„Baclofen“ – Versionsunterschied

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'''Baclofen''' ist ein [[Arzneistoff]] aus der Gruppe der [[Muskelrelaxantien]]. Es wird zur Behandlung der [[Spastik]] bei Rückenmarksverletzungen und [[Multiple Sklerose|Multipler Sklerose]] eingesetzt.
'''Baclofen''' ist ein [[Arzneistoff]] aus der Gruppe der [[Muskelrelaxantien]]. Es wird zur Behandlung der [[Spastik]] bei Rückenmarksverletzungen und [[Multiple Sklerose|Multipler Sklerose]] eingesetzt.


== Chemisch-physikalische Eigenschaften ==
== Chemisch-physikalische Eigenschaften ==
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Baclofen wirkt an den Reflexbögen des Rückenmarkes. Vor allem an den sogenannten Renshaw-Zellen kann es den natürlichen antispastischen Effekt der [[Γ-Aminobuttersäure|GABA]] nachahmen. Die notwendige Dosis bei intrathekaler Gabe variiert, ist aber weitaus kleiner als bei oraler Gabe.
Baclofen wirkt an den Reflexbögen des Rückenmarkes. Vor allem an den sogenannten Renshaw-Zellen kann es den natürlichen antispastischen Effekt der [[Γ-Aminobuttersäure|GABA]] nachahmen. Die notwendige Dosis bei intrathekaler Gabe variiert, ist aber weitaus kleiner als bei oraler Gabe.


Die Substanz wirkt nicht am GABA-Rezeptor der [[Drosophila melanogaster|Fruchtfliege]].<ref>M. Mezler u. a.: ''Cloning and functional expression of GABA(B) receptors from Drosophila.'' In: ''Eur J Neurosci.'' 13(3), 2001, S.&nbsp;477–486; PMID 11168554.</ref><ref>S. Dzitoyeva u. a.: ''Gamma-aminobutyric acid B receptor 1 mediates behavior-impairing actions of alcohol in Drosophila: adult RNA interference and pharmacological evidence.'' In: ''[[Proc Natl Acad Sci USA]].'' 100(9), 2003, S.&nbsp;5485–5490; PMID 12692303; [http://www.pnas.org/cgi/reprint/100/9/5485.pdf PDF] (freier Volltextzugriff, engl.).</ref>
Die Substanz wirkt nicht am GABA-Rezeptor der [[Drosophila melanogaster|Fruchtfliege]].<ref>M. Mezler u. a.: ''Cloning and functional expression of GABA(B) receptors from Drosophila.'' In: ''Eur J Neurosci.'' 13(3), 2001, S.&nbsp;477–486; PMID 11168554.</ref><ref>S. Dzitoyeva u. a.: ''Gamma-aminobutyric acid B receptor 1 mediates behavior-impairing actions of alcohol in Drosophila: adult RNA interference and pharmacological evidence.'' In: ''[[Proc Natl Acad Sci USA]].'' 100(9), 2003, S.&nbsp;5485–5490; PMID 12692303; [http://www.pnas.org/cgi/reprint/100/9/5485.pdf PDF] (freier Volltextzugriff, engl.).</ref>


=== Pharmakokinetik ===
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* verminderte Körpertemperatur (Hypothermie)
* verminderte Körpertemperatur (Hypothermie)
* [[Koma]]
* [[Koma]]



== Darreichungsformen ==
== Darreichungsformen ==
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* {{Webarchiv | url= http://www.clevelandclinic.org/health/health-info/docs/2200/2210.asp?index=8997 | wayback= 20120204040049| text=''Intrathecal Baclofen Therapy (for MS).''}} Cleveland Clinic Information Center. 15. Juni 2001
* {{Webarchiv | url= http://www.clevelandclinic.org/health/health-info/docs/2200/2210.asp?index=8997 | wayback= 20120204040049| text=''Intrathecal Baclofen Therapy (for MS).''}} Cleveland Clinic Information Center. 15. Juni 2001
* {{Flexikon|Name=Baclofen }}
* {{Flexikon|Name=Baclofen }}
*https://www.amazon.de/Ende-meiner-Sucht-Olivier-Ameisen/dp/3888975859
*https://www.amazon.de/Ende-meiner-Sucht-Olivier-Ameisen/dp/3888975859


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Version vom 30. Oktober 2018, 23:37 Uhr

Strukturformel
Strukturformeln der Baclofen-Enantiomere
1:1-Gemisch aus (R)-Form (links)
und (S)-Form (rechts)
Allgemeines
FreinameBaclofen
Andere Namen
  • (RS)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • (±)-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • rac-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
  • DL-4-Amino-3-(4-chlorphenyl)buttersäure
SummenformelC10H12ClNO2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer1134-47-0
EG-Nummer214-486-9
ECHA-InfoCard100.013.170
PubChem2284
DrugBankDB00181
WikidataQ413717
Arzneistoffangaben
ATC-Code

M03BX01

Wirkstoffklasse

Muskelrelaxans

Eigenschaften
Molare Masse213,66 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

189–191 °C oder 206–208 °C (Polymorphismus)[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Gefahr

H- und P-SätzeH: 301
P: ?
Toxikologische Daten

145 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Baclofen ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Muskelrelaxantien. Es wird zur Behandlung der Spastik bei Rückenmarksverletzungen und Multipler Sklerose eingesetzt.

Chemisch-physikalische Eigenschaften

Baclofen ist ein weißes, geruchloses kristallines Pulver, gering wasserlöslich, sehr gering löslich in Methanol und unlöslich in Chloroform. Chemisch handelt es sich um ein chirales Derivat der γ-Aminobuttersäure (GABA). Pharmazeutisch wird das Racemat von Baclofen verwendet.

Darstellung

Es gibt zwei verschiedene Wege, Baclofen zu synthetisieren. Durch die Kondensation von 4-Chlorbenzaldehyd mit zwei Molekülen Acetessigester, anschließender Verseifung und Decarboxylierung wird eine substituierte Glutarsäure erhalten. Eine Dehydratisierung führt dann zum cyclischen Anhydrid, das dann mit Ammoniak zum Glutarimid umgesetzt wird. Die Umsetzung mit einer alkalischen Lösung von Brom liefert in einer Hofmann-Umlagerung Baclofen.[3][4]

Baclofen Synthese 1
Baclofen Synthese 1

Ein zweiter Syntheseweg geht von 4-Chlorzimtsäureethylester aus. Dieser wird mit Nitromethan in einer Nitro-Michael-Addition in Anwesenheit einer Base zum β-(4-Chlorphenyl)-γ-nitrobuttersäureester umgesetzt. Die Reduktion mit Wasserstoff in Anwesenheit von Raney-Nickel ergibt eine β-(4-Chlorphenyl)-γ-aminobuttersäure, die nach Esterverseifung zum Baclofen führt.[5]

Baclofen Synthese 2
Baclofen Synthese 2

Wirkung

Baclofen wirkt als spezifischer Agonist an GABAB-Rezeptoren der Synapsen und Nerven des Rückenmarks von Säugetieren. an den. Ohne entsprechende ständige Kontrolle aus dem Gehirn überwiegen im Rückenmark die spastischen Reflexmechanismen. Diese können bei Kranken so stark sein, dass sie aus dem Schlaf aufwachen und starke Schmerzen verspüren.

Baclofen wirkt an den Reflexbögen des Rückenmarkes. Vor allem an den sogenannten Renshaw-Zellen kann es den natürlichen antispastischen Effekt der GABA nachahmen. Die notwendige Dosis bei intrathekaler Gabe variiert, ist aber weitaus kleiner als bei oraler Gabe.

Die Substanz wirkt nicht am GABA-Rezeptor der Fruchtfliege.[6][7]

Pharmakokinetik

Die Substanz wird nach oraler Gabe komplett aufgenommen. Ihre Plasmahalbwertszeit liegt bei drei bis vier Stunden. Der Arzneistoff wird zum großen Teil unverändert über die Nieren ausgeschieden.[8]

Überdosierung

Folgende Symptome einer Baclofen-Überdosierung können auftreten:

  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Schwäche
  • Schwindel
  • Atemschwäche
  • Veränderte Pupillen
  • verminderter Blutdruck (Hypotonie)
  • verminderte Herzfrequenz (Bradykardie)
  • verminderte Körpertemperatur (Hypothermie)
  • Koma

Darreichungsformen

Baclofen kann oral oder intrathekal (direkt in den Liquor cerebrospinalis) verabreicht werden. Die intrathekale Gabe ist bei Spastikpatienten deswegen notwendig, weil nur eine sehr geringe Menge der oral verabreichten Substanz am Wirkort an den Nerven des Rückenmarkes ankommt und daher als Alternative nur hohe orale Dosierungen mit entsprechenden Nebenwirkungen zur Verfügung stehen.

Die intrathekale Verabreichung wird vor allem bei Patienten mit Multipler Sklerose gewählt, die schwere schmerzhafte Spasmen haben, die durch orales Baclofen oder andere Medikamente nicht kontrollierbar sind. Es wird eine Testdosis verabreicht, um die Wirksamkeit nachzuweisen. Falls die Testdosis erfolgreich war, wird ein Katheter intrathekal gelegt, über den eine computergesteuerte implantierte Pumpe das Medikament als Dauertherapie zuführt. Der Vorratsbehälter der Pumpe kann durch die Haut von außen wieder aufgefüllt werden. Nachteil des Pumpensystems ist sein Preis von 20.000 Euro und die aufwändige Implantation und Pflege, so dass eine strenge Patientenauswahl notwendig ist.

Geschichte

Baclofen wurde ursprünglich als Medikament zur Behandlung der Epilepsie entwickelt. Das erste Mal wurde es vom Chemiker Heinrich Keberle 1962 in der damaligen Ciba synthetisiert, die den Wirkstoff 1968 patentierte.[9] Die antiepileptische Wirksamkeit war enttäuschend, der antispastische Effekt aber brauchbar. Baclofen wurde und wird noch immer mit wechselndem Erfolg oral verabreicht. Bei schwer kranken Kindern ist allerdings die notwendige orale Dosis so groß, dass die Nebenwirkungen die Therapie begrenzen. Wie und wann Baclofen das erste Mal intrathekal verwendet wurde, ist nicht mehr genau festzustellen, aber es ist eine mittlerweile etablierte Behandlungsmethode der Spastik.

Andere Anwendungsgebiete

Der französische Kardiologe Olivier Ameisen veröffentlichte seinen erfolgreichen Selbstversuch mit Baclofen gegen Entzugserscheinungen bei Alkoholsucht.[10][11] 2014 empfahl die französische Behörde für Medikamentensicherheit ANSM für drei Jahre beschränkt die Anwendung.[12] RCTs bestätigten den Nutzen allerdings nicht.[13]

Baclofen als eingeführtes Medikament kann offenbar auch die Refluxepisoden, Aufstoßen und pH- metrisch die Phasen von pH < 4.0 bei GERD gemäß einer Doppelblind-Studie reduzieren.[14]

Die Bedeutung der GABA-B-Rezeptoren für die Entstehung von Angst wurde in verschiedenen Studien untersucht und in diesem Zusammenhang die Eignung von Baclofen auch für die Behandlung von Angst und Depressionen in Tierversuchen nachgewiesen.[15][16]

Als GABA-Rezeptor-Agonist ähnelt Baclofen in seiner Wirkung dem Muscimol des Fliegenpilzes. Wichtige GABA-Antagonisten sind Picrotoxin der Scheinmyrte, Bicucullin der Herzblumen und der synthetische Wirkstoff Gabazin.

Baclofen wird auch bei persistierendem Schluckauf verabreicht.[17]

Handelspräparate

Lebic (D), Lioresal (D, A, CH) sowie Generika (D, CH)

Einzelnachweise

  1. The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage. 2006, ISBN 0-911910-00-X, S. 159.
  2. a b Datenblatt (±)-Baclofen bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  3. H. Keberle, J. W. Faigle, M. Wilhelm: GAMMA-AMINO-BETA-(PARA-HALOPHENYL)-BUTYRIC ACIDS AND THEIR ESTERS. US-Patent 3471548.
  4. H. Keberle, J. W. Faigle, M. Wilhelm: US-Patent 3634428.
  5. F. Uchimaru, M. Sato, E. Kasasayama, M. Shiamuzu, H. Takashi: JP-Patent 45016692.
  6. M. Mezler u. a.: Cloning and functional expression of GABA(B) receptors from Drosophila. In: Eur J Neurosci. 13(3), 2001, S. 477–486; PMID 11168554.
  7. S. Dzitoyeva u. a.: Gamma-aminobutyric acid B receptor 1 mediates behavior-impairing actions of alcohol in Drosophila: adult RNA interference and pharmacological evidence. In: Proc Natl Acad Sci USA. 100(9), 2003, S. 5485–5490; PMID 12692303; PDF (freier Volltextzugriff, engl.).
  8. Michael Freissmuth, Stefan Offermanns (Hrsg.): Pharmakologie und Toxikologie: Von den molekularen Grundlagen zur Pharmakotherapie. Springer, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-12353-5, S. 256 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Perumal Yogeeswari, Jegadeesan Vaigunda Ragavendran, Dharmarajan Sriram:An Update on GABA Analogs for CNS Drug Discovery. (Memento vom 16. Juni 2010 im Internet Archive) (PDF) In: Recent Patents on CNS Drug Discovery. 1, 2006, S. 113–118.
  10. Olivier Ameisen: La derniére verre. Éditions Denoël, 2008. ISBN 9782207259962. Deutsche Ausgabe Das Ende meiner Sucht. erschienen bei Kunstmann 2009-2013, ISBN 9783888979019
  11. O. Ameisen: Complete and prolonged suppression of symptoms and consequences of alcohol-dependence using high-dose baclofen: a self-case report of a physician. In: Alcohol and Alcoholism. 40 (2), March/April 2005, S. 147–150.
  12. Une recommandation temporaire d’utilisation (RTU) est accordée pour le baclofène - Point d'information. ANSM, 14. März 2014.
  13. J. Liu, L. N. Wang: Baclofen for alcohol withdrawal. In: The Cochrane database of systematic reviews. Band 8, 08 2017, S. CD008502, doi:10.1002/14651858.CD008502.pub5, PMID 28822350 (Review).
  14. M. J. Crossentino, K. Mann, S. P. Armbruster, J. M. Lake, C. Maydonovitch, R. K. H. Wong: Randomised Clinical Trial: The Effect of Baclofen in Patients With Gastro-Oesophageal Reflux. In: Alimentary Pharmacology and Therapeutics. 35(9), 2012, S. 1036–1044.
  15. J. F. Cryan, K. Kaupmann: Don’t worry "B" happy!: a role for GABA-B-receptors in anxiety and depression. In: Trends in Pharmacological Sciences. 26, 2005, S. 36–43.
  16. C. Mombereau u. a.: Genetic and pharmacological evidence of a role for GABA(B) receptors in the modulation of anxiety and antidepressant-like behaviour. In: Neuropsychopharmacology. 29, 2004, S. 1050–1062.
  17. PERSISTIERENDER SCHLUCKAUF – RATIONALES UND IRRATIONALES - arznei telegramm. Abgerufen am 23. Juni 2017.