Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“

Das Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ war eine nationalsozialistische Schulungseinrichtung für Rechtsreferendare im brandenburgischen Jüterbog, Neues Lager. Benannt wurde es nach dem preußischen Justizminister Hanns Kerrl. Es bestand vom 29. Juni 1933 bis September 1939.

Der preußische Justizminister Hanns Kerrl bei einem Besuch im Referendarlager in Jüterbog
Der preußische Justizminister Kerrl besucht das Referendarlager in Jüterbog, August 1933. Links neben ihm der Lagerleiter Oberstaatsanwalt Christian Spieler und SA-Sturmführer Heesch, sein Stellvertreter.

Geschichte

Gründung

Der preußische Justizminister Hanns Kerrl schuf durch Gründungsverordnung vom 29. Juni 1933 ein nationalsozialistisches Schulungslager für Rechtsreferendare in Jüterbog, etwa 60 Kilometer südlich von Berlin.[1] Der erste Lehrgang bestand aus dreiundvierzig preußischen Referendaren und begann am 11. Juli 1933.[2] Zwischen dem 12. Juli 1933 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 mussten etwa 20.000 preußische Rechtsreferendare acht Wochen ihres juristischen Vorbereitungsdienstes in diesem Schulungslager im Jüterboger Ortsteil Neues Lager verbringen.[1]

Vergleichbare Schulungslager für Rechtsreferendare bestanden im Arbeitsdienstlager Lütjensee in Schleswig-Holstein, wo Hamburger Referendare zusammen mit Arbeitsdienstwilligen seit September 1933 ihren Pflichtdienst ableisteten, sowie im „Hans-Frank-Lager“ in Rastatt, das der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) im Oktober 1933 für die badischen, hessischen und rheinpfälzischen Rechtsreferendare gegründet hatte.[3] Thüringer Rechtsreferendare mussten die Staatsschule für Führertum und Politik in Egendorf bei Blankenhain besuchen.[4] Mit dem Übergang zur zentralen Verwaltung der Justiz im Deutschen Reich am 1. April 1935 wurden die Lager der Länder aufgelöst.[5]

Seit dem 30. Januar 1936 wurden die Referendare aus dem gesamten Reichsgebiet ins Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ beordert; nicht mehr nur die aus Preußen;[1] jedoch erst in der Justizausbildungsordnung vom 4. Januar 1939 (Reichsgesetzblatt Teil I, S. 5) wurde angeordnet, dass deutschlandweit alle Rechtsreferendare zwei Monate ihres Vorbereitungsdienstes im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ abzuleisten hatten.[6]

Die preußischen Justizreferendare waren anfangs in den Baracken einer Kaserne im Jüterboger Ortsteil Neues Lager untergebracht. Der erste Spatenstich für Neubauten erfolgte am 4. Januar 1934. Ende Februar 1936 war die Anlage für 720 Lehrgangsteilnehmer und das Führungspersonal weitgehend fertiggestellt.[7]

Schulungen

Gegenstand der Schulungen im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ war weniger eine juristische Ausbildung als vor allem eine weltanschauliche Indoktrination im Geiste des Nationalsozialismus sowie ein paramilitärisches Training.[8] Die Rechtsreferendare waren für die Dauer ihres Aufenthalts im Gemeinschaftslager Jüterbog uniformiert.[9] Sie trugen eine graue Drillichuniform mit Hakenkreuz-Armbinde und dazu Kürassierstiefel (sogenannte Kanonenstiefel),[10] als Kopfbedeckung eine Feldmütze (ein so genanntes Feldkrätzchen).[11]

Einstellung des Betriebs

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 beanspruchte das Heer das Gelände bei Jüterbog für sich; der Schulungsbetrieb für Rechtsreferendare im Gemeinschaftslager „Hanns Kerrl“ wurde eingestellt.[1]

Personal

Erster Leiter des NS-Juristenlagers in Jüterbog war der Oberstaatsanwalt Christian Spieler.[12] Spieler leitete jedoch nur von Juli 1933 bis Dezember 1934 das Jüterboger „Gemeinschaftslager“ für Rechtsreferendare. Im Januar 1935 wurde er durch den zum Architekten ausgebildeten Karl Hildebrandt abgelöst. Dieser blieb bis zur Schließung des Referendarlagers im Herbst 1939 im Amt.[13] Stellvertretender Lagerkommandant unter Christian Spieler war zunächst ein SA-Sturmführer namens Heesch aus Elmshorn. Ihm folgte der Amts- und Landrichter Dr. Freyher. Am 1. Juni 1934 wurde der Oberlandesgerichtsrat Maas (NSDAP-Mitglied seit 1. März 1932) zum stellvertretenden Lagerleiter berufen; er blieb bis Ende März 1936 in diesem Amt. Nach dem Wechsel in der Lagerleitung von Spieler zu Hildebrandt im Januar 1935 war vom 25. März 1936 bis Oktober 1938 Erich Lawall (NSDAP-Mitglied seit 1. Juni 1935) stellvertretender Lagerleiter. Lawalls Nachfolger von Oktober 1938 bis zur Schließung des Lagers Anfang September 1939 wurde ein gewisser Bahls.[14]

Unter den Dozenten, Schulungsleitern und Vortragsrednern, die sich in Jüterbog an der Schulung angehender Juristen im nationalsozialistischen Geiste beteiligten, waren unter anderem Georg Basner, Hermann Behrends, Werner Best, Hermann Bohnacker, Georg Dahm, Wenzeslaus von Gleispach, Kurt-Walter Hanssen, Albert Hartl, Siegmund Kunisch, Erich Lattmann, Curt Rothenberger[15] und Karl Siegert.[16]

Absolventen (Auswahl)

Unter den Absolventen des Gemeinschaftslagers „Hanns Kerrl“ waren nahezu alle deutschen Juristen, die in der fraglichen Zeit von Januar 1936 bis September 1939 vor ihrem zweiten juristischen Staatsexamen (Assessorexamen) gestanden haben, darunter auch Karl Carstens, Sebastian Haffner, Kurt Georg Kiesinger, Lauritz Lauritzen[17], Helmuth James Graf von Moltke, Franz Nüßlein, Kurt Sachweh, Edmund Stark und Wilhelm Wengler.

Literatur

  • Roland Freisler, Siegmund Kunisch, Christian Spieler: „Gemeinschaftslager Hanns Kerrl“, Berlin 1934.
  • Folker Schmerbach: „Das »Gemeinschaftslager Hanns Kerrl« für Referendare in Jüterbog 1933–1939“, Verlag: Mohr Siebeck, 2008, ISBN 978-3-16-149585-4.
  • Henrik Schulze: „Jammerbock III – Die Wehrmacht (1935–1945)“, Band 3 der Militärgeschichte Jüterbogs 1792–2014 in 4 Bänden, E. Meißler, Dezember 2016, 670 Seiten, ISBN 978-3932566769, S. 280–294.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Werner Schubert, Kiel, Buchbesprechung zu: Schmerbach, Folker, Das „Gemeinschaftslager Hanns Kerrl“ für Referendare in Jüterbog 1933-1939 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts). Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XIII, 325 S., http://www.koeblergerhard.de/ZRG126Internetrezensionen2009/SchmerbachFolker-DasGemeinschaftslager.htm
  2. Friedrich P. Kunde, „Referendare in Uniform. Probleme der Jüterbog-Juristen ohne Juristerei – Die Erfahrungen der ersten Tage“, in: Breisgauer Nachrichten, 68. Jahrgang, Nr. 162, 15. Juli 1933, S. 4, Digitalisat im Stadtarchiv der Stadt Emmendingen, https://stadtarchiv.emmendingen.de/fileadmin/Website_Stadtarchiv/Dateien/1930_-_1939/1933/19330715.pdf
  3. Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, ISBN 978-3-486-53833-5, S. 301
  4. Ilse Staff (Hrsg.), „Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation“, Fischer-Bücherei, Bücher des Wissens, Frankfurt am Main und Hamburg, 1964, S. 136; dort ein Bericht von Justus W. Hedemann, Jena.
  5. Werner Johe, „Die gleichgeschaltete Justiz: Organisation des Rechtswesens und Politisierung der Rechtsprechung 1933-1945 dargestellt am Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg“, Christians, 1983, S. 221, https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/Publikationen_digital/Werner%20Johe%20Die%20gleichgeschaltete%20Justiz.pdf
  6. Ilse Staff (Hrsg.), „Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation“, Fischer Bücherei, Bücher des Wissens, Frankfurt am Main und Hamburg, 1964, S. 140ff., S. 140
  7. Rainer Stommer, „Medizin im Dienste der Rassenideologie: Die »Führerschule der Deutschen Ärzteschaft« in Alt Rehse“, Ch. Links-Verlag, 2017, 144 Seiten, S. 17, https://www.google.de/books/edition/Medizin_im_Dienste_der_Rassenideologie/EZ87DwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Gemeinschaftslager+J%C3%BCterbog+Hanns+Kerrl+Referendar&pg=PA17&printsec=frontcover
  8. Anne C. Haupt, Fabian Forst, Bundesarchiv, Reichsjustizprüfungsamt, BArch R 3012, https://www.bundesarchiv.de/findbuecher/rlg_findm/findb/R3012-34887.xml : „Das Lager diente zur Heranbildung einer ideologisch geschulten und im nationalsozialistischen Sinne gefestigten künftigen juristischen Funktionselite.“
  9. Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, ISBN 978-3-486-53833-5, S. 310: In der Allgemeinverfügung zum Ausbau des Gemeinschaftslagers Hanns Kerrl des Reichsjustizministeriums von Oktober 1937 „…hieß es ausdrücklich, daß »eine Ausbildung in militärischer Form unterbleibt«, da soldatische Haltung bei den Referendaren nunmehr vorausgesetzt werden könne. Dennoch trugen die Referendare - später bei Ausgang aus dem Lager nicht mehr - weiterhin Uniform.“
  10. Sebastian Haffner, „Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933“, Deutscher Taschenbuch-Verlag (dtv), München, Juni 2002, Kap. 35, S. 252: „Vier Wochen später trug ich Kanonenstiefel und eine Uniform mit einer Hakenkreuzbinde und marschierte viele Stunden am Tage als Teil einer uniformierten Kolonne in der Umgebung von Jüterbog umher…“. Siehe auch Kap. 36, S. 255/256: „Sie alle trugen dieselbe graue Uniform mit Hakenkreuzbinde…“
  11. Friedrich P. Kunde, „Referendare in Uniform. Probleme der Jüterbog-Juristen ohne Juristerei – Die Erfahrungen der ersten Tage“, in: Breisgauer Nachrichten, 68. Jahrgang, Nr. 162, 15. Juli 1933, S. 4, https://stadtarchiv.emmendingen.de/fileadmin/Website_Stadtarchiv/Dateien/1930_-_1939/1933/19330715.pdf
  12. Marc von Miquel, „Juristen: Richter in eigener Sache“, S. 181–237, S. 185, in: Norbert Frei (Hrsg.), „Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945“, Campus-Verlag, Frankfurt am Main/ New York. In Zusammenarbeit mit Tobias Freimüller, Marc von Miquel, Tim Schanetzky, Jens Scholten, Matthias Weiß
  13. Folker Schmerbach, „Das »Gemeinschaftslager Hanns Kerrl« für Referendare in Jüterbog 1933–1939“, Mohr Siebeck, 2008, S. 76
  14. Folker Schmerbach, „Das »Gemeinschaftslager Hanns Kerr« für Referendare in Jüterbog 1933–1939“, S. 93, Fußnote 433, https://books.google.de/books?id=XDvYfw_jc6AC&newbks=1&newbks_redir=0&printsec=frontcover&pg=PA93; siehe dort auch S. 66, Fußnote 276
  15. Werner Johe, „Die gleichgeschaltete Justiz: Organisation des Rechtswesens und Politisierung der Rechtsprechung 1933-1945 dargestellt am Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Hamburg“, Christians, 1983, S. 221, https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/Publikationen_digital/Werner%20Johe%20Die%20gleichgeschaltete%20Justiz.pdf : „Er kannte den Betrieb des Lagers aus eigener Anschauung, weil er dort wiederholt Vorträge gehalten hatte.“
  16. Lothar Gruchmann, „Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner“, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Nr. 28, 3., verbesserte Auflage, Oldenbourg-Verlag, München 2001, S. 311
  17. Sabine Schneider, Eckart Conze, Jens Flemming, Dietfrid Krause-Vilmar (Hg.), „Vergangenheiten. Die Kasseler Oberbürgermeister Seidel, Lauritzen, Branner und der Nationalsozialismus“, Schüren-Verlag, Marburg, 2015, S. 70, https://www.uni-kassel.de/fb01/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=622&token=4d58397922862b7446bfba01e50a57f357e69249 : „Vom 10. Februar bis zum 4. April 1936 absolvierte er das obligatorische «Gemeinschaftslager Hanns Kerrl» für Referendare im brandenburgischen Jüterbog.“