Kelvingleichung

Die Kelvingleichung wurde von Lord Kelvin 1871 veröffentlicht[1] und beschreibt den Dampfdruck über einer gekrümmten Oberfläche (auch Kelvin-Druck genannt).

Berechnung

Es gilt:[2]

mit

Tropfen

Der bekannteste Spezialfall der Kelvingleichung beschreibt einen Tropfen mit Radius :

Durch die Grenzflächenspannung einer Flüssigkeit nimmt ihr Dampfdruck mit abnehmendem Radius zu. Daraus folgt eine der wichtigsten Konsequenzen dieser Gleichung: große Tropfen besitzen einen kleineren Kelvin-Druck als kleinere. Daher wachsen in einem Gemisch verschieden großer Tropfen die großen Tropfen an, während die kleineren verschwinden (Ostwald-Reifung). Die Moleküle aus den Bereichen des höheren Drucks wandern in die Bereiche niedrigeren Drucks. Dies erklärt, weshalb übersättigter Dampf in die flüssige Phase kondensiert.

Dieselbe Gleichung ist auch für sphärische Blasen in Flüssigkeiten gültig. Beispiele sind Kohlendioxidblasen in Mineralwasserflaschen, Dampfblasen beim Kochen von Wasser oder die Verdampfung von Precursor-Molekülen in Bubblern bei chemischer Gasphasenabscheidung (CVD) und chemischer Gasphasensynthese (CVS).

Zylindrische Pore

Ein weiterer Spezialfall der Kelvingleichung gilt für eine mit Flüssigkeit benetzte zylindrische Pore mit Radius

Krümmungseffekt

Der Krümmungseffekt tritt bei der Bildung von Flüssigkeitspartikeln an Kondensationskernen auf. Dabei zeigt sich, dass über den gekrümmten Oberflächen der entstehenden Flüssigkeitstropfen ein höherer Sättigungsdampfdruck herrscht als über einer ebenen Wasseroberfläche. Dies liegt an der höheren Oberflächenspannung der Tropfen (siehe Young-Laplace-Gleichung), gegen die Arbeit verrichtet werden muss.

Den genauen Zusammenhang spiegelt die nach Lord Kelvin benannte Kelvin-Gleichung (auch Thomson-Gleichung) wider:

Die einzelnen Formelzeichen stehen für folgende Größen:

  • p – Sättigungsdampfdruck über dem Tropfen (Messung)
  • p0 – Sättigungsdampfdruck über einer ebenen Flüssigkeitsoberfläche (Magnus-Formel)
  • RSmassenspezifische Gaskonstante (z. B. für Wasserdampf = 461,6 J/(kg·K))
  • Oberflächenspannung (temperaturabhängig)
  • ρDichte der Flüssigkeit
  • r – Tropfenradius
  • rkrit, e-fach – kritischer Radius bei einem Sättigungsverhältnis , mit der Eulerschen Zahl e ≈ 2.7182; :

Je kleiner also die Tropfen sind, desto einfacher verdampfen sie wieder. Dies hat vor allem bei der Tropfenbildung in der Atmosphäre durch Nukleation bzw. Kondensation zur Folge, dass eine Dampfdruckerhöhung bzw. Übersättigung notwendig wird, um die Tropfen bei Reduzierung des Tropfenradius in einem Gleichgewicht zu halten.

Andersherum verhält sich der Dampfdruck bei konkaven Oberflächen, z. B. in Kapillaren. Hier wird der Dampfdruck mit abnehmendem Kapillarendurchmesser vermindert:

Dies erklärt zum Beispiel die hygroskopische Wirkung von feinporigen, benetzbaren Materialien.

Kritischer Radius

kritischer Radius und Molekülzahl
reiner Wassertröpfchen bei 0 °C
Sättigungs-
verhältnis
kritischer
Radius
Molekülzahl
1 ∞ (ebene Fläche)
1,01 120 nm 2,46·108
1,1 12,6 nm 2,80·105
1,5 2,96 nm 3,63·103
2 1,73 nm 727
e ≈ 2,718… 1,20 nm 242
3 1,09 nm 183
4 0,87 nm 91
5 0,75 nm 58
10 0,52 nm 20

Für eine gegebene Temperatur und ein gegebenes Sättigungsverhältnis folgt aus der Kelvingleichung ein kritischer Radius . Ist der Radius eines Flüssigkeitströpfchens kleiner als der kritische Radius, wird es verdunsten, ist er größer, wird das Tröpfchen wachsen. Nur Teilchen mit dem kritischen Radius befinden sich mit der gegebenen übersättigten Dampfphase im Gleichgewicht und verändern sich nicht. In der nebenstehenden Tabelle sind die kritischen Radien und Molekülzahlen von reinen Wassertröpfchen berechnet. Für die spontane Bildung eines Tröpfchens aus nur zwanzig Molekülen müsste die Luft z. B. 1000 % übersättigt sein, was in der Natur kaum vorkommt. Das belegt die Notwendigkeit von Kondensationskernen.

Der Bereich, in dem das Sättigungsverhältnis größer als eins ist, aber nicht (mit einer praktischen Wahrscheinlichkeit) spontan der kritische Radius erreicht wird, bedingt den Ostwald-Miers-Bereich.

Herleitung

Die Kelvin-Gleichung lässt sich aus den Zustandsgleichungen der Gleichgewichtsthermodynamik unter verschiedenen Näherungen herleiten; insbesondere wird die flüssige Phase als inkompressible Flüssigkeit und die gasförmige Phase als ideales Gas behandelt. Weiterhin wird angenommen, dass die durch Oberflächenspannung und Krümmung bestimmte Differenz von Druck im Tropfeninneren und -äußeren viel größer ist als der Unterschied zwischen Kelvin-Druck und Dampfdruck (). Detaillierte Herleitungen finden sich in[2][4]

Literatur

  • Walter J. Moore: Grundlagen der physikalischen Chemie. de Gruyter, Berlin 1990, ISBN 3-11-009941-1, S. 459 f.
  • E. Zmarsly, W. Kuttler, H. Pethe: Meteorologisch-klimatologisches Grundwissen. Eine Einführung mit Übungen, Aufgaben und Lösungen. Ulmer Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-8252-2281-0.
  • S. J. Gregg, K. S. W. Sing: Adsorption, Surface Area and Porosity. 2. Auflage. Academic Press, New York 1982, S. 121
  • Arthur W. Adamson, Alice P. Gast: Physical Chemistry of Surfaces. 6. Auflage. Wiley, New York 1997, ISBN 0-471-14873-3, S. 54.
  • Hans-Jürgen Butt, Michael Kappl: Surface and Interfacial Forces. 2. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2018, Print-ISBN 978-3-527-34165-8, Online-ISBN 978-3-527-80435-1, DOI:10.1002/9783527804351.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. (Sir) William Thomson (Baron Kelvin): LX. On the Equilibrium of Vapour at a Curved Surface of Liquid. In: (London, Edinburgh and Dublin) Philosophical Magazine (and Journal of Science) Series 4. Band 42, Nr. 282, Dezember 1871, S. 448–452 (englisch, online auf den Seiten der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena).
  2. a b J. G. Powles: On the validity of the Kelvin equation. In: Journal of Physics A: Mathematical and General. Band 18, 1985, S. 1551–1553, doi:10.1088/0305-4470/18/9/034.
  3. Walter J. Moore: Grundlagen der physikalischen Chemie. de Gruyter, Berlin 1990, ISBN 3-11-009941-1, S. 459 f.
  4. K. P. Galvin: A conceptually simple derivation of the Kelvin equation. In: Chemical Engineering Science. Band 60, 2005, S. 4659–4660, doi:10.1016/j.ces.2005.03.030.