„Swetlana Geier“ – Versionsunterschied

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'''Swetlana Geier''' (gebürtig: ''Swetlana Michailowna Iwanowa''; * [[26. April]] [[1923]] in [[Kiew]], [[Russland]]; † [[7. November]] [[2010]] in [[Freiburg im Breisgau]]<ref>http://www.landbote.ch/detail/article/uebersetzerin-swetlana-geier-87-jaehrig-in-freiburg-gestorben/gnews/99122479/</ref>) war eine [[Übersetzer|Literaturübersetzerin]], die aus dem Russischen, ihrer Muttersprache, ins Deutsche übersetzte. Sie lebte seit 1943 in Deutschland.
[[Datei:Swetlana Geier 2008.jpg|miniatur|Swetlana Geier (2008)]]

'''Swetlana Geier''' (gebürtig: ''Swetlana Michailowna Iwanowa''; * [[26. April]] [[1923]] in [[Kiew]], heute [[Ukraine]]; † [[7. November]] [[2010]] in [[Freiburg im Breisgau]]<ref>[http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-11/swetlana-geier-dostojeski-uebersetzerin ZEIT online, 8. November 2010: Dostojewskij-Übersetzerin Swetlana Geier ist tot]</ref>) war eine [[Deutschland|deutsche]] [[Übersetzer|Literaturübersetzerin]], die aus dem Russischen, ihrer Muttersprache, ins Deutsche übersetzte.


== Leben ==
== Leben ==

Swetlana Geier wurde 1923 als Tochter russischer Eltern in Kiew geboren. Ihr Vater war Naturwissenschaftler, ein Spezialist für Pflanzenzucht, ihre Mutter stammte aus einer Familie zaristischer Offiziere. Ihr Vater wurde 1938 im Zuge von Stalins [[Großer Terror (Sowjetunion)|Großem Terror]] verhaftet und starb 1939 an den Folgen der Haft.
Swetlana Geier wurde 1923 als Tochter russischer Eltern in Kiew geboren. Ihr Vater war Naturwissenschaftler, ein Spezialist für Pflanzenzucht, ihre Mutter stammte aus einer Familie zaristischer Offiziere. Ihr Vater wurde 1938 im Zuge von Stalins [[Großer Terror (Sowjetunion)|Großem Terror]] verhaftet und starb 1939 an den Folgen der Haft.


Swetlana Iwanowa hatte eine behütete Kindheit und erhielt schon früh Privatunterricht in Französisch und Deutsch. 1941, im Jahr des [[Zweiter Weltkrieg#Der Überfall auf die Sowjetunion|Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion]], machte sie ihr Abitur mit Bestnoten und immatrikulierte sich an der Fakultät für westeuropäische Sprachen der [[Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine|Ukrainischen Akademie der Wissenschaften]]. Dort wurde sie auch als Übersetzerin am Geologischen Institut tätig.
Swetlana Iwanowa hatte eine behütete Kindheit und erhielt schon früh Privatunterricht in Französisch und Deutsch. 1941, im Jahr des [[Zweiter Weltkrieg#Der Überfall auf die Sowjetunion|Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion]], machte sie ihr Abitur mit Bestnoten und immatrikulierte sich an der Fakultät für westeuropäische Sprachen der [[Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine|Ukrainischen Akademie der Wissenschaften]]. Dort wurde sie auch als Übersetzerin am Geologischen Institut tätig.


Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Kiew nahm sie eine Stelle als Dolmetscherin auf der dortigen Baustelle der [[Rheinstahl|Dortmunder Brückenbau AG]] an. Ihr war ein Stipendium in Deutschland versprochen worden, wenn sie zuvor ein Jahr für die Deutschen arbeiten würde. 1943, nach der Niederlage der deutschen Truppen in der [[Schlacht von Stalingrad]], musste das Unternehmen seine Tätigkeit in Kiew einstellen. Swetlana Iwanowa war sich bewusst, dass sie wegen ihrer Arbeit für die Deutschen für ihre Landsleute eine [[Kollaboration|Kollaborateurin]] war und dass sie in der Sowjetunion niemals würde studieren können. Auch ihre Mutter wollte nicht länger mit den „Mördern des Vaters“ zusammenleben. So schlossen sie sich gemeinsam der nach Deutschland zurückkehrenden Brückenbaufirma an. Sie wurden festgenommen und kamen in ein Lager für Ostarbeiter in [[Dortmund]], dem sie mit Hilfe von Freunden nach einem halben Jahr entkommen konnten.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Kiew nahm sie eine Stelle als Dolmetscherin auf der dortigen Baustelle der [[Rheinstahl|Dortmunder Brückenbau AG]] an. Ihr war ein Stipendium in Deutschland versprochen worden, wenn sie zuvor ein Jahr für die Deutschen arbeiten würde. 1943, nach der Niederlage der deutschen Truppen in der [[Schlacht von Stalingrad]], musste das Unternehmen seine Tätigkeit in Kiew einstellen. Swetlana Iwanowa war sich bewusst, dass sie wegen ihrer Arbeit für die Deutschen für ihre Landsleute eine [[Kollaboration|Kollaborateurin]] war und dass sie in Russland niemals würde studieren können. Auch ihre Mutter wollte nicht länger mit den „Mördern des Vaters“ zusammenleben. So schlossen sie sich gemeinsam der nach Deutschland zurückkehrenden Brückenbaufirma an. Sie wurden festgenommen und kamen in ein Lager für Ostarbeiter in [[Dortmund]], dem sie mit Hilfe von Freunden nach einem halben Jahr entkommen konnten.


Nach einer Begabtenprüfung erhielt Swetlana Iwanowa ein [[Alexander von Humboldt-Stiftung|Humboldt-Stipendium]], wodurch ihr Traum von einem Studium verwirklicht wurde. Sie zog mit der Mutter nach [[Günterstal]], einem Stadtteil von [[Freiburg im Breisgau|Freiburg]], und nahm 1944 an der [[Albert-Ludwigs-Universität Freiburg|Universität Freiburg]] ein Studium der [[Literaturwissenschaft]] und [[Vergleichende Sprachwissenschaft|vergleichenden Sprachwissenschaft]] auf. Durch Heirat änderte sie ihren Familiennamen in ''Geier''. Sie war Mutter zweier Kinder und lebte bis zu ihrem Tod in Günterstal.
Nach einer Begabtenprüfung erhielt Swetlana Iwanowa ein [[Alexander von Humboldt-Stiftung|Humboldt-Stipendium]], wodurch ihr Traum von einem Studium verwirklicht wurde. Sie zog mit der Mutter nach [[Günterstal]], einem Stadtteil von [[Freiburg im Breisgau|Freiburg]], und nahm 1944 an der [[Albert-Ludwigs-Universität Freiburg|Universität Freiburg]] ein Studium der [[Literaturwissenschaft]] und [[Vergleichende Sprachwissenschaft|vergleichenden Sprachwissenschaft]] auf. Durch Heirat änderte sie ihren Familiennamen in ''Geier''. Sie war Mutter zweier Kinder und lebte bis zu ihrem Tod in Günterstal.

Ihre Übersetzertätigkeit begann sie 1953 im Rahmen der damals neuen Reihe ''[[Rowohlt Verlag|Rowohlt]] Klassiker''. Die Übersetzung von Literatur aus dem Russischen ins Deutsche war eine Nebentätigkeit, deren Bedeutung allmählich zunahm.


Swetlana Geier wurde 1960 Lektorin für russische Sprache an der [[Karlsruher Institut für Technologie|Universität Karlsruhe]]. Seit 1964 hatte sie dort einen achtstündigen Lehrauftrag; bis zu ihrem Tod fuhr sie einmal wöchentlich mit dem Zug von Freiburg nach Karlsruhe. Darüber hinaus war sie von 1964 bis 1988 Lektorin für Russisch am Slawischen Seminar der Universität Freiburg. Von 1979 bis 1983 nahm sie einen Lehrauftrag für Russische Sprache und Literatur an der [[Universität Witten/Herdecke]] wahr.
Swetlana Geier wurde 1960 Lektorin für russische Sprache an der [[Karlsruher Institut für Technologie|Universität Karlsruhe]]. Seit 1964 hatte sie dort einen achtstündigen Lehrauftrag; bis zu ihrem Tod fuhr sie einmal wöchentlich mit dem Zug von Freiburg nach Karlsruhe. Darüber hinaus war sie von 1964 bis 1988 Lektorin für Russisch am Slawischen Seminar der Universität Freiburg. Von 1979 bis 1983 nahm sie einen Lehrauftrag für Russische Sprache und Literatur an der [[Universität Witten/Herdecke]] wahr.


Auch im Bereich der Schule hat sie sich um den Unterricht der russischen Sprache Verdienste erworben: In Freiburg baute sie Russischunterricht als Pflichtwahlfach an einem Gymnasium auf, an den [[Waldorfschule]]n in Deutschland betreute sie 25 Jahre lang den Russischunterricht.
Auch im Bereich der Schule hat sie sich um den Unterricht der russischen Sprache Verdienste erworben: In Freiburg baute sie Russischunterricht als Pflichtwahlfach an einem Gymnasium auf, an den [[Waldorfschule]]n in Deutschland betreute sie 25 Jahre lang den Russischunterricht.

Ihre Übersetzertätigkeit begann sie 1953 im Rahmen der damals neuen Reihe ''[[Rowohlt Verlag|Rowohlt]] Klassiker''.


Sie starb am 7. November 2010 im Alter von 87 Jahren in Freiburg.
Sie starb am 7. November 2010 im Alter von 87 Jahren in Freiburg.


== Werk ==
== Werk ==

Swetlana Geier gehörte zu den bedeutendsten Übersetzern russischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Sie übersetzte unter anderen Werke von [[Lew Nikolajewitsch Tolstoi|Tolstoi]], [[Michail Afanassjewitsch Bulgakow|Bulgakow]] und [[Alexander Issajewitsch Solschenizyn|Solschenizyn]]. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie durch die Neuübersetzung der großen Romane [[Fjodor Michailowitsch Dostojewski|Fjodor Dostojewski]]s bekannt. Sie scheute sich nicht, altbekannte Titel neu zu formulieren. Dabei hat sie nach ihrer Aussage die Titel lediglich aus dem Russischen übersetzt. Aus ''[[Schuld und Sühne]]'' ''(Преступление и наказание)'' wurde ''Verbrechen und Strafe'', aus ''[[Die Dämonen (Dostojewski)|Die Dämonen]]'' ''(Бесы)'' wurde ''Böse Geister'', aus ''Der Jüngling'' ''(Подросток)'' wurde ''Ein grüner Junge''. Zuletzt erschienen Dostojewskis ''Der Bauer Marej'' (2008) und ''[[Der Spieler]]'' (2009).
Swetlana Geier gehörte zu den bedeutendsten Übersetzern russischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Sie übersetzte unter anderen Werke von [[Lew Nikolajewitsch Tolstoi|Tolstoi]], [[Michail Afanassjewitsch Bulgakow|Bulgakow]] und [[Alexander Issajewitsch Solschenizyn|Solschenizyn]]. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie durch die Neuübersetzung der großen Romane [[Fjodor Michailowitsch Dostojewski|Fjodor Dostojewski]]s bekannt. Sie scheute sich nicht, altbekannte Titel neu zu formulieren. Dabei hat sie nach ihrer Aussage die Titel lediglich aus dem Russischen übersetzt. Aus ''[[Schuld und Sühne]]'' ''(Преступление и наказание)'' wurde ''Verbrechen und Strafe'', aus ''[[Die Dämonen (Dostojewski)|Die Dämonen]]'' ''(Бесы)'' wurde ''Böse Geister'', aus ''Der Jüngling'' ''(Подросток)'' wurde ''Ein grüner Junge''. Zuletzt erschienen Dostojewskis ''Der Bauer Marej'' (2008) und ''[[Der Spieler]]'' (2009).


Durch ihre Arbeit an der Universität war Swetlana Geier finanziell nie auf ihre Tätigkeit als Übersetzerin angewiesen.<ref>taz vom 10. November 2010: „Eine Affäre mit Dostojewski“.</ref> Dadurch war es ihr möglich, sich für eine Übersetzung viel Zeit zu nehmen und sich ganz in den Text zu vertiefen. So investierte sie in die Übersetzung von Dostojewskis Romanen fünfzehn Jahre. Ungewöhnlich an ihrer Arbeitsweise war, dass sie ihre Übersetzungen diktierte.
Durch ihre Arbeit an der Universität war Swetlana Geier finanziell nie auf ihre Tätigkeit als Übersetzerin angewiesen. Dadurch war es ihr möglich, sich für eine Übersetzung viel Zeit zu nehmen und sich ganz in den Text zu vertiefen. So investierte sie in die Übersetzung von Dostojewskis Romanen fünfzehn Jahre. Ungewöhnlich an ihrer Arbeitsweise war, dass sie ihre Übersetzungen diktierte.


== Auszeichnungen ==
== Auszeichnungen ==

Für ihre herausragenden Verdienste um die Vermittlung russischer Kultur, Geschichte und Literatur erhielt Swetlana Geier unter anderem
Für ihre herausragenden Verdienste um die Vermittlung russischer Kultur, Geschichte und Literatur erhielt Swetlana Geier unter anderem
* 1995: [[Reinhold-Schneider-Preis]] der Stadt Freiburg
* 1995: [[Reinhold-Schneider-Preis]] der Stadt Freiburg
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* 2007: [[Preis der Leipziger Buchmesse]] in der Kategorie „Übersetzung“
* 2007: [[Preis der Leipziger Buchmesse]] in der Kategorie „Übersetzung“
* 2007: Ehrendoktorwürde der [[Albert-Ludwigs-Universität Freiburg]]
* 2007: Ehrendoktorwürde der [[Albert-Ludwigs-Universität Freiburg]]

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== Nachrufe ==
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== Literatur ==
== Literatur ==

* Swetlana Geier: Ein Leben zwischen den Sprachen. Russisch-Deutsche Erinnerungsbilder, aufgezeichnet von Taja Gut, 2008. ISBN 978-3-85636-212-6.
* Swetlana Geier: Ein Leben zwischen den Sprachen. Russisch-Deutsche Erinnerungsbilder, aufgezeichnet von Taja Gut, 2008. ISBN 978-3-85636-212-6.
* Swetlana Geier: Leben ist Übersetzen. Gespräche mit Lerke von Saalfeld, 2008. ISBN 978-3-250-30022-9.
* Swetlana Geier: Leben ist Übersetzen. Gespräche mit Lerke von Saalfeld, 2008. ISBN 978-3-250-30022-9.


== Film ==
== Film ==

* 2009: [[Die Frau mit den 5 Elefanten]] {{IMDb Titel|tt1510726|Dokumentarfilm von Vadim Jendreyko}}
* 2009: [[Die Frau mit den 5 Elefanten]] {{IMDb Titel|tt1510726|Dokumentarfilm von Vadim Jendreyko}}


== Weblinks ==
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* [http://www.welt.de/print-welt/article708277/Ein_gruener_Junge_ist_fuer_Swetlana_Geier_der_modernste_Dostojewski.html Ein grüner Junge ist für Swetlana Geier der modernste Dostojewski] – Artikel auf ''WELT ONLINE'' vom 13. Januar 2007
* [http://www.welt.de/print-welt/article708277/Ein_gruener_Junge_ist_fuer_Swetlana_Geier_der_modernste_Dostojewski.html Ein grüner Junge ist für Swetlana Geier der modernste Dostojewski] – Artikel auf ''WELT ONLINE'' vom 13. Januar 2007
* [http://www.kulturatelier.com/geier.htm Kurzer Lebenslauf auf kulturatelier.com]
* [http://www.kulturatelier.com/geier.htm Kurzer Lebenslauf auf kulturatelier.com]
* [http://www.zeit.de/2007/29/KA-Geier?page=all Interview (2007) in der Wochenzeitung "Die Zeit"]
* [http://www.zeit.de/2007/29/KA-Geier?page=all Interview (2007) in der Wchenzeitung "Die Zeit"]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

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[[Kategorie:Übersetzung (Literatur)]]
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[[Kategorie:Träger der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg]]
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<!-- Spätere Nationalität (vermutl. Deutsch: Heirat u. 67 Jahre in Deutschld. gelebt) -->
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[[ru:Гайер, Светлана]]

Version vom 11. November 2010, 00:34 Uhr

Swetlana Geier (gebürtig: Swetlana Michailowna Iwanowa; * 26. April 1923 in Kiew, Russland; † 7. November 2010 in Freiburg im Breisgau[1]) war eine Literaturübersetzerin, die aus dem Russischen, ihrer Muttersprache, ins Deutsche übersetzte. Sie lebte seit 1943 in Deutschland.

Leben

Swetlana Geier wurde 1923 als Tochter russischer Eltern in Kiew geboren. Ihr Vater war Naturwissenschaftler, ein Spezialist für Pflanzenzucht, ihre Mutter stammte aus einer Familie zaristischer Offiziere. Ihr Vater wurde 1938 im Zuge von Stalins Großem Terror verhaftet und starb 1939 an den Folgen der Haft.

Swetlana Iwanowa hatte eine behütete Kindheit und erhielt schon früh Privatunterricht in Französisch und Deutsch. 1941, im Jahr des Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion, machte sie ihr Abitur mit Bestnoten und immatrikulierte sich an der Fakultät für westeuropäische Sprachen der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Dort wurde sie auch als Übersetzerin am Geologischen Institut tätig.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Kiew nahm sie eine Stelle als Dolmetscherin auf der dortigen Baustelle der Dortmunder Brückenbau AG an. Ihr war ein Stipendium in Deutschland versprochen worden, wenn sie zuvor ein Jahr für die Deutschen arbeiten würde. 1943, nach der Niederlage der deutschen Truppen in der Schlacht von Stalingrad, musste das Unternehmen seine Tätigkeit in Kiew einstellen. Swetlana Iwanowa war sich bewusst, dass sie wegen ihrer Arbeit für die Deutschen für ihre Landsleute eine Kollaborateurin war und dass sie in Russland niemals würde studieren können. Auch ihre Mutter wollte nicht länger mit den „Mördern des Vaters“ zusammenleben. So schlossen sie sich gemeinsam der nach Deutschland zurückkehrenden Brückenbaufirma an. Sie wurden festgenommen und kamen in ein Lager für Ostarbeiter in Dortmund, dem sie mit Hilfe von Freunden nach einem halben Jahr entkommen konnten.

Nach einer Begabtenprüfung erhielt Swetlana Iwanowa ein Humboldt-Stipendium, wodurch ihr Traum von einem Studium verwirklicht wurde. Sie zog mit der Mutter nach Günterstal, einem Stadtteil von Freiburg, und nahm 1944 an der Universität Freiburg ein Studium der Literaturwissenschaft und vergleichenden Sprachwissenschaft auf. Durch Heirat änderte sie ihren Familiennamen in Geier. Sie war Mutter zweier Kinder und lebte bis zu ihrem Tod in Günterstal.

Swetlana Geier wurde 1960 Lektorin für russische Sprache an der Universität Karlsruhe. Seit 1964 hatte sie dort einen achtstündigen Lehrauftrag; bis zu ihrem Tod fuhr sie einmal wöchentlich mit dem Zug von Freiburg nach Karlsruhe. Darüber hinaus war sie von 1964 bis 1988 Lektorin für Russisch am Slawischen Seminar der Universität Freiburg. Von 1979 bis 1983 nahm sie einen Lehrauftrag für Russische Sprache und Literatur an der Universität Witten/Herdecke wahr.

Auch im Bereich der Schule hat sie sich um den Unterricht der russischen Sprache Verdienste erworben: In Freiburg baute sie Russischunterricht als Pflichtwahlfach an einem Gymnasium auf, an den Waldorfschulen in Deutschland betreute sie 25 Jahre lang den Russischunterricht.

Ihre Übersetzertätigkeit begann sie 1953 im Rahmen der damals neuen Reihe Rowohlt Klassiker.

Sie starb am 7. November 2010 im Alter von 87 Jahren in Freiburg.

Werk

Swetlana Geier gehörte zu den bedeutendsten Übersetzern russischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Sie übersetzte unter anderen Werke von Tolstoi, Bulgakow und Solschenizyn. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie durch die Neuübersetzung der großen Romane Fjodor Dostojewskis bekannt. Sie scheute sich nicht, altbekannte Titel neu zu formulieren. Dabei hat sie nach ihrer Aussage die Titel lediglich aus dem Russischen übersetzt. Aus Schuld und Sühne (Преступление и наказание) wurde Verbrechen und Strafe, aus Die Dämonen (Бесы) wurde Böse Geister, aus Der Jüngling (Подросток) wurde Ein grüner Junge. Zuletzt erschienen Dostojewskis Der Bauer Marej (2008) und Der Spieler (2009).

Durch ihre Arbeit an der Universität war Swetlana Geier finanziell nie auf ihre Tätigkeit als Übersetzerin angewiesen. Dadurch war es ihr möglich, sich für eine Übersetzung viel Zeit zu nehmen und sich ganz in den Text zu vertiefen. So investierte sie in die Übersetzung von Dostojewskis Romanen fünfzehn Jahre. Ungewöhnlich an ihrer Arbeitsweise war, dass sie ihre Übersetzungen diktierte.

Auszeichnungen

Für ihre herausragenden Verdienste um die Vermittlung russischer Kultur, Geschichte und Literatur erhielt Swetlana Geier unter anderem


Literatur

  • Swetlana Geier: Ein Leben zwischen den Sprachen. Russisch-Deutsche Erinnerungsbilder, aufgezeichnet von Taja Gut, 2008. ISBN 978-3-85636-212-6.
  • Swetlana Geier: Leben ist Übersetzen. Gespräche mit Lerke von Saalfeld, 2008. ISBN 978-3-250-30022-9.

Film

Einzelnachweise

  1. http://www.landbote.ch/detail/article/uebersetzerin-swetlana-geier-87-jaehrig-in-freiburg-gestorben/gnews/99122479/