Chaim Seeligmann

Chaim Seeligmann (* 16. November 1912 in Karlsruhe, geboren als Heinz Alfred S., † 25. September 2009 in Givat Brenner) war ein israelisch-deutscher Pädagoge und Historiker. Er hat die historischen Wurzeln der Kibbuz-Bewegung untersucht und wies nach, dass die Kibbuzgründer/innen nicht nur marxistische Ideen und Modelle, sondern teilweise auch Ansätze zum herrschaftsfreien Zusammenleben im Sinne des gewaltlosen Anarchismus hatten.

Leben

Heinz Seeligmann wuchs als zweites von fünf Geschwistern der Eheleute Oskar und Therese geb. Dux in einer großbürgerlichen, freidenkerischen Umgebung auf. Sein Vater war Bankier. Der Junge absolvierte ein humanistisches Gymnasium und die von den Eltern gewünschte Banklehre in der Heimatstadt. Er lernte, überraschend für seinen assimilierten Familienhintergrund, früh Hebräisch. Bereits als Schüler schloss er sich auch der zionistischen Jugendbewegung Kadima an, später den Pionieren der Jugendorganisation Hechaluz und emigrierte (nach der Hachschara, einer landwirtschaftlichen Vorbereitung in der Schweiz), Ende 1935 nach Palästina. Das Schiff hieß Galiläa und brachte ihn mit anderen aufbauwilligen, deutsch-jüdischen Emigrant(inn)en nach Haifa. 1936 trat er in den Kibbuz Givat Brenner bei Rechovot ein. In der entbehrungsreichen Aufbauphase dieser 1928 gegründeten, sozialistischen Agrarkommune wurde Besitz und Einkommen komplett geteilt, alle Arbeiten freiwillig und unbezahlt geleistet; externe Einkünfte flossen der Gemeinschaft zu. Dafür waren Essen, medizinische Versorgung, Schule und Kinderhaus von Anfang an frei.

In Israel heiratete Chaim Seeligmann 1939 die aus dem litauischen Zasliai stammende Schifra, geb. Gurwitz. Der Ehe entstammen drei Kinder. Wie er später erfuhr, war sein Vater Oskar Seeligmann am 22. Oktober 1940 in das Camp de Gurs deportiert worden und dort im Januar 1941 umgekommen. Seine Mutter, ebenfalls zunächst in Gurs, starb 1947 in Corrèze. Seine Brüder Werner und Herbert wurden deportiert und kamen wahrscheinlich im KZ Auschwitz zu Tode.

In den Folgejahren war Chaim Seeligmann in Frankreich als Sendbote sozialistischer Jugendgruppen für die jüdische Einwanderung nach Erez Israel tätig. Ab 1957 studierte er an der Hebräischen Universität Jerusalem, dann an der Universität Tel Aviv, war Generalsekretär im Kibbuz, arbeitete als Erzieher und engagierte sich in der Bildungsarbeit in Kibbuzim. Sein Bruder Ernst und seine Schwester Sophie entkamen den Holocaust und emigrierten ebenfalls nach Israel.

Die kollektive Lebensform der Chawerim (dt. „Freunde, Genoss(inn)en“) ist seit dem späten 20. Jahrhundert im Schwinden und wird durch individualistische und kommerzielle Strukturen verdrängt. Diesen Prozess hat Chaim Seeligmann in seinen Arbeiten analysiert und die Kibbuzbewegung in ihren Wurzeln, Errungenschaften und Utopien selbstkritisch dargestellt. Er forscht seit vielen Jahre am Yad Tabenkin, Forschungszentrum der Kibbuz-Bewegung in Ramat Efal und hat Arbeiten über libertäre Konzepte u.a. bei Gustav Landauer, Erich Mühsam und Bernard Lazare veröffentlicht. Chaim Seeligmann war Ehrendoktor der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld.

Werke (Auswahl)

  • Spuren einer stillen Revolution. Bad Tölz: Verl. Urfeld, 1998. ISBN 3-932857-21-6
  • Die Jüdische Jugendbewegung und die Kibbuzbewegung. In: Melzer/Neubauer, Der Kibbuz als Utopie, Weinheim 1988.
  • Zur politischen Rolle der Philologen in der Weimarer Republik. Gesammelte Aufsätze über Lehrerverbände, Jugendbewegung und zur Antisemitismus-Diskussion. Köln ; Wien : Böhlau, 1990
  • Curriculum vitae. In: Auseinandersetzungen mit dem zerstörten jüdischen Erbe: Franz-Rosenzweig-Gastvorlesungen (1999 - 2005) / Hg. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik [...] - Kassel : Kassel Univ. Press, 2004. - (=Kasseler Semesterbücher : Studia Cassellana ; Bd. 13) Online-Version
  • Der Kibbuz und seine Entwicklung. In: Auseinandersetzungen mit dem zerstörten jüdischen Erbe: Franz-Rosenzweig-Gastvorlesungen (1999 - 2005) / Hg. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik [...] - Kassel : Kassel Univ. Press, 2004. - (=Kasseler Semesterbücher : Studia Cassellana ; Bd. 13) Online-Version
  • zs. mit Gabi Madar: Kibbuz: e. Überblick. Erw. und aktualisierte Ausg. Ramat-Efal: Yad Tabenkin, 2000
  • Es war nicht nur ein Traum : autobiographische und kibbuzgeschichtliche Skizzen. Bad Tölz : Verl. Urfeld, 2002. 167 S. ISBN 3-932857-29-1

Literatur

  • Alexander Visser: Mit Knickerbockern ins Gelobte Land. In: Der Tagesspiegel 29. Januar 2005