Roter Turm (Halle (Saale))

Der Rote Turm ist Teil des Wahrzeichens der Stadt Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. Dieses bildet er gemeinsam mit den vier Türmen der Marktkirche Unser lieben Frauen. Halle wird wegen der markanten Silhouette dieser beiden Bauten auch oft als "Stadt der Fünf Türme" bezeichnet.

Marktplatz in Halle (Saale) mit Rotem Turm und Marktkirche

Lage und Beschreibung

Datei:Marktplatz 1930.JPG
Marktplatz und Roter Turm um 1930

Der Rote Turm wurde auf dem Marktplatz von Halle errichtet und stand damit fast genau im Zentrum der Stadt. Es handelt sich um einen im spätgotischen Baustil errichteten, freistehenden Uhr- und Glockenturm. Die rechteckige Grundfläche seines unteren quaderförmigen Baukörpers misst circa 10 x 15 Meter. Der Turm ragt insgesamt 84 Meter in die Höhe. Die Turmspitze des kupfernen Helmdaches ziert ein mit 246 "Stacheln" versehener, vergoldeter Kugelknauf.

Geschichte des Turmes und des hallischen Rolands

Sein Bau durch die Mariengemeinde begann im Jahr 1418 und wurde am 24. Juli 1506 vollendet. Der Tag der Fertigstellung ist urkundlich belegt. Vom Baubeginn zeugt folgende Inschrift, die in 4 Meter Höhe in Stein gehauen wurde: „ANNO DOMINI millesimo CCCCXVIII locatus est lapis iste“. Die Gemeinde ließ den Roten Turm als Glockenturm der Marienkirche erbauen. Er stellte damit einen Campanile dar. Der Rote Turm ist, zumindest bezogen auf seine Entstehungszeit, als Sakralbau einzustufen. Schon vor 1418 stand wohl an dieser Stelle ein Vorgängerturm. Auch gab es in Halle vermutlich zu dieser Zeit einen Turm mit derselben Bezeichnung. Dies besagt die bislang älteste bekannte Erwähnung eines „Roten Turmes“ in der Stadt aus dem Hallischen Talrecht von 1386. Hierin heißt es: „Das sal men sitzen uffe sente ghertrude kerchove hinder den roden tormen.“. Eher unwahrscheinlich ist jedoch, dass damit ein Turm an der Stelle des hier beschriebenen Bauwerkes gemeint war. Zum Baubeginn trug der Campanile noch den Namen "Neuer Turm", die Bezeichnung "Roter Turm" ist erst seit dem 17. Jahrhundert belegt. Der bekannte Chronist Johann Christoph von Dreyhaupt stellte 1749/50 die Vermutung an, dass der Turm seinen Namen wegen des ursprünglich in Rot erstrahlenden Kupferdaches erhielt und dieser trotz der späteren Grünfärbung beibehalten worden ist. Der wahrscheinlichere Grund dafür ist vielmehr das damals zu seinem Fuße abgehaltene Blutgericht. Ausdruck dessen war und ist die Figur des Rolands, die schon zwischen 1547 und 1718 als Symbol der Blutgerichtsbarkeit unmittelbar am Turm stand.

Umbau des Marktplatzes von Halle (Saale) im Juni 2005

Die Geschichte des Rolands ist eng mit der des Roten Turmes verknüpft. Die Entstehung eines hallischen Rolands reicht in die Zeit des Schultheißgerichtes heran, welches seit 1161 in der Stadt bekannt ist. Die erste Rolandfigur war aus Holz gefertigt. Dieser Roland stand auf einem kleinen Hügel nördlich des Rathauses und musste 1341 wegen des Baus des Archivturmes in die Nähe des späteren Roten Turmes versetzt werden. 1513 sperrte man ihn wegen der Unterwerfung der Stadt durch Erzbischof Ernst von Magdeburg in ein hölzernes Häuschen. Hieraus „entkam“ er erst 1547. Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen ließ ihn wieder vor den Turm bringen. Im Jahre 1718 musste der Roland wegen der Erweiterung der Hauptwache erneut weichen und kam zum Malz- und Zimmerhause, wo er am 15. November 1719 bei einem Feuer verbrannte. Ein schon Monate vorher in Auftrag gegebener steinerner Roland wurde zwischenzeitlich fertiggestellt und am 2. September 1719 am Hause des Schöppengerichtes aufgestellt. Im Jahr 1825 ergänzte man den Roten Turm erneut mit einer (diesmal massiven) steinernen Umbauung. Einfach gehaltene Krambuden standen schon zu früherer Zeit um den Turm herum. 1850 musste die Rolandstatue wieder ihren Platz räumen und drohte in einem Schuppen auf dem Rathaushof zu verwahrlosen. Der hallische Bürgerstolz bewirkte seine Restaurierung und am 1. September 1854 die Aufrichtung der Figur an der Südostecke des neugotischen Umbaus. Ein nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges um den Roland gemauerter Backsteinturm mit aufgesetzter Betonplatte verhinderte seine Beschädigung beim Brand des Roten Turmes als Folge eines Artillerietreffers in der Nacht vom 15. zum 16. April 1945. Dabei vermuteten die angreifenden amerikanischen Truppen im Turm einen deutschen Artilleriebeobachter. Eine Panzergranate traf den Turm. Bei dem Brand erlitt auch der Turm selbst schwere Schäden. Er verlor sein Dach und die Umbauung war schwer zerstört. Man entschied sich daher, den Umbau komplett abzutragen. Die Bauhütte Roter Turm sammelte nach dem Zweiten Weltkrieg lange Jahre Spenden für den Wiederaufbau der Turmspitze. Die Sanierung des Turmes konnte am 25. Mai 1976 abgeschlossen werden.

Mögliche Illumination

Seit dem Jahr 2004 wird der hallische Marktplatz komplett umgebaut. Zahlreiche bei den begleitenden archäologischen Flächengrabungen zu Tage getretene Knochenfunde belegen, dass die Hallenser über einen langen Zeitraum hinweg westlich des Roten Turms ihre Toten beerdigten. An dieser Stelle befand sich der Friedhof der Marienkirche, an die heute nur noch die beiden östlichen Türme der Marktkirche, die sogenannten Hausmannstürme, erinnern. Bei den Grabungen stießen die Wissenschaftler auch auf Reste von Bausubstanzen, die wegen ihrer Zusammensetzung dafür sprechen, dass schon vor Baubeginn des Roten Turmes auf der ihn umschließenden Fläche Händlerbuden gestanden haben müssen. Im Zuge der Marktplatzumgestaltung ist ferner die letzte Umbauung des Turmes aus dem Jahr 1976 (eine ringsherum verglaste stelzengetragene Stahlkonstruktion, an deren Ostseite seither der Roland stand) wieder entfernt worden. Im Rahmen der 1200-Jahrfeier der Stadt ist die Rolandfigur unmittelbar am Turm wiedererrichtet und am 28. April 2006 feierlich enthüllt worden. Nach Abschluss der Umbauarbeiten auf dem Marktplatz soll auch der Sockel des Roten Turms eine Sanierung erfahren. Am 24. Juli 2006, dem 500. Jahrestag seiner Vollendung, wurde am Fuße des Turmes gefeiert. Die Deutsche Post veröffentlichte einen Sonderstempel, und der Monetarium e.V. bot die Gedenkmedaille zum Ereignis an. Am Abend erklang das Carillon.

Uhr und Glocken

Uhr am Roten Turm - Ostseite

Die ersten Glocken wurden noch während der Bauzeit im 1. Fenstergeschoss aufgehängt. So bekam die 1460 eingebrachte „große Glocke“ schon 2 Jahre später eine noch größere Glocke an ihre Seite. Da sie jedoch schon im darauf folgenden Jahr zersprang, musste sie erstmals neu gegossen werden. Im Jahr 1468, als sie wieder auf den Turm gezogen wurde, erhielt dieser auch die große Zeiger- oder Uhrglocke mit Inschrift. Hinzu kam noch die kleine Zeiger- oder Viertelstundenglocke. Die Turmuhr erhielt 1580 ein neues, zunächst nur zweiseitiges Zeigergestell, das im Jahr darauf mit 4 Zifferblättern vollendet wurde. Die Uhrzeiger hat man 1711 neu vergoldet und die Zifferblätter 1823 frisch angestrichen.

Im Roten Turm vollendete man zur Eröffnung der 42. Händel-Festspiele am 5. Juni 1993 die Installation eines neuen Carillons (Glockenspiel), bestehend aus 76 Glocken mit einem Gesamtgewicht von 54.980 kg. Die größte Glocke trägt den Namen "Dame Händel". Sie hat einen Durchmesser von 2,36 m und wiegt 8056 kg. Die kleinste Glocke wiegt nur 10,7 kg und hat einen Durchmesser von 16,3 cm. Das Glockenspiel wurde in Apolda und Karlsruhe gegossen.

Bezogen auf die Anzahl der Glocken trägt der Turm damit das zweitgrößte Carillon weltweit in seinem Baukörper. Übertroffen wird er lediglich vom Glockenspiel des Tower of the Apostles Kirk in Bloomfield Hills, Michigan, USA, das mit 77 Glocken aufwarten kann. Da der Rote Turm in Halle auch noch über 5 Glocken für den Uhrenschlag verfügt, ergibt sich eine Gesamtglockenzahl von 81. Die Melodie des Uhrenschlages entspricht exakt der des "Clock Towers" vom Houses Of Parliament in London - besser bekannt unter der Bezeichnung Big Ben. Man spricht auch vom "Westminster-Schlag". Die Melodie stammt von dem in Halle geborenen Georg Friedrich Händel und wurde einer Arie aus dem "Messiah" entnommen.

Turmurkunden

Kugelknauf mit Turmurkunden
  • 24. Juli 1506, Einweihungs- und Vollendungsurkunde (lateinisch) - Auszug: „…: cunctorumque celestium civium nec non pro decore famosissime civitatis Hallensis: tociusque communitatis: immo & Regionis.“ (…: wie auch zum Preise nicht nur der berühmten Stadt Halle: ihrer Gesamtgemeinde und selbst der ganzen Region.)
  • 28. April 1659, Urkunden über die Wiederherstellung des Turmhelmes und die Neuvergoldung des Turmknopfes (lateinisch)
  • 1825, Urkunde über die Errichtung der Umbauung und die Öffnung des Turmknopfes am 15. September 1825 (lateinisch)

Anekdoten

Roter Turm und Hausmannstürme
  • Einer Sage nach soll der Bau des Roten Turmes 4000 Gülden gekostet haben. Vielleicht rührte dieser wohl viel zu niedrige Wert von dem Hinweis in der Chronik von Thomas Cressse, dass „der Rath, da die hohe Spitze im Jahre 1506 auf dem Turm gesetzt wurde und der Bau vollendet war, 400 Fl. Zur Hülfe gegeben habe“. Da 400 Gulden als zuwenig angenommen wurde, hat man wohl eine Null angehängt und diese Zahl als Bausumme ausgegeben. Die 400 Gulden stellten jedoch nur einen Beitrag zur Turmspitze dar, der im Übrigen ja von der Mariengemeinde finanziert war.
  • Siegmar Baron von Schultze-Galléra wusste noch von einer weiteren Sage über die Flamme auf dem Roten Turm zu berichten: Danach zeige sich um die Mitternachtsstunde des Dreikönigstages auf der Spitze des Turmes eine hell glänzende Feuerzunge und wer den Mut hatte, sie anzusprechen, zu dem stiege sie herab, begleite ihn nach Hause und ihm gelänge alles, was er bis zum nächsten Dreikönigstag unternimmt.
  • Erich Neuß schildert den Besuch einer Schulklasse in der Saalestadt. Als auf die Frage eines Oberprimaners, warum denn der Rote Turm vier Zifferblätter habe, wo doch auch eines reichen würde, selbst der Lehrer keine Antwort parat hatte, kam ihm ein in der Nähe stehender Latz (hallisch für „Bengel“ oder „Halbwüchsiger“) mit folgendem Einwurf zu Hilfe: „Damit dass, wenn vier Leite uff eenmal uff de Uhr gucken wolln, nich eener uff d'n annnern ze warten brauch'!“.

Lyrisches

Turmspitze mit Knauf
Friedrich Hesekiel, 1824
Der rothe Thurm.
Alte Thürme, hohe Thürme!
Seid willkommen mir von Weitem!
Wie die Häuser froh sich breiten
Unter Eurem Schutz und Schirme!
Hoch erhaben steht der Eine,
Ernst und stark, aus Quadern mächtig
Aufgebaut und schaut bedächtig
Auf die Stadt, die liebe, seine.
Dich, o Thurm will ich begrüßen
Ernst und stark, aus Quadern mächtig
Aufgebaut, schaust Du bedächtig
Auf die Stadt zu Deinen Füßen
Drei Jahrhunderte vergingen,
Seit Du so hinabgeschauet,
Seit Dich Regen hat bethauet,
Dich berührten Sturmesschwingen.
Rother Thurm, des Blutes Zeichen,
Das Gerechtigkeit vergossen,
Das dem Rolandsbild geflossen,
Unter Beil und Schwerdtesstreichen.
Roth ist auch der Freude Farbe;
Künde Freud' und Frieden immer,
Deine Quelle fließe nimmer,
Reich sei stets des Feldes Garbe.

Der Rote Turm in der Malerei

Bekannt ist der Turm auch als Hauptmotiv eines expressionistischen Gemäldes von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1915. Ebenfalls künstlerisch verewigt wurde er 1930 im Zyklus der "Halle-Bilder" von Lyonel Feininger (einem der bedeutendsten Vertreter des Kubismus).

Literatur

  • Erich Neuß: Die Baugeschichte des Roten Turmes zu Halle a. d. Saale (Schriftenreihe der Bauhütte Roter Turm, Beiträge zur Stadt- und Kulturgeschichte Halles, Heft 1), Gebauer-Schwetschke Verlag Nachf. Jaeger und Co. KG, Halle (Saale) 1946
  • Erich Neuß: Rote-Turm-Fibel, Denk- und Merkwürdigkeiten des Roten Turmes zu Halle a. d. Saale (Schriftenreihe der Bauhütte Roter Turm, Beiträge zur Stadt- und Kulturgeschichte Halles, Heft 2), Gebauer-Schwetschke Verlag Nachf. Jaeger und Co. KG, Halle (Saale) 1947
  • Angela Dolgner, Dieter Dolgner, Erika Kunath: Der historische Marktplatz der Stadt Halle/Saale (Freunde der Bau- und Kunstdenkmale Sachsen-Anhalt e. V.), Verlag John, Halle (Saale) 2001, ISBN 3-931919-08-0

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