Handbuch der Seefischerei Nordeuropas

Das Handbuch der Seefischerei Nordeuropas ist ein nicht abgeschlossenes deutschsprachiges Sammelwerk in offiziell zehn und tatsächlich zwölf Bänden, das von 1928 bis 1967 erschien. Damit sollte „versucht werden, eine Gesamtübersicht über die wissenschaftlichen und praktischen Grundlagen und Leistungen“ der nordeuropäischen Seefischereien zu geben.[1]

Inhalt

In der systematischen Abfolge des Handbuchs[1] werden zunächst die hydrographischen, geologischen und biologischen Faktoren beschrieben. Darauf folgen Darstellungen der Fische und anderer wirtschaftlich wichtiger Meerestiere sowie der Fanggeräte. Die Berichte über die Fischereien der nordeuropäischen Länder (Band 5 bis 8) decken das Europäische Nordmeer und den Nordatlantik bis zu einer Linie ab, die von der Biskaya nordwestlich führt, ferner Nord- und Ostsee sowie die Küstengewässer einschließlich ihrer Küstenfischereien. Die nachfolgenden Bände befassen sich mit der Verwertung der Seefischereiprodukte, fischereilichen Institutionen und ökonomischen Instrumenten (wozu die meisten Beiträge nicht erschienen sind) sowie aktuellen Entwicklungen der 1950er und 1960er Jahre.

In seinem Geleitwort von 1926 stellt Friedrich Heincke (1852–1929) aus Helgoland „als älteste(r) deutsche(r) Fischereibiologe“ die Gefahr der Überfischung in den Mittelpunkt. Auf die „Zerstörung des alten Fischerglaubens an den unerschöpflichen Reichtum der nordischen Meere an Fischen“, so Heincke, folgte die Erkenntnis, dass dieser Reichtum „unmittelbar abhängig von der Art und dem Grade seiner Ausnutzung durch die Fischerei“ ist, und nun die Besorgnis, dass „unsere heimischen Meere wegen zu starker Inanspruchnahme in einen Zustand der Überfischung geraten“.[2] Auch das letzte erschienene Heft des Handbuchs befasste sich 1967 hauptsächlich mit der Überfischung, allerdings als ungerechtfertigter Vorwurf. Der Herausgeber und Autor Johannes Lundbeck (1901–1974), Direktor des Instituts für Seefischerei in Hamburg, schreibt darin, „bei der erfahrungsgemäß sehr schnellen Reaktion der Fische auf die Intensität der Nutzung“ könne „schwerlich von Schäden für die Zukunft die Rede sein.“ Es entfalle „die alte Befürchtung, die Fischerei bedrohe die Fortexistenz der Fischbestände“. Hingegen ergäben „ideelle naturschützlerische Bestrebungen der Biologen und Naturschützer“ keine Impulse.[3]

Herausgeber

Gegründet und von 1928 bis 1938 herausgegeben wurde das Handbuch von Heinrich Lübbert (1870–1951) und Ernst Ehrenbaum (1861 bis 1942). Beide Hamburger waren beruflich eng befreundet[4] und in vielen internationalen maritimen Gremien tätig, weshalb sie noch nach ihren Pensionierungen aktiv blieben. Weil beide ab 1933 als Söhne jüdischer Väter galten – Ehrenbaums Vater war zum evangelischen Glauben konvertiert –, verloren sie alsbald alle Ämter und Funktionen. 1938 mussten sie die Herausgeberschaft des Handbuchs abgeben. Diese Tätigkeit sei ihm „durch die nationalsozialistische Regierung verboten“" worden, schrieb Lübbert nach dem Krieg.[5]

1938 nennt der Verlag auf dem Umschlag von Heft 1 des 8. Bandes Lübbing und Ehrenbaum noch als Herausgeber. Auf dem Umschlag von Heft 3 des 3. Bandes, im gleichen Jahr erschienen, ist ihr Nachfolger Alfred Willer (1889–1953) bereits als alleiniger Herausgeber aufgeführt. Willer war bei der Übernahme der Herausgeberschaft 1938 kein Experte für Seefischerei, sondern für die ostpreußisch Binnen- und Küstenfischerei. Soeben war er auch Leiter der neu gegründeten Reichsanstalt für Fischerei in Berlin geworden und hatte zugleich die Professur für Fischereiwissenschaften des ebenfalls von den Nationalsozialisten entlassenen Hans Helmuth Wunsch erhalten.

Bis zum Ende des Nationalsozialismus erschienen nur noch drei Hefte, das letzte 1942. Alle (Band 4, Hefte 1 bis 3) waren von Werner Schnakenbeck geschrieben und nach der Ursprungsplanung von Lübbert zu verfassen. Ein geplante Beitrag über die polnische Ostseefischerei (Band 8, Heft 8) entfiel mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939; der angekündigte Autor Michał Marian Siedlecki wurde im November 1939 im Rahmen der Sonderaktion Krakau verhaftet und starb 1940 im KZ Sachsenhausen. Der geplante Beitrag über die russische Ostseefischerei (Band 8, Heft 5) war nach dem deutschen Überfall auf Russland 1941 ebenfalls hinfällig.

In einer Biografie beschreibt der Hydrobiologe Walter Nellen Willer als karrierebewussten, an die Verpflichtungen des Nationalsozialismus angepassten, eigentlich unpolitischen Wissenschaftsorganisator mit Hang zur Selbstüberschätzung. „Überraschend“ sei es ihm nach 1945 gelungen, Herausgeber zu bleiben, sogar zusammen mit dem zum Handbuch zurückgekehrten Lübbert.[6] Mit der Wiederaufnahme des Erscheinens 1949 nannte der Umschlag als Herausgeber Lübbert, Ehrenbaum † und Willer; Ernst Ehrenbaum war 1942 gestorben. Nach dem Tod Lübberts 1951 und Willers 1953 übernahmen Gerhard Meseck und Johannes Lundbeck 1953 das Handbuch, bis die Arbeit daran mit einem von Lundbeck geschriebenen Beitrag 1967 endete.

Handbücher der Binnenfischerei Mitteleuropas (links, dunkelgrün) und der Seefischerei Nordeuropas (rechts, blau und hellgrün), Exemplare der Staatsbibliothek Berlin

Erscheinen

Das Handbuch erschien als Großoktav-Ausgabe in der E. Schweizerbart’schen Verlagsbuchhandlung in Stuttgart. Es war zunächst auf zehn Bände ausgelegt; durch einen Nachtragsband wurden es offiziell elf, durch Teilung von Band 8 tatsächlich zwölf Bände. Weil mindestens 15 von mehr als 60 geplanten Beiträgen nicht erschienen, blieben mehrere Bände unabgeschlossen. Die „Hefte“ genannten Lieferungen enthalten rund 50 Beiträge etwa der gleichen Zahl von Fachleuten. Die Hefte sind bis heute lieferbar.

Ein verwandtes Nachschlagewerk ist das Handbuch der Binnenfischerei Mitteleuropas in sechs (eigentlich: zehn) Bänden, das von 1924 bis 1965 ebenfalls bei Schweizerbart erschien.

Liste der Beiträge

Übersichten über erschienene und geplante Veröffentlichungen und ihre Autoren wurden auf den inneren Umschlagseiten der Hefte veröffentlicht. Aufgrund des Erscheinungszeitraums über fünf Jahrzehnte änderten sich die Ankündigungen erheblich. Der ursprüngliche Plan erschien 1928 mit dem ersten ausgelieferten Heft (Band 5, Heft 1). Angaben daraus sind hier nur übernommen, soweit sie die Struktur des Handbuchs erklären (vor allem die Änderungen bei Band 2) oder die Suche nach Autoren aufzeigen. Die Pläne von 1953 (Band 8, Heft 3a) und 1967 (Band 11, Heft 2, letztes erschienenes Heft) sind vollständig berücksichtigt, auch um auch eine Übersicht über die nicht erschienenen Teile des Werkes zu ermöglichen.

Die zeitgenössische Großschreibung vieler geografischer Adjektive wurde dem heutigen Stand angepasst. Angaben über den Umfang der Vorworte und die Zahl von Abbildungen, Tafeln, Tabellen und Beilagen und Namen von Übersetzern sind nicht übernommen. Die Bandzählung wurde den digitalen Bibliothekskatalogen folgend von römischen auf arabische Ziffern umgestellt. Die Autopsierung bei widersprüchlichen Seitenzahlen ergab, dass sich die Paginierungen von Lieferungen (hier: Heften) manchmal geringfügig überschneiden oder Lücken entstehen. Die Inhaltsverzeichnisse waren regelmäßig nicht mitpaginiert.

Die Abkürzungen bedeuten:
angek.: angekündigt
ausgef.: nach Autorenwechsel ausgeführt
Dig. Digitalisat des Beitrags, Link zum Beleg
Inh. Inhaltsverzeichnis, Direktlink
n. e. nicht erschienen

Band, TeilbandHeftVerfasserTitelSeitenJahronline
011–6Naturbedingungen des Lebens im Meere1951
1Kurt KalleDie waagerechte Gliederung und die Tiefen des Meeres22 S.1949Inh.
2Kurt KalleDie natürlichen Eigenschaften der Gewässer37 S.1949Inh.
3Otto PratjeDie Bodenbedeckung der nordeuropäischen Meere23 S.1949Inh.
4Wilhelm NienburgDie festsitzenden Pflanzen der nordeuropäischen Meere54 S.1930Inh.
5aArthur Hagmeier, Clemens KünneDie Nahrung der Meerestiere. Teil I: Einleitung. Teil II: Das PlanktonS. 1–851950Inh.
5bArthur HagmeierDie Nahrung der Meerestiere. Teil III: Die wirbellosen Boden- und Nektontiere. Teil IV: Beziehungen der Ernährung zur Verbreitung der Arten und der Gemeinschaften der Bodentiere.S. 88–2421951Inh.
6Karl Brandt, Johannes ReibischDer Stoffhaushalt im Meere36 S.1933Inh.
1928 angek.: 021928 angek.: 1–2Systematik und Biologie der Seefische Nord-Europas (n. e.)
1Ernst EhrenbaumAllgemeiner Teil. Anatomie, Physiologie, Entwickelung, Biologie, Phylogenie, Forschungsmethoden (n. e.)
2Harry Macdonald KyleSpezieller Teil. Knochenfische, Knorpelfische (n. e.)
02Die Seefische Nord-Europas337 S.1936
Ernst EhrenbaumNaturgeschichte und wirtschaftliche Bedeutung der Seefische Nordeuropas337 S.1936Inh.
03Systematik und Biologie anderer wirtschaftlich wichtiger Meerestiere Nord-Europas
1Ernst HenschelNaturgeschichte der nordatlantischen Wale und Robben54 S.1937Inh.
2Berend HavingaKrebse und Weichtiere147 S.1929Inh.
3Max Egon ThielNaturgeschichte des Seemooses34 S.1938Inh.
04Die wichtigsten Fanggeräte
1/21928 angek.: Heinrich Lübbert, 1942 ausgef.: Werner SchnakenbeckSchleppnetze1–421942Inh.
1/21928 angek.: Heinrich Lübbert, 1942 ausgef.: Werner SchnakenbeckWaden43–541942Inh.
31928 angek.: Heinrich Lübbert, 1940 ausgef.: Werner SchnakenbeckStehende Geräte – Treibnetze48 S.1940Inh.
4Nicolaus PetersAngeln47 S.1935Inh.
05Die deutsche Seefischerei
1Werner SchnakenbeckDie Nordseefischerei229 S.1928Inh.
21928: Heinrich Lübbert, 1953: Arved BolleDie Nordsee-Fischereihäfen (n. e.)
3Hermann HenkingDie Ostseefischerei182 S.1929Inh.
4Werner SchnakenbeckDer Walfang33 S.1928Inh.
5Kurt SchubertDer Walfang seit 1936 (n. e.)
061–4Harry Macdonald KyleDie Seefischerei von Großbritannien und Irland334 S.1929Inh.
1Harry Macdonald KyleGeschichtliche Entwicklung der britischen FischereiS. 1–571929
2Harry Macdonald KyleVerwaltung und Regelung der FischereiS. 59–781929
3Harry Macdonald KyleBetriebsarten und FahrzeugeS. 79–1691929
4Harry Macdonald KyleFischereidistrikte und FischereihäfenS. 171–3341929
071–5Die Seefischereien von Frankreich, Niederlande, Belgien, Island
1Edouard Le Danois, mit Lucien Marie Beaugé, Gérard Belloc u. a.Die französische Seefischerei180 S.1937Inh. Dig. Teilausg. (französisch)
2Johann Jacob Tesch, Jan de VeenDie niederländische Seefischerei104 S.1933Inh.
3Leonce VerbruggheDie belgische Seefischerei39 S.1932Inh. Dig.[7]
4Bjarni SaemundssonDie isländische Seefischerei89 S.1930Inh.
5Berend HavingaAustern- und Muschelkultur64 S.1932Inh.
08Die Seefischereien von Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland und Danzig
08, 1. HälfteDie norwegische Seefischerei – Der norwegische Wal- und Robbenfang275 S.1938
1aOscar SundDie norwegische SeefischereiS. 1–1811938Inh.
1bSigurdur Risting, Harald Bjarne PaulsenDer norwegische WalfangS. 1–661938Inh.
1bThor IversenDer norwegische RobbenfangS. 67–941938Inh.
08, 2. HälfteDie Seefischereien der nordosteuropäischen Länder
2Frederik Vilhelm Mortensen, Aage Carl StrubbergDie dänische Seefischerei108 S.1931Inh.
3aNils RosénDie schwedische Westküstenfischerei66 S.1953Inh.
3bChristian HessleDie schwedische Ostseefischerei32 S.1934Inh.
4Toivo Henrik JärviDie Seefischerei von Finnland73 S.1934Inh.
51928: Nikolai Michailowitsch Knipowitsch, 1953: N. N., 1967: Juli Juljewitsch MartyDie russische Seefischerei (n. e.)
6Guido SchneiderDie Seefischerei von Lettland und Estland34 S.1928Inh.
7Arthur SeligoDie Seefischerei von Danzig34 S.1931Inh.
81928: Michał Marian Siedlecki, 1953, 1967: N. N.Die polnische Seefischerei
09Verwertung der Seefischereiprodukte
11953: Karl Seumenicht, 1967: Gerhard Meidell GerhardsenFischhandel (n. e.)
21953, 1967: Karl SeumenichtFischindustrie (n. e.)
3aWilliam LoftasBratfischhandel in Großbritannien48 S.1931Inh.
3b1928: Heinrich Lübbert, 1953, 1967: N. N.Bratfischhandel in Deutschland (n. e.)
41928, 1953, 1967: Walter SchlienzAnwendung von Kälte in Fischerei und Fischwirtschaft (n. e.)
5a1953 angek.: Walter Ludorff, 1954 ausgef.: Hans KurmeierGewinnung und Verwertung der SeetiermehleS. 1–661954Inh.
5bWalter LudorffGewinnung und Verwertung der SeetieröleS. 1–331954Inh.
6a1953 angek.: Walter Ludorff, 1956 ausgef.: Gerhard KrefftGewinnung und Verwertung der Haut sowie der Schuppen und sonstiger Hartgebilde von FischenS. 1–351956Inh.
6b1953 angek.: Walter Ludorff, 1956 ausgef.: Hans KurmeierFischleim, Fischeiweiß sowie andere Erzeugnisse aus Fischen. Probleme und HerstellungsverfahrenS. 1–341956Inh.
10Förderung der Seefischerei
11953: Helmut Wiehr, 1967: N. N.Die Organisation in der Fischerei (n. e.)
21953: N. N., 1967: Adolf BückmannFischerei-Forschungs-Institute (n. e.)
31953, 1967: Adolf BückmannZentralausschuss für die Internationale Meeresforschung (n. e.)
4Harry Macdonald KyleDie Statistik der Seefischerei Nordeuropas. Anhang: Die Überfischungsfrage.411928Inh.
51953, 1957: N. N.Fischereigesetzgebung (n. e.)
61953: Herbert Heidrich, 1967: N. N.Versicherungswesen (n. e.)
71953: Herbert Heidrich, 1967: N. N.Prämien und Darlehen (n. e.)
81953: Heinz Kaufmann, 1967: N. N.Seefischpropaganda (n. e.)
91953: Gerhard Meseck, 1958 ausgeführt: Fritz BartzDie wirtschaftliche Bedeutung der Seefischerei75 S.1958Inh.
11Nachtragsband
11967: N. N.Neuere Entwicklung und Stand der Seefischerei Nordeuropas (n. e.)
2Johannes LundbeckDie biodynamischen Grundlagen der Befischung und die internationale Regulierung der Seefischerei367 S.1967Inh.
3Andres von BrandtNeuere Entwicklung der Fangtechnik (n. e.)
4Gerhard TimmermannDie nordeuropäischen Seefischereifahrzeuge, ihre Entwicklung und ihre Typen186 S.1962Inh.
5Wilhelm Möckel, mit H. Thode, G. Harms und F. TimmannBau und Seeverhalten von Fischereifahrzeugen83 S.1958Inh.
6Kurt SchubertDer Walfang der Gegenwart206 S.1955Inh.

Verlagspräsenz für den Titel

Einzelnachweise

  1. a b Heinrich Lübbert, Ernst Ehrenbaum: Vorwort. In: Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Band 5, 1928, o. S.
  2. Friedrich Heincke: Geleitwort. In: Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Band 5, 1928, o. S.
  3. Johannes Lundbeck: Die biodynamischen Grundlagen der Befischung und die internationale Regulierung der Seefischerei. In: Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Band 11, Heft 2, 1967, S. 7
  4. Hans Lübbert: Ernst Ehrenbaum †. In: Berichte der Deutschen Wissenschaftlichen Kommisson für Meeresforschung, NF 9 (1942/49), S. 434–442
  5. Burkhard Watermann: Zum Schicksal einiger Meeresbiologen im Nationalsozialismus. In: Historisch-meereskundliches Jahrbuch 1 (1992), S. 109–138, hier S. 128
  6. Walter Nellen: Prof. Dr. phil. and Dr. med. Alfred Willer (1889–1952) and three decades (1920 to 1950) of fisheries science and fishery policy in Germany. In: Historisch-meereskundliches Jahrbuch 10 (2003/04), S. 79–122, hier Ss. 91–93, 99
  7. Vlaams Instituut voor de Zee: VLIZ Open Repository 213756, online