Kettenschifffahrt auf Elbe und Saale

Die Kettenschifffahrt revolutionierte ab 1866 die Binnenschifffahrt in Deutschland, zunächst an der Elbe. Bei dieser speziellen Art des Schiffstransports wurden mehrere Schleppkähne von einem Kettenschleppschiff entlang einer im Fluss verlegten Kette gezogen. Nach dem Ausbau rasselten auf einer Gesamtlänge von 668 Kilometern bis zu 28 Kettenschlepper die Elbe stromaufwärts, von Hamburg bis an die böhmische Grenze. Aber auch hinter der böhmischen Grenze wurde die Kettenschifffahrt regelmäßig bis Aussig betrieben. Ab 1890 ging die Bedeutung der Kettenschifffahrt im Bereich der unteren Elbe immer weiter zurück und wurde hier bis 1898 vollständig eingestellt. Auf der Oberelbe konnte Sie sich noch bis 1926/27 halten und wurde danach in Deutschland bis 1943 nur noch lokal in drei kurzen, besonders schwierigen Abschnitten der Elbe eingesetzt. Von 1943 bis 1945 war als letzter Streckenabschnitt nur noch jener kurze Abschnitt in Magdeburg vorhanden, an dem die Kettenschifffahrt auf der Elbe ihren Anfang genommen hatte.

Kettendampfer auf der Elbe bei Dresden

Verbreitung der Kettenschifffahrt

Elbe

Kettenschifffahrt auf Elbe und Saale
Gefälle und Streckenkilometer
Prinzipskizze eines Kettendampfers und Lage der Kette bei Dresden

Vor der Zeit der Kettenschifffahrt wurden diejenigen Schiffe, welche stromaufwärts fahren wollten und in der Strömung weder durch Rudern noch durch Segeln vorwärts gebracht werden konnten, stromaufwärts gezogen. Diese als „Treideln“ (sächsisch „bomätschen“) bezeichnete Fortbewegung garantierte vielen Menschen Arbeit. An vielen Flussabschnitten wurden die Schiffe direkt durch Muskelkraft mehrerer als „Bomätscher“ bezeichneter Männer von Land aus gezogen.

Am 16. Juni 1864 erhielt die Vereinigte Hamburg-Magdeburger Dampfschiffahrts-Compagnie die Konzession für die Kettenschifffahrt auf der Elbe.[1] Das erste Versuchsschiff eines Kettendampfers wurde am 15. August 1866 – nach französischem Vorbild – von Martin Graff, dem Direktor dieser Gesellschaft, im Bereich der Magdeburger Brücken zwischen Magdeburg-Neustadt und Buckau zur Erprobung eingesetzt. Auf diesem etwa fünf Kilometer langen Teilstück weist die Elbe durch den Domfelsen eine besonders hohe Strömungsgeschwindigkeit auf. Die Tests verliefen erfolgreich und es kam zum regelmäßigen Betrieb auf dieser Strecke.

Aufgrund der hohen Anschaffungskosten erfolgte der Ausbau der Kette durch die Vereinigte Hamburg-Magdeburger Dampfschiffahrts-Compagnie nur relativ langsam. Bis 1868 wurde die 51 Kilometer lange Kette zwischen Magdeburg und Ferchland verlegt, 1872 zwischen Ferchland und Wittenberge (77 Kilometer) und erst 1874 zwischen Wittenberge und Hamburg (165 Kilometer).[2]

Anders war die Situation auf der Oberelbe. Verantwortlich war hier das Unternehmen Kettenschleppschiffahrt der Oberelbe unter der Leitung des Ingenieurs und General-Direktors Ewald Bellingrath in Dresden. Dieser hatte klar erkannt, dass eine Revolution der bis dahin unbedeutend gewordenen Elbschifffahrt nur mit Einsatz moderner Technik erfolgen konnte.

In dem Artikel Die Kettenschifffahrt auf der Elbe von A. Woldt heißt es zu dieser ersten Probefahrt in Dresden:

„Damals, im Jahre 1869, als die erste Probefahrt auf der Strecke von Riesa nach Dresden unter seiner Leitung stattfand, war die Herrschaft der Bomätscher noch in voller Blüthe, und sie waren sich derselben so wohl bewußt, daß sie nicht im Mindesten die Concurrenz des Kettendampfers fürchteten. Im Gegentheil, sie bemitleideten ihn sogar, da sie jeden Augenblick erwarteten, daß er an einer der vielen gefährlichen Stromschnellen zu Grunde gehen würde. Als aber das Fahrzeug mit dem von ihm geschleppten Zuge elegant und sicher die berüchtigte scharfe Ecke der Meißener Fuhrt passirt hatte, da wurden die Gesichter merklich länger, und nachdem zum Schluß sogar noch der Schrecken aller Schrecken für die damalige Schifffahrt, die gefährliche Passage unter der den Strom verengenden Augustus-Brücke in Dresden, ohne die geringste Beschädigung des Schleppzuges zurückgelegt war, da überkam die Bomätscher das Gefühl der Wuth und Feindschaft, und mehr als ein Stein flog, aus ihrer Mitte geschleudert, auf das Fahrzeug.“[3]

Schon wenige Monate später beantragte Bellingrath die sächsische, anhaltische und preußische Kettenkonzession, die ihm unter zähen Bemühungen und Überwindung aller politischen und behördlichen Schwierigkeiten noch im selben Jahr (Dezember 1870) für die Elbstrecke von Magdeburg bis Schandau an der böhmischen Grenze erteilt wurde. Bereits am 1. Oktober 1871, das heißt nur etwa zehn Monate später, ging der Schleppbetrieb auf dieser 330 Kilometer langen Strecke mit neun Kettendampfern in Betrieb.[2] Auch später sorgte Bellingrath für die weitere Verbreitung der Kettenschifffahrt auf anderen Flüssen in Deutschland und wird daher häufig auch als „Vater der Kettenschifffahrt“ bezeichnet.[4]

Bis 1872 wurde der Kettenbetrieb von der böhmischen Grenze bis Aussig erweitert. Im Jahr 1895 soll die Kette sogar auf einer 777 Kilometer langen Strecke von Hamburg und über Elbe und Moldau bis nach Prag gereicht haben, wobei nur auf dem Abschnitt von Hamburg und Aussig ein umfangreicher und stetiger Betrieb stattfand.[5]

1882 kam es zur Fusion der verschiedenen Gesellschaften und die Deutsche Elbschifffahrts-Gesellschaft KETTE mit Sitz in Dresden entstand. Sie wurde von Bellingrath geleitet und war für den gesamten deutschen Elbkettenbetrieb von Hamburg bis zur böhmischen Grenze (630 Kilometer) zuständig.[3]

Saale

Kettenschleppdampfer VEG Saale Nr. 6 (1903, Modell Theodor Grötschel)

1871 wurde in Artern ein Dampf- und Schleppschifffahrtsverein auf Saale und Unstrut gegründet. Geplant waren kurze Streckenabschnitte mit Kette oder Seil zu versehen. Zu einer Umsetzung durch diese Gesellschaft ist es jedoch nie gekommen.[1]

Auf der Saale wurde 1873 die 21 km lange Strecke von der Mündung der Saale in Barby bis nach Calbe in Betrieb genommen und damit ein Anschluss an die Kette in der Elbe hergestellt. Ein weiterer Ausbau wurde aufgrund des schwierigen Fahrwassers und der flussaufwärts folgenden sieben Schleusen vorerst zurückgestellt. Das Land Anhalt und vor allem die Stadt Halle drängten auf eine Verlängerung der Kette. Preußen sah einen Ausbau jedoch erst dann für sinnvoll an, wenn die Kette nach dem Bau des Elster-Saale-Kanals bis Leipzig reichen würde. Nach langen Verhandlungen wurde 1881 die versuchsweise Verlängerung der Kette auf 105 km und damit bis Halle beschlossen, aber erst im Jahr 1903 umgesetzt.[1]

Die Kettenschifffahrt auf der Saale erlitt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges einen starken Rückgang und wurde 1921 gänzlich eingestellt.[1] Die Kette wurde 1922 aus der Saale genommen.[6]

Auswirkungen der Kettenschiffe auf die Elbschifffahrt

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Eisenbahnen zu einem flächendeckenden Netz und stellten zunehmend eine Konkurrenz für die Treidelschifffahrt dar. Die Elbschifffahrt hatte die Belastung durch den Elbzoll und die natürlichen Hindernisse des Wasserweges bis dahin in Kauf genommen, weil sie gegenüber den Landstraßen trotzdem im Vorteil war. Der Elbzoll betrug auf der Strecke von Hamburg nach Sachsen mehr als die Hälfte, bis nach Böhmen sogar 70 % der Gesamtkosten. Schwankende Wasserstände und Veränderungen des Flusslaufes, sowie Wind und Wetter hatten zudem Transportverzögerungen und nicht selten Verluste von Schiffen und Ladung zur Folge. Die Eisenbahn transportierte Waren schneller, zuverlässiger und wegen der Zollfreiheit auch billiger als das Schiff. Die fortschreitende Industrialisierung bescherte zwar beiden Transportarten ein Wachstum, doch der Zuwachs auf Seiten der Eisenbahn war deutlich größer. Hinzu kam, dass besonders die mit vollem Zoll belegten Waren die Elbe verließen und zur Bahn wechselten. Diese Güter waren zugleich auch die hochwertigeren Güter, deren Transport den höchsten Erlös eingebracht hatte. Der Schiffsverkehr beschränkte sich zunehmend auf Massengüter wie zum Beispiel Roheisen, Kohle, Guano und Salpeter. Erst 1863 konnte der Elbzoll bedeutend gesenkt und 1870 vollständig aufgehoben werden.[7]

Kettenschleppdampfer (um 1885, Modell)

Die Kettenschleppschifffahrt revolutionierte die Elbschifffahrt, die bis dahin über Jahrhunderte vom Treideln geprägt war. Der Segelbetrieb wurde eingestellt oder nur noch als Notbehelf eingesetzt. Die schwere Takelage wurde überflüssig und konnte durch zusätzliche Ladung ersetzt werden. Die Besatzung auf den Kähnen reduzierte sich um mehr als die Hälfte. Der Schiffer wurde von vielen ungünstigen Witterungsverhältnissen unabhängig. Die Anzahl der möglichen Fahrten eines Schiffes erhöhten sich fast auf das Dreifache.[2] Statt zwei Reisen wurden jährlich sechs bis acht Reisen durchgeführt oder statt 2500 km jährlich bis zu 8000 km zurückgelegt. Die Lieferfristen wurden demgemäß verkürzt und zuverlässiger eingehalten und die Kosten sanken, sodass manche Güter, welche auf die Eisenbahnen übergegangen waren, wieder zum billigeren Wasserweg wechselten.[8]

Ähnliche Veränderungen hätten sehr wohl auch durch Raddampfer erfolgen können, aber die Konzessionen der Kettenschifffahrt garantierten den Schiffern die allzeitige Beförderung zu festgelegten Preisen und dadurch eine ausreichende Sicherheit den Segelbetrieb einzustellen und zum Schleppbetrieb überzuwechseln. Die Größe der Kähne, die zu jener Zeit üblicherweise bei einer Ladungsmenge von etwa 100 Tonnen lag, konnte vergrößert werden. Etwa zehn Jahre nach Einführung der Schleppschifffahrt wurden Kähne mit einer typischen Tragfähigkeit von etwa 500 Tonnen gebaut.[2]

Die Frachtmenge blieb über einen sehr langen Zeitraum zwischen 1830 und 1874 praktisch konstant. So transportierten die Schiffe von Hamburg bergwärts jährlich etwa 7 bis 8 Millionen Zentner (350–400 Tausend Tonnen). Der Schiffsverkehr talwärts nach Hamburg war mit etwa 6 Millionen Zentnern (300 Tausend Tonnen) etwas geringer. Nach Vollendung der Kettenschifffahrt stieg die Frachtmenge stetig an und erreichte nach zehn Jahren etwa das Vierfache, nämlich 28 Millionen Zentner (1,4 Millionen Tonnen) bergwärts und 24 Millionen Zentner (1,2 Millionen Tonnen) talwärts.[2]

Konzessionsbedingungen und Wettbewerb

Decret No. 83 die Ausübung der Kettenschifffahrt auf der Oberelbe betreffend vom 20. Oktober 1869

Um die Kettenschifffahrt betreiben zu können, benötigte die für den Kettenschleppbetrieb verantwortliche Gesellschaft vom zuständigen Land eine Konzession, in der unter anderem die Rechte und Pflichten gegenüber den Schiffern geregelt waren. Die Paragraphen 10 bis 13 der Konzessionsbedingungen für die Kettenschleppschifffahrt der Oberelbe regelten den Tarif. Hiernach bedurfte es für jede Tarifanpassung der Zustimmung und Genehmigung des Finanzministeriums. Tarife wurden außerdem für mindestens ein Jahr festgeschrieben und konnten während dieser Zeit nicht verändert werden. Die Beförderungsgebühren waren unabhängig von der transportierten Ware proportional zur Schleppentfernung zu berechnen. Außerdem wurden die Kettenschifffahrtsgesellschaften kritisch vom Finanzministerium überwacht. Alle fünf Jahre wurde überprüft, dass der jährliche Reinertrag einen Wert von 10 Prozent des nachweislich in dem Unternehmen angelegten Kapitals nicht überstieg. War der Gewinn zu hoch, so wurden die Tarife vom Finanzministerium herabgesetzt.[2]

Durch die Bestimmungen war die Freiheit der Kettenschifffahrtsgesellschaften sehr eingeschränkt und diese konnte nicht so flexibel auf Veränderungen am Markt reagieren. Die anderen Schlepparten konnten im Gegensatz zur Kettenschifffahrt die Tarife frei nach Angebot und Nachfrage gestalten, die Kosten an die transportierte Frachtmenge anpassen oder Sonderkonditionen mit einzelnen Kunden aushandeln.[2]

Noch einschneidender waren jedoch die Paragraphen 6 und 9 der Konzessionsurkunde. Der Unternehmer war gehalten, jedes beladene oder unbeladene Fahrzeug nach Reihenfolge der Anmeldung zu befördern und zwar ohne Unterschied, welche Strecke das Fahrzeug geschleppt werden sollte. Der Kettenschifffahrtsgesellschaft war es zwar gestattet, auch Waren oder Fahrzeuge auf eigene Rechnung zu befördern, fremde Fahrzeuge hatten jedoch unter allen Umständen, auch wenn sie später angemeldet worden waren, den Vorzug in der Beförderung. Dieses führte quasi zur Unterbindung des eigenen Frachtschifffahrtsgeschäfts.[2]

Die Kettenschifffahrt stand in direktem Wettbewerb zu den Radschleppdampfern und der Eisenbahn. Allerdings konkurrierten auch die beiden deutschen Kettenschleppschifffahrts-Gesellschaften in Magdeburg und Dresden selbst miteinander. Die Vereinigte Hamburg-Magdeburger Dampfschiffahrts-Compagnie hatte Anfang der 1870er Jahre zur Einführung der Kettenschleppschifffahrt zwischen Magdeburg und Hamburg sämtliche früheren Radschleppdampfer verkauft. Damit wurde ihr allerdings der Schleppverkehr oberhalb von Magdeburg unmöglich gemacht. Die gesamte Schleppkundschaft, die nicht nur bis Magdeburg, sondern weiter elbaufwärts wollte, konnte nur bis Magdeburg bedient werden. Hier wurden die Schiffer ihrem Schicksal überlassen, die infolgedessen oft mehrere Tage auf einen Weitertransport warten mussten. Die Dresdner Ketten-Schlepp-Schifffahrts-Gesellschaft handelte offensiv und eröffnete in Hamburg ein eigenes Verfrachtungsbüro mit dem Ziel, die Schleppkundschaft schon in Hamburg zu binden. Als Schleppkraft für die Strecke Hamburg–Magdeburg nutzte man einen eigenen Raddampfer und verpflichtete zwei weitere durch Vertrag. Den Schiffern wurde so ein nahtloser Transport von Hamburg bis an die böhmische Grenze garantiert.[2]

Nachdem der Druck der Konkurrenz durch die Radschleppdampfer immer größer wurde, gelang es der Dresdner Gesellschaft 1879, eine Lockerung der Konzession zu erreichen. Die Regierung genehmigte die Neuerung, dass die Gesellschaft nicht mehr verpflichtet war, solche Fahrzeuge zu schleppen, deren Eigentümer selbst gewerbsmäßig Radschleppschifffahrt betrieben. Ferner wurde ihr erlaubt, die Tarifsätze nach Bedarf selbst anzupassen. Der enorme Konkurrenzkampf beeinflusste die Ergebnisse der beiden Kettengesellschaften ungünstig und es kam 1880 zu einer Annäherung dieser beiden unter Abschluss gemeinsamer Verträge. Daraus ergab sich zwei Jahre später die Fusion zur Deutschen Schleppschiffahrts-Gesellschaft KETTE[2]

Technische Ausstattung

Kette

Informationstafeln in Altübigau zur Kettenschifffahrt auf der Elbe, darunter ein originales Kettenstück

Die Kette für die Kettenschleppschifffahrt auf der Elbe wurde von allen drei Kettenschifffahrts-Gesellschaften überwiegend aus England importiert. Die Magdeburger Gesellschaft hatte darüber hinaus einen Teil der Kette von Hamburg bis Wittenberge aus Frankreich bezogen. Grund für den Import war die notwendige hohe Qualität der Feuerschweißung der vorgebogenen Kettenglieder. Diese konnte zu Beginn der Kettenschifffahrt in Deutschland durch inländische Produktion nicht gewährleistet werden. Im Jahr 1880 versuchte die Kettengesellschaft Oberelbe eine selbstständige Herstellung der Kette in ihrer Werft in Übigau. Es wurden 3500 Meter Kette gefertigt. Eine gleichbleibende hohe Qualität in der Massenfertigung konnte jedoch nicht erreicht werden.[4]

Die Kette in der Elbe war eine steglose Schiffskette, deren Kettenglieder die 4,5-fache Länge der Rundeisendicke besaß. Am Anfang der Kettenschifffahrt auf der Elbe wurde meist eine 22 Millimeter starke Kette verwendet. An einigen Streckenabschnitten wurde zum Teil aber auch eine 25 Millimeter starke Kette eingesetzt. Als Kettenmaterial wurde ein Rundeisen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt verwendet.[4]

Auf der etwa 330 Kilometer langen Strecke von Magdeburg bis zur böhmischen Grenze hatte sich die Kette innerhalb von nur drei Jahren durch Dehnung und Abnutzung um eine Länge von 7500 Metern gereckt. Viele Kettenabschnitte mussten vorzeitig ausgetauscht werden, so dass nach zehn Jahren nur noch etwa 12 Kilometer der ursprünglichen Kette im Einsatz waren. Häufig brach die stark abgenutzte Kette und musste auf dem Kettenschiff repariert werden. Der Ersatz von Kettenabschnitten fand durch Ketten mit Stärken von 25 und 27 Millimetern statt.[4]

Datei:Kettenschloss.png
„Kettenschloss“ (rot) zum Öffnen der Kette

Zum leichteren Austausch von Kettenabschnitten befanden sich im Abstand von 400 bis 500 Meter Schäkel („Kettenschlösser“ genannt), an denen die Kette einfacher geöffnet werden können sollte. Diese „Kettenschlösser“ sollten auch geöffnet werden, wenn sich zwei Kettenschiffe an einer Kette begegneten. Korrosion und Streckung der Kette, die auch bei normaler Nutzung auftritt, führte dazu, dass die Kettenschlösser nicht mehr geöffnet werden konnten, so dass man dazu überging, einfach die Kette an einem normalen Kettenglied zu trennen. Hierfür wurde ein Glied mit einer Zange aufrecht auf den Ausleger gestellt und durch Schläge mit einem Vorschlaghammer so stark gestaucht, dass es aufriss und mit einer Brechstange bis zum durchziehen des folgenden Kettengliedes geweitet werden konnte. Nach Beendigung des Manövers wurde die Kette mit einem Kettenschloss wieder geschlossen. Begegneten sich zwei Kettenschiffe, so war ein kompliziertes Ausweichmanöver notwendig, bei der die Kette über eine Hilfskette an den anderen Schlepper übergeben wurde. Dieses Manöver bedeutete für den Schleppverband auf Bergfahrt eine Verzögerung von mindestens 20  Minuten, während das talfahrende Schiff durch das Manöver einen Zeitverlust von etwa 45  Minuten erlitt.[7]

Kettenschleppdampfer

Die Gustav Zeuner während der Restaurierung 2010
Modell des Kettenschleppers Gustav Zeuner

Die Kettenschleppdampfer der Elbe, auf den Schiffswerften in Magdeburg, Dresden, Roßlau und Prag gebaut, waren den Bedingungen der unregulierten Elbe angepasst und konnten mit einem guten Wirkungsgrad ihre relativ geringe Maschinenleistung in Schleppleistung umsetzen.[9]

Der in Magdeburg 1866 eingesetzte Kettendampfer „No. 1“ wurde in Magdeburg-Buckau gebaut.[10] Er war mit Ausnahme des Verdecks vollständig aus Eisen konstruiert, 51,3 m lang, 6,7 m breit und hatte 48 cm Tiefgang. An beiden Enden besaß er Steuerruder, die von der Mitte des Schiffes aus gemeinsam bewegt werden konnten. Mit Hilfe dieser Steuerung sowie zweier an jedem Schiffsende angebrachter beweglicher Arme, welche die Kette zwischen Rollen aufnahmen, dagegen in horizontaler Richtung fast um 90° drehbar waren, war es möglich, das Schiff auch in anderer als der Richtung der Zugkette zu steuern, ohne dass dadurch die Aufwicklung der Kette gestört wurde. Dies ist für die Anwendung des Kettenschiffes auf gekrümmten Stromstrecken von großer Bedeutung. Auf dem Hinterteil des Schiffes befanden sich zwei Trommeln von 1,1 m Durchmesser und 2,6 m gegenseitiger Achsenentfernung, von denen jede mit vier Rillen versehen war. Die Kette, die von dem Schiff auf dessen Vorderseite aus dem Wasser emporgehoben wurde, lief in einer schräg aufsteigenden, mit Leitrollen versehenen Rinne zum Trommelwindwerk. Dort schlang sie sich um jede Trommel 3½ Mal, indem sie von der ersten Rille der ersten Trommel auf die erste Rille der zweiten Trommel, dann auf die zweite Rille der ersten Trommel überging, und so weiter. Zuletzt wurde sie in einer schräg abfallenden Rinne an das hintere Ende des Schiffes geleitet und sank in das Wasser zurück.[11]

Die nachfolgenden Kettenschiffe waren vom Grundprinzip ähnlich, allerdings unterschieden sie sich zum Beispiel leicht in ihren Abmessungen oder dem Aufbau der Dampfmaschine. Die typische Länge der Boote lag bei 38–50 Metern, ihre Breite bei etwa 7–7,5 Metern. Ab dem Jahr 1872 erhielten die meisten der Kettenschiffe einen zusätzlichen Doppelschraubenantrieb, der es ihnen ermöglichte die Talfahrt „frei“, das heißt ohne Kette, durchzuführen. Dieses schonte die Kette deutlich.[7]

Eine andere Veränderung erfolgte, nachdem Bellingrath erkannte, dass die Kettenbrüche zu einem großen Teil durch Abnutzungserscheinungen am Trommelwindwerk erfolgten. Er konstruierte 1892 das nach ihm benannte Kettengreifrad. Das erste damit ausgestattete, neugebaute Kettenschiff war 1894 die Gustav Zeuner. Sie war außerdem mit einem neuartigen Antrieb in Form von zwei Wasserturbinen nach Gustav Anton Zeuner ausgestattet (dem Vorläufer des heutigen Wasserstrahlantriebs) mit denen das Schiff gelenkt werden konnte und ohne Kette zu Tal fuhr. Die Abmessungen des Schiffes waren mit einer Länge von über 55 Metern und einer Breite von über zehn Metern größer als die vorherigen Kettenschiffe und näherte sich diesbezüglich schon den kleineren Radschleppdampfern.[7]

Für die Saale mit ihren vielen engen Windungen und schmalen Schleusen brauchte man hingegen kleine Kettenschiffe mit unter 40 Metern Länge und unter 6 Metern Breite. Nur eines der älteren Kettenschiffe der Elbe erfüllte diese Bedingungen und wurde ab 1873 auf der unteren Saale eingesetzt. Nach der Verlängerung der Kette bis Halle wurden Kettenschiffe, die für andere Flüsse gebaut wurden, hinzugekauft und eigene Neubauten angefertigt.[7]

Das Ende der Kettenschifffahrt auf der Elbe

Zahl der Schlepper auf der Elbe[12]
Jahr Kettenschlepper Radschlepper
1882 31 28
1903 35 58
1922 23 63
1927 17 77

Die Kettenschifffahrt war dort überlegen, wo sich für die Schifffahrt Schwierigkeiten ergaben, wie Stromschnellen, starke Krümmungen des Talweges und Untiefen. Mit der Zunahme des Verkehrs kam es zunehmend zu Stromregulierungen: Die Gefälle wurden mehr und mehr ausgeglichen, die Krümmungen des Flusses sowie die Untiefen vermindert und dadurch auch die Vorzüge der Kettenschifffahrt verringert. Dagegen machten die Radschleppdampfer Fortschritte und der Kohlenverbrauch reduzierte sich. Gleichzeitig ermöglichte die fortschreitende Stromregulierung größere und leistungsfähigere Radschleppdampfer.[8]

Ein weiteres Problem der Konkurrenzfähigkeit waren die hohen Abschreibungen der Kettengesellschaften. Die Kette selbst bindet viel Kapital und muss bereits nach etwa zehn Jahren ausgetauscht werden.[7]

In den 1890er Jahren wurden leistungsstärkere Seitenradschleppdampfer immer mehr zur Konkurrenz für die Kettenschlepper. Dieses betraf zuerst vor allem die elbabwärts liegenden Streckenabschnitte unterhalb von Torgau mit geringerem Gefälle von unter 0.25‰. Auch die Deutsche Schleppschiffahrts-Gesellschaft KETTE selbst rüstete Ihre Flotte hier immer mehr auf die zukunftsträchtigeren Radschleppdampfer um und beschloss 1884 Erneuerungen der Kette zwischen Hamburg und Wittenberge einzustellen. Kettendampfer wurden ab 1891 unterhalb Magdeburgs immer seltener eingesetzt bis im Jahr 1898 die preußischen Minister die Einstellung der Kettenschifffahrt auf der etwa 270 Kilometer langen Strecke zwischen Hamburg und Niegrip genehmigten und die Kette in diesem Abschnitt gehoben wurde.[7]

Auf den steileren Strecken in Sachsen und Böhmen konnten sich die Kettendampfer noch etwas länger gegen die Radschleppdampfer behaupten. Aber auch hier verlagerte sich die Wirtschaftlichkeit zunehmend in Richtung Radschlepper. Hinzu kam die Wirtschaftskrise der Jahre 1901/1902, die dazu führte, dass im Dezember 1903 die ehemals konkurrierende Schleppgesellschaften aus Radschleppern und Kettenschleppern fusionierten und die Deutsche Schleppschiffahrts-Gesellschaft KETTE aufgelöst wurde. Die Kettenschifffahrt verlor immer mehr an Bedeutung. In den Jahren 1926/27 wurde in weiteren großen Abschnitten die Kettenschifffahrt eingestellt und die Ketten gehoben. Auf drei schwierigen Teilabschnitten der Elbe war die Kettenschifffahrt noch bis 1943 in Betrieb.[7]

Danach versahen nur noch zwei Kettendampfer auf einer etwa elf Kilometer langen Strecke bei Magdeburg ihren Dienst, bis sie am 16. Januar 1945 bei einem schweren Luftangriff auf die Stadt zerstört wurden.[7]

Die ausgedienten Kettendampfer wurden entweder abgewrackt oder als Werkstattschiffe, Dampfwinden, Wohnschiffe bzw. Anleger umgebaut.[7] Die Gustav Zeuner ist das letzte verbliebene Kettenschiff der Elbe. Sie wurde über mehrere Jahre im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Magdeburg restauriert und soll nach Abschluss der Arbeiten (geplant 2010) als Museumsschiff eröffnet werden.

Museen mit Ausstellungen zur Kettenschifffahrt auf der Elbe

Modell des Kettendampfers No 1 im Verkehrsmuseum Dresden

Im Verkehrsmuseum Dresden ist ein Modell des Kettendampfers No. 1 zusammen mit einem Teil der Originalkette ausgestellt. Außerdem wird die Funktion des Kettenschiffs mit einer Filmeinspielung erklärt.

Im Elbschifffahrtsmuseum in Lauenburg ist ein Teil der Ausstellung der Kettenschifffahrt auf der Elbe gewidmet. Vom 22. August 2003 bis 31. Januar 2004 fand hier eine große Sonderausstellung zu Ehren des Begründer der Kettenschiffahrt unter dem Titel Ewald Bellingrath – ein Leben für die Elbschiffahrt statt. Diese Sonderausstellung war anschließend in mehreren anderen Museen zu sehen.

Siehe auch

Die Situation der Schleppschifffahrt auf anderen deutschen Flüssen wird beschrieben unter:

Literatur

  • Sigbert Zesewitz, Helmut Düntzsch, Theodor Grötschel: Kettenschiffahrt. VEB Verlag Technik, Berlin 1987, ISBN 3-341-00282-0.
  • Ewald Bellingrath: Ein Leben für die Schifffahrt. Zesewitz, Düntzsch, Grötschel, Schriften des Vereins zur Förderung des Lauenburger Elbschiffahrtsmuseums e. V. Band 4, Lauenburg 2003.
  • Meyers Konversations-Lexikon, Band 15: Tauerei, 1888.
  • A. Woldt: Die Kettenschifffahrt auf der Elbe. In: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil, Leipzig 1892, Seiten 251–254) Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource: Die Kettenschifffahrt auf der Elbe (Version vom 21. Dezember 2009).
  • Architektenverein zu Berlin: Deutsche Bauzeitung, Band 1, Deutsche Verlags-Anstalt. 1867, Seiten 306-307 und 314-316 (Google Books; Anfänge der Kettenschifffahrt auf der Elbe und der Seine).
  • Architektenverein zu Berlin: Deutsche Bauzeitung, Band 2, Verlag Carl Beelitz, 1868 Seite 100 (Google Books; Beschreibung des 1. deutschen Kettenschiffs zwischen Neustadt und Buckau)
  • Paepke, Rook: Segler und Dampfer auf Havel und Spree. Brandenburgisches Verlagshaus, 1993, ISBN 3894880325.
  • Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen (Zeitschriftenband 1869): Dekret No. 83 die Ausübung der Kettenschifffahrt auf der Oberelbe betreffend vom 20. Oktober 1869

Weblinks

Commons: Kettenschiff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d Die Kette – Ein Kapitel der Saaleschifffahrt. Preisnitzhaus e. V., abgerufen am 18. Dezember 2009 (Informationsbroschüre zur Wanderausstellung).
  2. a b c d e f g h i j Dr. Erich Pleißner: Konzentration der Güterschiffahrt auf der Elbe. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Verlag der H. Lauppschen Buchhandlung, Tübingen 1914, Ergänzungsheft L, S. 92–113, digitalisierte Version auf archive.org
  3. a b A. Woldt: Die Kettenschifffahrt auf der Elbe (in: Die Gartenlaube, Hrsg. Adolf Kröner, 1882, Verlag Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig, Seiten 251–254), digitalisiert auf Wikisource: Die Kettenschifffahrt auf der Elbe.
  4. a b c d Ewald Bellingrath – ein Leben für die Elbschiffahrt. Elbschiffahrtsmuseum Lauenburg, abgerufen am 10. Dezember 2009.
  5. L. Franzius, H. Garbe und Ed. Sonne: Handbuch der Ingenieurwissenschaft in fünf Bänden. Band 3: Der Wasserbau. Wilhelm Engelmann Leipzig 1900, Seiten 134–138, digitalisierte Version auf archive.org
  6. Dieter H. Steinmetz: Geschichte der Stadt Calbe an der Saale (7. Abschnitt): 1870/71 bis 1914, abgerufen am 12. Januar 2010
  7. a b c d e f g h i j Sigbert Zesewitz, Helmut Düntzsch, Theodor Grötschel: Kettenschiffahrt. 1. Auflage. VEB Verlag Technik, Berlin 1987, ISBN 3-341-00282-0.
  8. a b Hermann Schwabe: Die Entwicklung der deutschen Binnenschiffahrt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. in: Deutsch-Österreichisch-Ungarischer Verband für Binnenschiffahrt, Verbandsschriften, No 44. Siemenroth & Troschel, Berlin 1899
  9. Verkehrsmuseum Dresden: Einmaliger Kettenfund in der Elbe, abgerufen am 12. Januar 2010 (Version vom 7. Mai 2005 im Internetarchiv)
  10. Ingo Klinder (Magdeburger Elbe-Schiffer-Verein):Letzter Kettendampfer wird in Magdeburg restauriert, veröffentlicht am 25. September 2009, abgerufen am 12. Januar 2010
  11. Meyers großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 4. Auflage. Bd. 15, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien 1885–1892, S. 543–544: Tauerei, abgerufen am 12. Januar 2010
  12. Karl-Heinz Fröhlich: Stampfend zogen schwarze Kolosse auf der Elbe. (PDF) In: Dorfkurier der Gemeinde Hirschstein (September 2007), abgerufen am 12. Januar 2010
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