweisen auf die Ähnlichkeit des georgischen Namens für die Zichi (Dschigi/Dschigeti) mit dem Namen einer späteren Ubychen-Gruppe, den Dschigit/Dschiget.[84] Andere Forscher verweisen darauf, dass sie im ersten Jahrhundert plötzlich auftauchen und vermuten, dass sie aus dem Gebiet der Alanen eingewandert sein könnten und vielleicht iranischsprachig waren, bevor sie später westkaukasische Sprachen übernahmen. Sie verweisen auf die Ähnlichkeit des Namens der Zygii mit dem Namen einer hochstehenden Gruppe der Sarmatenstämme „Ja-zygii“.[85] Wieder andere Forscher sehen ebenfalls ihre Einwanderung aus dem Osten, meinen aber, dass sie ursprünglich Nordostkaukasische Sprachen gesprochen haben könnten, bevor sie nordwestkaukasische Sprachformen übernahmen.[86] Letztlich sind alle diese Hypothesen sehr spekulativ und einzelne Namensähnlichkeiten keine hinreichenden Beweise. Wie auch immer die sprachlichen Verhältnisse der Zichi waren, ist doch unstrittig, dass sie wie auch die Kerketen Vorläufer der Tscherkessen waren. So wurden noch die frühen Burdschi-Mamluken in den Quellen noch als Zichi, später als Tscherkessen bezeichnet.

Die reichen Grabbeigaben der Oberschicht der Zichi und Kerketen, besonders aber der Maioten und Siraken mit den Sindi, lassen vermuten, dass die Anhäufung von Reichtum und Macht zu dieser Zeit noch nicht so gesellschaftlich unerwünscht war, wie später bei den Tscherkessen mit ihrem Adyge-Chabse. In den Quellen werden auch oft Stammeskönige der Kerketen und Zichi, zuvor der Sindi und anderer maiotischer und sirakischer Stämme erwähnt.

Ungefähres Rückzugs- und Entstehungsgebiet der Tscherkessen (hellbraun) im Westkaukasus um 1311

Im 13. Jahrhundert wurde Kaukasien durch die Mongolenfeldzüge verwüstet, die in Nordkaukasien die Enkel Dschingis Khans, Möngke Khan und Batu Khan anführten. Das Alanen-Reich brach zusammen und die überlebenden Alanen flüchteten entweder in den höheren Kaukasus, als Jász nach Ungarn oder schlossen sich den Mongolen an. Auch südlich zuvor dominierende Königreich Georgien zerfiel in mehrere Teilreiche. Die Zerstörungen wiederholten sich Ende des 14. Jahrhunderts mit den Feldzügen Tamerlans nach Kaukasien. Durch diese Ereignisse zogen sich die übrigen Zichi und Kerketen ins Hochgebirge zurück, wo die Ethnogenese der Tscherkessen einen Abschluss fand. Die Zichi und Kerketen wurden in den Quellen nicht mehr erwähnt, sondern seit dem 15. Jahrhundert nur noch die Tscherkessen. Dem entspricht auch die Ansicht der Kaukasiologie, dass sich die tscherkessischen Dialekte, abgesehen vom Ubychischen, seit etwa dem 14./15. Jahrhundert auseinander entwickelten. Das relativ kleine Gebiet des westlichen Bergkaukasus wurde zum Ausgangsgebiet der Expansion der tscherkessischen Stämme seit dem 14./15. Jahrhundert.[87]

Tscherkessen außerhalb Tscherkessiens bis zum 18. Jahrhundert

Trotz der im Vergleich zu Nachbarregionen eigenen Sozialentwicklung der tscherkessischen Gesellschaft und anderer Nordkaukasier sind immer wieder Außenkontakte belegt, meist als Händler und Kaufleute oder als Kriegsgefangene und Sklaven. Im Vorland Nordkaukasiens verlief seit dem Mittelalter eine Handelsstraße von Osteuropa und den Handelsstädten der Krim (z. B. Kaffa oder Sudak) nach Derbent und weiter nach Persien und Indien oder China, oder auch von der Krim und der nordkaukasischen Küste nach Anatolien. Tscherkessische und vorher zichische und kerketische Händler, handelten v. a. mit Pökelfisch und -fleisch, Schaffellen und Wolle, Holz und Erzeugnissen des einheimischen Handwerks, darunter Bastmatten und Textilien oder Gold-, Silber- und Waffenschmiedearbeiten.[88]

Grabkomplex mit Moschee und Madrasa des ersten Sultans der Burdschi-Dynastie, Barquq (1382–1399) in Kairo
Al-Aschraf Qansuh al-Ghauri (1501–16), der vorletzte Sultan der Burdschi-Mamluken, zeitgenössischer Stich von Paolo Giovio

Bereits seit der Antike bis in die Neuzeit war der West- und Nordkaukasus daneben eines der Herkunftsgebiete gefangener Sklaven für den Sklavenhandel ins Mittelmeergebiet und nach Persien.[89] Einerseits als Haremsfrauen – mehrere osmanische Herrscher hatten tscherkessische Mütter –, andererseits als Militärsklaven.

In mehreren islamischen Reichen wurde die Armee und Verwaltung - beides war in traditionellen orientalischen Reichen verbunden - aus Militärsklaven gebildet (vom arabischen Mamluken, persisch gholām [90] genannt), die zu militärischen und politischen Eliten aufstiegen. In einigen Reichen stiegen sie bis zum Sultan auf, so im ägyptisch-syrischen Mamlukenreich 1252–1517, das 1279–1382 von Sultanen der Bahri-Dynastie und 1382–1517 von der Burdschi-Dynastie regiert wurde. Beide Dynastien waren im Allgemeinen keine erbliche Familiendynastien, sondern zwei Fraktionen innerhalb der Mamluken dieses Reiches. Die Bahri-Mamluken hatten ihr militärisches Ausbildungszentrum auf der Nilinsel nahe Kairo Bahr an-Nil („Meer des Nils“), die Burdschi-Mamluken dagegen in der Zitadelle von Kairo (Burdsch al-Qāhira = „Turm von Kairo“).[91] Die Bahri-Mamluken waren meist gebürtige Kumanen aus Mittelasien, die Burdschi-Mamluken werden dagegen in Quellen meist als Zichi, später Tscherkessen charakterisiert. Nach dem Tod eines der Mamluken-Sultane folgten oft blutige Nachfolgekämpfe zwischen den Fraktionen der Mamluken und auch zwischen den Kommandeuren der Fraktionen, wobei sich nur selten die Söhne durchsetzten. Oft waren die Nachfolger andere Befehlshaber der Mamluken, 1382–1517 behaupteten sich die Burdschi-Mamluken, die meist tscherkessischer Herkunft waren. Auch nach der Eroberung durch das Osmanische Reich 1517 hatten die Mamluken in der Provinz Ägypten bis 1811 eine bestimmende Rolle, waren aber zunehmend verschiedener Herkunft. Weil das Adyge-Chabse das Alleinerbe des ältesten Sohnes, in einigen Regionen auch des nächstjüngeren Bruders vorschrieb,[92] gibt es Berichte, dass sich einige jüngere Söhne verkaufen ließen, um in der Fremde Karriere zu machen. Oft war die Versklavung aber eine Folge von Kriegsgefangenschaft. Bis ins 19. Jahrhundert gab es in der ägyptischen Oberschicht neben anderen auch tscherkessische Zuwanderer, zuletzt oft keine Sklaven mehr.

Tscherkessische Geschichte seit dem 15. Jahrhundert

Siedlungsgebiet tscherkessischer Stämme (grün) 1750 mit größtenteils abhängigen oder verbündeten Abasinen, Karatschaiern, Balkaren, Osseten und Inguschen. In dunklerem grün im Osten die beiden Fürstentümer der Kabarda, im Südwesten die anderssprachigen Ubychen und im Westen der ebenfalls anderssprachige 1802 untergegangene Stamm der Schanejer.

Nach den Kriegszügen Tamerlans begann ab dem 14./15. Jahrhundert die territoriale Expansion der Stämme, die in den Quellen nunmehr als Tscherkessen oder Adygejer zusammengefasst werden. Dabei siedelten sie anfangs entlang des Westkaukasus nach Norden bis zum unteren Don, teilweise sogar auf die Krim. Seit dem 15. Jahrhundert siedelten die Kabardiner auch nach Osten in das teilweise entvölkerte nördliche Vorland des mittleren Kaukasus, wo zuvor das Reich der Alanen existiert hatte.[93] Bei dieser Ausbreitung gerieten die Tscherkessen in Konflikt mit dem islamisierten Krimkhanat, einem der Nachfolgestaaten der zerfallenen Goldenen Horde, das die nördlichen Regionen für sich beanspruchte und auch mit den dem Krimkhanat verbündeten Nogaiern. Besonders die Handelsstraße von Derbent nach Asow (Tana), eines seiner ökonomischen Lebensadern, ließ das Krimkhanat nicht von expandierenden Tscherkessen unterbrechen.[94] Vor allem im 15. und 16. Jahrhundert führten das Krimkhanat, die Nogaier und ihre Hegemonialmacht, das Osmanische Reich, das einige Festungen an der Küste von den Genuesen erobert hatte, mehrere Kriege gegen die Tscherkessen, die dadurch hinter den Kuban zurückweichen mussten.[95] Um Einfluss unter den Tscherkessen zu bekommen, griff das Krimkhanat aus politischen Gründen seit dem 15. Jahrhundert zum seltenen Mittel der Zwangsislamisierung, wobei tscherkessische Orte für zwölf Jahre besetzt wurden, Priester des christlich-paganen Mischkultes vertrieben oder getötet, Moscheen errichtet und der Islam gepredigt wurde. Seit dem 17. Jahrhundert ist diese Praxis nicht mehr überliefert, die Mehrheit der Konversionen, die noch im 18. Jahrhundert nur einen kleineren Teil der Tscherkessen erreicht hatte, war nicht erzwungen.[96]

Wappen des Fürsten der Kabarda im 18./19. Jahrhundert

Während dieser Konflikte kam es unter den Tscherkessen im 15. Jahrhundert zu Ansätzen einer politischen Zentralisierung. Mehrere Stämme sammelten sich unter der Führung des tscherkessischen Fürsten Inals des Großen (anderer tscherkessischer Beiname nef = „der Schielende“) zur erfolgreichen Abwehr des Krimkhanats und der Osmanen. Angaben über ihn stammen vorwiegend aus mündlich überlieferten tscherkessischen Erzählungen, zeitgenössische Quellen bestätigen aber seine Existenz. Nach den Angaben des katholischen Missionsbischofs Johannes de Galonifontibus (Jean de Gaillefontaine) könnte er ein Sohn[97], nach anderen Quellen ein anderer Verwandter des burdschi-mamlukischen Sultans al-Aschraf Sayf ad-Din Inal gewesen sein und bündelte erfolgreich den Widerstand gegen äußere Gegner. Als er versuchte, seine Macht zu konsolidieren, sollen viele Stämme von ihm abgefallen sein und schließlich unterlag seine Fürstenpartei im Krieg gegen ihre Gegner. Inal soll anschließend den Stamm der Kabardiner auf seiner Expansion nach Osten geführt und das einzige tscherkessische Fürstentum Kabarda (älterer deutscher Name auch „Kabardei“) begründet haben, das die Dominanz im mittleren Nordkaukasien erlangte. Durch diese Expansion entwickelten sich die Kabardiner zum größten Tscherkessenstamm. Die übrigen westlichen Tscherkessen blieben in staatenloser Gesellschaft.

Siegelring Maria Temrjukownas

Nach Inals Tod folgte eine Phase interner Konflikte um den Rang des Anführers der Kabardiner, die Anfang des 16. Jahrhunderts endeten.[98] Die Kabarda erreichte unter Inals Urenkel Temrjuk dem Großen (gest. um 1571) den Höhepunkt der Macht und beherrschte auch die Mehrheit der anderen nordkaukasischen Sprachgruppen. Der Einfluss der Kabarda reichte unter Temrjuk bis zur Mündung des Terek, diese östlichen Gebiete gingen aber später wieder verloren. Im 15.–18./19. Jahrhundert hatten die politisch uneinheitlichen Tscherkessenstämme also eine dominierende Stellung im Nordkaukasus mit Ausnahme Dagestans und des Siedlungsgebietes der Tschetschenen, und sie bildeten auch die mit Abstand größte Sprachgruppe Nordkaukasiens. Besonders die Kabarda erreichte einen Entwicklungsstand[99] und wurde zeitweilig zur politisch, wirtschaftlich und kulturell dominierenden Macht Nordkaukasiens. Gegen den Druck des Krimkhanats suchte Temrjuk Bündnisse zum Zarentum Russland, das sich seit Iwan IV. dem Schrecklichen nach der Eroberung der Khanate von Kasan und Astrachan als neue Macht im Vorland des Kaukasus etablierte. Seine Tochter Maria Temrjukowna (tscherkessischer Name eigentlich Kutschenej) war eine der Ehefrauen Iwans IV. und mehrere von Temrjuks Söhnen stellten sich mit ihrem Anhang in die Dienste Russlands und begründeten das russische Fürstenhaus Tscherkasski, dem sich bis ins 19. Jahrhundert weitere Nachkommen der Fürsten der Kabarda anschlossen. Während die Tscherkasski und Bekowitsch-Tscherkasski zu den Fürstenfamilien, damit zum Hochadel Russlands gehörten, existieren auch im niederen Adel des Fürstentums Moldau und seit 1562 auch im zahlreichen polnischen Adel einzelne Familien mit tscherkessischen Ursprüngen[100]. Obwohl sich tscherkessische Verbände gern auf sie berufen, existieren heute praktisch keine Verbindungen nach Tscherkessien, wie schon bei einigen historischen Persönlichkeiten zu deren Lebzeiten, z.B. die tscherkessische Fürstentochter und Gesellschaftsdame Charlotte Aïssé, die als Kleinkind verkauft wurde, oder Carlo de' Medici (1430–92), unehelicher Sohn Cosimo de’ Medicis und einer tscherkessischen Sklavin.

Im 17. Jahrhundert spaltete sich das Fürstentum durch Erbteilung in die westliche „Große Kabarda“ und die östliche „Kleine Kabarda“. Zur gleichen Zeit, seit dem 16. Jahrhundert, unterwarfen sich nordwestliche Stämme am Kuban dem Krimkhanat, während die übrigen ohne politische Bündnisse zu Russland, zur Krim oder den Osmanen blieben.[101]

Seit der Zeit innerrussischer Wirren, der Smuta in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ging der russische Einfluss bis zum 18. Jahrhundert in Nordkaukasien zurück, während das neue Nomadenvolk der Kalmücken im nördlichen Vorland expandierte und Russland zeitweilig von Nordkaukasien trennte. In dieser Zeit suchten zuerst die Kleine Kabarda und danach die Große Kabarda Bündnisse mit dem Krimkhanat.[102] Damals begann die Konversion der Oberschicht, der Fürsten und des Adels der Kabardiner zum Islam, während die Religion sich zur gleichen Zeit auch unter den nordwestlichen Stämmen weiter ausbreitete.[103] Einige Mitglieder der Girej-Familie, der Herrscherfamilie des Krimkhanates, die als Nachkommen Dschingis Khans respektiert wurden, erlangten im Nordkaukasus gesellschaftlichen Einfluss.

Kaukasuskrieg und Deportation

Seit dem 18. Jahrhundert expandierte das Russische Kaiserreich erneut ins nördliche Vorland des Kaukasus, nach Georgien (siehe Vertrag von Georgijewsk 1783) und ins übrige Transkaukasien. Im Gegensatz zum 16. Jahrhundert kam es diesmal aus mehreren Gründen zur zunehmenden kriegerischen Konfrontation mit der Mehrheit der Tscherkessen und überhaupt der Bewohner Nordkaukasiens und des Großen Kaukasus. Die Kampfhandlungen steigerten sich zum Kaukasuskrieg des 19. Jahrhunderts, der erst 1864 mit der Eroberung der letzten Gebiete im Großen Kaukasus endete.

Denkmal des Kaukasuskrieges in Maikop mit der bei tscherkessischen Historikern häufigen Datierung 1763–1864

Der blutige Eroberungskrieg Russlands gegen den erbitterten Widerstand der kaukasischen Völker begann für einige tscherkessische Autoren 1763, als einige Tscherkessen die russische Festung Kisljar, kurz darauf die Festung Mosdok angriffen, weil sie die Errichtung der Kaukasuslinie, die sie von ihren Winterweiden trennte, verhindern wollten, worauf Russland mit einem ersten Feldzügen nach Tscherkessien und Kabarda antwortete. Für andere Autoren begann er mit dem Friede von Küçük Kaynarca 1774, als das Krimkhanat und die beiden Kabarda-Fürstentümer zu Protektoraten Russlands wurden. Für wieder andere Autoren 1801, als Russland die Umgebung der Georgischen Heerstraße von Mosdok über Wladikawkas nach Tiflis direkt annektierte. Die meisten Autoren setzen den Beginn des Krieges aber mit dem Jahr 1817 an, als sich die Feindseligkeiten soweit steigerten, dass der russische Vizekönig Kaukasiens Alexei Jermolow die Eroberung des gesamten Kaukasus zum Kriegsziel erhob.

Scheretluko Kysbetsch Tughusique war einer der tscherkessischen Heerführer, er starb 1840 an Kriegsverletzungen. Schon sein Vater Scheretluko Said Osman hatte Ende des 18. Jahrhunderts gegen Russland gekämpft. Bild von James Stanislaus Bell.[104]

Für die Tscherkessen begannen die Kriege bereits, als sich Mitte des 18. Jahrhunderts eine Fraktion der nomadischen Nogaier vor den von Russland angesiedelten Wehrbauern, den Kosaken, in die Region südlich des Kuban zurückzog und dabei den Tscherkessenstamm der Adamijer besiegte. Die Kuban-Nogaier waren später an den Kämpfen um die Unabhängigkeit auf tscherkessischer Seite beteiligt. Bald darauf eroberten die Kubankosaken auch die Taman-Halbinsel, wobei der Stamm der Schanejer eine Niederlage erlitt. Im Friede von Küçük Kaynarca 1774 wurden auch die beiden Kabarda-Fürstentümer als Protektorate Russlands anerkannt und 1825 annektiert. Während die Kabardiner im 19. Jahrhundert im Unterschied zu den westlichen Tscherkessen nur zur Minderheit gegen Russland kämpften, gab es in den Jahren vor und nach 1774 sehr heftige Widerstände der pro-krimtatarischen Partei unter ihnen gegen Russland und die pro-russische Partei. Im 19. Jahrhundert kämpften v.a. die westlichen Tscherkessenstämme noch um ihre Unabhängigkeit, die entweder von führenden Fürsten oder gewählten Kriegsführern befehligt wurden.

Muḥammad al-Amīn, der Statthalter Schamils für den Westkaukasus.

Ab ca. 1827/29 vereinigten sich viele nordostkaukasische Völker (Tschetschenen und Bewohner Dagestans) unter Ghazi Muhammad, danach Hamsat Bek und schließlich Imam Schamil zum islamischen Aufstand gegen die Expansion Russlands und erschwerten so dem Russischen Kaiserreich die Eroberung. Imam Schamil wurde 1859 von den russischen Truppen gefangengenommen, was den tschetschenisch-dagestanischen Widerstand brach. Im Nordwestkaukasus hatte dieser sogenannte Muridenkrieg aber nur eine zeitweilige Rolle. Sie wurden von Schamils Statthalter für den Westkaukasus Muḥammad al-Amīn (Muhammad der Treue, ein Name, den ihm Schamil gab, auch Muhammad al-Daghestani genannt) befehligt. Muḥammad al-Amīn gelang es 1848–51 zeitweilig, die meisten Bschedughen, Schapsugen, und kleinere Teile der Natchuajer und Ubychen und die Mehrheit der turksprachigen Karatschaier und Balkaren hinter sich zu bringen. Sein Rivale war der vom Osmanischen Reich unterstützte Ṣaffār-bey, der ab 1845 die meisten Natchuajer und Abadsechen hinter sich hatte. Beide zeitweilig bedeutenden überregionalen Befehlshaber gerieten aber in den 1850er Jahren in die Defensive und wurden 1859 besiegt, wobei sich Muḥammad al-Amīn ergab und Ṣaffār-bey umkam[105]. Die meiste Zeit des Krieges wurden die tscherkessischen Stämme aber von Kriegsführern angeführt, die von Schamil oder vom Osmanischen Reich unabhängig waren.

Nach Schamils Kapitulation konnte die russische Armee ihre vereinigten Kräfte auf die im Nordwestkaukasus beheimateten Tscherkessen (einschließlich Abchasen) richten. Seit 1861 wurde der Widerstand der letzten drei noch gegen Russland kämpfenden Stämme der Abadsechen, Schapsugen und Ubychen und einiger Abasinen vom erwähnten gemeinsamen Madschlis, der an der Stelle des heutigen Sotschi tagte, koordiniert. Sotschi wird deshalb von einigen Tscherkessen als letzte Hauptstadt bezeichnet, damals aber ein Dorf, in dessen Nähe der Madschlis tagte. Die letzten, vernichtenden Gefechte wurden oberhalb von Sotschi beim heutigen Krasnaja Poljana ausgetragen. Der 21. Mai 1864 gilt offiziell als Ende der Kriege, als eine erste Siegesparade auf der Lichtung des heutigen Krasnaja Poljana abgehalten wurde. Die Kämpfe der letzten Jahre waren ein blutiger Höhepunkt des Kaukasuskrieges. Der – insbesondere von vielen Tscherkessen als solcher angesehene – Genozid an ihrem Volk findet hier heute kaum Würdigung oder Gedenken.[106]

Kaukasische Flüchtlinge. Künstlerische Darstellung.

Nach dem Krieg wurden die Tscherkessen aus ihrer Heimat vertrieben oder an den Kuban umgesiedelt. Etwa 500.000 bis 1.000.000 Tscherkessen, Abchasen und andere Kaukasier wurden über das Schwarze Meer ins Osmanische Reich zwangsverschifft, sogenannte Muhadschire. Dabei kamen nach Schätzungen über 100.000 Vertriebene um.[107] Die zurückgebliebenen fast 100.000 westlichen Tscherkessen und Abasinen wurden in festgelegte Ansiedlungsgebiete am Kuban außerhalb des Gebirges umgesiedelt.[108] Im übrigen Westkaukasus wurden Siedler zugelassen, nur zwischen Sotschi und Tuapse konnten sich ab 1878 einige schapsugische Dörfer etablieren.

Während einige ältere russische Literatur diese Ereignisse beschönigend als Umsiedlung und Aussiedlung charakterisiert, bezeichneten zuerst tscherkessische Verbände die Kampfhandlungen am Ende des Krieges und die Deportation als Genozid, der Streit zwischen beiden Standpunkten hat manchmal politische Züge. In den letzten Jahren beschäftigt sich auch die akademische Genozidforschung damit, die aber noch zu verschiedenen Ergebnissen kommt, wobei doch zunehmend in einigen Maßnahmen genozidale Züge gesehen werden (siehe dazu Kaukasuskrieg (1817–1864)).

Es wird vermutet, dass sich eine gesamttscherkessische Identität über die Stammesgrenzen hinaus erst während des langen Krieges bildete oder zumindest verstärkte, jedenfalls in der Oberschicht. So wurde z.B. die tscherkessische Flagge von einem tscherkessischen Bekannten James Stanislaus Bells anfangs noch mit sieben Sternen für Adelsgeschlechter entworfen und derart international rezipiert gelegentlich vom Madschlis nun mit zwölf Sternen verwendet und endgültig 1992 als Nationalflagge festgelegt.

Auch die Islamisierung wurde durch den langen Krieg wohl verstärkt. Während Mitte des 18. Jahrhunderts noch weniger als die Hälfte der Tscherkessen keine Muslime waren, bekannten sich 1864 fast alle bis auf die erwähnte kleine Gruppe bei Mosdok zum Islam.

Geschichte 1864 bis ca. 1922

Osmanisches Reich

Tscherkessen (grün) und Abchasen und Abasinen (rot) in der heutigen Türkei.
Tscherkessen im Osmanischen Reich zwischen 1880 und 1900. Die Person vorn in der Mitte nach Kleidung und Orden wahrscheinlich ein osmanischer Beamter. Foto der osmanischen Hoffotografen Abdullah Frères.

Der Vertrag zwischen dem Russischen und Osmanischen Reich 1860 über die Ansiedlung der kaukasischen Flüchtlinge sah vor, sie in einem Siedlungsgebiet abseits der osmanisch-russischen Grenze von Samsun aus südlich bis Zentralanatolien anzusiedeln. Die osmanischen Behörden hatten aber wenig Interesse, die als kriegerisch bekannte Bevölkerungsgruppe vollkommen zu konzentrierten, sondern sie auch als irreguläre Hilfstruppen der Grenzsicherung und als Gegengewicht gegen die zunehmend national unruhig werdenden christlichen Untertanen und rebellische kurdische und arabische Stämme einzusetzen.[109]

Ethnographische Karte des europäischen Teils des Osmanischen Reiches und autonomer Gebiete 1877 von dem österreichisch-ungarischen Konsul Carl Sax. Tscherkessen, Abchasen u.a. Kaukasier sind die violett karierten Schraffuren.

Die Ansiedlungen geschahen teilweise auch gegen den Willen der kaukasischen Muhadschire selbst. So beschreibt Özbek aus den Erzählungen der Kosovo-Tscherkessen, dass ein Teil der Flüchtlinge von Samsun nach Istanbul und davon ein Teil nach Saloniki weitergeleitet wurde, in dessen Hinterland sie freies Ackerland vorfanden und beabsichtigten, sich anzusiedeln, während die osmanische Verwaltung sie nördlich in der Nähe der Grenze zu den formal autonomen Fürstentümern Rumänien und Serbien haben wollte. Nach Niederschlagung eines Aufstands durch die osmanische Armee wurden sie mit der neuen Eisenbahn Saloniki-Prischtina in ihre späteren Siedlungsgebiete transportiert.[110] Somit wurden neben dem Hauptansiedlungsgebiet südlich von Samsun weitere Dörfer auf der Balkanhalbinsel und in Ostanatolien gebildet.

In den ersten Jahrzehnten waren die Muhadschire schlecht integriert, ihre landwirtschaftlichen Kenntnisse aus dem Kaukasus nutzten in der neuen Umgebung oft wenig, weshalb es immer wieder zu Landkonflikten und anderen Auseinandersetzungen mit der umgebenden Bevölkerung kam.[111] Diese Konflikte gaben den Großmächten, die sich als Schutzmächte der osmanischen Christen betrachteten, Anlässe zu Interventionen im Osmanischen Reich. Nach dem Russisch-Osmanischen Krieg 1877/78 und dem Berliner Kongress folgte deshalb eine weitere Flucht- und Umsiedlungswelle von der Balkanhalbinsel, besonders aus den nun rumänischen Küstengebieten, dem neuen autonomen Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien[112]. Nur im Kosovo, den nun südserbischen Gebieten und dem europäischen Teil der Türkei blieben einige tscherkessische Dörfer erhalten. Ein Teil der tscherkessischen u.a. Dörfer in Westanatolien und nahezu alle in Syrien, Jordanien und Palästina wurden erst ab 1878 gebildet.[113]

Die hierarchische Gesellschaft einiger Stämme, deren Zerfall bereits im Kaukasuskrieg durch wirtschaftliche Rezessionen, einen erfolgreichen Bürgerkrieg 1770–90 unter den Abadsechen zur Beseitigung des Adels und seiner unblutigen Absetzung Anfang des 19. Jahrhunderts unter den Schapsugen begonnen hatte, konnte in der Diaspora-Gesellschaft nicht aufrecht erhalten werden. Viele verarmte Adelige versuchten, durch die Freikaufsummen ihrer Leibeigenen und Sklaven, die sie ohne Landbesitz nicht mehr brauchten, aufzusteigen. Es kam auch zu blutigen Kämpfen der zweiten Gruppe gegen den Adel, in die 1876/77 nahe Istanbul sogar die osmanische Armee eingreifen musste.[114]

Çerkez Ethem (stehend, mit Pelzkragen) und Atatürk (mit weißem Umhang) mit Ethems tscherkessischen Männern der Kuvayı Milliye im Juni 1920.

Bereits in osmanischer Zeit begann die Integration der Tscherkessen und übrigen Kaukasier in die Gesellschaft. Für die Größe der Minderheit überproportional viele waren bereits in den Balkankriegen, im Ersten Weltkrieg und im Türkischen Befreiungskrieg in höhere Offiziersränge der osmanischen Armee und der folgenden türkischen Armee aufgestiegen, besonders in irregulären Truppen und in Kavallerieeinheiten. Bekanntestes Beispiel ist Çerkez Ethem (Ethem der Tscherkesse), der im Türkischen Befreiungskrieg Hilfsmilizen Atatürks befehligte, sich später aber mit ihm überwarf und im Exil starb. Ein anderes Beispiel des Aufstiegs im Rahmen traditioneller dynastischer Beziehungen war die ägyptische Königin Melek Tourhan (1869–1956), die Ehefrau Hussein Kamils aus tscherkessischem Adel.

Russisches Reich

Im Russischen Reich wurde die vorgefundene Sklaverei bei den Tscherkessen am 31. Juli 1864 verboten[115], Leibeigenschaft war seit 1861 im Reich abgeschafft. Die Ansiedlungsbeschränkungen für alle Nordkaukasier galten noch bis zur Revolution 1905.

Offiziere der Wilden Division am 31. August 1917 zur Zeit des Kornilow-Putsches mit Muhammad-Zahir Schamil, einem Enkel Imam Schamils (vorn in der Mitte).

Vom 19. Jahrhundert bis zur Wehrreform 1916 galten alle Nordkaukasier, wie auch Mittelasiaten und Steppennomaden als inarodzy (d.h. etwa „nicht zum (Staats-)Volk gehörend“). Im Gegensatz zu den narodzy (meist christliche Völker, aber auch z.B. Tataren und Aserbaidschaner) waren die inarodzy von der Wehrpflicht befreit, trugen aber eine etwas höhere Steuerlast.[116] Ein freiwilliger Eintritt in die russische Armee war aber möglich. Deshalb existierte seit dem 19. Jahrhundert eine kabardinische Freiwilligendivision, die Kabardiner hatten eine längere Tradition des Lebens in Russland hinter sich. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde um sie herum die „Kaukasische Eingeborenen-Kavalleriedivision“, die in Anspielung auf ihre wenig disziplinierte, aber aggressive Kampfweise bald allgemein Wilde Division genannt wurde. Neben Kabardinern gehörten ihr v.a. Inguschen, Dagestaner, Aserbaidschaner, Tschetschenen und Westtscherkessen, aber auch einige Osseten, Karatschaier, Balkaren, Abchasen und Georgier an. Sie wurde vorwiegend an der Front gegen Österreich-Ungarn in den Karpaten eingesetzt. Sie war eine der letzten Einheiten, die nach der Februarrevolution 1917 noch an der russischen Westfront blieb. Als deren Oberbefehlshaber Kornilow sie aber in Sankt Petersburg gegen die Revolution einsetzten wollte, war ein Hauptgrund des Scheiterns dieses „Kornilow-Putsches“, dass sich große Teile der Wilden Division weigerten, politisch einsetzen zu lassen und viele auf eigene Faust in den Kaukasus zurückkehrten. Die Verhaftung einer anderen Einheit der Wilden Division durch die Bakuer Kommune war einer der Auslöser für die dortigen Märzkämpfe oder Märzmassaker.

Die Regierung der Bergrepublik, darunter 3. von rechts stehend Pschemacho Kozew.

Während des sich anbahnenden Russischen Bürgerkrieges bildete sich im Nordkaukasus die autonome Bergrepublik, die sich vom Mai 1917 bis Februar/März 1919 halten konnte und sich im Dezember 1918 unabhängig erklärte. Sie bildete sich aus einem Zusammenschluss spontan gebildeten Nationalräte der Völker Nordkaukasiens von den Abchasen im Westen bis nach Dagestan im Osten, darunter auch dem kabardinischen Nationalrat. Die Regierung bestand aus den Vorsitzenden dieser Räte und einigen Adeligen und Sufischeichs, für die Kabardiner der Jurist Fürst Pschemacho Kozew, seit Dezember 1918 der zweite und letzte Ministerpräsident. Die Westtscherkessen waren dagegen schon bald nicht mehr an der Bergrepublik beteiligt.[117] Viele von ihnen verbündeten sich mit der autonomen Rada der Kubankosaken. Die Bergrepublik wurde letztlich von der Weißen Armee unter Denikin zerschlagen, die etwas länger bestehende „Republik Ter-Dagestan“ und das spätere „Imamat Kaukasus“ waren auf den Nordostkaukasus beschränkt und Tscherkessen beteiligten sich nicht. Ihr Gebiet blieb aber Kampfgebiet zwischen den „Weißen“ und „Roten“ Truppen, bis sich die Roten, d.h. die Bolschewiki Anfang 1920 durchsetzten.[118] Die Zeit des Bürgerkrieges war die einzige Periode vor 1992, in der es zu einer begrenzten Rückwanderung aus dem ebenfalls zerfallenden Osmanischen Reich kam.

Geschichte ca. 1922 bis ca. 1992

Sowjetunion

Die Gründer des Marxismus’ sahen nationale Bewegungen noch als bürgerliche Ablenkungsmanöver von den eigentlichen sozialen Fragen, doch bereits Lenin hatte vor dem Ersten Weltkrieg unterdrückte nationale Minderheiten den Arbeitern ideologisch gleichgestellt. In der Phase der Revolution und des Bürgerkrieges waren die Bolschewiki mit vielen nationalen Autonomie-und Unabhängigkeitsbewegungen konfrontiert (die Bergrepublik war ein weniger bedeutendes Beispiel), die ihnen zeigte, dass die alte Perspektive die Realität nur unzureichend erklärt. Außerdem versuchten sie 1917 nationale Bewegungen auf ihre Seite im sich anbahnenden Bürgerkrieg gegen die Weißen zu ziehen, was ihnen nur bei einer Minderheit, meist den sozialistisch eingestellten Flügeln der Bewegungen gelang. Dazu veröffentlichten sie schon im November 1917 das „Dekret über die Rechte der Völker Russlands“, dem im Dezember mehrere Aufrufe an nationale Minderheiten und Völker in Russland und südlichen Nachbarländern folgten. Nach ihrem Sieg im sehr grausamen Russischen Bürgerkrieg beabsichtigten die Bolschewiki, ihre Versprechen einzulösen. Über die administrative Beantwortung der nationalen Frage kam es in den letzten Lebensmonaten Lenins zu einem Konflikt zwischen ihm und dem führenden Nationalitätenpolitiker (bis 1923 offiziell Nationalitätenkommissar) Stalin bei Beteiligung Lenins an einem Streit Stalins mit den georgischen Bolschewiki Pilipi Macharadse und Budu Mdiwani, die in Georgien relativ liberal regierten, der schließlich zu Lenins bekanntem politischen Testament gegen Stalin führte. Während Lenin eine „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Europas und Asiens“ mit Austrittsrecht anstrebte, weil er glaubte, sozialistisch entfaltete Völker hätten keine Konflikte, wollte Stalin, der Nationalbewegungen und Nationalismen misstraute, nur eine Russische Föderative Republik mit höchstens autonomen Republiken ohne Austrittsrecht. Ergebnis des Machtkampfes war schließlich die Gründung der UdSSR am 30. Dezember 1923 und ein kompliziertes Mischsystem aus konstitutiven Unionsrepubliken (SSR) mit formalem Austrittsrecht, ihnen untergeordneten Autonomen Republiken (ASSR) ohne Austrittsrecht, Autonomen Oblasten oder Autonomen Gebieten (AO), die den Provinzen unterstanden und als kleinste Form der Autonomie Nationale Kreise (NO, deutsch auch NK).[119]

Die Berg-ASSR mit ihren Stadtkreisen und Nationalen Kreisen, darunter in blau auch der Kabardinische Nationale Kreis.

Der Nordkaukasus wurde der größten, der russischen Unionsrepublik RSFSR zugeordnet, die territorial dem heutigen Russland entspricht. Hier wurden anfangs neben der Dagestanischen ASSR auch die Berg-ASSR (Januar 1921–November 1924) als untergeordnete Autonome Republiken gegründet. Die Grenzen der Berg-ASSR richteten sich anfangs noch nach denen der vorherigen Bergrepublik ohne Dagestan und ohne das schon von der Bergrepublik am Ende nicht mehr beanspruchte Abchasien. Intern bestand sie aus den Stadtkreisen Wladikawkas und Grosny und sieben Nationalen Kreisen für die Karatschaier, Kabardiner, Balkaren, Nordosseten, Sunscha-Kosaken, Inguschen und Tschetschenen. Nur als Provisorium gedacht, wurde zuerst im September 1921 der Kabardinische Nationalkreis als Autonome Oblast ausgegliedert, die im Januar 1922 mit dem nun ebenfalls ausgegliederten Balkarischen NK zur Kabardino-Balkarischen AO mit der Hauptstadt Naltschik vereinigt wurde, die 1936 zur Kabardino-Balkarischen ASSR erhoben wurde.

Karte Kaukasiens 1957 mit der ASSR Kabardino-Balkarien und den AO Karatschai-Tscherkessien und Adygeja.

Westlich wurden zwei weitere AO für die Westtscherkessen am Kuban eingerichtet: die Tscherkessische Autonome Oblast mit der Hauptstadt Tscherkessk, die zur Region Stawropol gehörte und die Adygeische Autonome Oblast mit der Hauptstadt Maikop in der Region Krasnodar. Im Januar 1922 wurde die Tscherkessische AO mit der Karatschaischen AO zur Karatschai-Tscherkessischen AO vereinigt, aber im April 1926 wurden beide Teile wieder getrennt, der tscherkessische Teil war bis zum April 1928 ein NK, danach eine AO. Im Januar 1957 wurden sie erneut zur Karatschai-Tscherkessischen AO vereinigt. Eine zeitweilige vierte Autonomie, ebenfalls innerhalb der RSFSR, war der 1924–1945 in der Nähe von Tuapse bestehende Schapsugische Nationale Rayon[120]. Dem entsprechend wurden die Tscherkessen in die offiziell so bezeichneten und gezählten Titularnationen der „Adygejer“, „Kabardiner“, „Tscherkessen“ und „Schapsugen“ aufgeteilt.

Tscherkessische Nationalverbände werfen heute der sowjetischen Nationalpolitik vor, eine Teilungspolitik der Tscherkessen betrieben zu haben. Der Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen, weil so eine Politik im gesamtsowjetischen Vergleich ungewöhnlich war, höchstens noch bei den ähnlich sprechenden Turkvölkern vorkam, wobei auch hier fast immer historisch verankerte Verbandsgrenzen genommen wurden, die die Adygejer und Tscherkessen aber nicht waren. Eine Grenze zwischen Adygeja und Tscherkessien wurde vermieden, obwohl die Siedlungsgebiete diese Grenzziehung entlang dem Kuban um Armawir erlauben würden.[121] Auch wurden in dem Gebiet zwischen den Titularnationen der Kabardiner und Tscherkessen nichttscherkessische Karatschaier angesiedelt, was auch hier eine Zusammenlegung unmöglich macht.[122] Genaue Auswertungen sowjetischer Akten, ob man da den Tscherkessen aufgrund ihres langen Widerstandes misstraute, oder andere Gründe hatte, liegen aber noch nicht vor.

Separate Identitäten der Titularnationen bildeten sich in sowjetischer Zeit aber nur begrenzt, am ehesten bei den Kabardinern, die eine andere Geschichte hatten. Die Zugehörigkeit zur Titularnation wurde eher im offiziellen Zusammenhang verwendet, ein Bewusstsein von Gemeinsamkeiten blieb im Hintergrund erhalten. Das System war auch nicht gut dazu geeignet, denn natürlich wussten alle Tscherkessen, dass es sich bei den nun für zwei verschiedene Gruppen zu verwendenden Namen „Adygejer“ und „Tscherkessen“ um die Fremdbezeichnung und Selbstbezeichnung derselben Gruppe handelte. Auch dass es Angehörige des Stammes der Kabardiner gab, die aber nicht zur Titularnation der „Kabardiner“ zählten, sondern zu den „Adygejern“ oder „Tscherkessen“, oder Schapsugen, die nicht zur gleichnamigen Titularnation, sondern zu den „Adygejern“ zählten, förderte die Trennung nicht. Schließlich führte auch die Regelung, dass die „Kabardiner“ und „Tscherkessen“ die Kabardinische Schriftsprache zu verwenden hatten, die „Adygejer“ und „Schapsugen“ dagegen die Adygeische Schriftsprache dazu, dass ein Bewusstsein von Gemeinsamkeiten nicht verschwand.

Territorium der Adygeischen AO 1922–36 (gelb) und Erweiterungen 1936 (dunkleres gelb), 1940 (grau) und 1962 (rötlich).

Während der Schapsugische Nationale Rajon in Küstennähe 1945 aufgehoben wurde, erweiterte man in sowjetischer Zeit das Territorium der Adygeischen AO schrittweise 1936, 1940 und 1962. Dadurch wurden einige landschaftlich und touristisch interessante Gebiete im Süden angegliedert, andererseits aber der russisch-ukrainische Bevölkerungsanteil von knapp 50 % auf über 60 % heraufgesetzt.

Die Zeit der Sowjetunion war, wie im gesamten Staatsgebiet, im Westkaukasus besonders in den ersten vierzig Jahren eine Ära grundlegender sozialer Umwältungen und Modernisierungen. Schon sehr früh ging die sowjetische Verwaltung gegen die Tradition der Blutrache vor, die sie anfangs mit Hilfe der Ältesten beendete[123], später neben dem Besitz von Waffen verboten wurde und die deshalb heute aus dem Alltag praktisch verschwunden ist. Auch schon sehr früh, seit den 1920er Jahren wurde beginnend mit der Gottlosenbewegung der Einfluss von Religionen, egal welchen, bekämpft und durch Erziehung zum Atheismus entstand und wuchs ein religionsloser Bevölkerungsanteil. Auch die Privilegien des tscherkessischen Adels und ihr größerer Landbesitz wurde schon in der Anfangszeit der Sowjetunion beseitigt.

Grundlegende Veränderungen gingen auch mit der frühsowjetischen Politik der Korenisazija (=„Einwurzelung“ von russ. koren=„Wurzel“) einher, mit der die nationalen Minderheiten gefördert werden sollte. Zur Korenisazija gehörte[124] neben der erwähnten Bildung von SSRs, ASSRs, AOs und NKs der Versuch, eine dem regionalen Bevölkerungsanteil der Minderheiten entsprechenden Anteil in der Arbeiterschaft, unter KP-Mitgliedern, in der Staatsverwaltung und im Bildungswesen durch Quotenregelung herzustellen, die Schaffung neuer Nationalsprachen meist in lateinischer Schrift (wobei auch existierende Schriftsprachen in arabischer Schrift, mongolischen Schriften und hebräischer Schrift durch die lateinische Schrift ersetzt wurden), die Festlegung von Nationalkulturen und Nationalhistorien und schließlich die Einführung der Schulpflicht und die schnelle Alphabetisierung der gesamten Bevölkerung, wobei möglichst jeder in seiner Muttersprache unterrichtet werden sollte („Sozialismus in 100 Sprachen“). In Baku legten Linguisten innerhalb der verschiedenen Sprachen der Sowjetunion geeignete Dialekte als Grundlage der Schriftsprachen fest, legten lateinische Schriftzeichen für die Vokale und Konsonanten fest und verfassten Wörterbücher, Grammatiken, Schulbücher und Beispieltexte. Beim Tscherkessischen ergaben sich dabei, wie bei allen nordwestkaukasischen Sprachen, die Probleme eines besonderen Reichtums an Konsonanten (je nach Sprache und Dialekt fast 50 bis über 80 konsonantische Laute) bei relativer Armut an Vokalen und besonders, dass hier viele Laute in verschiedenen Wortpositionen und Beugungen verändert werden.[125] Nach einer experimentalen Phase mit Zusatzbuchstaben in arabischer Schrift bis 1927 einigte man sich auf die Bildung lateinschriftlicher Zusatzbuchstaben und eine weitgehend systematische Schreibung, die nicht immer der konkreten Aussprache entspricht. Die Schulpflicht nicht nur für Kinder in Grundschulen, sondern auch Erwachsene in Abendschulen wurde 1930 eingeführt. Man hatte das Ziel, bis 1940 die gesamte Bevölkerung zu alphabetisieren, was aber offiziell bis 1958, faktisch erst bis in die 1960er Jahre gelang. Komplizierter war die folgende Bildung eines Mittelschul-, Berufsschul-, Oberschul- und Hochschulsystems in den verschiedenen Sprachen. Durch die Korenisazija wurde Tscherkessisch in den beiden Formen Adygejisch und Kabardinisch zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt zur etablierten Schriftsprache. Diesen Maßnahmen folgte die Niederschrift und zum Teil Konstruktion von Nationalhistorien und Nationalkulturen, die als weiterer Teil der „Nationsbildung“ positiv bewertet und so auch in Schulen gelehrt wurden. So wurde in der Zeit der Korenisazija die tscherkessische Variante des Narten-Epos, alte mündliche Geschichtserzählungen und auch Märchen, sowie die Bestimmungen des Adyge-Chabse erstmals auch auf Tscherkessisch niedergeschrieben. Ironischerweise kamen die Bolschewiki, die selbst auf nationale Zugehörigkeit wenig Wert legten, mit dieser Politik den Nationalidentitäten in Sprachgrenzen (die sie zeittypisch nicht hinterfragten) nicht nur entgegen, sie förderten und festigten sie bewusst. In einigen Regionen Mittelasiens und Dagestans, in denen man vorher in Grenzen des Stammes, der Herkunftsregion oder der Religionsgemeinschaft dachte, wurden die Identitäten faktisch erst erfunden. Bei den Tscherkessen hatte vor der Korenisazija wohl nur die Oberschicht eine gesamttscherkessische Identität entwickelt, Teile der einfachen Bevölkerung dachte noch eher in Stammesgrenzen.

Die Phase der Korenisazija, die in ähnlicher Form in der gesamten Sowjetunion durchgeführt wurde, wurde zunehmend von Repressionen Stalins gegen eingebildete oder tatsächliche nationalistische Abweichler in der Kommunistischen Partei begleitet, die sich allmählich über die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft mit folgender gewaltsamer Entkulakisierung bis hin zur Großen Terror-Säuberung Ende der 1930er Jahre steigerten. In dieser Phase der Stalinherrschaft konnte schon der Verdacht abweichender Meinungen das Todesurteil sein. Während die Zwangskollektivierung in den kaukasischen Gebieten langsamer durchgeführt wurde als in den fruchtbaren Gebieten der Ukraine, an der mittleren Wolga und noch in den benachbarten russisch-ukrainisch besiedelten Regionen des Nordwestkaukasus und somit weniger Hungertote forderte, waren die nationalen Minderheitengebiete von den folgenden Säuberungen wegen des Misstrauens gegen Nationalisten besonders stark betroffen. Parallel zu diesen Ereignissen wurde auch die Korenisazija 1932–38 schrittweise beendet.[126] Ein Zuzug russischer Facharbeiter und Funktionäre in die Minderheitengebiete wurde wieder gefördert, die Quoten für Minderheiten aufgehoben und die Bedeutung des Russischen in der Schulausbildung deutlich angehoben. Ergebnis war, dass am Ende der Sowjetunion bis auf wenige Restgebiete (Südtschetschenien, Osttadschikistan) praktisch die gesamte Bevölkerung auch fließend russischsprachig war. Besonders auffällig war die Ersetzung lateinischer Alphabete für Minderheitensprachen durch neue kyrillische Alphabete 1937/38, so auch für Adygejisch und Kabardinisch. Daneben trat eine Propagierung der „Völkerfreundschaft“ und seit dem Zweiten Weltkrieg auch des „Sowjetvolkes“. Auch wurden Widerstände gegen die russische Expansion im 19. Jahrhundert nun nicht mehr als „antikolonialer Freiheitskampf“ sondern als „anachronistischer Widerstand gegen den Fortschritt“ bewertet. Trotzdem wurden nicht alle Elemente der Korenisazija-Politik beseitigt. Ein Recht auf die Pflege der Nationalsprachen, Nationalliteraturen[127] und Nationalkulturen blieb erhalten, beispielsweise wurden die Kaukasustänze durch professionelle Tänzer und Komponisten weiterentwickelt. Auch die Schulbildung in den Minderheitensprachen blieb erhalten, wenn auch bei weniger bedeutenden Sprachen manchmal auf die Grundschule reduziert. Diese Reste ohne die Möglichkeit politischer Abweichung wurden unter dem Slogan „Kulturautonomie“ zusammengefasst, zu deren Charakterisierung es in der Sowjetunion den Witz gab: „Kulturautonomie ist das Recht, den Willen des Kreml auch in der eigenen Sprache zu sagen.“ Aber auch mit diesem Rest hatte die UdSSR eine weiter entwickelte Minderheitenpolitik, als die meisten Nachbarstaaten.

Wehrmachtssoldaten in den brennenden Ölfeldern von Maikop.
Sowjetische Soldaten im Nordkaukasus. Nach Baustil des Wirtschaftsgebäudes im Hintergrund wahrscheinlich in einem tscherkessischen Dorf.

Nach dem Überfall NS-Deutschlands auf die Sowjetunion wurden auch die tscherkessischen Siedlungsgebiete zeitweilig in die Kampfhandlungen einbezogen. Im Unternehmen Edelweiß im Juni bis August 1942 eroberte die Wehrmacht den westlichen und mittleren Nordkaukasus mit dem Ziel, die Ölfelder von Baku zu besetzen. Die Offensive blieb aber unter heftigen Kampfhandlungen wenig überraschend im Großen Kaukasus stecken, während ein anderer Teil der Heeresgruppe Süd in der Schlacht von Stalingrad eingeschlossen wurde. Im Januar/Februar 1943 wurden die Eroberungen durch die Nordkaukasische Operation der sowjetischen Armee vollständig rückgängig gemacht. Obwohl die Wehrmacht eine sehr intensive Propaganda unter nationalen Minderheiten, besonders baltischen Völkern, Ukrainern, Kosaken, Steppenvölkern und kaukasischen Völkern („Kaukasuspropaganda“) entfaltete, um den Zusammenhalt der Sowjetunion zu schwächen, hatten sie damit entgegen eigenen propagandistischen Behauptungen, die das Misstrauen Stalins verstärkten, nur begrenzten Erfolg. Auch im Nordkaukasus hatten viele verstanden, mit der Unterstützung der Deutschen eine Gewaltherrschaft gegen eine andere zu unterstützen. Einige Dorfsowjets versuchten, unter deutscher Herrschaft weiterzuarbeiten. Anfang 1943 bildeten sich einige regionale Aufstände gegen den Einmarsch der Sowjetarmee bei den südlich benachbarten Karatschaiern und Balkaren. Obwohl diese sehr begrenzt waren und offenbar nicht direkt auf deutsche Initiative, sondern eher als spontaner Widerstand gegen die Reetablierung des stalinistischen Systems entstanden, wurden sie von der sowjetischen Führung als Kollaboration gewertet und 1943 alle Karatschaier, 1944 alle Balkaren nach Mittelasien deportiert, wehrpflichtige Männer in sibirische Gulags. Diese kompletten ethnischen Strafdeportationen betrafen am Ende des Weltkrieges auch die Krimtataren, Tschetschenen, Inguschen und Kalmücken, obwohl in allen Fällen die Zahl der Kollaborateure geringer war, als die der Sowjetsoldaten oder Partisanen, die tscherkessischen Gruppen entgingen dem Schicksal knapp.[128] Die karatschaischen und balkarischen Siedlungsgebiete wurden zwischen der Georgischen SSR, der Region Stawropol, der Tscherkessischen AO und der nunmehrigen Kabardinischen ASSR aufgeteilt. Außerdem wurde ein Gebiet rund um Mosdok, in dem die Kabardiner aber nur die Minderheit stellen, der Nordossetischen ASSR zugeschlagen.[129] Nach Stalins Tod wurden alle deportierten Völker rehabilitiert und einige, darunter Karatschaier und Balkaren durften in die alten Gebiete zurückkehren. Die Kabardino-Balkarische ASSR und die Karatschai-Tscherkessische AO wurden 1957 wiederbegründet, die Region um Mosdok blieb aber bei der Nordossetischen ASSR.

Wie die gesamte Sowjetunion wurden auch die tscherkessischen Siedlungsgebiete seit den 1930er Jahren industrialisiert, hier besonders mit Erzbergbau, Baustoffindustrie und Lebensmittelindustrie. Rund um Maikop in Adygeja wurden außerdem Ölfelder entdeckt, deren Erträge aber am Ende der Sowjetzeit rückläufig waren. Verglichen mit anderen sowjetischen Gebieten war der Nordkaukasus aber weniger industrialisiert. Außerdem bildete sich seit den 20er Jahren allmählich eine Tourismusindustrie mit Schwerpunkten an der Schwarzmeerküste und rund um den Elbrus. Das Siedlungsbild wurde in nachstalinistischer Zeit wie überall in der sozialistischen Welt stark vom Plattenbau geprägt. Grundsätzliche Neuentwicklungen waren in der zunehmend stagnierenden nachstalinistischen Gesellschaft kaum noch zu beobachten. Mit dem Nachlassen des stalinistischen Drucks auf die Gesellschaft bildeten einige Historiker aber wieder eine national geprägte Geschichtsbetrachtung.

Diaspora

Die meisten Tscherkessen leben heute außerhalb des Kaukasus, wo sie ähnliche Modernisierungen erlebten, z.B. einen gesellschaftlichen Aufstieg in einigen Diasporaländern, die Urbanisierung und die breitere Alphabetisierung und Bildung. Wesentlicher Unterschied war aber, dass sich in der Diaspora keine tscherkessische Schriftsprache bildete, für schriftliche Kommunikation wurden die etablierten Schriftsprachen der Umgebung (Türkisch, Arabisch u.a.) verwendet. Aufgrund ähnlicher Trachten und Traditionen wurden die kaukasischen Muhadschire und ihre Nachkommen in den umgebenden Gesellschaften oft als einheitlich wahrgenommen und meist pauschal als Tscherkessen zusammengefasst, obwohl die eigentlichen Tscherkessen nur die größte Gruppe bilden und sich unter ihnen auch andere Nordwestkaukasier (muslimische Abchasen, Abasinen, Karatschaier, Balkaren, Nogaier, muslimische Osseten), Nordostkaukasier (Tschetschenen und Inguschen, Awaren, Darginer, Lesgier und andere Dagestaner) und Südkaukasier (sunnitische Aserbaidschaner, muslimische Georgier u.a.) befinden. Dieses Fremdbild wurde von den Kaukasiern, v.a. den Nordwestkaukasiern übernommen, weshalb sie gemeinsame Kulturverbände gründeten, sich selbst in einigen Fällen ebenfalls summarisch als Tscherkessen bezeichneten,[130] manchmal sogar ihre eigenen Traditionen trotz regionaler Unterschiede und anderer Namen (bei den Abchasen z.B. aṗsny) ebenfalls als adyge chabse bezeichneten, was sich erst durch die Begegnung mit den komplexen Verhältnissen im Kaukasus änderte. Über die verlorene Heimat im Kaukasus bildeten sich in einer Zeit aufgrund ungenauer Überlieferung und der hermetischen Abschottung der Sowjetunion oft unklare, mythisch überhöhte Vorstellungen.[131] Trotz gelegentlicher Konflikte sind die Tscherkessen in allen Diaspora-Gesellschaften kein Objekt der Diskriminierung, sondern sehr anerkannt,[132] auch durch ihren Ruf, gute Militärs und Beamte hervorzubringen, was ihre gesellschaftliche Integration und (bei über der Hälfte der Diaspora-Kaukasier) auch sprachliche und kulturelle Assimilation erleichterte. Die Einstellung zum Islam ist verschieden, einerseits wird er oft als Ursache der Vertreibung 1864 angenommen, andererseits wurden viele vorislamischen Traditionen des adyge chabse, z.B. im Ehe-und Familienrecht, nicht von islamischen Traditionen verdrängt, auch weil einige Tscherkessen und andere Nordwestkaukasier erst seit dem 18./19. Jahrhundert islamisiert sind. Weil die Traditionen des adyge chabse Bedeutung für die tscherkessische Identität haben, besteht weniger Identifikation mit stärker islamischen Lebensstilen, erst recht dem politisierten Islamismus, der seit den 1980er Jahren Anhang findet. Nur einige isolierte tscherkessische Dörfer haben sich stärker islamischen Traditionen angepasst, viele Tscherkessen betrachten es als essenziell, den Islamismus abzulehnen. Diese Tendenz besteht etwas weniger bei Tschetschenen und anderen Nordostkaukasiern der Diaspora, die längere islamische Traditionen haben.[133]

Bewohner eines tscherkessischen Dorfes nahe Adapazarı am Rande von Trauerfeiern für den Staatsgründer Atatürk, 25. November 1938. Deutlich zu sehen der veränderte Kleidungsstil nach der Mode der 30er Jahre und die türkisierten Namen in der Beschreibung.

Die größte Gruppe der Tscherkessen in der Diaspora sind die Tscherkessen in der Türkei[134], nach Schätzungen 1,5–2,5 Millionen Menschen, vielleicht mehr, wobei heute wohl nur noch weniger als die Hälfte tscherkessisch spricht. Man schätzt über 900 Dörfer mit kaukasischen, meist tscherkessischen Bewohnern, in einigen kleineren Landstrichen in West-und Zentralanatolien bilden sie die Mehrheit der Bevölkerung. Sie sind ähnlich urbanisiert und ausgebildet, wie der Durchschnitt der Bevölkerung der Türkei.[135] Obwohl die Tscherkessen eine lange Tradition haben, interne Fragen selbst zu regeln, bildeten sich im dörflichen Rahmen persönlicher Kontakte daraus selten formale Vereine. Wie überall wurden auch nationale Vereine der Tscherkessen besonders von der modernisierten, meist urbanisierten Bevölkerung gegründet und waren anfangs Vereine zur Pflege der Kultur und Geschichte. Einige Autoren sprechen von „kontrapunktueller Modernisierung“: in der pluralen Vereinzelung der Moderne sucht ein Teil der tscherkessischen Bevölkerung die eigene Herkunft und Identität, wobei die vorher vielfältige Geschichtserinnerung und Kultur vereinheitlicht, gebündelt, somit konstruiert werden. Tscherkessische Vereine waren hier bis in die 1980er Jahre ausschließlich Kulturvereine, weil das türkische Vereinsgesetz von 1938 allen Vereinen die politische Betätigung verbot, und weil die Unerreichbarkeit des sowjetischen Kaukasus die Bildung nationalpolitischer Ziele verhinderte. Erste tscherkessische Vereine bildeten sich schon in osmanischer Zeit und schlossen sich meist im überregionalen Dachverband Çerkess Ittihad ve Teavun Cemiyeti (Tscherkessischen Union und Hilfs-Assoziation, 1908–23) zusammen, der eine eigene Zeitung herausgab. Mit der Herrschaft des Staatsgründers der Türkei Mustafa Kemal Atatürk begann eine Politik grundlegender Modernisierung (Gegner empfanden es als Verwestlichung) und Türkisierung. Markantestes Beispiel war das Hutgesetz 1925 mit dem alle traditionellen Kopfbedeckungen und in der Folge alle traditionellen Kleidungsstile durch westliche Kleidung ersetzt wurden. So konnten auch die Tscherkessen ihre kaukasischen Trachten in der Türkei nicht mehr verwenden. Die Modernisierung war aber wesentlich umfangreicher, z.B. durch die neue Verfassung, Umstellung des Rechtswesens usw. Auch wurde die Gesellschaft türkisiert, so mussten die Tscherkessen ihre Namen durch türkische ersetzen, mit dem Familiennamensgesetz 1935 ihre traditionellen Familiennamen, die immer an erster Stelle standen, durch türkisierte Nachnamen ersetzen. Auch der Unterricht fand bis vor wenigen Jahren nur in türkischer Sprache statt. Über lange Phasen der Geschichte der Türkei war Türkisch die einzig erlaubte offizielle und öffentlich zu verwendende Sprache. Auch die tscherkessischen Vereine und ihre Schulen wurden zur Regierungszeit Atatürks aufgelöst, darunter 1923 auch der Dachverband. Als sein Nachfolger Ismet Inönü ab etwa 1943 die Politik lockerte, bildeten sich wieder einige tscherkessische Kulturvereine, Anfang der 1950er Jahre schon über 30. Allerdings durften diese lokalen und regionalen Vereine bei Verdacht auf politische Betätigung auch polizeilich geschlossen werden. Um dem zu entgehen, strebten einige Vereine den Status der Stiftung (Vakıf) an, die nicht so einfach auflösbar sind. Nach dem türkischen Vereinsgesetz muss eine Stiftung ein Grundkapital nachweisen und sozial tätig sein, weshalb einige tscherkessische Vereine heute öffentliche Krankenhäuser, Schulen u.a. soziale Institutionen betreiben. Ein erster Dachverband mit anderen kaukasischen und aserbaidschanischen Vereinen ist der 1946 gegründete Dost Eli Yardimlasma Derneği (Treuhänderische Wohlfahrtsassoziation) gefolgt vom 1964 gegründeten Kuzey Kafkas Kültür Derneği (Nordkaukasische Kulturassoziation). Beide Dachverbände sind die größten Assoziationen mit den meisten Mitgliedsverbänden. Obwohl sie im Kalten Krieg manchmal antikommunistisch instrumentalisiert wurden, sind sie unpolitisch eingestellt und unterhalten heute gute Beziehungen nach Russland, besonders nach Adygeja und Kabardino-Balkarien. Erst mit dem Ende der Sowjetunion bildeten sich politisch-nationale Vereine, organisiert im Dachverband Kafkas Derneği (Kaukasische Assoziation, 1993, kurz Kaf-Der), der die meisten Verbände der Nordkaukasischen Kulturassoziation in sich aufnahm und als kleinste seit 1995 Kafkas Vakfı (Kaukasische Stiftung) und Birleşik Kafkasya Derneği (Vereinigte Kaukasische Assoziation), die konservativ bis islamistisch ausgerichtet sind und unter denen die Tschetschenen stärker vertreten sind. Während die ersten beiden Dachverbände während der Tschetschenienkriege z.B. passiver blieben, als die türkische Politik, unterstützten die letzten beiden die tschetschenischen Separatisten. Kaf-Der ist offiziell unpolitisch, einige meist tschetschenische, abchasische und ossetische Teilverbände unterstützten in den Tschetschenienkriegen, im Abchasienkrieg und im Südossetienkrieg 1991–1992 aber die Separatisten. Die kaukasischen Verbände stehen, wie auch z.B. kurdische u.a. Minderheiten einer Türkisierung und einem starken türkischen Nationalismus oft ablehnend gegenüber. Nicht alle Menschen tscherkessischer Herkunft sehen sich aber heute noch als Tscherkessen oder sind in diesen Vereinen organisiert.

Tscherkessische Kavallerieeinheit Vichy-Frankreichs auf dem Weg zu ihrer Kapitulation vor dem Freien Frankreich in Damaskus 1941.
Einmarsch der Generäle des Freien Frankreich Georges Catroux und Paul Louis Legentilhomme in Damaskus im Juni 1941 mit Garde Tcherkess.

In Syrien[136] kann die Zahl der tscherkessischen Einwohner ebenfalls nur geschätzt werden auf ca. 80–120.000 Menschen. Siedlungsschwerpunkte sind die Umgebung von Aleppo, Damaskus, Deir ez-Zor, das vorwiegend drusisch bewohnte Hauran-Gebirge und (ehemals) die Golanhöhen, wo es auch zu einigen Konflikten mit der drusischen Vorbevölkerung kam. Eine bekannte ehemals meist tscherkessisch bewohnte Kleinstadt ist das fast verlassene Quneitra im Niemandsland zwischen Israel und Syrien. Die gesellschaftliche Anerkennung und Entwicklung ist vergleichbar zu der in der Türkei. Wie in den anderen Diasporaländern sind sie besonders in der Armee überproportional vertreten, so standen mehrere syrische Generäle und Offiziere tscherkessischer Herkunft im Palästinakrieg und im Sechstagekrieg. Bereits in der Zeit des Französischen Mandats Syrien existierten mehrere tscherkessische Kavallerieeinheiten und Leibgarden. Allerdings waren auch die syrischen Tscherkessen in ihrer Haltung zur Mandatsmacht Frankreich gespalten, so beteiligten sich einige tscherkessische Dörfer auch am Syrischen Aufstand, der vorwiegend von Drusen ausging. Auch in Syrien bildeten sich seit den 20er Jahren mehrere tscherkessische Nationalvereine und Wohlfahrtsverbände, deren Dachverband die Zeitschrift Marǧ (arab.: Wiese) herausgab, in der auch Artikel in tscherkessischer Sprache veröffentlicht wurden. Mit der Machtübernahme der Baath-Partei, die einen Panarabismus vertritt, wurden diese tscherkessischen Vereine und Schulen aber aufgelöst. Zwar werden Tscherkessen nicht generell benachteiligt, aber im Unterschied zur Türkei existieren hier auch keine autonomen Kulturvereine außerhalb des staatlichen Ein-Parteiensystems.

Im Irak leben nur wenige Tscherkessen, Schätzungen belaufen sich auf 19.000−35.000, zumeist im gebirgigen Norden des Landes, nur sehr wenige Dörfer im Süden. Allerdings ist zu beachten, dass die größte Gruppe der kaukasischen Bewohner des Dreiländerecks Nordirak-Südosttürkei-Nordostsyrien Tschetschenen sind, außerdem existieren dagestanische Dörfer.[137] Die Zahl der eigentlichen Tscherkessen könnte also noch wesentlich geringer sein. Entsprechend ihrer Zahl ist auch ihre Bedeutung für die Geschichte des Irak relativ klein.

Britische, tscherkessische und arabisch-beduinische Honoratioren beim Empfang des britischen Hochkommissars für Palästina Herbert Samuel im April 1921 auf dem Flugplatz von Amman, als dieser die britische Anerkennung des Emirats Transjordanien aussprach. (2. v.r.: Lawrence von Arabien)[138]
Tscherkessischer Leibgardist beim 24. Jubiläum des arabischen Aufstandes 1940 in Amman.

Eine ungewöhnliche Entwicklung machten die Tscherkessen in Jordanien[139], denen es teilweise gelang, bis in die Oberschicht des Landes aufzusteigen. Auf dem Gebiet des Landes wurden sie nach 1878 als Gegengewicht gegen unruhige arabische Beduinenstämme im fruchtbaren Nordwesten angesiedelt, dabei besiedelten sie die fast leer stehenden antiken Ruinenstädte Amman und Jerash[140] neu und gründeten fünf weitere tscherkessische und ein tschetschenisches Dorf in der Umgebung. Ihre Gesamtzahl wird heute auf 50.000–über 100.000 Menschen geschätzt. Als nahezu erste nicht beduinische Bewohner der Region ging von ihnen eine bäuerliche Urbarmachung aus. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Region 1917/18 von britischen Truppen und arabischen Stämmen des arabischen Aufstandes unter den Haschimiten und Lawrence von Arabien erobert. Nachdem ein großarabisches Reich der Haschimiten von den Großmächten aber verweigert wurde, akzeptierten die Briten hier im April 1921 die Gründung des Emirats Transjordanien mit der Hauptstadt Amman unter britischem Mandat. Das Herrschaftssystem des neuen Emirs Abdullah ibn Hussein beruhte auf engen politisch-wirtschaftlichen Beziehungen zu den Stämmen seiner Bevölkerung, der arabischen Beduinen und der tscherkessischen Bewohner. Nachdem Tscherkessen 1923 die Monarchie gegen eine Rebellion dreier Beduinenstämme verteidigten, wurde die beduinische Leibgarde des Herrschers durch eine tscherkessische ersetzt, die bis heute besteht. Tscherkessen (und Beduinen) sind auch in der Armee, Politik und Verwaltung Transjordaniens, seit der Unabhängigkeit 1946 Königreich Jordanien, überproportional vertreten. Ein bekannter Politiker tscherkessischer Herkunft war der mehrmalige Ministerpräsident Saʿid al-Mufti. Im jordanischen Unterhaus sind zwei Sitze für tscherkessische, einer für tschetschenische Abgeordnete, außerdem zwei Senatorensitze und ein Ministerposten für Tscherkessen reserviert. Mit der Zunahme der Bevölkerung durch den Zustrom palästinensischer Flüchtlinge, die in Jordanien integriert wurden, kam eine weitere Ursache für den Aufstieg neben der Nähe zum Königshaus hinzu: weil Tscherkessen die meisten Grundstücksbesitzer im zur Millionenstadt expandierenden Amman waren, konnten sie die Position wie schon vorher beim Bau der Hedschasbahn finanziell nutzen. Das ermöglichte einigen Tscherkessen auch den Aufstieg zu führenden Unternehmern, Ärzten, Wissenschaftlern usw., die Dozenten Amjad M. Jaimoukha und Kadir I. Natho sind z.B. jordanische Tscherkessen. Im Unterschied zur Türkei, Syrien oder dem Irak existierten in Jordanien immer tscherkessische Verbände und Jordanien ist neben Israel das einzige Land, in dem tscherkessische Schulen mit Sprachunterricht geduldet wurden. Trotz dieser Förderung gibt es auch in Jordanien starke Assimilation, nur eine Minderheit gehört den Kultur-und Wohlfahrtsvereinen an und Jaimoukha schätzt, dass nur noch 17 % der gebürtig tscherkessischen Jugendlichen fließend tscherkessische Dialekte spricht, der Anteil der sich selbst als Tscherkessen identifizierenden Menschen ist aber wie überall in der Diaspora größer. Bekannter Fürsprecher der jordanischen Tscherkessen ist der jüngere Bruder des Königs und FIFA-Funktionär Ali bin al-Hussein, der tscherkessisch spricht, zeitweilig Kommandant der tscherkessischen Leibgarde war, 1998 einen in der Diaspora beachteten Ritt jordanischer Leibgardisten durch Syrien, die Türkei, Georgien bis Kabardino-Balkarien führte[141] und regelmäßig an tscherkessischen Kongressen teilnimmt.

Erinnerungstafel im tscherkessisch-israelischen Dorf Rihanya. Außen die gern verwendeten Geschlechtersymbole tscherkessischer Adelsfamilien.

Während die tscherkessischen Dörfer auf den Golanhöhen im Sechstagekrieg verlassen wurden, existieren im Nordosten Israels[142] zwei tscherkessische Dörfer (Kfar Kama mit Schapsugen und Rihanya mit Abadsechen), die als loyal und anerkannt gelten. Insgesamt gibt es in Israel 4–5000 Tscherkessen. Obwohl Muslime in Israel nicht der Wehrpflicht unterliegen, leisten einige Militärdienst. In beiden Orten existieren staatliche Schulen mit Sprachunterricht. Wegen der Schulpflicht sprechen nahezu alle israelischen Tscherkessen heute noch Tscherkessisch.

Im Kosovo[143] gibt es noch einige tscherkessische Dörfer, zwei weitere in Südserbien. Die genaue Zahl der Tscherkessen hier ist schwer zu bestimmen, weil sie oft zur türkischen Minderheit gezählt werden.

In Ägypten gibt es nach verschiedenen Angaben keine oder fast keine tscherkessischen oder kaukasischen Dörfer, die nach 1864 entstanden, dagegen nicht wenige Menschen, die sich auf kaukasische Ursprünge zurückführen und oft zur Oberschicht gehören, darunter einige Unternehmer, Politiker, Militärs, Wissenschaftler, Künstler und Schauspieler des ägyptischen Kinos, auf die sich tscherkessische Verbände heute gerne berufen. Die Ursprünge ihrer Familien gehen z.T. bis in die Zeit der Mamluken, deren Macht in der osmanischen Provinz Ägypten erst 1811 beendet wurde. Nach Kadir I. Natho[144] sind auch fast alle Tscherkessen in Libyen ägyptisch-mamlukischer Herkunft. Obwohl eine kleine Minderheit Anschluss an die internationalen Kulturverbände gefunden hat, bestehen bei den meisten keine kulturellen oder persönlichen Verbindungen, Sprachkenntnisse sind fast verschwunden.

Auch in einigen anderen Ländern existiert eine heute oft gut organisierte tscherkessische Diaspora, so in Frankreich und den USA, anfangs meist Emigranten nach dem russischen Bürgerkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den sozialistischen Reformen in Syrien und in Deutschland meist durch die Zuwanderung aus der Türkei.

Geschichte ca. 1992 bis zur Gegenwart

Russische Föderation

Seit Ende der 1980er Jahre bis ins neue Jahrtausend erlebte die Gesellschaft der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten, auch Russlands schwere ökonomisch-soziale Krisen, die der Begriff Transformationskrise unzureichend beschreibt. Ab 1988 bildete sich ein halblegaler privatwirtschaftlicher Sektor - halblegal, weil er durch präsidiale Dekrete Gorbatschows genehmigt, durch die Verfassung aber weiterhin verboten -, der bald von der organisierten Kriminalität bedrängt und mit ihr verwoben wurde. Diese Konkurrenz beflügelte die über lange Zeit durch geringe Reinvestitionen geschwächte Staatswirtschaft aber nicht, sondern lähmte sie weiter. Gleichzeitig geriet der Zentralstaat in eine Schuldenspirale, die dazu führte, dass große Teile der Bevölkerung über Monate keine Löhne und Renten ausgezahlt bekamen. Auch die noch von Gorbatschow eingeleitete Teilprivatisierung durch Anteilscheine („Coupon-Privatisierung“) und die 1994 vom IWF angeordnete vollständige Privatisierung, durch die plötzlichen Umstände oft weit unter dem Wert, änderte das Klima des Verfalls, teilweise auch chaotischer Egoismen über Jahre nicht. Resultat war anfangs eine Einkommenspolarisierung zwischen wenigen sehr reichen Unternehmern und Oligarchen - oft ehemalige Fabrikdirektoren, Pionierunternehmer, Coupon-Aufkäufer und einige Kriminelle - und der durch deren schlechte Zahlungsdisziplin weiter verarmten Masse der Bevölkerung.

Parallel zu diesen Verhältnissen kam es früh in der gesamten sozialistischen Welt zu einer Konjunktur von Nationalismen oft im Widerstand gegen die Hegemonie Moskaus, deshalb anfangs noch weniger bei der russischen Bevölkerung, als bei den nationalen Minderheiten in der Sowjetunion und den Bevölkerungen der Satellitenstaaten. Einige Autoren sprechen von einer „Explosion des Ethnischen“[145]. Große Teile der Bevölkerung wandten sich nationalistischen Geschichtsdeutungen zu, von denen man glaubte, dass sie in sozialistischer Zeit unterdrückt seien. Durch das für viele Nationalismen typische Ziel mono-nationaler Eigenstaatlichkeit entwickelten sich besonders die Regionen, in denen mehrere Nationalitäten seit langem in Gemengelage zusammen lebten, besonders Kaukasien und der Westbalkan, zu Krisenherden dieser Entwicklung. Zahlreiche ideologisierte nationalistische Parteien und Volksfronten bildeten sich. Als klar wurde, dass die Sowjetunion an den Grenzen der souveränen Unionsrepubliken zum 1. Januar 1992 aufgeteilt werden würde, forderten viele die Souveränität als Vorstufe der Unabhängigkeit für die von ihnen oft schnell einseitig ausgerufenen nationalen Republiken. Umgehend folgten Streitigkeiten zwischen diesen Bewegungen um ethnisch gemischte Gebiete.[146] Aufgepeitscht von oft aufgebauschten, nicht selten fingierten Meldungen der Nationalisten über angebliche Untaten der „Anderen“ wurden Teile der Massen durch die Angst vor den Nachbarethnien mobilisiert, die oft ihrerseits nationalistisch mobilisiert wurden. Nationalismen konnten hier in kurzer Zeit in bewaffnete Konflikte, „ethnische Säuberungen“ münden. Auch der Nordkaukasus mit sehr vielen Nationalitäten war von diesen Entwicklungen betroffen. Im Gegensatz zu anderen Regionen lebten hier aber meist keine nationalistischen Streitfragen und Konflikte aus der Zeit des russischen Bürgerkrieges wieder auf, weil nationale Identitäten oft erst seit der Korenisazija flächendeckend verbreitet waren. Bereits früh eskalierte der Bergkarabachkonflikt bis zum offenen Krieg 1992–94, der Südossetienkrieg 1991–92 und der Abchasienkrieg 1992–94. Das seit längerem bestehende Unabhängigkeitsstreben Tschetscheniens mündete schließlich in den ersten Tschetschenienkrieg 1994–96. Mit einem kurzen Krieg zwischen Nordossetien und Inguschetien im November 1992 standen sich sogar zwei Teilrepubliken Russlands als Kriegsfeinde gegenüber.

In dieser Phase ab etwa 1992/94 setzte in großen Teilen der Bevölkerungen ein Umdenken ein. Viele Menschen verstanden, dass sich auch die eigene Heimat am Rand eines Bürgerkrieges befand. Ergebnis war, dass in Wahlen aller nordkaukasischen Republiken außer Tschetschenien gemäßigte postkommunistische, oft sozialdemokratisch ausgerichtete Parteien, die als wenig nationalistisch galten, die große Mehrheit der Stimmen erhielten. Russland gab sich unter Boris Jelzin eine föderale Verfassung mit inneren Autonomierechten der Republiken im Staatsverband Russlands, wobei alle vormaligen ASSRs, darunter Kabardino-Balkarien, und fast alle AOs, darunter Adygeja und Karatschai-Tscherkessien, zu Republiken im Staatsverband Russlands wurden. Bis auf Tschetschenien unterschrieben alle Republiksregierungen den zugrunde liegenden Föderationsvertrag. Unter dem Druck der sich mäßigenden öffentlichen Meinung rückten auch einige nationale Parteien von Maximalforderungen ab, in Dagestan waren sie z.B. an der Kompromisssuche zwischen den Nationalitäten beteiligt.

Tscherkessische Nationalsymbolik auf einem Denkmal des Kaukasuskrieges in Karatschai-Tscherkessien.
Offenbar ein tscherkessischer Hochzeitskonvoi in Karatschai-Tscherkessien.

Die größte nationale Bewegungen der Tscherkessen trägt den Namen Adyge Chase („Tscherkessischer Rat“ oder „Tscherkessischer Kongress“), es gibt einige weitere, kleinere Parteien. Die Ziele der nationalen tscherkessischen Bewegung sind 1. die internationale Anerkennung der Ereignisse 1864 als Genozid; 2. die Schaffung einer einheitlichen tscherkessischen Republik innerhalb Russlands, 3. ein Rückkehrrecht aller Tscherkessen aus der Diaspora, die das wünschen.[147] Außerdem fordern sie die Beseitigung der offiziellen Unterteilung in „Adygejer“, „Tscherkessen“, „Kabardiner“ und „Schapsugen“.[148] Um Konflikte mit benachbarten Ethnien zu vermeiden, verzichteten die tscherkessischen Verbände bald auf anfängliche Forderungen von Landverbindungen zwischen den drei Hauptsiedlungsgebieten, die vorwiegend von Karatschaiern bzw. von Russen und Ukrainern bewohnt werden, sondern forderten eine tscherkessische Republik aus drei Teilgebieten. Aber auch mit dieser Lösung waren erhebliche Gebietsstreitigkeiten mit Karatschaiern und Balkaren (deren nationale Verbände ebenfalls eine Vereinigung forderten), mit Kosaken, Russen und Ukrainern programmiert.[149] Weil die nationalen Parteien aber nie die Mehrheit der Wählerstimmen erreichen konnten, auch zur Jelzinzeit, in der noch keine Fälschungsverdachte aufkamen, blieben es Forderungen aus der Opposition. Adyge Chase vertritt aber keinen separatistischen Kurs der Loslösung von Russland und auch keinen Kurs der Wiederherstellung des historischen Siedlungsgebietes.[150]

Trotzdem wird emotionalisiert, teilweise auch mit Provokationen-dazu drei Beispiele. Die Tscherkessen verfügen über eine umfangreiche und oft auf den Tag genaue mündliche Überlieferung ihrer Geschichte, die benachbarte Ethnien ebenfalls, aber nicht in diesem Umfang besitzen. Professionelle Historiker betrachten diese Überlieferungen teilweise mit Vorsicht, weil mündliche Überlieferungen oft unzuverlässig sind und die Mehrheit der aus ihnen gezogenen Angaben zur tscherkessischen Geschichte mangels zeitgenössischer Quellen weder zu bestätigen noch zu widerlegen sind. Im August 2008 feierten Kabardiner den 300. Jahrestag der Schlacht an den Qenzhal-Bergen am historischen Schlachtfeld, wo 1708 das Fürstentum Kabarda unter Zhebaghi (Grabstein oben) nach Überlieferung den entscheidenden Sieg über des angreifende Krimkhanat errang und somit seinen Bestand sicherte. Angehörige balkarischer Jugendverbände versuchten, die Zugänge zu blockieren, weil sie meinten, diese Schlacht sei nur eine Legende, auf das Denkmal gab es später Angriffe.[151] Der überlieferte Erstbesteiger des Elbrus am 22. Juli 1829 war ein einheimischer Träger der Expedition des russischen Offiziers Georgi Emmanuel, der trotz des Abbruchs der Expedition den Gipfel auf eigene Faust erreichte.[152] Nach tscherkessischer Überlieferung soll er ein Kabardiner namens Chaschir Tschilar aus einem Dorf nahe dem heutigen Naltschik gewesen sein. Karatschaische Verbände erklärten diese Überlieferung zur falschen Legende, sehen in ihm einen Karatschaier namens Hilar Hakirow und widmeten ihm ein Denkmal in Tscherkessk. Auf das Denkmal gab es Brandanschläge und tscherkessische Jugendverbände reagierten mit einer Massenbesteigung des Elbrus. Während der deutschen Besetzung versteckten die Bewohner eines tscherkessisch-beslenejschen Dorfes unter eigener Lebensgefahr die gefährdeten jüdischen Kinder eines Ferienlagers im Dorf. Im November 2009 bezeichnete die karatschaische Zeitung Express-Post diese historische Episode offenbar aus einer Gewohnheit heraus als Legende. Nach Protesten tscherkessischer und russisch-jüdischer Verbände, denn dieses Ereignis ist bewiesen, musste sich Express-Post entschuldigen.[153] Solche Streitigkeiten sind bis heute nicht selten und waren in den 90er Jahren fast alltäglich. Nicht immer bleiben sie friedlich, z.B. wurde der tscherkessische Jugendfunktionär, der die Massenbesteigung des Elbrus leitete, Aslan Schukow am 14. Mai 2009 von Unbekannten erschossen.[154] Der Einsatz von Gewalt zur „Lösung“ politischer Streitfragen ist - nicht nur im Nordkaukasus - keineswegs selten. Zu Entwicklungen in den einzelnen Republiken:

In Adygeja etablierte sich eine herrschende Gruppe adygeischer (tscherkessischer) Politiker, die alle wichtigen Ämter besetzten und die mit Verwandtschaft etwa 1,5 % der Adygejer ausmachten. Sehr früh vertraten sie eine nationale Politik, deren sichtbares Symbol die Übernahme der tscherkessischen Flagge als Flagge Adygejas und des Narten-Helden Sosruqo als Wappen war, und die sie auch in Widerspruch zur Politik Russlands brachte. So erlaubt Russlands eine restriktiv niedrige Rückkehrerquote von jährlich 50 Tscherkessen aus der Diaspora, über die sich Adygeja hinwegsetzte und 2000 zuließ. Spannungen entstanden auch mit der Oppositionspartei „Union der Slawen Adygejas“, die die größte Bevölkerungsgruppe benachteiligt sieht. Der im Westkaukasus häufige Oberbegriff „Slawen“ wurde hier gewählt, weil ein Teil der Bewohner Ukrainer, nicht nur Russen sind, auch die Kubankosaken aus der Ukraine stammten, und man interne Streitigkeiten vermeiden wollte.[155] Experten wiesen darauf hin, dass in dieser Zeit eine Politikerkaste mit so hohem Korruptionsindex regierte, dass die Wirtschaft Adygejas weit hinter die Wirtschaft der umgebenden Region Krasnodar zurückfiel, die nationalistische Politik teils auch zur Ablenkung verwendete. Offenbar verärgert über diese Politik, griff die Zentralregierung 2005 die Forderung der „Union der Slawen Adygejas“ auf und plante die Vereinigung mit der Region Krasnodar, also faktisch die Auflösung Adygejas. Nachdem es im April 2005 zu tscherkessischen Protesten dagegen kam, wobei sich auch die Verbände kleinerer Minderheiten der Armenier, Kurden und Aserbaidschaner und ein Teil der russisch-ukrainischen Bevölkerung solidarisierten, ließ Moskau die Pläne fallen. Ergebnis war aber auch der Rücktritt des adygeischen Präsidenten Hazret Sovmen und 2006 die Wahl des Nachfolgers Aslan Tchakuschinow, der als weniger korrupt und nationalistisch galt.[156] Erst ab ca. 2009/10, später als in vielen anderen Regionen Russlands, folgte auch in Adygeja ein wirtschaftlicher Aufschwung, das Verhältnis zur Union der Slawen wird heute als besser beschrieben.

Flagge Russlands und nationale Flaggen als Touristensouvenir: die tscherkessische, die nogaische (geflügelter Wolf), die karatschaische (heulender Wolf im Halbmond) und die ossetische (weiß-rot-gelb).

Krisen durchlebte die Vielvölkerrepublik Karatschai-Tscherkessien mit der größten Nationalität der turksprachigen Karatschaier, gefolgt vom russisch-ukrainischen Bevölkerungsanteil mit Kosaken, den Tscherkessen und den kleineren Gruppen der Abasinen und Nogaier. Ab 1990/91 riefen hier die karatschaischen Nationalparteien eine eigene Republik aus und forderten die Vereinigung mit den Balkaren weiter östlich, danach riefen die tscherkessischen Nationalparteien ihre Republik aus und forderten die Vereinigung mit anderen tscherkessischen Gebieten. Als darauf eine kosakische und eine abasinische Republik folgten, die sich alle souverän erklärten, eine nogaische geplant war, nahmen Gebietsstreitigkeiten zu, radikalere Anhänger bewaffneten sich und es kam zu gewaltsamen Zwischenfällen. In dieser explosiven Lage wählten am 28. März 1992 über 70 % der Republiksbewohner gemäßigte Politiker, dabei wurde eine informelle Umfrage durchgeführt, bei der sich über 70 % gegen die Teilung der Republik aussprachen.[157] Die Lage beruhigte sich in den nächsten Jahren und es etablierte sich dauerhaft eine Koalition aus karatschaischen und russisch-ukrainisch-kosakischen Parteien, bei der sich die tscherkessischen, abasinischen und nogaischen Minderheiten gelegentlich von der Republikspolitik ausgeschlossen fühlen. Daraus folgen manchmal Streitigkeiten, am stärksten 1999, als ein tscherkessisch-abasinisch-nogaisches Parteienbündnis entgegen Erwartungen eine hohe Wahlniederlage einsteckte und die neue Regierung „vergessen“ hatte, auch einen Minister aus ihren Reihen zu bestimmen, worauf tagelange Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Polizei folgten. Teilweise wird eine Ausgleichspolitik betrieben, mindestens ein Minister aus diesen drei Minderheiten eingesetzt und ein abasinischer Rajon und ein nogaischer Rajon eingerichtet. Forderungen nach einem tscherkessischen Rajon wurden bisher nicht umgesetzt, die Tscherkessen dominieren in zwei weiteren der zehn Republiksrajone. Es gibt immer wieder politische Streitigkeiten, im Allgemeinen ist die Lage in Karatschai-Tscherkessien aber friedlich. Karatschai-Tscherkessien ist keine vorwiegend tscherkessisch regierte Republik, im Unterschied zu Adygeja und Kabardino-Balkarien nimmt es keine Diaspora-Tscherkessen auf und in der Hauptstadt Tscherkessk gibt es im Gegensatz zu den beiden anderen Hauptstädten auch keine tscherkessischsprachige Hochschule.

Auch in Kabardino-Balkarien kam es anfangs zu Streitigkeiten zwischen den ausgerufenen Republiken der tscherkessischen Kabardiner und der turksprachigen Balkaren, die aber ab 1992 durch eine Kompromisspolitik der gewählten gemäßigten Republiksführung erfolgreich entschärft werden konnten.[158] Nach dem ersten Tschetschenienkrieg setzten sich unter den Warlords in Tschetschenien aber durch geschicktes Paktieren zunehmend islamistische Strömungen durch, ein Prozess, der mit der Ausrufung des Kaukasus-Emirats einen Abschluss fand, das nun überregionale Ziele verfolgte. Dazu wurden Anstrengungen unternommen, sich auch in Nachbarrepubliken im Untergrund zu etablieren, darunter auch in Kabardino-Balkarien, das schon Dschochar Dudajew wegen seiner Landschaft und politischen Stabilität als „unnahbare Schönheit“ bezeichnet hatte. Lange Zeit gelang das nicht, weil selbst unter Jugendlichen fast kein potenzielles Unterstützermilieu existierte, mit einem Angriff auf die Hauptstadt Naltschik im Oktober 2005 wurde aber auch diese Republik für einige Jahre in die Gewaltspirale zwischen islamistischen Militanten und russischen Anti-Terror-Einheiten gezogen. Seit 2010/11 ist aber ein Rückgang der Gewalt zu beobachten.[159] Die Zentralregierung plant, durch Ausbau von Skigebieten („Ski-Cluster“) die angeschlagene regionale Wirtschaft, die stark auf Tourismus basiert, zu unterstützen.[160]

In der Regierungszeit Putins kam es zu einer allmählichen wirtschaftlichen Erholung des Landes. Dass heute ein wachsender Mittelstand in Russland existiert, betrachten viele Bewohner als sein Verdienst, was dieser durch das Image als markiger Anpacker auch fördert. Durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wurden die Oligarchen und andere partikulare Gruppen in der „gelenkten Demokratie“ der Oberhoheit der Regierung untergeordnet, was viele Bewohner nach den Erfahrungen der 90er Jahre auch notwendig finden. Auch die Gebietsgouverneure, Republikspräsidenten und Bürgermeister der Metropolen werden heute nicht mehr direkt gewählt, sondern aus einer von der Zentralregierung genehmigten Kandidatenliste von den regionalen Parlamenten gewählt („neue Machtvertikale“). Inzwischen sind alle zur Jelzinzeit gewählten regionalen Regierenden ersetzt und in die Regierungspartei Einiges Russland eingetreten, auch die Präsidenten Adygejas, Kabardino-Balkariens und Karatschai-Tscherkessiens. Im Zuge dieser Politik wird zunehmender Druck nicht nur auf oppositionelle Parteien und Politiker, sondern auch auf unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ausgeübt. Es gibt nur noch wenige kritisch-unabhängige Medien, die nicht dem Staat oder staatsnahen Oligarchen unterstehen (im Wesentlichen noch Doschd, Echo Moskwy, Nowaja Gaseta oder das Lewada-Zentrum), die oft unter Druck stehen. Nach dem „Agentengesetz“ von 2012 müssen sich alle NGOs, die (auch) aus dem Ausland finanziert werden und sich politisch betätigen, in die schnell wachsende „Liste ausländischer Agentenorganisationen“[161] eintragen lassen, gegen die auch zunehmend prozessiert wird. Organisationen, die dem Ziel einer Schwächung Russlands verdächtig sind, existieren durchaus, besonders die zum amerikanischen Neokonservativismus gehörenden[162], die in Russland sehr betont werden. Weil aber auch einer Verbindung zu ihnen unverdächtige Vereine, wie Memorial oder Transparency International (Korruption ist ein großes Problem in Russland) im Register auftauchen, wird eher die Schwächung aller regierungsunabhängigen NGOs betrieben. Die meisten haben Ursprünge im Westen, wo man längere Erfahrungen mit pluralistischen Verbänden hat, die in Russland entstandenen (wie Memorial) suchten in den 90er Jahren Kontakte und z.T. Finanzierung im Westen. Auch MEMO.RU, die Trägerin von Kawkaski Usel, gilt schon als „ausländische Agentenorganisation“. Mit dem staatlich geförderten patriotischen Taumel seit der Krimkrise verstärkten sich diese Tendenzen des Vorgehens gegen unabhängige Teile der Gesellschaft noch. Gegen tscherkessische Verbände - eine regionale Angelegenheit - ist bisher kein Vorgehen zu erkennen, die Zentralregierung hat sich auch mit Adygeja auf die Quote und (strengen) Bedingungen der Einbürgerung von Diaspora-Tscherkessen geeinigt. Weder eine Blockadehaltung zum Austausch mit der Diaspora oder der Einbürgerung (beides oft auf Initiative Adygejas oder Kabardino-Balkariens), noch ein übermäßiges Entgegenkommen z.B. durch Schaffung einer tscherkessischen Republik, deren fordernde Parteien ja auf keine Wahlmehrheiten verweisen können, ist bisher zu erkennen.

Diaspora und internationale tscherkessische Bewegung

Nach Öffnung der Sowjetunion Ende der 80er Jahre folgte ein lebhafter Austausch zwischen dem Kaukasus und der kaukasischen Diaspora, damit auch der tscherkessischen. Heute existieren direkte Flug-und Fährverbindungen zwischen nahöstlichen und westkaukasischen Städten, tscherkessische Radio-oder TV-Programme sind in der Diaspora leicht zu empfangen und der Austausch nahm mit dem Internet noch deutlich zu. Mittlerweile hat die große Mehrheit der sich noch als Diaspora-Tscherkessen identifizierenden Menschen den Kaukasus gesehen, womit auch manche mythische Vorstellung durch realistische und aktuelle ersetzt wurde.

Straßenschild im israelisch-tscherkessischen Dorf Kfar Kama mit hebräischer, arabischer und tscherkessischer (in kyrillischer Schrift) Beschriftung.

Seit dieser Zeit bildete sich eine international vernetzte tscherkessische Bewegung aus den Verbänden der Diaspora und des Kaukasus.[163] Bereits 1989 trat ein erster internationaler Kongress tscherkessischer Verbände und Parteien der Diaspora und des Kaukasus in Maikop zusammen, auf dem dritten Kongress im Mai 1993 in Maikop wurde die Flagge mit den zwölf Sternen als tscherkessische Nationalflagge beschlossen und der 21. Mai, das Datum des Endes des Kaukasuskrieges (nach veralteten Kalender) im Jahr 1864, zum wichtigsten Gedächtnistag erklärt, an dem regelmäßig Zeremonien stattfinden. In den folgenden Jahren organisierten sich die Vereine im Dachverband der International Circassian Association (ICA). Er hält alle zwei Jahre einen International Circassian Congress (ICC, tscherkessisch Adyge Chase genannt, nicht mit der Partei in Russland gleichzusetzen) zwischen den Führungen der Vereine und Parteien oft mit Beteiligung der Republikspräsidenten Adygejas und Kabardino-Balkariens oder des jordanischen Prinzen Ali ab, der in wechselnden Städten im Kaukasus oder der Diaspora zusammentritt.[164] Die meisten dort diskutierten Themen sind Kulturfragen und Fragen der kulturellen Abstimmung, z.B. wurde in der gesamten Diaspora die Schreibung der tscherkessischen Sprache in kyrillischen Buchstaben flächendeckend eingeführt, die die vorher manchmal verwendeten ebenfalls in der Sowjetunion entstandenen lateinischen und arabischen Schriftsysteme ersetzten. Es bildeten sich Tochtervereinigungen des ICA und ICC, die die Alphabetisierung der Diaspora in tscherkessischer Sprache vorantreiben. Wegen der besseren Kultur-und Sprachpolitik im Kaukasus sind besonders Sprachlehrer, aber auch Tanzlehrer, Pferdezüchter usw. in der Diaspora gefragt. Andere Tochtervereinigungen organisieren die Reemigration aus der Diaspora in den Kaukasus, aber gerade hier zeigt sich, dass es konkretere Notwendigkeiten, als nur geschichtliche Erinnerungen braucht, diesen Schritt auch selbst zu tun. Die Rückkehr in den Kaukasus ist zwar ein schon in den Istanbulako-Gesängen sehnsuchtsvoll besungenes Ziel, aber nur wenige tausend Menschen haben persönliches Interesse, manche kommen auch nur zum Studium in den Westkaukasus. Einige hundert wurden eingebürgert,[165] wozu auch Russisch-Kenntnisse notwendig sind. Die gute Integration und oft Assimilation in der Diaspora lässt kaum Masseneinwanderung erwarten. Konkretere Zwänge traten erstmals während des Kosovokrieges ein, als tscherkessische Dörfer wegen des Stereotyps, sie seien pro-jugoslawisch eingestellt, Angriffen der albanisch-nationalistischen UÇK ausgesetzt waren, woraufhin 42 Familien nach Russland flüchteten und in Adygeja eingebürgert wurden.[166] Im Zuge des katastrophalen syrischen Bürgerkrieges wiederholen sich die Vorgänge, weil auch schon tausende gebürtig tscherkessische Syrer auf der Flucht sind, über 1000 wurden bisher im Kaukasus aufgenommen.[167]

Tscherkessische Kundgebung am 21. Mai 2011 auf dem Taksim-Platz, Istanbul.

Teilweise haben die Diaspora-Verbände auch politische Ziele, die meisten sind aber ausschließlich oder hauptsächlich Kulturverbände. Ihre kulturelle und sprachliche Renaissance hängt auch von Hilfen aus dem Kaukasus ab, wo seit sowjetischer Zeit bessere kulturelle und sprachliche Förderung existiert. Einige wollen eine Anerkennung der Ereignisse 1864 als Genozid, Rückkehrrecht aus der Diaspora und eine einheitliche tscherkessische Republik, vielleicht auch innerhalb Russlands, sind damit sicher nationalistisch, aber nicht extrem-nationalistisch. Dass gemäßigte Politiker, wie die Präsidenten Adygejas, Kabardino-Balkariens oder Ali von Jordanien in den Netzwerken der Verbände Einfluss haben, spricht auch gegen eine generelle Radikalisierung. Extreme Nationalisten, die von einem unabhängigen Tscherkessien in alter Ausdehnung träumen, existieren ebenfalls. Eher in der Diaspora, teils weil man hier die Realitäten im Kaukasus schlechter kennt oder nicht akzeptieren will, teils weil solche Bestrebungen in organisierter Form in Russland nicht geduldet werden. Abseits lautstarker Rhetorik, z.B. wird in Istanbul auf Demonstrationen manchmal der Rückzug Russlands aus dem Kaukasus gefordert, ist ihr wirklicher Einfluss aber schwer zu bestimmen. Eine Frage ist auch die Positionierung zu anderen kaukasischen ethnisch-kulturellen Bewegungen. Weil die Diaspora-Kaukasier gewohnt waren, zu kooperieren, standen sie den Konflikten im Kaukasus anfangs verständnislos gegenüber und wirkten manchmal mäßigend, langfristig entwickelten sich die Verbände in der Diaspora aber auseinander. Zur abchasischen Diaspora bestehen manchmal noch institutionelle Überschneidungen, obwohl die tscherkessischen Vereine Forderungen an Russland haben, die abchasischen wegen der Hilfe Russlands für das separatistische Abchasien in eine andere Richtung neigen. Oft nutzen die Vereine auch das Internet, um auf sich und ihre Kultur aufmerksam zu machen. Auch die Olympischen Winterspiele 2014, die auf Initiative Putins zustande kamen und er nicht mit politischen Erörterungen tscherkessischer Angelegenheiten verknüpfen wollte, nutzten sie, um mit der „No Sochi!“-Kampagne die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen.[168] Weniger bekannt ist, dass neben dem Olympischen Park ein tscherkessisches Museum entstand, dass auch Vertreter der Diaspora-Verbände positiv aufnahmen.[169] Wie sich die Verhältnisse weiter entwickeln, wird die Zukunft zeigen.

Literatur

  • Tscherkessen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 15, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 883.
  • Abdurrakhman Avtorkhanov, Marie Bennigsen Broxup (Hrsg.): The North Caucasus barrier: the Russian advance towards the Muslim world. London 1992
  • James Stanislaus Bell: Tagebuch seines Aufenthalts in Circassien während der Jahre 1837, 1838 und 1839. Pforzheim 1841
  • Oliver Bullough: Let our fame be great. Journeys among the defiant people of the Caucasus. Allen Lane, London 2010. ISBN 978-0-14-103774-5. Darin S. 15–144: The Circassians
  • Amjad M. Jaimoukha: The Circassians: A Handbook. New York, London 2001
  • Austin Jersild: Orientalism and Empire. North Caucasus Mountain Peoples and the Georgian Frontier 1845–1917. London 2003
  • Charles King: The Ghost of Freedom: A History of the Caucasus. Oxford 2008
  • Theophil Lapinski: Die Bergvölker des Kaukasus und ihr Freiheitskampf gegen die Russen. Hamburg 1863
  • Monika Höhlig: Kontaktbedingter Sprachwandel in der adygeischen Umgangssprache im Kaukasus und in der Türkei. LINCOM Europa, München 1997. ISBN 3-89586-083-2
  • Beatrice Manz: ČARKAS in: Encyclopædia Iranica
  • Kadir I. Natho: Circassian History. New York 2009
  • Carl Friedrich Neumann: Russland und die Tscherkessen. Stuttgart, Tübingen 1840
  • Batıray Özbek: Die tscherkessischen Nartensagen. Heidelberg 1982
  • Barbara Pietzonka: Ethnisch-territoriale Konflikte in Kaukasien, Nomos, Baden-Baden 1995, ISBN 3-7890-3720-6 (Zugleich Dissertation an der TU Dresden 1994).
  • Manfred Quiring: Der vergessene Völkermord. Sotschi und die Tragödie der Tscherkessen, Links, Berlin 2013. ISBN 978-3-86153-733-5.
  • Walter Richmond: The Northwest Caucasus: Past, Present, Future. New York, London 2008
  • Emanuel Sarkisyanz: Geschichte der orientalischen Völker Rußlands bis 1917. München 1961
  • Bagrat Schinkuba: Im Zeichen des Halbmondes. Roman (Originaltitel: Poslednij iz ušedšich, übersetzt von Hans-Joachim Lambrecht), Rütten & Loening, Berlin 1981, (ohne ISBN, DNB).
Commons: Tscherkessen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Diaspora

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Artikel in der Encyclopaedia Iranica, 3. Absatz, mit weiteren Verweisen.
  2. So vertreten z. B. in Louis Loewe A Dictionary of the Circassian Language. London 1854, S. 5.
  3. EI2, Art. Čerkes, Bd. 2, S. 22; Georgij A. Klimov: Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 49–50
  4. Georgij A. Klimov: Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 49
  5. Georgij A. Klimov: Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 47
  6. Einen besseren Überblick über die Verbreitung der tscherkessischen, ubychischen, abchasischen, sads-abchasischen und abasinischen Dialekte Mitte des 19. Jahrhunderts bietet diese Karte des Lingvarium-Projektes der Lomonossow-Universität (ohne östliche Kabardiner).
  7. Einen genaueren Überblick gibt diese Karte des Historikers Artur Zuzijew (russisch). Alle Blautöne: Tscherkessen und archäologisch ähnliche Abasinen im 16. Jahrhundert, mittel-und dunkelblau: zurückgedrängte Verbreitung im 17.–18. Jahrhundert, dunkelblau: heute noch von Tscherkessen und Abasinen besiedelte Gebiete, rot: heutige Grenzen von Adygeja, Karatschai-Tscherkessien und Kabardino-Balkarien.
  8. Meldung bei Kawkaski Usel.
  9. Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung Geschichte Zerfall, C. H. Beck, Berlin, 1993, S. 153.
  10. Ülkü Bilgin: Azınlık hakları ve Türkiye. Kitap Yayınevi, Istanbul 2007; S. 85. (Türkisch)
  11. Hans-Joachim Hoppe: Die Tscherkessen – ein unbekanntes Volk erwacht, Eurasisches Magazin, Ausgabe 10–11, 2. Oktober 2011.
  12. Ergebnisse der Volkszählung Russlands 2010, Excel-Tabelle 7, Zeile 330.
  13. Ergebnisse der Volkszählung Russlands 2010, Excel-Tabelle 7, Zeile 491.
  14. Ergebnisse der Volkszählung Russlands 2010, Excel-Tabelle 7, Zeile 471.
  15. Ergebnisse der Volkszählung Russlands 2010, Excel-Tabelle 7, Zeilen 464 (13.834 „Adygejer“) und Zeile 470 (3839 „Schapsugen“).
  16. Excel-Tabelle 5, Zeilen 29 (Adygejer); 79 (Kabardiner); 185 (Tscherkessen) und 194 (Schapsugen).
  17. Vgl. W.A. Dimitriew: Die Westlichen Adygen: Sozium und Verbreitung vom 18. Jahrhundert – erste Hälfte 19. Jahrhundert. (russisch). Es gibt auch die Hypothese, dass sich diese kleineren adelslosen demokratischen Stämme den größeren anschlossen, nachdem diese ihren Adel beseitigt hatten.
  18. Vgl. z. B. Johannes Preiser-Kappeler: Zwischen Konstantinopel und der Goldenen Horde: Die byzantinischen Kirchenprovinzen der Alanen und Zichen im mongolischen Machtbereich im 13. und 14. Jahrhundert. in: Jürgen Tubach (Hrsg.): Caucasus during the Mongol Period. Wiesbaden 2012, S. 199–216.
  19. Siehe z.B. John Colarusso: The Woman of the Myths: The Satanaya Cycle.
  20. Kadir I. Natho, S. 112–120, auf Basis mehrerer russischer und tscherkessischer Forscher. Oder auch Amjad M. Jaimoukha Ancient Circassian Religion & Mythology. mit link auf das Pantheon.
  21. James Stanislaus Bell: Journal of a residence in Circassia during the years 1837, 1838, and 1839 Band 1, S. 177 und Band 2, S. 110–145
  22. Sarkisyanz, S. 99–107; Wolfdieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte. Band 1: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914–1917. Wien/ Köln/ Graz 1975, S. 30–31.
  23. Amjad Jaimoukha: Social Hierarchy in Eastern Circassia: The Kabardian Class System., mit mehreren Untergruppen.
  24. Vgl. z. B. Chantal Lemercier-Quelquejay: Cooptation of the Elites of Kabarda and Daghestan in the sixteenth century. In: Abdurrahman Avtorkhanov, Marie Bennigsen Broxup u. a. (Hrsg.): The North Caucasus barrier: the Russian advance towards the Muslim world. London 1992, S. 25–26 (Kabardiner) und S. 27–28 (westliche Tscherkessen und nichttscherkessische Abasinen).
  25. Amjad M. Jaimoukha: The Social Structure of the Circassians. S. 2, zur Struktur der Westtscherkessen mit Beispielen der Adelsgeschlechter der Hatkuajer und Machoscher und ihrer "Kongresse" (chase).
  26. Vgl. Kadir I. Natho, S. 90–94.
  27. Ayhan Kaya-Aufsatz 6. Kapitel, 4. Absatz (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive)
  28. Vgl. z. B. Kadir I. Natho S. 102.
  29. Eintrag im Album der Pferdezucht der UdSSR mit Zuchtdaten (russ.);Beschreibung (russ.), andere Kaukasusrassen heißen „Abchase“,„Lesgine“,„Pschawier“ und „Tuschetier“. Die Verwendung von Pferden im Hochgebirge ist eine Besonderheit des Kaukasus, in den meisten anderen Gebirgen müssen Esel oder Maultiere verwendet werden. Zur Anschauung siehe diese Reportage ab min.13:50
  30. Zu Viehzucht, Ackerbau, Jagd und Fischfang auch in genuesischen Berichten siehe z. B. Kadir I. Natho S. 102–103.
  31. Georgij A. Klimov Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 50; Amjad Jaimoukha: The Secret Language of the Hunters: One of the Twelve Secrets of the Caucasus.
  32. Vgl. z. B. Amjad Jaimoukha Circassian Costumes and Accoutrements.
  33. Vgl. Kadir I. Natho, S. 89.
  34. Männerkleidung Nordkaukasiens 18. bis erste Hälfte des 19. Jahrhunderts (russisch) aus der Zeitschrift Nauka (= Wissenschaft) 1989.
  35. Männerkopfbedeckungen der Völker Kaukasiens 18. bis erste Hälfte des 19. Jahrhunderts (russisch) aus Nauka 1989.
  36. Der russ. Name gazyr stammt aus Turksprachen Kaukasiens und bedeutet „bereit“, türkisch z. B. „hazır“
  37. Frauenkleidung des 18.–19. Jh. (russisch) aus Nauka 1989.
  38. Schulterkleider Nordkauksiens des 18.–19. Jh. (russ.) aus Nauka 1989.
  39. Siehe Circassian Dance von Amjad Jaimoukha mit Hörbeispielen.
  40. Siehe z. B. diese Aufführung des Staatlichen Akademischen Tanzensembles Kabardino-Balkariens „Kabardinka“, bei dem auch die im Text erwähnten hohen Holzsandalen zu sehen sind. Es ist eine der Melodien, die in Anwesenheit von Fürsten getanzt wurde und deshalb auch pschi qafe genannt wird.
  41. Vgl. z. B. den Artikel aus Meyers Konversationslexikon mit Nachweis.
  42. Siehe The Circassian Ministrels von Amjad Jaimoukha.
  43. Siehe Texte einiger tscherkessischer Kriegslieder und einige britische Lieder, die aus der damaligen Popularität des tscherkessischen Kampfes entstanden bei Amjad Jaimoukha.
  44. Amjad Jaimoukha: The Circassian Nart-Epos.
  45. Amjad Jaimoukha: Traditional Circassian Songs; Circassian Music and Musicology von Amjad Jaimoukha mit Hörbeispielen.
  46. Die Art, wie solche Witze und Humoresken in den vorwiegend mündlichen Kulturen des Kaukasus vorgetragen werden, zeigt z.B. dieses Video aus den 80er Jahren. Das Thema ist typisch kaukasisch: Wie entführt man ein Mädchen? Dass Ironie vorkam, zeigt auch der Text des Volksliedes Siy Paq (=Mein Rundnäschen; hier in einer älteren Interpretation).
  47. Music as a Medicine for Adyghs von Alla Sokolova auf einer Konferenz der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Wie das ausgesehen haben könnte, zeigt z. B. dieser Ausschnitt eines tscherkessischen Spielfilms. Die Rituale mussten rund um die Uhr am Krankenbett durchgeführt werden.
  48. Beschreibung bei Circassianworld (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive)
  49. Siehe auch Jaimoukha Circassian Cuisine. (Memento vom 6. März 2012 im Internet Archive) mit Rezepten; zur Anschauung von Al-Jazeera English Jordanian Cuisine ab min 13:30 die der tscherkessischen Minderheit.
  50. Zum Handel: Kadir I. Natho S. 103. Hauptabnehmer für Sklaven waren in der Neuzeit Händler von der Krim, aus dem Osmanischen Reich, aus Genua und Venedig.
  51. Die Ausführungen des Kapitels beruhen ursprünglich auf der Darstellung von Irfan Genel
  52. Siehe Amjad M. Jaimoukha: Circassian Costums and Traditions. 2009.
  53. Siehe Amjad M. Jaimoukha: Circassian Costums and Traditions. 2009, S. 22–53. In einer ostkabardinischen Variante, die die Brautheimführung (nisascha) ausführlicher zeigt, siehe diese Aufführung. Zu einigen Hochzeitsliedern und Toasts (Trinksprüchen und gleichzeitig Glückwünschen) siehe Amjad Jaimoukha: Circassian Ceremonies and Festivals.
  54. Mädchenkorsette des 18. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jh. (russisch) aus Nauka 1989.
  55. Richmond S. 26–28
  56. Amjad Jaimoukha: Circassian History, S. 12–15.
  57. Amjad M. Jaimoukha: Circassian Greetings & Salutes.
  58. Zu dieser und weiteren Traditionen z. B. Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive) (unten)
  59. Vgl. z. B. Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive)
  60. Georgij A. Klimov: Einführung in die Kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 15–23. (unter Auswertung zahlreicher Autoren)
  61. Chirikba: "Abkhazian Origins" in: George B. Hewitt: The Abkhazians: A Handbook. Richmond 1998, S. 23 ff. Die dort vertretene Behauptung, ohne andere Ansichten zu erwähnen, die Sprecher der nordwestkaukasischen Sprachen wären die "Urbevölkerung" von Anatolien bis Westgeorgien hat nationale Hintergründe, weil sie die Abchasen zur ältesten Bevölkerung Westgeorgiens machen soll, mit älteren Rechten an dem Land, als die Georgier. Ardsinba, Chirikba und S. Lakoba sind auch Politiker der separatistischen Regierung Abchasiens.
  62. Vgl. Victor Shnirelman: The Politics of a Name:Between Consolidation and Separation in the Northern Caucasus. (PDF; 784 kB) in: Acta Slavica Iaponica 23 (2006) S. 37–73. Hier S. 63 (mit Fußnote 176).
  63. Georgij A. Klimov Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 83. Nach der Übersetzung von Jost Gippert: "... u. ä. als Erbwörter erschließen lassen, kann das Verbreitungsgebiet der westkaukasischen Grundsprache mit großer Wahrscheinlichkeit lokalisiert werden; es dürfte weitgehend mit dem heutigen Siedlungsgebiet der westkaukasischen Stämme im Kaukasus am Nordostufer des Schwarzen Meeres identisch gewesen sein, nicht jedoch mit den Niederungen der Kolchis." (=Westgeorgien).
  64. Siehe Kurgan-Hypothese, Anatolien-Hypothese und Armenien-Hypothese von Tamas Gamqrelidse und Wjatscheslaw Iwanow
  65. Z. B. der Indogermanist und Archäologe J. P. Mallory formuliert in seinem Werk In Search of the Indo-Europeans S. 233 die Kulturen im Westkaukasus seien "precisely in regions which later demonstrate the presence of non-Indo-European populations."
  66. Georgij A. Klimov Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 87
  67. Vgl. z. B. Roland Bielmeier: Sprachkontakte nördlich und südlich des Kaukasus in: Roland Bielmeier, Reinhard Stempel (Hrsg.) Indogermanica et Caucasica: Festschrift für Karl Horst Schmidt zum 65. Geburtstag Berlin, New York 1994, S. 427–446, besonders S. 429.
  68. Artikel „Maykop Culture“ in der Encyclopedia of Indo-European Culture von Mallory "Such a theory, it must be emphasized, is highly speculative and controversial although there is a recognition that this culture may be a product of at least two traditions: the local steppe tradition embraced in the Novosvobodna culture and foreign elements from south of the Caucasus which can be charted through imports in both regions."
  69. Z. B. Kadir I. Natho S. 28–58 oder Jaimoukha.
  70. Einführend Artikel der Sowjetischen Historischen Enzyklopädie (russisch).
  71. Vgl. J. P. Mallory: Novotitorovka Culture. In: Encyclopedia of Indo-European Culture, Fitzroy 1997.
  72. Kurzbeschreibung in der Sowjetischen Historischen Enzyklopädie mit (etwas älterer) Literatur (russisch)
  73. Geographika XI 2.11 (engl. Übersetzung)
  74. Während es bei den Siraken verschiedene Meinungen gibt, ist die Zuordnung der Maioten mehrheitlich anerkannt. Schon die Große Sowjetische Enzyklopädie bezeichnet deshalb die Maioten als prätscherkessische Stämme. Zuletzt u. a. Boris Piotrowski: Меоты - предки адыгов. Maikop 1989 (=Die Maioten – Vorfahren der Tscherkessen.).
  75. Vgl. Kadir I. Natho, S. 46
  76. Geographika XI 2.14
  77. Kadir I. Natho S. 46–78.
  78. Vgl. Kadir I. Natho, S. 69–75
  79. Amjad Jaimoukha: Mediaeval Kabardian Alphabet.; er bezieht sich auf P. Dobrev: Inschriften und Alphabet der Urbulgaren. Sofia 1995.
  80. S. 6.
  81. Siehe z. B. die Eingangsworte dieses Videos.
  82. Geographika XI 2.12 und folgender Absatz
  83. Kadir I. Natho S. 59
  84. Kadir I. Natho S. 60ff.
  85. Kadir I. Natho S. 59–61, Natho zitiert dort die Hypothesen der Forscher S. Khotko und George Kissling.
  86. Z. B. Amjad M. Jaimoukha: The Circassians. A Handbook S. 42 ff.
  87. Zur Folge der Mongolenzüge für die Tscherkessen: Kadir I. Natho, S. 89–95.
  88. Vgl. z. B. Kadir I. Natho S. 88 f.
  89. Zweites Kapitel des Artikels in der Encyclopaedia Iranica.
  90. [1], siehe auch osmanische Janitscharen
  91. Kadir I. Natho S. 149–265
  92. Siehe z.B. Amjad Jaimoukha: The Social Structure of the Circassians., S. 6 unten.
  93. Kadir I. Natho S. 95–98
  94. Vgl. diese Karte von Artur Zuzijew (russisch). Hellblau die Ausbreitung im 16. Jh., die Nordgrenze entspricht der Handelstraße, mittelblau vom Krimkhanat zurückgedrängte Siedlungsgebiete im 17./18. Jh., dunkelblau heute noch tscherkessisch besiedelte Gebiete.
  95. Zu diesen Kriegen Kadir I. Natho S.133–137, beschrieben bei den Quellenautoren Giacomo de Lucca, dem russischen Botschafter Tschelischew, dem osmanischen Ibn-i Kemal u. a. meist osmanischen und krimtatarischen Berichten und Quellen. Die Kriege waren z.T. sehr erbittert und auch von der Jagd auf Sklaven begleitet.
  96. Zu den verschiedenen Formen der Islamisierung Kadir I. Natho S. 123f. und 136–137.
  97. Russische Übersetzung des Textes bei Galonifontibus, II. (Kapitel 9) drittletzter Absatz (der Inal aber nicht namentlich erwähnt).
  98. Amjad Jaimoukha A Brief History of Kabarda, S. 17–20.
  99. Siehe z. B. S. 26 dieses Bild der Hauptstadt aus dem Reisebericht von Adam Olearius.
  100. Zu den polnischen Geschlechtern siehe Amjad Jaimoukha: Circassians in Poland: The Five Princes from the Five Mountains.
  101. Chantal Lemercier-Quelquejay: Cooptation of the Elites of Kabarda and Daghestan in the sixteenth century. In: Abdurrahman Avtorkhanov, Marie Bennigsen Broxup u. a. (Hrsg.): The North Caucasus barrier: the Russian advance towards the Muslim world. London 1992, S. 27–28
  102. Walter Richmond: The Northwest Caucasus. Past, present, future. Routledge 2008, S. 45
  103. Kadir I. Natho S. 123–125
  104. Direkt von der Umschlagseite bei Bell.
  105. Zusammenfassung des Kaukasuskrieges auf der Seite kavkaz-uzel (englisch), Kapitel zur dritten Phase, vierten Phase und letzten Phase.
  106. Deutschlandradio Kultur, Fazit, 6. Januar 2014, Barbara Lehmann: deutschlandradiokultur.de: Endstation Schwarzes Meer – Russland verdrängt den Völkermord an den Tscherkessen in Sotschi (7. Januar 2014)
  107. Kadir I. Natho, S. 366–377, 393–395.
  108. Vgl. Diese Karte des Historikers Artur Zuzijew (russ.). Die farbigen Gebiete sind die, in denen allein Angehörige der sog. "Bergvölker" nach Festlegung der Landkommissionen 1868–1905 siedeln durften, davon Kreise 1–4 westliche Tscherkessen, Abasinen und Kubannogaier, 5 Karatschaier und 6 Kabardiner und Balkaren. Die schraffierten Gebiete sind Ansiedlungsregionen für Kosaken.
  109. Kadir I. Natho, S. 378–385.
  110. Batıray Özbek: Erzählungen der letzten Tscherkessen auf dem Amselfeld. Bonn 1986, Einleitungsteil.
  111. Ayhan Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive) erwähnt das alte Stereotyp der Diebe, das wohl noch aus der Frühzeit der Diaspora stammt.
  112. Für Ostrumelien wurde nach Berliner Vertrag Art. 15/Abs. 4 ein faktisches Ansiedlungsverbot beschlossen.
  113. Kadir I. Natho, S. 389–391.
  114. Amjad Jaimoukha: The Social Structure of the Circassians., besonders S. 1 und 8.
  115. Amjad Jaimoukha: The Social Structure of the Circassians., S. 8.
  116. Eine häufige Übertragung in der Fachliteratur ist "Fremdstämmige" und "Eigenstämmige". Es leitet sich von russ. "narod"="Volk" ab. Kern der Unterscheidung war die Einschätzung, dass die inarodzy nicht loyal genug für den Dienst in der russischen Armee waren. Zu dieser Unterscheidung siehe z.B. Andreas Kappeler, Gerhard Simon, Georg Brunner: Die Muslime in der Sowjetunion und in Jugoslawien. Köln 1989, S. 117–130.
  117. Zum beanspruchten Gebiet der Bergrepublik vgl. diese Karte des Historikers Zuzijew (grün), hellgrün dabei die Gebiete der beteiligten vorwiegend christlichen Völker-Osseten, Abchasen und Sunscha-Kosaken. Das Gebiet der Westtscherkessen am Kuban wurde schon nicht mehr beansprucht.
  118. Kadir I. Natho, S. 410–412.
  119. Vgl. Gerhard Simon:Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Von der Diktatur zur nachstalinistischen Gesellschaft. Baden-Baden 1986, S.34-82. Es ist zu beachten, dass der Gegensatz zwischen Lenin und Stalin nicht in der gesamten Ideologie und Politik bestand. Der häufig zitierte Streit um Führungsstile resultierte aber aus einem Streit über die Nationalpolitik, zu der beide verschiedene Vorstellungen hatten. Lenin charakterisierte Stalin einmal, obwohl dieser Georgier war, als „großrussischen Derschimorda“ (=„Halt-die-Schnauze“).
  120. Siehe Nummer 3 auf dieser Karte von Zuzijew (nicht die auf der anderen Seite des Westkaukasus anschließende Nummer 5, der Armenische Nationale Rayon).
  121. Siehe diese Karte Zuzijews (russisch) zur ethnischen Verteilung 1886-90. Das nördlichere Feld am oberen Kuban mit 4 (für Beslenejer-Tscherkessen) und 44 (für Nogaier) beschriftet, gehört weder zu Karatschai-Tscherkessien, noch zu Adygeja.
  122. Vgl. zw. der ethnischen Karte Karatschai-Tscherkessiens 1926 (der Nordosten ist noch blau-für russische oder ukrainische, rot: tscherkessische oder kabardinische, gelb: abasinische Mehrheit), mit der Karte 2002 (der Nordosten jetzt grün für karatschaische Mehrheit). Diese Vergrößerung des karatschaischen Siedlungsgebietes hatte aber wohl keinen nationalpolitischen Hintergrund, vielmehr wurde der für den gesamten Kaukasus typische Lebensstil des halbnomadischen Umzuges auf Winterweiden parallel zur Kollektivierung als rückständig bekämpft und sie mussten sich entscheiden, ob sie im Gebirge oder Wintergebiet dauerhaft leben wollen, wurden teilweise auch angesiedelt. Dadurch haben die Gebiete, in denen die Karatschaier früher nur im Winter zu Gast waren, heute eine karatschaische Bevölkerungsmehrheit.
  123. Wie sie das durchführten, beschreibt z.B. der (persönlich antikommunistisch eingestellte) Schriftsteller Essad Bey in Die Zwölf Geheimnisse im Kaukasus. S. 88–89 am Beispiel der Inguschen. Weil die Ältesten die Beteiligten baten, die Blutrache zu beenden, war es für sie mindestens ebenso unehrenhaft, die Wünsche zu missachten, wie von der Fehde abzulassen.
  124. Siehe Gerhard Simon: Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Von der Diktatur zur nachstalinistischen Gesellschaft. S. 41–64.
  125. Georgij A. Klimov Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Hamburg 1994, S. 50–57.
  126. Gerhard Simon S. 153–194.
  127. Die tscherkessische Literatur begann im 19. Jahrhundert mit den Sammlern historischer Volkserzählungen und Narten-Epen durch Schora Nogmow und Sultan Khan-Girej, die aber noch auf russisch schrieben und auf tscherkessisch in sowjetischer Zeit. Siehe Amjad M. Jaimoukha: Circassian Literature. Einige Schriftsteller unterhielten schon in sowjetischer Zeit Kontakte zur jordanischen Diaspora. An die Literatur anschließend bildete sich auch ein tscherkessisches Theater.
  128. Siehe diese Karte von Artur Zuzijew (russisch) mit den Territorien deportierter Völker, darunter gelb Karatschaier und Balkaren. Es wurden auch andere Völker-Russlanddeutsche und Griechen, türkische und iranische Gruppen aus grenznahen Gebieten u.a. deportiert, aber nicht strafweise, sondern "prophylaktisch".
  129. Zu den Grenzen während der Zeit der Deportationen siehe diese Karte von Zuzijew (russisch), blau umrandet die aufgelösten ASSRs und AOs.
  130. The North Caucasian Diaspora In Turkey UNHCR-Bericht, Kap. 2.1, zweiter Absatz.
  131. Ayhan Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive) beschäftigt sich besonders im Kapitel "Diaspora Revisited" mit diesem Mechanismus in Diaspora-Gesellschaften.The North Caucasian Diaspora In Turkey Der UNHCR-Bericht erwähnt z.B. im letzten Absatz des Kapitels 2.5 die Episode, dass die abchasische Diaspora in den 1980er Jahren erfuhr, dass die Mehrheit der Abchasen im Kaukasus Christen sind, was sie offenbar vergessen hatten, ebenso wie die Tatsache, dass der abchasische Adel bis ins 19. Jahrhundert pragmatisch zwischen den Religionen konvertierte, je nachdem, ob er Kontakte zum osmanischen oder russischen Adel suchte, und darüber hinaus viele sowjetische Nordwestkaukasier nicht besonders religiös sind.
  132. The North Caucasian Diaspora In Turkey UNHCR-Bericht, Kap. 4.1, zweiter Absatz.
  133. Vgl. Ayhan Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive) im Kapitel "Stereotypes, Prejudices and Ethnic Relations" vierter Absatz.
  134. Siehe z.B. Kadir I. Natho, S. 434–473; Ayhan Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive): Circassian Diaspora in Turkey: Stereotypes, Prejudices and Ethnic Relations.; UNHCR: The North Caucasian Diaspora In Turkey u.v.a.
  135. Beispielsweise gaben kaukasische Verbände nach dem UNHCR-Bericht Anfang der 1990er Jahre den Verstädterungsgrad der Kaukasier mit 69% an, was etwa dem Durchschnitt der Türkei entspricht, der heute (2015) bei fast 75% liegt.
  136. Vgl. z.B. Kadir I. Natho S. 505–517
  137. diesen Bericht des türkischen Zentrums für nahöstliche strategische Studien (ORSAM) (englisch). Hier wird die türkische Sprachgewohnheit, alle Nordkaukasier als Tscherkessen zu bezeichnen, ins Englische übernommen, die eigentlichen Tscherkessen werden dagegen als Adygen bezeichnet (in der arabischen Überschrift dagegen mit demselben Wort).
  138. Dass das T.E. Lawrence ist, zeigt z.B. die Beschriftung dieses beim selben Anlass aufgenommenen kolorierten Fotos.
  139. Kadir I. Natho, S. 474–505; Amjad M. Jaimoukha: Circassians in Jordan.
  140. Amjad M.Jaimoukha: Circassians in Jerash.
  141. Erste Sätze bei Ayhan Kaya (Memento vom 13. April 2013 im Internet Archive).
  142. Kadir I. Natho S. 517–518
  143. Batıray Özbek: Erzählungen der letzten Tscherkessen auf dem Amselfeld. Bonn 1986. Im Einleitungsteil werden die etwa fünf Dörfer dargestellt.
  144. Kadir I. Natho S. 518
  145. Ausspruch zitiert von Uwe Halbach im Artikel in der FAZ über die tscherkessische Nationalbewegung zum Anlass der olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.
  146. Siehe diese Karte des Historikers Artur Zuzijew (russ.) Sämtliche mit einer Zahl-Buchstaben-Kombination versehene Gebiete in Kaukasien sind selbst erklärte Republiken oder zwischen ihnen umstrittene Gebiete, schraffiert dabei die umstrittenen Gebiete dargestellt. Erhebliche Teile Kaukasiens waren betroffen und damit von Konflikten gefährdet.
  147. Victor Shnirelman: The Politics of a Name:Between Consolidation and Separation in the Northern Caucasus. (PDF; 784 kB) in: Acta Slavica Iaponica 23 (2006) S. 37–73. Besonders S. 62–66; Artikel über Sotschi und den Nordkaukasus von Uwe Halbach in Russland-Analysen 268 (6.12. 2013), S. 5–8, hier besonders S. 7.
  148. Z.B.Meldung zu den Ergebnissen eines tscherkessischen Jugendkongresses im September 2009 in Tscherkessk von dem amerikanischen Eurasien-Experten Paul Goble.
  149. Nochmal die diese Karte des Historikers Zuzijew (russ.): Die von tscherkessischen Parteien geforderten Gebiete sind violett (1b, 2b und 3a), die schraffierten Gebiete alle, die mit benachbarten Ethnien umstritten waren. Hellblau (1a) die geforderte schapsugische Autonomie, für die aber kein Anschluss an die tscherkessische Republik gefordert wurde.
  150. Meldung bei Kawkaski Usel vom 22. 1. 2010 zur einem Kurzinterview mit dem Vorsitzenden für Karatschai-Tscherkessien, Mohammed Tscherkessow.
  151. Amjad M. Jaimoukha: A Brief History of Kabarda, zur Schlacht S. 27–28, die Vorfälle mit balkarischen Nationalisten werden in Fußnote 24 erwähnt.
  152. Im Originalbericht, einem Brief von Adolph Theodor Kupffer, hier abgedruckt im „Morgenblatt für die gebildeten Stände“, Nr. 277, 19. November 1829 wird er am Ende der S. 2006 nur als „ein Tscherkesse, Namens Krillar“ bezeichnet, wobei in dem Brief, für die Zeit nicht untypisch, auch die „Caratchai“ als „eine Tscherkessen-Völkerschaft“ bezeichnet werden.
  153. Bericht unter Erwähnung der letzten beiden Beispiele bei der akademisch-amerikanischen Jamestown Foundation (die im Kalten Krieg entstand und den Konservativen nahe steht). Die Autorin Fatima Tlis(owa) ist eine der führenden Funktionärinnen tscherkessischer Diaspora-Verbände.
  154. Meldung bei Kawkaski Usel, die Autorin Bella Ksalova wurde kurz danach selbst erschossen: Meldung.
  155. Karte von Zuzijew mit dem russischen (rot) und ukrainischen (blau) Bevölkerungsanteil im Jahr 1926. Der ukrainische ist heute durch weitere Zuzüge geringer, außerdem werden die Kubankosaken, die z.T. noch im russischen Bürgerkrieg die Vereinigung mit der Ukrainischen Volksrepublik forderten, seit der Stalinzeit als Russen gezählt.
  156. Dittmar Schorkowitz, Vasile Dumbrava, Stefan Wiese: Postkommunismus und verordneter Nationalismus. Leipzig, Frankfurt/Main 2008, S. 79–90, zuvor schon betont von Otto Luchterhandt. Über die Ereignisse s.a. Meldung vom 2. Oktober 2006 bei Kawkaski Usel.
  157. Olga Wassiljewa: Konflikte im Nordkaukasus: Ursachen, Perspektiven. Mannheim 1995, besonders S. 12–13.
  158. Olga Wassiljewa: Konflikte im Nordkaukasus: Ursachen, Perspektiven. Mannheim 1995, S. 1–12.; Alexey Gunya: Regionale Vielfalt und Transformation der Konflikte im Nordkaukasus. Eine vergleichende Analyse der Republiken Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien.
  159. Kawkaski Usel führt seit 2010 eine Statistik der Toten und Verwundeten des Konfliktes mit dem Untergrund.
  160. Meldung im Wirtschaftsblatt vom 22. 7. 2014.
  161. Register ausländischer Agentenorganisationen beim Justizministerium
  162. Bekannt ist v.a. das 1992 versehentlich an die Presse geratene geheime Defense Planning Guidance (DPG) von 1992 von Wolfowitz, Cheney und Powell, in dem die Schwächung aller potenziellen Großmächte neben den USA beschlossen wurde. Siehe Patrick Keller: Neokonservativismus und amerikanische Außenpolitik. Ideen, Krieg und Strategie von Ronald Reagan bis George W. Bush. Paderborn 2008, dazu S. 154–157. Eine Gruppe ist das „American Committee for Peace in the Caucasus“ (APAC), Beschreibung bei Right Web.
  163. Ayhan Kaya: Political Participation Strategies of the Circassian Diaspora in Turkey., UNHCR-Bericht von 1996, Kurzfassung von Uwe Halbach bei der ETH Zürich. Es gibt sehr viel Literatur zu den Vereinen und ihren Wandlungsprozessen in den letzten Jahren.
  164. Kadir I. Natho S. 558–564.
  165. Nachricht nach Meinung der Jamestown Foundation.
  166. Originalmeldung vom 2. August 1998 bei BBC news.
  167. Aktuelle von vielen Nachrichten bei Kawkaski Usel. Im Internet sind sehr viele Meldungen dazu, hier z. B. in den Nachrichten Adygejas.
  168. Es gab Schikanen gegen die Vertreter dieser Kampagne, s. Halbach-Artikel oder mehrere Meldungen bei Kawkaski Usel.
  169. Meldung bei Kawkaski Usel.