„Lokalisationstheorie“ – Versionsunterschied

[ungesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Besser ohne Artikel, weil dann allgemeiner
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(46 dazwischenliegende Versionen von 14 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
'''Lokalisationstheorie''' ist ein Begriff der [[Hirnforschung]]<ref name="Oeser02"/> und bezeichnet Versuche, die Funktion lokal abgrenzbarer Teile des Gehirns zu bestimmen und so dem Gehirn einen 'funktionellen Bauplan' zuzuschreiben. Typisch sind Darstellungen der [[Großhirnrinde#Funktionelle_Gliederung|funktionellen Areale]] der [[Großhirnrinde]]. Auf zellulärer Ebene gehören die [[Großmutterneuron]]e und [[Spiegelneuron]]e zur Lokalisationstheorie.
'''Lokalisationstheorie''' ist ein Begriff der [[Hirnforschung]]<ref name="Oeser02" /> und bezeichnet Versuche, die Funktion lokal abgrenzbarer Teile des Gehirns zu bestimmen und so dem Gehirn einen funktionellen „Bauplan“ zuzuschreiben. Typisch sind Darstellungen der [[Großhirnrinde#Funktionelle Gliederung|funktionellen Areale]] der [[Großhirnrinde]]. Auf [[Zelle (Biologie)|zellularer]] Ebene gehören die [[Großmutterneuron]]e und [[Spiegelneuron]]e zur Lokalisationstheorie.


Die einzelnen Lokalationstheorien begründen sich auf der [[Lokalisation (Neurologie)]], also der spezifischen Funktionseinschränkung bei lokalen Schädigungen, und der Anatomie des Gehirns, der dadurch möglichen strukturellen Gliederung. Die [[Phrenologie]] gliedert topologisch, also ebenfalls lokal.
Die einzelnen Lokalisationstheorien begründen sich auf der [[Lokalisation (Neurologie)]], also der spezifischen Funktionseinschränkung bei lokalen Schädigungen, sowie der [[Anatomie]] des Gehirns und der dadurch möglichen funktionellen Gliederung. Die [[Phrenologie]] gliedert [[Topologie (Philosophie)|topologisch]], also ebenfalls lokal.


[[Datei:Drawing; head, showing cells of brain ventricles, circa 1347. Wellcome L0010724.jpg|mini|Anatomische Zeichnung aus dem 14. Jahrhundert]]
Die funktionelle Lokalisation ist umstritten. Ein Teil der Forschungsergebnisse scheint die funktionelle Lokalisation zu bestätigen, andere Beobachtungen widersprechen dieser Theorie. Bisher ist es den Lokalisationstheorien nicht gelungen, die Funktion des Gehirns zu erklären.
Die Lokalisation geistiger Funktionen im Gehirn erfolgte bereits in der Antike. So stellte [[Hippokrates von Kos|Hippokrates]] das Gehirn als Organ des Denkens, der Wahrnehmung und der Beurteilung von gut und böse dar.<ref>Michael Hagner: ''Lokalisationstheorien.'' 2005, S. 862.</ref> Eine frühe Lokalisation von kognitiven Funktionen (wie Einbildungskraft, Urteilsvermögen und Gedächtnis)<ref>[https://www.uni-wuerzburg.de/fileadmin/medizin/user_upload/dateien_dekanat/Forschungsbericht_2008/deutsch/FB-2008_Deutsch.pdf Forschungsbericht 2008], S. 10.</ref> zu speziellen Gehirnregionen findet sich im 14. Jahrhundert bei dem Würzburger Mediziner und Geistlichen [[Berthold Blumentrost]],<ref>[[Gundolf Keil]]: ''Blumentrost, Berthold.'' In: [[Burghart Wachinger]] u. a. (Hrsg.): ''[[Verfasserlexikon|Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon]].'' 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 1: ''‚A solis ortus cardine‘ - Colmarer Dominikanerchronist.'' De Gruyter, Berlin/New York 1978, ISBN 3-11-007264-5, Sp. 904–906.</ref> bei dem anhand einer anatomischen Zeichnung das Gedächtnis (''memoria'') in der hinteren Gehirnregion angenommen wird.<ref>Walther Sudhoff: ''Die Lehre von den Hirnventrikeln in textlicher und graphischer Tradition des Altertums und Mittelalters.'' In: ''Sudhoffs Archiv.'' Band 7, 1914, S. 149–205, insbesondere S. 190 (Tafel 7).</ref> [[Bouillaud]] beobachtete 1830 eine Sprachstörung bei Verletzung der Stirnhirnregion. Berühmt wurde eine von [[Paul Broca]] 1861 publizierte [[Broca-Aphasie|Fallanalyse]].<ref>[[Wolfgang Seeger (Mediziner)|Wolfgang Seeger]], Carl Ludwig Geletneky: ''Chirurgie des Nervensystems.'' In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): ''Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung.'' Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 229–262, hier: S. 230.</ref>


Im Gegensatz zur Lokalisationstheorie stand die [[Äquipotentialtheorie]]. Nach ihr waren alle Gehirnregionen an allen geistigen Funktionen beteiligt. Diese These wurde durch die Beschreibung der Rindenfelder durch [[Korbinian Brodmann]] weitgehend entkräftet.
Zunehmende Beachtung findet die Netzwerkgliederung: "Eine Funktion wird im Netzwerk realisiert."

Zunehmende Beachtung findet die Netzwerkgliederung. Funktion wird hier auch im [[Konnektom]] realisiert, also nicht allein durch lokale Areale.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
*[[Geschichte der Hirnforschung]]
* [[Geschichte der Hirnforschung]]
*[[Lokalisation (Neurologie)]]
* [[Lokalisation (Neurologie)]]
* [[Geschichte der Hirnforschung#Die Idee der funktionellen Lokalisation]]
*[[Phrenologie]]
* [[Hirnkartierung]]
* [[Phrenologie]]

== Literatur ==
* Edwin Clarke, Kenneth Dewhurst: ''Die Funktionen des Gehirns. Lokalisationstheorien von der Antike bis zur Gegenwart''. Heinz Moos, München 1973, ISBN 3-7879-0066-7.
* [[Michael Hagner]]: ''Lokalisationstheorien.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 862 f.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references>
<references>
<ref name="Oeser02">Erhard Oeser: Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart; 2. Auflage; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002; Seite 58-79;</ref>
<ref name="Oeser02">[[Erhard Oeser]]: ''Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart.'' 2. Auflage; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-23216-1, S. 58–79.</ref>
</references>
</references>


[[Kategorie:Neurowissenschaften]]
== Literatur ==
Edwin Clarke, Kenneth Dewhurst: ''Die Funktionen des Gehirns. Lokalisationstheorien von der Antike bis zur Gegenwart'', Heinz Moos, München 1973

[[Kategorie: Neurowissenschaften]]

[[en:Functional specialization (brain)]]

Aktuelle Version vom 6. August 2022, 09:28 Uhr

Lokalisationstheorie ist ein Begriff der Hirnforschung[1] und bezeichnet Versuche, die Funktion lokal abgrenzbarer Teile des Gehirns zu bestimmen und so dem Gehirn einen funktionellen „Bauplan“ zuzuschreiben. Typisch sind Darstellungen der funktionellen Areale der Großhirnrinde. Auf zellularer Ebene gehören die Großmutterneurone und Spiegelneurone zur Lokalisationstheorie.

Die einzelnen Lokalisationstheorien begründen sich auf der Lokalisation (Neurologie), also der spezifischen Funktionseinschränkung bei lokalen Schädigungen, sowie der Anatomie des Gehirns und der dadurch möglichen funktionellen Gliederung. Die Phrenologie gliedert topologisch, also ebenfalls lokal.

Anatomische Zeichnung aus dem 14. Jahrhundert

Die Lokalisation geistiger Funktionen im Gehirn erfolgte bereits in der Antike. So stellte Hippokrates das Gehirn als Organ des Denkens, der Wahrnehmung und der Beurteilung von gut und böse dar.[2] Eine frühe Lokalisation von kognitiven Funktionen (wie Einbildungskraft, Urteilsvermögen und Gedächtnis)[3] zu speziellen Gehirnregionen findet sich im 14. Jahrhundert bei dem Würzburger Mediziner und Geistlichen Berthold Blumentrost,[4] bei dem anhand einer anatomischen Zeichnung das Gedächtnis (memoria) in der hinteren Gehirnregion angenommen wird.[5] Bouillaud beobachtete 1830 eine Sprachstörung bei Verletzung der Stirnhirnregion. Berühmt wurde eine von Paul Broca 1861 publizierte Fallanalyse.[6]

Im Gegensatz zur Lokalisationstheorie stand die Äquipotentialtheorie. Nach ihr waren alle Gehirnregionen an allen geistigen Funktionen beteiligt. Diese These wurde durch die Beschreibung der Rindenfelder durch Korbinian Brodmann weitgehend entkräftet.

Zunehmende Beachtung findet die Netzwerkgliederung. Funktion wird hier auch im Konnektom realisiert, also nicht allein durch lokale Areale.

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Erhard Oeser: Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Auflage; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-23216-1, S. 58–79.
  2. Michael Hagner: Lokalisationstheorien. 2005, S. 862.
  3. Forschungsbericht 2008, S. 10.
  4. Gundolf Keil: Blumentrost, Berthold. In: Burghart Wachinger u. a. (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 1: ‚A solis ortus cardine‘ - Colmarer Dominikanerchronist. De Gruyter, Berlin/New York 1978, ISBN 3-11-007264-5, Sp. 904–906.
  5. Walther Sudhoff: Die Lehre von den Hirnventrikeln in textlicher und graphischer Tradition des Altertums und Mittelalters. In: Sudhoffs Archiv. Band 7, 1914, S. 149–205, insbesondere S. 190 (Tafel 7).
  6. Wolfgang Seeger, Carl Ludwig Geletneky: Chirurgie des Nervensystems. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 229–262, hier: S. 230.