Simpel (Roman)

Simpel (französisch: Simple) ist ein Jugendbuch der französischen Autorin Marie-Aude Murail aus dem Jahr 2004. Der Roman handelt von einem geistig behinderten jungen Mann, der gemeinsam mit seinem Bruder in eine Wohngemeinschaft zieht. Das Buch wurde 2017 von Markus Goller unter demselben Titel verfilmt.

Inhalt

Handlung

Barnabé Maluri, „Simpel“ ( im französischen „simple“) genannt, ist 22 Jahre alt, aber geistig auf dem Stand eines Dreijährigen. Seine Mutter ist gestorben; sein jüngerer Bruder Colbert (fr: Kléber )(17) hat ihr vor ihrem Tod versprochen, sich um Simpel zu kümmern, und nimmt ihn zu sich, nachdem der Vater eine neue Partnerin gefunden hatte und Simpel in einem Heim untergebracht hat, in dem dieser nicht zureichend betreut worden ist. Colbert zieht mit Simpel nach Paris, wo er die Abschlussklasse eines Elitegymnasiums besuchte und anschließend studieren möchte. Nach kurzem Aufenthalt bei einer alten Tante finden sie zwei Zimmer in einer Wohngemeinschaft, zu der bereits vier Studierende gehören: Die schöne Aria, ihr 25-jähriger Freund Emmanuel, ihr Bruder Corentin und dessen Freund aus Kinderzeiten Enzo. Enzo gibt sich depressiv und wenig unternehmungslustig, weil er in Aria verliebt ist und keine Chance sieht, diese für sich zu gewinnen; Corentin ist unzufrieden mit Enzos launenhaftem Wesen, dem er die Schuld daran gibt, dass er keinen Kontakt zu Mädchen finden kann, und Aria nimmt von Enzos Leiden gar nichts wahr, bis Simpel auf einem Streifzug durch die Wohnung ein angefangenes Romanmanuskript entdeckt, das Enzo geschrieben hat und in dem er wenig verschlüsselt seine Liebe zu Aria behandelt. Simpel deponiert es in Arias Zimmer, die den Text liest und Enzo plötzlich mit anderen Augen betrachtet. Überhaupt brechen Simpel, sein Stofftier Monsieur Hasehase und Colbert sowie dessen Freundinnen Béatrice und Zahra eingefahrene Strukturen im Hause auf. Einen älteren Herrn, der unter der Wohngemeinschaft lebt und bislang immer nur über deren unmoralische Lebensweise – fälschlicherweise nimmt er an, dass all die jungen Männer ein Verhältnis mit Aria haben – und das ständige Verstopfen des Müllschluckers geschimpft hat, gewinnen Colbert und Simpel dadurch, dass sie sonntags die heilige Messe besuchen. Monsieur Gottlieb, wie er sich bald nennen lässt, rettet Monsieur Hasehase mehrfach davor, verlorenzugehen, was für Simpel eine Katastrophe darstellen würde, und wird nach und nach zum Vertrauten Enzos, dessen Kampf um Aria er mit allerlei Ratschlägen zu unterstützen sucht. Eine Angestellte des Jugendamtes, die auf Betreiben Monsieur Maluris Simpel wieder ins Heim zu bringen versucht, löst große Verwirrung bei den Eltern Arias und Corentins aus, nachdem sie von Simpel in die Irre geführt worden ist und diesen mit Corentin verwechselt hat, Zahra triumphiert schließlich über ihre Rivalin Béatrice und Enzo bekommt seine Chance bei Aria. Freilich tritt dieses glückliche Ende erst nach allerlei Komplikationen ein. Zeitweise ist Simpel sowohl für seinen Bruder als auch für die Mitbewohner nur schwer erträglich; das Experiment, ihn unter der Woche in der Anstalt betreuen zu lassen, glückt nicht und Monsieur Maluris Vorstoß, ihn überhaupt wieder dort unterzubringen, endet damit, dass Simpel, verkleidet als seine Phantasiefigur Monsieur Mutchbinguen, aus der Anstalt flieht und orientierungslos durch Paris irrt. Als er schließlich von zwei Prostituierten aufgegriffen wird, die Colbert verständigen, ist dessen Erleichterung unendlich groß und es steht für ihn wie auch für die Mitbewohner – mit Ausnahme von Arias ehemaligem Freund – nun fest, dass er Simpel nicht wieder von seiner Seite lassen wird.

Das Leben mit Behinderung

Wie kann Colberts Ausbildung unter diesen Umständen gelingen?

Um Colbert eine Chance auf einen erfolgreichen Schulabschluss bieten zu können, muss eine Lösung her. Colbert muss die Betreuung Simpels, seine Ausbildung und seine Freundin unter einen Hut bekommen. Zunächst scheint der Literaturstudent Enzo eine Lösung. „Enzo wurde bewusst, dass alle anderen ihn, ohne sich abzusprechen, die Aufsicht über den Idioten aufs Auge drückten, wenn Colbert nicht da war.“ (S. 173) Doch nur wenige Zeit später will Enzo diese Aufgabe nicht mehr übernehmen. (S.197)

Colbert entwickelt die durchtriebene Idee, Simpel seiner Klassenkameradin Zahra anzuvertrauen. Dabei entdeckt Simpel eine Spielkameradin in Zahras gehörloser Schwester Amira. (S. 200)

Der Vorschlag von Madame Bardoux, einer Mitarbeiterin des Jugendamts, scheint als Nächstes eine nicht ideale, aber vorerst die bestmögliche Lösung, um Simpels Intellekt anzuregen und Colberts Schulausbildung zu ermöglichen. Simpel soll unter der Woche in der Anstalt Malicroix untergebracht werden. Freitags oder samstags wird er von Colbert abgeholt, um das Wochenende in der WG zu verbringen. Der Vater soll Simpel sonntagsabends zurückbringen. Nachdem Simpel eines Abends aus Malicroix ausbricht, setzt sich Enzo dafür ein, dass dieser nicht mehr nach Malicroix zurück muss. „Habt ihr Simpel noch nie Malicroix spielen hören? Der Ort ist schrecklich für ihn!“ (S. 219)

Zahra, die sowohl Colbert als auch Simpel sehr ins Herz geschlossen hat, schlägt Colbert vor mittwochs oder samstags auf Simpel aufzupassen, da sie an diesen Tagen zu Hause ist. (S. 233)

Auch die WG-Bewohner, die Simpel und seinen Bruder mittlerweile sehr lieb gewonnen haben, machen sich Gedanken. Aria schlägt vor, Colbert zu helfen (S..236 f.). Die WG-Bewohner wollen sich absprechen. Enzo wird von nun an montags und dienstags für Simpel da sein, Aria nimmt sich samstags Zeit für ihn und Corentin will Simpel sonntags mit in den Park zum Joggen nehmen. Simpel hat Freunde gefunden und braucht auch Monsieur Hasehase immer weniger.

Durch den Zusammenhalt der WG-Bewohner sowie Colberts Freundin Zahra und deren Familie besteht nun doch die Möglichkeit für Colbert, seinen Schulabschluss zu meistern.

Vor- und Nachteile der Heimunterbringung - Malicroix

Malicroix ist eine psychiatrische Anstalt, für erwachsene ältere Menschen mit zum Beispiel Demenz oder Wahnvorstellungen. Diese gab es wirklich in Marseille und sie wurde bereits vor längerer Zeit geschlossen.

Im Roman wird die Einrichtung wie folgt beschrieben und bringt viele Nachteile für Simpel:

Bei Malicroix handelt es sich um ein herrschaftliches Gebäude, vormals Adelshaus. Schon die hinführende Allee mit den Statuen sich aufbäumender Pferden ist furchteinflößend (S. 228). Die Begrüßung am Empfang ist kalt und desinteressiert. Der Tagesplan beinhaltet nicht zeitgemäße Essens- und Schlafenszeiten (S. 230). Es gibt eine Etagenaufseherin, wie in einem Gefängnis (S. 245). Anscheinend ist keine zuständige Krankenschwester oder Pflegekraft vorhanden. Allgemein gibt es in der Einrichtung zu wenig Personal, welches zudem die Menschen abfällig als "Insassen" bezeichnet. Bei der Suche nach der alten Frau Chémel wird kein Arzt verständigt, woraus sich schließen lässt, dass kein Arzt in der Einrichtung anwesend ist und allgemeiner Ärztemangel herrscht (S. 245). Die Kräfte kennen die Bewohner meist nicht persönlich, da Simpel trotz Gespräch am Empfang die Flucht gelingt (S.247). Eine für solche Einrichtungen übliche nächtliche Kontrolle durch Pflegekräfte wird nicht durchgeführt (S. 256).

Aus dem Verhalten Simpels lässt sich erkennen, dass es in Malicroix keine Therapien, keine Förderung, keine direkte Kontakt- oder Bezugsperson für Ihn gibt. Simpel fehlt es an Zuwendung, Geborgenheit und Sicherheit. Er hat keine Möglichkeit seinen Fähigkeiten entsprechend am Alltag teilzunehmen, er wird an seiner Entwicklung gehindert.

Statt Hilfe erfährt Simpel in Malicroix ein Trauma (S. 120/121, S. 232), welches er immer wieder versucht durch das Malicroix-Spiel zu verarbeiten (S. 18/19), bis hin zur Suiziddrohung (S. 219).


Natürlich hat eine Unterbringung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen normalerweise auch Vorteile:

Simpel könnte ständig unter Kontrolle sein und weder sich noch anderen Schaden zufügen. Jedoch wird dieser Punkt durch seine die Flucht widerlegt. Auch wäre für seine Grundbedürfnisse dort gesorgt.

Ideal für Simpel wäre eine Heimunterbringung während der Woche und der Aufenthalt bei Colbert in der WG am Wochenende. Allerdings sollte diese Einrichtung speziell auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen wie Simpel, zugeschnitten sein. Eine altersgerechte sonderpädagogische Schule beziehungsweise Werkstatt mit Wohneinrichtung, in der er seinen Fähigkeiten entsprechend betreut und gefördert wird, wäre geeignet.

Die WG - eine Lösung für Menschen mit Behinderung? Wie realistisch ist der Roman?

Anfangs ist das Leben für die WG-Bewohner mit Simpel sehr befremdlich. Sie wissen ja nicht, was auf sie zukommt und wie sie mit Simpel umgehen sollen. Mit der Zeit aber gewöhnen sie sich an Simpel und seine Eigenarten (manche Bewohner schneller, manche langsamer), sodass sie ihn sogar vermissen, als er gegen Ende des Buches unter der Woche in seine frühere Klinik nach Malicroix muss. Aus dieser Situation heraus schlagen die Mitbewohner Colbert vor, abwechselnd auf Simpel aufzupassen, damit er eben nicht mehr in diese Anstalt muss. Als Simpel aus Malicroix ausbricht, duarf er wieder in der WG wohnen.

Laut dem Buch ist also die WG eine Lösung für Menschen mit Behinderung. Voraussetzung dafür sind natürlich Mitbewohner, die wie in dem Buch, mehr Zeit zur Verfügung haben und nicht jeden bzw. den ganzen Tag arbeiten müssen. Ebenso ist es wichtig, dass sie mit dem Beeinträchtigten klar kommen. Natürlich braucht es anfangs mehr Zeit und Hochs und Tiefs, bis sich das WG-Leben eingependelt hat, aber wie in dem Buch geschrieben, findet man meist eine Lösung Auch im alltäglichen Leben gilt das betreute Wohnen als eine Möglichkeit, Menschen mit Beeinträchtigungen soweit wie möglich in den Alltag zu integrieren. Anders als im Roman allerdings gehören hier Therapeuten, Sozialpädagogen oder Pflegekräfte mit zur Wohngemeinschaft.

Rezeption

Rezensionen

„Der Roman der Französin Marie-Aude Murail über einen Jugendlichen mit Behinderung ist eine verwirrend komische Huldigung des Andersseins und der Liebe.“

Roswitha Budeus-Budde: Süddeutsche Zeitung[1]

„Was für ein warmherziges Buch, das ein aktuelles Thema so ganz anders angeht als die meisten! [...] Der Leser kommt aus dem Lachen kaum heraus, auch wenn es einem manchmal eher im Hals stecken bleibt oder man eigentlich lieber eine stille Träne verdrücken will. Auf diese unnachahmlich beschwingte heitere Art, die der Leser zu schätzen weiß, behandelt Marie-Aude Murail auch hier Themen unserer heutigen Gesellschaft und zwingt ihre Leser, diese Probleme zur Kenntnis zu nehmen und sich viel gezielter damit auseinanderzusetzen. Dabei räsoniert sie weder noch behandelt das Thema in irgendeiner Weise abstrakt oder theoretisch. In der Tat wird es nicht einmal als Problem formuliert – die Handlung spricht für sich selbst.“

Bernhard Hubner, Astrid van Nahl: Alliteratus[2]

Auszeichnungen

Ausgaben

  • Simpel. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-18596-2 (französisch, Französische Ausgabe).
  • Simple. 1. Auflage. Klett Sprachen, Stuttgart 2006, ISBN 3-12-592250-X (französisch, Französische Ausgabe).
  • Simple. 14. Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2013, ISBN 978-3-596-80649-2 (Deutsche Ausgabe).

Einzelnachweise

  1. Marie-Aude Murail, Simpel, Roman – Pressestimmen. In: fischerverlage.de. Abgerufen am 31. Mai 2011.
  2. a b Marie-Aude Murail. In: alliteratus.com. Abgerufen am 12. Mai 2011.
  3. Ausgezeichnet: “Simpel” von Marie-Aude Murail. In: buch-rezensionen.com. 21. Februar 2009, abgerufen am 31. Mai 2011.