Statische Gedichte

Statische Gedichte ist ein Gedichtband von Gottfried Benn aus dem Jahre 1948. Das Werk entstand überwiegend 1937 bis 1947 und erschien 1948 im Arche Verlag. Vierzehn Gedichte wie Turin, Sils Maria oder Anemone hatte Benn bereits 1936 in seinem Band Ausgewählte Gedichte veröffentlicht. Die Gedichte begründen neben Morgue und andere Gedichte sowie Aprèslude den literarischen Ruhm des Dichters. Weiterhin trugen sie zur Anerkennung Benns im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit bei.

Inhalt

EntstehungsjahrTitelGattung
1941–1944Ach, das ferne Land
1945–1946Quartär
1944ChopinPorträtgedicht
1945–1946Orpheus’ Tod
1939Verse
1941Gedichte
Bilder
1920–1940Welle der Nacht
1930–1933Am Saum des nordischen Meer’s
1935Tag, der den Sommer endet
1937Die Gefährten
1944Dann
1944V. Jahrhundert
1935AsternNaturgedicht
1944SeptemberNaturgedicht
1943Alle die Gräber
1943Wenn etwas leicht
1941Ein Wort
1943Gärten und Nächte
1933Sils-Maria
1943Ein später Blick
1943Nachzeichnung
1927In Memoriam Höhe 317
1943Verlorenes Ich
1941Henri Matisse: „Asphodèles“Dinggedicht
1938Ist das nicht schwerer
1943St. Petersburg – Mitte des Jahrhunderts
1943Mittelmeerisch
1936Einsamer nieNaturgedicht, Lehrgedicht
1936Wer allein istLehrgedicht
1934Spät im Jahre
Suchst Du
Der Traum
Anemone
1936Turin
1936Leben – niederer WahnLehrgedicht
1935Ach, das Erhabene
Sommers
1941Abschied
Die Form
Statische Gedichte

Editionsgeschichte

Nach Kriegsende stand Benn mit zahlreichen Verlegern, darunter Ernst Rowohlt, Peter Suhrkamp, Eugen Claassen und Karl Hein Henssel im Kontakt. Erst 1946 eröffnete sich eine Gelegenheit zur Publikation der Statischen Gedichte.[1] Das Vorhaben scheiterte trotz Drucklizenz; lediglich fünf Exemplare wurden als Privatdruck realisiert.[2] 1947 glaubte Gottfried Benn nicht mehr an eine Veröffentlichung seiner Werke zu Lebzeiten. Der Journalist Erhard Hüsch, der bereits 1946 Gottfried Benn begegnete, stellte schließlich den Kontakt zwischen dem Verleger Peter Schifferli vom Arche Verlag Zürich und Benn her.

Rezeption

Rezensionen und Stimmen

Nachdem im Limes Verlag 1949 der Essay „Der Ptolemäer“ erschien und kurz darauf eine Lizenzauflage der „Statischen Gedichte“ und weitere Werke Benns, äußerten sich gerade die jüngeren Kritiker der Nachkriegszeit wie Ernst Kreuder, Max Bense, Curt Hohoff und Hans Egon Holthusen mit Lob über Benns jüngstes Schaffen.[3] Alfred Andersch benannte Benn als verfemten Dichter. Gegenüber den expressionistischen Gedichten attestierte er dem Band eine gewisse Einfachheit sowie ein „Bekenntnis zu Geist und Form“. Abschließend meint er: „Den Gipfel erreicht Benns Künstlerschaft wohl in dem Poem „Gedichte“, drei achtzeiligen Strophen von unvergleichlicher Sprach- und Geistesmacht“.[4]

„Mit einem einzigen Flügelschlage reißt uns eine neue Dichtung Gottfried Benns über das Stimmengewirr der um lyrischen Ausdruck bemühten Gegenwart hoch hinaus“, nahm Friedrich Sieburg den Band mit Begeisterung auf. Er würdigte weiterhin Benns Abkehr von dessen früherer Dichtung, gemeint ist hier vor allem der Band Morgue. Über die Bedeutung der Gedichte äußert er sich: „Sie ist nicht nachzuahmen und sie kann keine Schule machen, da der mühevoll schmerzliche Weg ihrer Klärung an die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten streift“.[5] Für Ernst Kreuder waren die Statischen Gedichte der Beginn einer deutschen Literatur nach Kriegsende.

Literaturwissenschaft

Helmuth Kiesel setzt die Statischen Gedichte im Bezug zur Zeitgeschichte. Nach der Begeisterung für den Nationalsozialismus habe Benn Resümee gezogen und sich zu einer Welt des Geistes bekannt.[6] Friederike Reents weist auf die im Band enthaltenen poetologischen Gedichte „Ein Wort“, „Gedichte“ oder „Statische Gedichte“, welche die Reflexion der Form zum Inhalt haben und das von der Benn-Forschung vielfach interpretierte Gedicht „Welle der Nacht“ hin.[7] Das letztgenannte Gedicht sei „alles, was man zu Benns Poetik eines vollendeten Gedichts sagen kann: die inhärente Formreflexion und die darin transportierte Poetik“.[8]

Der Komparatist Dieter Lamping wertet die Mehrheit der Gedichte als konventionell ab.[9] Obwohl die Montagelyrik in Gedichten wie Quartär und Verlorenes Ich noch verwirklicht werde, würden traditionelle Gedichte, dazu er bekannte Gedichte wie Astern, Einsamer nie oder Ach das Erhabene zählt, deutlich überwiegen.[10] Weiterhin sieht er eine Abwendung vom Sujet der Großstadt zur Gattung der Naturlyrik. Nach Hugo Ridley entspricht die Wahl der Themen wie der Form dem zusammenfassenden Charakter der Sammlung, jedoch erschöpfen sich die Gedichte nicht in einer Wiederholung, „vielmehr lassen sich wieder kleinere Schwerpunktverschiebungen erkennen“.[11]

Literatur

Textausgaben

  • Gottfried Benn: Statische Gedichte. Arche Literatur Verlag, Zürich 1948.
  • Gottfried Benn: Statische Gedichte. Limes Verlag, Wiesbaden 1949.
  • Gottfried Benn: Statische Gedichte. Arche Literatur Verlag, Zürich-Hamburg 2006, ISBN 3-7160-2356-6.
  • Gottfried Benn: Statische Gedichte. (Gedichte 1937–1947). Mit einem Vorwort von Durs Grünbein. Klett-Cotta, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-608-93935-4.
  • Gottfried Benn: Statische Gedichte. Mit einem Nachwort von Ron Winkler. Arche Literatur Verlag, Zürich-Hamburg 2021. ISBN 978-3-7160-4031-7.

Sekundärliteratur

  • Werner Helwig: Gottfried Benn. Statische Gedichte. In: Willi Weismann (Hrsg.): Literarische Revue. Heft 5, München 1949, S. 326–328.
  • Simon Karcher: Sachlichkeit und elegischer Ton. Die späte Lyrik von Gottfried Benn und Bertolt Brecht – ein Vergleich. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 3-8260-3344-2.
  • Harald Steinhagen: Die Statischen Gedichte von Gottfried Benn. Die Vollendung seiner expressionistischen Lyrik. Klett, Stuttgart 1969.
  • Joachim Vahland: Sind die „Statischen Gedichte“ statische Gedichte? In: Bruno Hillebrand (Hrsg.): Gottfried Benn. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1979, S. 350–366.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Thorsten Ries: Verwandlung als anthropologisches Motiv in der Lyrik Gottfried Benns. Textgenetische Edition ausgewählter Gedichte aus dem Jahre 1935-1953. In: Bodo Plachta (Hrsg.): Exempla Critica. Historisch-kritische Einzelausgabe zur neueren deutschen Literatur. Bd. 1, Gruyter, Berlin, Boston 2014, ISBN 978-3-11-035063-0, S. 571.
  2. Vgl. Thorsten Ries: Verwandlung als anthropologisches Motiv in der Lyrik Gottfried Benns. Textgenetische Edition ausgewählter Gedichte aus dem Jahre 1935-1953. In: Bodo Plachta (Hrsg.): Exempla Critica. Historisch-kritische Einzelausgabe zur neueren deutschen Literatur. Bd. 1, Gruyter, Berlin, Boston 2014, ISBN 978-3-11-035063-0, S. 572.
  3. Vgl. Dyck, Joachim: Gottfried Benn. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Hrsg. v. Wilhelm Kühlmann, 2. Auflage, Berlin, New York 2008ff., S. 446.
  4. Alfred Andersch: Statische Gedichte. In: Die neue Woche, am 20. November 1948.
  5. Friedrich Sieburg: Wer allein ist. In: Die Gegenwart, am 15. Februar 1949
  6. Vgl. Helmuth Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im Zwanzigsten Jahrhundert. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51145-7, S. 420.(eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  7. Vgl. Frederike Reents: Nur zwei Dinge - Zur Doppelsichtigkeit des modernen lyrischen Ichs. In: Frederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0151-1, S. 82.
  8. Frederike Reents: Nur zwei Dinge - Zur Doppelsichtigkeit des modernen lyrischen Ichs. In: Frederike Reents (Hrsg.): Gottfried Benns Modernität. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0151-1, S. 83.
  9. Vgl. Dieter Lamping: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-20778-6, S. 231.
  10. Vgl. Dieter Lamping: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-20778-6, S. 231.
  11. Hugh Ridley: Gottfried Benn. Ein Schriftsteller zwischen Erneuerung und Reaktion. Westdeutscher Verlag, Opladen 1990, ISBN 978-3-531-12043-0, S. 100.