„Konstantin von Neurath“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-135, Konstantin von Neurath.jpg|mini|Konstantin Freiherr von Neurath als Reichsprotektor in Böhmen und Mähren (1939)]]
[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-016, Konstantin von Neurath.jpg|mini|hochkant|Konstantin Freiherr von Neurath (1939)]]
'''Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath''' (* [[2. Februar]] [[1873]] im [[Hofgut Kleinglattbach]], [[Kleinglattbach]]; † [[14. August]] [[1956]] im [[Leinfelder Hof]], [[Enzweihingen]]) war ein [[deutsche]]r [[Diplomat]] des [[Deutsches Kaiserreich|Kaiserreichs]] und der [[Weimarer Republik]]. Er wurde 1932 [[Außenminister|Reichsminister des Äußeren]] und hatte das Amt auch nach der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Machtergreifung]] bis 1938 inne. Zwischen 1939 und 1943 war Neurath [[Reichsprotektor]] des vom [[NS-Staat|Deutschen Reich]] besetzten [[Protektorat Böhmen und Mähren|Protektorats Böhmen und Mähren]].
[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-005, Konstantin von Neurath als Korpsstudent.jpg|mini|hochkant|Konstantin von Neurath als Corpsstudent in Tübingen, um 1896]]
[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-032, Rom, Konstantin von Neurath.jpg|mini|hochkant|Neurath als Botschafter in Rom (1929)]]
'''Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath''' (* [[2. Februar]] [[1873]] in [[Kleinglattbach]]; † [[14. August]] [[1956]] im [[Leinfelder Hof]] bei [[Enzweihingen]]) war ein [[deutsche]]r [[Diplomat]] im [[Kaiserreich]] und der [[Weimarer Republik]]. Er wurde 1932 [[Außenminister]] und blieb dies bis 1938 auch in der [[Zeit des Nationalsozialismus|Zeit der nationalsozialistischen Diktatur]]. Zwischen 1939 und 1943 war er [[Protektorat Böhmen und Mähren|Reichsprotektor in Böhmen und Mähren]].


Neurath gehörte zu den 24 im [[Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher]] vor dem [[Internationaler Militärgerichtshof|Internationalen Militärgerichtshof]] angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 in allen vier Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, aus der er 1954 vorzeitig entlassen wurde.
Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] gehörte Neurath zu den 24 Hauptangeklagten der [[Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher|Nürnberger Prozesse]]. Der [[Internationaler Militärgerichtshof|Internationale Militärgerichtshof]] sprach ihn am 1. Oktober 1946 in allen vier Anklagepunkten schuldig und verurteilte ihn zu einer 15-jährigen Haftstrafe. 1954 wurde Neurath vorzeitig entlassen.


== Herkunft, Familie, Werdegang ==
== Herkunft, Familie, Werdegang ==
[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-005, Konstantin von Neurath als Korpsstudent.jpg|mini|hochkant|Konstantin von Neurath als Corpsstudent in Tübingen, um 1896]]
Neurath wurde am 2. Februar 1873 in [[Kleinglattbach]]/[[Vaihingen an der Enz]] als ältester von drei Söhnen einer württembergischen Adelsfamilie geboren. Sein Vater [[Konstantin Sebastian von Neurath|Konstantin Sebastian Freiherr von Neurath]] (* 1847; † 1912) war [[Königreich Württemberg|königlich württembergischer]] Oberkammerherr, Chef des Kammerherrenstabes und Gutsbesitzer, seine Mutter Mathilde (* 1847; 1924) entstammte dem Rittergeschlecht der [[Freiherren von Gemmingen]].
''Konstantin von Neurath'' wurde am 2. Februar 1873 auf dem elterlichen [[Hofgut Kleinglattbach]] nahe der Stadt [[Vaihingen an der Enz]] geboren und entstammte einer württembergischen [[Deutscher Adel|Adelsfamilie]]. Sein Vater [[Konstantin Sebastian von Neurath]] (1847–1912) war [[Königreich Württemberg|königlich württembergischer]] [[Kammerherr|Oberkammerherr]], Chef des Kammerherrenstabes und [[Gutsbesitzer]]. Im Rahmen seiner politischen Betätigung gehörte der Vater von 1881 bis 1890 als [[Abgeordneter]] der ''[[Freikonservative Partei|Deutschen Reichspartei]]'' dem [[Reichstag (Deutsches Kaiserreich)|Reichstag]] an. Die Mutter Mathilde (1847–1924) entstammte dem Rittergeschlecht der [[Freiherren von Gemmingen]].


Nach dem [[Abitur]] absolvierte Neurath seinen Militärdienst als [[Einjährig-Freiwilliger]] im [[Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125]].
Nach dem [[Abitur]] studierte Neurath von 1892 bis 1897 [[Rechtswissenschaften]] an der [[Eberhard-Karls-Universität Tübingen]] sowie der [[Humboldt-Universität|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]]. Sein Studium unterbrach er, um als [[Einjährig-Freiwilliger]] den [[Militärdienst]] im [[Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125]] abzuleisten. 1894 wurde er Mitglied (später Ehrenmitglied) der [[Studentenverbindung]] ''[[Corps Suevia Tübingen]],''<ref>[[Kösener Corpslisten]] 1960, ''129,'' 508.</ref> Im Jahr 1897 bestand Neurath das [[Vorbereitungsdienst|Referendar-Examen]] und trat im Folgejahr in den württembergischen [[Justiz]]dienst ein.


Ab 1903 war er königlich württembergischer [[Kammerjunker]], ab 1910 [[Kammerherr]]. In der [[Württembergische Armee|Württembergischen Armee]] war er ab 1898 [[Sekondeleutnant]], ab 1909 [[Oberleutnant]] der [[Reserveoffizier|Reserve]].
Er studierte danach [[Rechtswissenschaft]] an der [[Eberhard-Karls-Universität Tübingen]] und der [[Humboldt-Universität|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]]. 1894 wurde er Mitglied (später Ehrenmitglied) des [[Corps Suevia Tübingen]].<ref>[[Kösener Corpslisten]] 1960, '''129''', 508.</ref> Im Jahr 1897 bestand er das Referendar-Examen, im Folgejahr trat er in den württembergischen Justizdienst ein.


Neurath heiratete am 30. Mai 1901 in [[Stuttgart]] die [[Bankier]]stochter Marie Auguste [[Moser von Filseck]] (1875–1960). Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor:
Ab 1903 war er königlich württembergischer [[Kammerjunker]], ab 1910 [[Kammerherr]]. In der [[Württembergische Armee|Württembergischen Armee]] war er ab 1898 [[Sekondeleutnant]], ab 1909 [[Oberleutnant]] der Reserve.


Am 30. Mai 1901 heiratete er die Bankierstochter Marie Auguste Moser von Filseck (* 1875; † 1960) in Stuttgart. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Konstantin Alexander (* 1902; † 1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] zur deutschen Wirtschaft wechselte, und Winifred (* 1904; † 1985), die 1926 den Politiker [[Hans Georg von Mackensen]] heiratete.
* Konstantin Alexander (1902–1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] in die deutsche Wirtschaft wechselte
* Winifred (1904–1985), die 1926 den Politiker [[Hans Georg von Mackensen]] heiratete.


== Karriere als Diplomat ==
== Karriere als Diplomat ==
[[Datei:Bundesarchiv N 1310 Bild-032, Rom, Konstantin von Neurath.jpg|mini|hochkant|Neurath als Botschafter in Rom (1929)]]
Nach bestandenem Assessor-Examen wurde Neurath 1901 in die konsularische Laufbahn des [[Auswärtiger Dienst|Auswärtigen Dienstes]] einberufen. Zwischen 1903 und 1908 war er Vizekonsul im deutschen [[Generalkonsulat]] in [[London]], anschließend kehrte er wieder in das [[Auswärtiges Amt|Auswärtige Amt]] nach Berlin zurück. Durch Protektion [[Alfred von Kiderlen-Waechter|Kiderlen-Waechters]] gelang ihm zum Jahreswechsel 1912/13 der Wechsel in die diplomatische Laufbahn. Als [[Legationsrat]] in der Politischen Abteilung wurde er 1914 zum [[Botschaftsrat]] in [[Konstantinopel]] ernannt, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als [[Reserveoffizier]] im [[Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119]] am [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] teilnahm. Im [[Osmanisches Reich|Osmanischen Reich]] erlebte Neurath den [[Völkermord an den Armeniern]] vor Ort mit.
Nach bestandenem [[Assessor]]-Examen wechselte Neurath 1901 in die konsularische Laufbahn des [[Auswärtiger Dienst|Auswärtigen Dienstes]]. Zwischen 1903 und 1908 war er Vizekonsul im deutschen [[Generalkonsulat]] in [[London]], anschließend kehrte er in das [[Auswärtiges Amt|Auswärtige Amt]] nach [[Berlin]] zurück. Durch [[Protegé|Protektion]] [[Alfred von Kiderlen-Waechter|Kiderlen-Waechters]] gelang ihm zum Jahreswechsel 1912/13 die Aufnahme in die [[Diplomat|diplomatische Laufbahn]]. Als [[Legationsrat]] in der Politischen Abteilung wurde er 1914 zum [[Botschaftsrat]] in [[Konstantinopel]] ernannt, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als [[Reserveoffizier]] im [[Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119]] am [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] teilnahm. Im [[Osmanisches Reich|Osmanischen Reich]] erlebte Neurath den [[Völkermord an den Armeniern]] vor Ort mit.


Auf eigenen Wunsch wurde er zum Jahresende 1916 aus dem Reichsdienst entlassen. Er übernahm von seinem Onkel [[Julius von Soden]] den Posten als Chef des [[Geheimes Zivilkabinett|Zivilkabinetts]] des württembergischen Königs. Bis zur [[Novemberrevolution]] von 1918 blieb er engster Berater von [[Wilhelm II. (Württemberg)|König Wilhelm II.]] von [[Königreich Württemberg|Württemberg]].
Auf eigenen Wunsch wurde Neurath zum Jahresende 1916 aus dem Reichsdienst entlassen und übernahm von seinem Onkel [[Julius von Soden]] den Posten als Chef des [[Geheimes Zivilkabinett|Zivilkabinetts]] des [[Königreich Württemberg|württembergischen Königs]]. Bis zur [[Novemberrevolution]] von 1918 blieb er engster Berater von [[Wilhelm II. (Württemberg)|König Wilhelm II.]]


Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten [[Friedrich Ebert]] in den diplomatischen Dienst zurück und wurde [[Gesandter]] in [[Kopenhagen]], bekleidete von 1921 bis 1930 den Posten des [[Botschafter]]s in [[Rom]] und kehrte in der Zeit von 1930 bis 1932 als [[Deutsche Botschaft London|Botschafter nach London]] zurück.
Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten [[Friedrich Ebert]] in den diplomatischen Dienst zurück und wurde [[Gesandter]] in [[Kopenhagen]]. Von 1921 bis 1930 bekleidete er den Posten des Botschafters beim [[Königreich Italien (1861–1946)|Königreich Italien]] und erlebte den Aufstieg des [[Italienischer Faschismus|italienischen Faschismus]] sowie den Aufbau einer [[Diktatur]] unter [[Benito Mussolini]] mit. Nach dem Tod [[Gustav Stresemann]]s (1929) favorisierte Reichspräsident [[Paul von Hindenburg]] Neurath als neuen Außenminister. Allerdings stand der [[Konservativismus|konservative]] Neurath der Weimarer Republik ablehnend gegenüber und trat für eine [[Revisionismus|Revision]] des [[Versailler Vertrag]]s ein. Seine Berufung scheiterte allerdings an den fehlenden Mehrheitsverhältnissen im Reichstag.<ref>https://www.dhm.de/lemo/biografie/konstantin-freiherr-von-neurath.html</ref> Stattdessen wurde Neurath [[Deutsche Botschaft London|deutscher Botschafter in London]] (1930 bis 1932).


== Reichsaußenminister ==
== Reichsaußenminister ==
Bereits nach dem Tod von [[Gustav Stresemann]] 1929 favorisierte Reichspräsident [[Paul von Hindenburg]] Neurath als neuen Außenminister, seine Berufung auf diesen Posten war allerdings zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung nicht möglich. Erst als Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes [[Präsidialkabinett]] unter [[Franz von Papen]] bildete, avancierte Neurath zum Außenminister dieses „[[Kabinett Papen|Kabinetts der Barone]]“. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden Kabinetten [[Kabinett Schleicher|Schleicher]] und [[Kabinett Hitler|Hitler]] als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft bei. Bei sonst loyaler Mitarbeit innerhalb der Regierung Hitler ist bekannt, dass von Neurath sich 1935 ebenso wie seine Kabinettskollegen [[Franz Gürtner|Gürtner]], [[Werner von Blomberg|Blomberg]] und [[Wilhelm Frick|Frick]] für die von der [[Geheime Staatspolizei|Gestapo]] festgehaltenen [[Rechtsanwalt|Rechtsanwälte]] einsetzte, die die Witwe des im Zuge der politischen Säuberungswelle beim sogenannten [[Röhm-Putsch]] ermordeten katholischen Politikers [[Erich Klausener]] vertraten, was zu deren Entlassung aus der Haft beitrug.
Nachdem Reichspräsident Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes [[Präsidialkabinett]] unter [[Franz von Papen]] gebildet hatte, wurde Neurath zum Außenminister im „[[Kabinett Papen|Kabinett der Barone]]“ ernannt. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden [[Kabinett Schleicher|Kabinetten Schleicher]] (1932/33) und am 30. Januar 1933 im [[Kabinett Hitler]]. Neurath galt als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft. Bei sonst loyaler Mitarbeit innerhalb der Regierung Hitler ist bekannt, dass von Neurath sich 1935 ebenso wie seine Kabinettskollegen [[Franz Gürtner|Gürtner]], [[Werner von Blomberg|Blomberg]] und [[Wilhelm Frick|Frick]] für die von der [[Geheime Staatspolizei|Gestapo]] festgehaltenen [[Rechtsanwalt|Rechtsanwälte]] einsetzte, die die Witwe des im Zuge der politischen Säuberungswelle beim sogenannten [[Röhm-Putsch]] ermordeten katholischen Politikers [[Erich Klausener]] vertraten, was zu deren Entlassung aus der Haft beitrug.


Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik und trug den immer stärker von [[Adolf Hitler|Hitler]] vorgegebenen Kurs der [[NS-Außenpolitik]] (z.&nbsp;B. den [[Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund|Austritt aus dem Völkerbund]], die Wiedereinführung der [[Wehrpflicht]] oder die [[Rheinlandbesetzung (1936)|Wiederbesetzung des Rheinlandes]]) aktiv mit. Hitler wiederum profitierte nicht nur von Neuraths Reputation im Ausland, sondern auch von der Expertise der von ihm angeleiteten Ministerialbürokratie. Die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amts wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden NS-Außenpolitikers [[Joachim von Ribbentrop]] und dessen [[Dienststelle Ribbentrop]] ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.
Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik und trug den immer stärker von [[Adolf Hitler]] bestimmten [[Aggression (Völkerrecht)|aggressiven Kurs]] der [[NS-Außenpolitik]] (z.&nbsp;B. den [[Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund|Austritt aus dem Völkerbund]], die Wiedereinführung der [[Wehrpflicht]] oder die [[Rheinlandbesetzung (1936)|Wiederbesetzung des Rheinlandes]]) aktiv mit. Hitler wiederum profitierte nicht nur von Neuraths Reputation im Ausland, sondern auch von der Expertise der von ihm angeleiteten Ministerialbürokratie. Die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amts wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden NS-Außenpolitikers [[Joachim von Ribbentrop]] und dessen [[Dienststelle Ribbentrop]] ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.


Anlässlich des 4. Jahrestages der [[Machtergreifung]] verlieh Hitler an alle parteilosen Kabinettsmitglieder das [[Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP|Goldene Parteiabzeichen der NSDAP]], wodurch Neurath Mitglied der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] ([[Liste der NSDAP-Mitgliedsnummern|Mitgliedsnummer]] 3.805.229) wurde. Am 18. September 1937 erhielt er den Rang eines [[SS-Gruppenführer]]s (SS-Nr. 287.680), der dem Rang eines [[Generalleutnant]]s entsprach. Bereits vorher war er Mitglied der von [[Hans Frank]] gegründeten nationalsozialistischen [[Akademie für Deutsches Recht]] geworden.<ref>[[Ernst Klee]]: ''Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945''. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 434.</ref>
Anlässlich des 4. Jahrestages der [[Machtergreifung]] verlieh Hitler an alle parteilosen Kabinettsmitglieder das [[Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP|Goldene Parteiabzeichen der NSDAP]], wodurch Neurath Mitglied der [[Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei|NSDAP]] ([[Liste der NSDAP-Mitgliedsnummern|Mitgliedsnummer]] 3.805.229) wurde. Am 18. September 1937 erhielt er den [[SS-Ehren- und Rangführer zur besonderen Verwendung|Ehrenrang]] eines [[SS-Gruppenführer]]s (SS-Nr. 287.680), der dem Rang eines [[Generalleutnant]]s entsprach. Bereits vorher war er Mitglied der von [[Hans Frank]] gegründeten nationalsozialistischen [[Akademie für Deutsches Recht]] geworden.<ref>[[Ernst Klee]]: ''[[Das Personenlexikon zum Dritten Reich|Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945]],'' Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S.&nbsp;434.</ref>


Bis 1937 trug Neurath eine „Politik der Stärke“ mit, die zur [[Annexion]] Österreichs, im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten beider Länder auf die [[Gleichschaltung]] [[Österreich]]s abzielte und schließlich in das [[Berchtesgadener Abkommen]] mündete. Doch gegen Kriegspläne, wie sie Hitler auf der [[Hoßbach-Niederschrift|Hoßbachkonferenz]] vom November 1937 verkündete, erhob er Einwände. Im Zuge der [[Blomberg-Fritsch-Krise]] wurde Neurath am 4. Februar 1938 zum Präsidenten des niemals zusammengetretenen [[Geheimer Kabinettsrat (Gremium)|Geheimen Kabinettsrates]]<ref>{{Webarchiv|url=http://www.verfassungen.de/de/de33-45/kabinettsrat38.htm |wayback=20111110140702 |text=verfassungen.de |archiv-bot=2022-03-10 11:52:31 InternetArchiveBot }}</ref> „befördert“ und als Außenminister durch seinen parteiinternen Konkurrenten Ribbentrop ersetzt. Formal gehörte Neurath bis zum 30. April 1945 als [[Minister ohne Geschäftsbereich|Reichsminister ohne Geschäftsbereich]] der Reichsregierung an.
Bis 1937 trug Neurath eine „Politik der Stärke“ mit, die auf die [[Annexion]] Österreichs, im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten beider Länder auf die [[Gleichschaltung]] [[Österreich]]s abzielte und schließlich in das [[Berchtesgadener Abkommen]] mündete. Doch gegen Kriegspläne, wie sie Hitler auf einer [[Hoßbach-Niederschrift|Konferenz]] am 5. November 1937 verkündete, erhob er Einwände.<ref>siehe [[Hoßbach-Niederschrift#Reaktionen der Besprechungsteilnehmer]].</ref> Im Zuge der [[Blomberg-Fritsch-Krise]] wurde Neurath am 4. Februar 1938 zum Präsidenten des niemals zusammengetretenen [[Geheimer Kabinettsrat (Gremium)|Geheimen Kabinettsrates]]<ref>{{Internetquelle |url=http://www.verfassungen.de/de/de33-45/kabinettsrat38.htm |titel=Erlaß über die Errichtung eines Geheimen Kabinettsrats |werk=Reichsgesetzblatt 1938 I |seiten=112 |datum=1938-02-04 |kommentar=veröffentlicht auf verfassungen.de |archiv-url=https://web.archive.org/web/20111110140702/http://www.verfassungen.de/de/de33-45/kabinettsrat38.htm |archiv-datum=2011-11-10 |abruf=2023-02-02}}</ref> „befördert“ und als Außenminister durch seinen parteiinternen Konkurrenten Ribbentrop ersetzt. Formal gehörte Neurath bis zum 30. April 1945 als [[Minister ohne Geschäftsbereich|Reichsminister ohne Geschäftsbereich]] der Reichsregierung an.


== Reichsprotektor in Böhmen und Mähren ==
== Reichsprotektor in Böhmen und Mähren ==
Nach der sogenannten [[Zerschlagung der Rest-Tschechei]] und dem Einmarsch deutscher Truppen in [[Prag]] am 15. März 1939 wurde Neurath – möglicherweise als Beschwichtigungsgeste gegenüber den Briten – [[Reichsprotektorat Böhmen und Mähren|Reichsprotektor in Böhmen und Mähren]],<ref>Ian Kershaw: ''Hitler.'' Band 2: ''1936–1945.'' Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000, ISBN 3-421-05132-1, S. 640: Es heißt ''in'' (nicht: ''von'') Böhmen und Mähren; siehe auch {{Webarchiv |url=http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0450.pdf |text=Archivierte Kopie |wayback=20110919090100}} dort S. 2 (abgefragt am 16. Januar 2011).</ref> wo er unter anderem für die Unterdrückung der politischen Kultur der Tschechen und die Durchsetzung der [[Nürnberger Gesetze]] zuständig war. Hitler hielt Neurath jedoch für nicht brutal genug, um die zunehmende tschechische Widerstandsbewegung zu unterdrücken. Er beurlaubte ihn deshalb im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor [[Reinhard Heydrich]] bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer Mitte 1942 an [[Kurt Daluege]] zu übertragen. Im August 1943 entsprach Hitler den wiederholten Entlassungsgesuchen Neuraths im Zuge eines größeren Revirements: [[Heinrich Himmler]] wurde zum [[Reichsinnenminister]] befördert und Neurath formell von dem Amt des Reichsprotektors entbunden, das der bisherige Reichsinnenminister [[Wilhelm Frick]] übernahm.
Nach der [[Zerschlagung der Tschechoslowakei]] und dem Einmarsch deutscher Truppen in [[Prag]] am 15. März 1939 wurde Neurath – möglicherweise als Beschwichtigungsgeste gegenüber den Briten – [[Reichsprotektor]] im [[Protektorat Böhmen und Mähren]],<ref>Ian Kershaw: ''Hitler.'' Band 2: ''1936–1945.'' Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000, ISBN 3-421-05132-1, S.&nbsp;640: Es heißt ''in'' (nicht: ''von'') Böhmen und Mähren; siehe auch {{Webarchiv |url=http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0450.pdf |text=Archivierte Kopie |wayback=20110919090100}} dort S.&nbsp;2 (abgefragt am 16. Januar 2011).</ref> und war unter anderem für die Unterdrückung der politischen Kultur der Tschechen und die Durchsetzung der [[Nürnberger Gesetze]] zuständig. Hitler hielt Neurath jedoch für nicht brutal genug, um die zunehmende [[Tschechoslowakischer Widerstand 1939–1945|tschechische Widerstandsbewegung]] zu unterdrücken. Er beurlaubte ihn deshalb im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor [[Reinhard Heydrich]] bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer Mitte 1942 an [[Kurt Daluege]] zu übertragen. Im August 1943 entsprach Hitler den wiederholten Entlassungsgesuchen Neuraths im Zuge eines größeren Revirements: [[Heinrich Himmler]] wurde zum [[Reichsinnenminister]] befördert und Neurath formell von dem Amt des Reichsprotektors entbunden, das der bisherige Reichsinnenminister [[Wilhelm Frick]] übernahm.


Im Juni 1943 war Neurath zum [[SS-Obergruppenführer]] befördert worden, was dem Rang eines [[General]]s entsprach. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er von Hitler eine [[Dotation]] in Höhe von 250.000 [[Reichsmark]].<ref>[[Gerd R. Ueberschär]], [[Winfried Vogel]]: ''Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten.'' Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.</ref>
Im Juni 1943 war Neurath zum [[SS-Obergruppenführer]] befördert worden, was dem Rang eines [[General]]s entsprach. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er von Hitler eine [[Dotation]] in Höhe von 250.000 [[Reichsmark]].<ref>[[Gerd R. Ueberschär]], [[Winfried Vogel]]: ''Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten.'' Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.</ref>
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[[Datei:Konstantin von Neurath crop.jpg|mini|hochkant|Konstantin von Neurath während des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses (ca. 1946)]]
[[Datei:Konstantin von Neurath crop.jpg|mini|hochkant|Konstantin von Neurath während des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses (ca. 1946)]]
Am 6. Mai 1945 wurde Neurath von französischen Truppen gefangen genommen und dem [[Internationaler Militärgerichtshof|Internationalen Militärgerichtshof]] in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden, Verbrechen gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen“ und „[[Verbrechen gegen die Menschlichkeit]]“ angeklagt und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Am 6. Mai 1945 wurde Neurath von französischen Truppen gefangen genommen und dem [[Internationaler Militärgerichtshof|Internationalen Militärgerichtshof]] in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden, Verbrechen gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen“ und „[[Verbrechen gegen die Menschlichkeit]]“ angeklagt und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
== Nach der Haft ==

Auf Initiative des [[Heiliger Stuhl|Vatikans]] und mit Billigung der Sowjets wurde Neurath Anfang November 1954 vorzeitig aus dem [[Kriegsverbrechergefängnis Spandau]] entlassen. Vorher hatten die Sowjets alle Bemühungen um Entlassung oder Hafterleichterung strikt abgelehnt.
Auf Initiative des [[Heiliger Stuhl|Vatikans]] und mit Billigung der Sowjets wurde Neurath Anfang November 1954 vorzeitig aus dem [[Kriegsverbrechergefängnis Spandau]] entlassen. Zuvor hatte die Sowjetunion alle Bemühungen um Entlassung oder Hafterleichterung strikt abgelehnt.


Nach seiner Entlassung aus der Haft am 6. November 1954 verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut [[Leinfelder Hof]] bei Enzweihingen.
Nach seiner Entlassung aus der Haft am 6. November 1954 verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut [[Leinfelder Hof]] bei Enzweihingen.


== Parteiinterne Auszeichnungen ==
== NS-Auszeichnungen ==
* [[SS-Ehrendegen]]
* [[SS-Ehrendegen]]
* [[SS-Ehrenring]]
* [[SS-Ehrenring]]
* 1938 Ehrenbürger der Stadt [[Stuttgart]]


== Literatur ==
== Literatur ==
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* John L. Heineman: ''Hitler's first foreign minister. Constantin Freiherr von Neurath, diplomat and statesman.'' California University Press, Berkeley 1979, ISBN 0-520-03442-2.
* John L. Heineman: ''Hitler's first foreign minister. Constantin Freiherr von Neurath, diplomat and statesman.'' California University Press, Berkeley 1979, ISBN 0-520-03442-2.
* [[Jeffrey Herf]]: ''Nazi propaganda for the Arab world.'' Yale University Press, New Haven 2009, ISBN 978-0-300-14579-3 (über die Nazifizierung der Außenpolitik in Nahost durch v. Neurath, [[passim]]).
* [[Jeffrey Herf]]: ''Nazi propaganda for the Arab world.'' Yale University Press, New Haven 2009, ISBN 978-0-300-14579-3 (über die Nazifizierung der Außenpolitik in Nahost durch v. Neurath, [[passim]]).
* [[Hans-Adolf Jacobsen]]: ''Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938''. Frankfurt am Main/ Berlin 1968, S. 20–45.
* [[Hans-Adolf Jacobsen]]: ''Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938,'' Frankfurt am Main/ Berlin 1968, S.&nbsp;20–45.
* Lars Lüdicke: ''Das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis und die »Hohe« Politik. Anmerkungen zur Entlassung Constantin von Neuraths im November 1954.'' In: [[Michael C. Bienert]], Uwe Schaper, Andrea Theissen (Hrsg.): ''Die Vier Mächte in Berlin. Beiträge zur Politik in der besetzten Stadt.'' (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 9). Berlin 2007, ISBN 978-3-9803303-1-2, S. 197–216.
* Lars Lüdicke: ''Das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis und die »Hohe« Politik. Anmerkungen zur Entlassung Constantin von Neuraths im November 1954.'' In: [[Michael C. Bienert]], Uwe Schaper, Andrea Theissen (Hrsg.): ''Die Vier Mächte in Berlin. Beiträge zur Politik in der besetzten Stadt.'' (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 9). Berlin 2007, ISBN 978-3-9803303-1-2, S.&nbsp;197–216.
* Lars Lüdicke: ''Griff nach der Weltherrschaft. Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1945''. (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Band 8). Be.bra-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89809-408-5, S. 20–98.
* Lars Lüdicke: ''Griff nach der Weltherrschaft. Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1945,'' (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Band 8). Be.bra-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89809-408-5, S.&nbsp;20–98.
* Lars Lüdicke: ''Constantin von Neurath. Eine politische Biographie''. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77838-3.
* Lars Lüdicke: ''Constantin von Neurath. Eine politische Biographie,'' Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77838-3.
* [[Frank Raberg]]: ''Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932–1938).'' In: Michael Kißener (Hrsg.): ''Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg''. UVK, Konstanz 1997, ISBN 3-87940-566-2, S. 503–538.
* [[Frank Raberg]]: ''Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932–1938).'' In: Michael Kißener (Hrsg.): ''Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg,'' UVK, Konstanz 1997, ISBN 3-87940-566-2, S.&nbsp;503–538.


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Aktuelle Version vom 1. Juni 2024, 11:00 Uhr

Konstantin Freiherr von Neurath (1939)

Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath (* 2. Februar 1873 im Hofgut Kleinglattbach, Kleinglattbach; † 14. August 1956 im Leinfelder Hof, Enzweihingen) war ein deutscher Diplomat des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Er wurde 1932 Reichsminister des Äußeren und hatte das Amt auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung bis 1938 inne. Zwischen 1939 und 1943 war Neurath Reichsprotektor des vom Deutschen Reich besetzten Protektorats Böhmen und Mähren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Neurath zu den 24 Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse. Der Internationale Militärgerichtshof sprach ihn am 1. Oktober 1946 in allen vier Anklagepunkten schuldig und verurteilte ihn zu einer 15-jährigen Haftstrafe. 1954 wurde Neurath vorzeitig entlassen.

Herkunft, Familie, Werdegang

Konstantin von Neurath als Corpsstudent in Tübingen, um 1896

Konstantin von Neurath wurde am 2. Februar 1873 auf dem elterlichen Hofgut Kleinglattbach nahe der Stadt Vaihingen an der Enz geboren und entstammte einer württembergischen Adelsfamilie. Sein Vater Konstantin Sebastian von Neurath (1847–1912) war königlich württembergischer Oberkammerherr, Chef des Kammerherrenstabes und Gutsbesitzer. Im Rahmen seiner politischen Betätigung gehörte der Vater von 1881 bis 1890 als Abgeordneter der Deutschen Reichspartei dem Reichstag an. Die Mutter Mathilde (1847–1924) entstammte dem Rittergeschlecht der Freiherren von Gemmingen.

Nach dem Abitur studierte Neurath von 1892 bis 1897 Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Sein Studium unterbrach er, um als Einjährig-Freiwilliger den Militärdienst im Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125 abzuleisten. 1894 wurde er Mitglied (später Ehrenmitglied) der Studentenverbindung Corps Suevia Tübingen,[1] Im Jahr 1897 bestand Neurath das Referendar-Examen und trat im Folgejahr in den württembergischen Justizdienst ein.

Ab 1903 war er königlich württembergischer Kammerjunker, ab 1910 Kammerherr. In der Württembergischen Armee war er ab 1898 Sekondeleutnant, ab 1909 Oberleutnant der Reserve.

Neurath heiratete am 30. Mai 1901 in Stuttgart die Bankierstochter Marie Auguste Moser von Filseck (1875–1960). Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor:

  • Konstantin Alexander (1902–1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem Zweiten Weltkrieg in die deutsche Wirtschaft wechselte
  • Winifred (1904–1985), die 1926 den Politiker Hans Georg von Mackensen heiratete.

Karriere als Diplomat

Neurath als Botschafter in Rom (1929)

Nach bestandenem Assessor-Examen wechselte Neurath 1901 in die konsularische Laufbahn des Auswärtigen Dienstes. Zwischen 1903 und 1908 war er Vizekonsul im deutschen Generalkonsulat in London, anschließend kehrte er in das Auswärtige Amt nach Berlin zurück. Durch Protektion Kiderlen-Waechters gelang ihm zum Jahreswechsel 1912/13 die Aufnahme in die diplomatische Laufbahn. Als Legationsrat in der Politischen Abteilung wurde er 1914 zum Botschaftsrat in Konstantinopel ernannt, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als Reserveoffizier im Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 am Ersten Weltkrieg teilnahm. Im Osmanischen Reich erlebte Neurath den Völkermord an den Armeniern vor Ort mit.

Auf eigenen Wunsch wurde Neurath zum Jahresende 1916 aus dem Reichsdienst entlassen und übernahm von seinem Onkel Julius von Soden den Posten als Chef des Zivilkabinetts des württembergischen Königs. Bis zur Novemberrevolution von 1918 blieb er engster Berater von König Wilhelm II.

Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in den diplomatischen Dienst zurück und wurde Gesandter in Kopenhagen. Von 1921 bis 1930 bekleidete er den Posten des Botschafters beim Königreich Italien und erlebte den Aufstieg des italienischen Faschismus sowie den Aufbau einer Diktatur unter Benito Mussolini mit. Nach dem Tod Gustav Stresemanns (1929) favorisierte Reichspräsident Paul von Hindenburg Neurath als neuen Außenminister. Allerdings stand der konservative Neurath der Weimarer Republik ablehnend gegenüber und trat für eine Revision des Versailler Vertrags ein. Seine Berufung scheiterte allerdings an den fehlenden Mehrheitsverhältnissen im Reichstag.[2] Stattdessen wurde Neurath deutscher Botschafter in London (1930 bis 1932).

Reichsaußenminister

Nachdem Reichspräsident Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes Präsidialkabinett unter Franz von Papen gebildet hatte, wurde Neurath zum Außenminister im „Kabinett der Barone“ ernannt. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden Kabinetten Schleicher (1932/33) und am 30. Januar 1933 im Kabinett Hitler. Neurath galt als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft. Bei sonst loyaler Mitarbeit innerhalb der Regierung Hitler ist bekannt, dass von Neurath sich 1935 ebenso wie seine Kabinettskollegen Gürtner, Blomberg und Frick für die von der Gestapo festgehaltenen Rechtsanwälte einsetzte, die die Witwe des im Zuge der politischen Säuberungswelle beim sogenannten Röhm-Putsch ermordeten katholischen Politikers Erich Klausener vertraten, was zu deren Entlassung aus der Haft beitrug.

Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik und trug den immer stärker von Adolf Hitler bestimmten aggressiven Kurs der NS-Außenpolitik (z. B. den Austritt aus dem Völkerbund, die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Wiederbesetzung des Rheinlandes) aktiv mit. Hitler wiederum profitierte nicht nur von Neuraths Reputation im Ausland, sondern auch von der Expertise der von ihm angeleiteten Ministerialbürokratie. Die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amts wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden NS-Außenpolitikers Joachim von Ribbentrop und dessen Dienststelle Ribbentrop ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.

Anlässlich des 4. Jahrestages der Machtergreifung verlieh Hitler an alle parteilosen Kabinettsmitglieder das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP, wodurch Neurath Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 3.805.229) wurde. Am 18. September 1937 erhielt er den Ehrenrang eines SS-Gruppenführers (SS-Nr. 287.680), der dem Rang eines Generalleutnants entsprach. Bereits vorher war er Mitglied der von Hans Frank gegründeten nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht geworden.[3]

Bis 1937 trug Neurath eine „Politik der Stärke“ mit, die auf die Annexion Österreichs, im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten beider Länder auf die Gleichschaltung Österreichs abzielte und schließlich in das Berchtesgadener Abkommen mündete. Doch gegen Kriegspläne, wie sie Hitler auf einer Konferenz am 5. November 1937 verkündete, erhob er Einwände.[4] Im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise wurde Neurath am 4. Februar 1938 zum Präsidenten des niemals zusammengetretenen Geheimen Kabinettsrates[5] „befördert“ und als Außenminister durch seinen parteiinternen Konkurrenten Ribbentrop ersetzt. Formal gehörte Neurath bis zum 30. April 1945 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich der Reichsregierung an.

Reichsprotektor in Böhmen und Mähren

Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 wurde Neurath – möglicherweise als Beschwichtigungsgeste gegenüber den Briten – Reichsprotektor im Protektorat Böhmen und Mähren,[6] und war unter anderem für die Unterdrückung der politischen Kultur der Tschechen und die Durchsetzung der Nürnberger Gesetze zuständig. Hitler hielt Neurath jedoch für nicht brutal genug, um die zunehmende tschechische Widerstandsbewegung zu unterdrücken. Er beurlaubte ihn deshalb im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Widerstandskämpfer Mitte 1942 an Kurt Daluege zu übertragen. Im August 1943 entsprach Hitler den wiederholten Entlassungsgesuchen Neuraths im Zuge eines größeren Revirements: Heinrich Himmler wurde zum Reichsinnenminister befördert und Neurath formell von dem Amt des Reichsprotektors entbunden, das der bisherige Reichsinnenminister Wilhelm Frick übernahm.

Im Juni 1943 war Neurath zum SS-Obergruppenführer befördert worden, was dem Rang eines Generals entsprach. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er von Hitler eine Dotation in Höhe von 250.000 Reichsmark.[7]

Angeklagt in Nürnberg

Konstantin von Neurath während des Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesses (ca. 1946)

Am 6. Mai 1945 wurde Neurath von französischen Truppen gefangen genommen und dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden, Verbrechen gegen den Frieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach der Haft

Auf Initiative des Vatikans und mit Billigung der Sowjets wurde Neurath Anfang November 1954 vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen. Zuvor hatte die Sowjetunion alle Bemühungen um Entlassung oder Hafterleichterung strikt abgelehnt.

Nach seiner Entlassung aus der Haft am 6. November 1954 verbrachte Neurath die letzten zwei Lebensjahre auf seinem Gut Leinfelder Hof bei Enzweihingen.

NS-Auszeichnungen

Literatur

  • Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2.
  • Hans-Jürgen DöscherNeurath, Constantin Freiherr von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 178 f. (Digitalisat).
  • John L. Heineman: Hitler's first foreign minister. Constantin Freiherr von Neurath, diplomat and statesman. California University Press, Berkeley 1979, ISBN 0-520-03442-2.
  • Jeffrey Herf: Nazi propaganda for the Arab world. Yale University Press, New Haven 2009, ISBN 978-0-300-14579-3 (über die Nazifizierung der Außenpolitik in Nahost durch v. Neurath, passim).
  • Hans-Adolf Jacobsen: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938, Frankfurt am Main/ Berlin 1968, S. 20–45.
  • Lars Lüdicke: Das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis und die »Hohe« Politik. Anmerkungen zur Entlassung Constantin von Neuraths im November 1954. In: Michael C. Bienert, Uwe Schaper, Andrea Theissen (Hrsg.): Die Vier Mächte in Berlin. Beiträge zur Politik in der besetzten Stadt. (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Band 9). Berlin 2007, ISBN 978-3-9803303-1-2, S. 197–216.
  • Lars Lüdicke: Griff nach der Weltherrschaft. Die Außenpolitik des Dritten Reiches 1933–1945, (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Band 8). Be.bra-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89809-408-5, S. 20–98.
  • Lars Lüdicke: Constantin von Neurath. Eine politische Biographie, Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77838-3.
  • Frank Raberg: Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932–1938). In: Michael Kißener (Hrsg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg, UVK, Konstanz 1997, ISBN 3-87940-566-2, S. 503–538.
Commons: Konstantin von Neurath – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kösener Corpslisten 1960, 129, 508.
  2. https://www.dhm.de/lemo/biografie/konstantin-freiherr-von-neurath.html
  3. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 434.
  4. siehe Hoßbach-Niederschrift#Reaktionen der Besprechungsteilnehmer.
  5. Erlaß über die Errichtung eines Geheimen Kabinettsrats. In: Reichsgesetzblatt 1938 I. 4. Februar 1938, S. 112, archiviert vom Original am 10. November 2011; abgerufen am 2. Februar 2023 (veröffentlicht auf verfassungen.de).
  6. Ian Kershaw: Hitler. Band 2: 1936–1945. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000, ISBN 3-421-05132-1, S. 640: Es heißt in (nicht: von) Böhmen und Mähren; siehe auch Archivierte Kopie (Memento vom 19. September 2011 im Internet Archive) dort S. 2 (abgefragt am 16. Januar 2011).
  7. Gerd R. Ueberschär, Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.