Richard David Precht

Richard David Precht (2009)

Richard David Precht (* 8. Dezember 1964 in Solingen) ist ein deutscher Philosoph und Publizist, der vor allem durch populärwissenschaftlicher Bücher und Fernsehsendungen zu philosophischen Themen bekannt wurde.

Leben

Richard David Precht wuchs in einer Familie mit fünf Kindern auf, davon zwei vietnamesische Adoptivkinder, die seine Eltern 1969 und 1972 als Zeichen des Protests gegen den Vietnamkrieg aufgenommen hatten. Sein Vater arbeitete als Industriedesigner bei dem Solinger Unternehmen Krups und beschäftigte sich mit Literatur sowie dem Aufbau und der Pflege einer größeren Privatbibliothek. Die Mutter engagierte sich im Kinderhilfswerk terre des hommes. Die Kinder wuchsen in einem politisch linken Milieu auf.[1]

Nach dem Abitur am Solinger Gymnasium Schwertstraße 1984 leistete Precht seinen Zivildienst als Gemeindehelfer ab. Danach nahm er ein Studium der Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln auf und wurde 1994 in Germanistik zum Dr. phil. promoviert.[2] Precht hält Vorträge auf Fachkongressen und Universitäten.[3] Seit Mai 2011 ist er Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg,[4][5] seit Oktober 2012 zudem Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin.

1997 war Precht Arthur F. Burns Fellow beim Chicago Tribune, 1999 erhielt er das Heinz-Kühn-Stipendium. 2000/2001 war er Fellow am Europäischen Journalistenkolleg in Berlin. 2001 erhielt er den Publizistik-Preis für Biomedizin. 2011 wurde ihm der IQ-Preis der Hochbegabten-Organisation "MinD Mensa in Deutschland" verliehen.

Als Essayist schreibt Precht für deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Von 2002 bis 2004 war er Kolumnist der Zeitschrift Literaturen und von 2005 bis 2008 freier Moderator der WDR-Hörfunksendung Tageszeichen (ehemals Kritisches Tagebuch).

Precht ist mit der luxemburgischen Fernseh-Moderatorin und stellvertretenden Chefredakteurin von RTL Télé Lëtzebuerg, Caroline Mart, verheiratet. Er hat einen Sohn und drei Stiefkinder. Er lebt in Köln und in Luxemburg.

Werke

Belletristik

1999 schrieb Precht gemeinsam mit seinem Bruder Georg Jonathan den detektivischen Bildungsroman Das Schiff im Noor. Das Buch spielt im Jahr 1985 und benutzt die dänische Insel Lilleö (in Wirklichkeit: Ærø) als Kulisse für ein kompliziertes Gespinst aus Motiven und Analogie, etwa jener zwischen Theologie und Polizeiarbeit. An der Oberfläche ist das Buch eine Detektivgeschichte um ein versunkenes Schiff und einen lange zurückliegenden Mord. Tiefer liegend handelt das Buch von der Ordnung der Dinge. Auch der Philosoph Michel Foucault fehlt nicht, der in der Gestalt des Restaurators Mikkel Folket auftritt. Das Buch erschien 2009 neu unter dem ursprünglich geplanten Titel Die Instrumente des Herrn Jörgensen.

Der Roman Die Kosmonauten aus dem Jahre 2002 erzählt die Liebesgeschichte und Identitätsfindung der Endzwanziger Georg und Rosalie, die sich in Köln kennen gelernt hatten und kurz darauf in das Berlin der Nachwendezeit 1990/91 zusammengezogen waren. Zunächst leben sie das Leben von Bohemiens in Berlin Mitte, von dem sich Rosalie im Verlauf der Handlung zunehmend distanziert. Sie ändert ihre Einstellungen, verliebt sich in einen anderen Mann und trennt sich schließlich von Georg, um ein bürgerliches Leben zu führen. Am Ende des Romans kommt ihr gemeinsamer Freund Leonhard durch einen tragischen Unfall ums Leben. Parallel dazu erzählt Precht in kurzen Episoden das Schicksal von Sergej Krikaljow, dem letzten Kosmonauten der Sowjetunion.

In dem 2005 erschienenen autobiographischen Buch Lenin kam nur bis Lüdenscheid – Meine kleine deutsche Revolution erinnert sich Precht aus Kinderperspektive an seine Kindheit in den 1970er Jahren in einer linksorientierten, DKP-nahen Familie zurück. Gleichzeitig hält er Rückschau auf die weltpolitischen Ereignisse und gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR der 1960er, 1970er und 1980er Jahre und beschreibt politische Einstellungen, ideologische Haltungen sowie Alltagsdetails der Epoche. Das Buch erhielt zahlreiche positive Kritiken und wurde 2007 mit Unterstützung von WDR, SWR und der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen verfilmt. Der Film lief 2008 in vielen deutschen Programmkinos und erreichte mehr als 20.000 Zuschauer.

Philosophische Sachbücher

In seinem 1997 erschienenen Buch Noahs Erbe befasst sich Precht mit den ethischen Fragen im Verhältnis von Mensch und Tier und deren gesellschaftlichen Konsequenzen. Dabei plädiert er für einen veränderten Umgang mit Tieren auf der Basis einer „Ethik des Nichtwissens“.

2007 erschien sein bisher erfolgreichstes Werk, das Sachbuch Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?. 2009 erschien das Buch Liebe: Ein unordentliches Gefühl.

2010 erschien das Buch Die Kunst, kein Egoist zu sein. Das Buch gliedert sich in die drei Teile „Gut und Böse“, „Wollen und Tun“ und „Moral und Gesellschaft“. Precht behandelt die Frage nach der Moral zunächst philosophisch und evolutionsbiologisch und kommt zu dem Fazit, dass Menschen ein recht hohes Bedürfnis danach haben, mit sich selbst im Reinen zu sein und sich für „gut“ zu halten. Im zweiten, moralpsychologischen Teil untersucht er allerdings zahlreiche Strategien, mit denen Menschen sich moralisch selbst überlisten durch Verdrängen, Verschieben, Vergleichen oder durch ein Sich-nicht-zuständig-Fühlen. Im dritten Teil zieht er aus diesen Überlegungen Konsequenzen für unsere gegenwärtige Gesellschaft. Er kritisiert den Verzicht der Politik auf Ordnungspolitik in der Wirtschaft, plädiert für mehr bürgerschaftliches Engagement und für eine Transformation der Demokratie durch neue Formen der Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung. Dagmar Röhrlich beurteilt das Werk im Deutschlandfunk gemischt. Einerseits füge es „leichthändig eine bewundernswerte Fülle von Informationen“ zusammen. Allerdings würden die Gedankengänge „irgendwie wie weichgespült“ wirken.[6]

In seinem 2013 erschienenen Buch Anna, die Schule und der liebe Gott: Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern plädiert Precht für eine grundlegende Schulreform, die anstelle von Wissensvermittlung die Förderung von Neugier und Kreativität in den Mittelpunkt stellen soll. Das Buch wurde überwiegend negativ rezensiert. Jürgen Kaube attestiert Precht in der FAZ eine „durchgängige intellektuelle Schlampigkeit“. So berufe er sich etwa auf das Humboldtsche Bildungsideal und behaupte, Humboldts Schule habe keiner Prüfungen bedurft. Gleichzeitig übersehe Precht, dass Humboldt sehr auf Prüfungen gesetzt habe, um soziale Unterschiede aufzulösen.[7][8] Dieser Einschätzung schließt sich Regina Mönch an. Prechts Ideen seien unscharf und polemisch. Zudem unterschlage er Fakten. Beispielsweise führe er für die Abschaffung von Noten und Sitzenbleiben die skandinavischen Länder als Vorbild an, dort forderten jedoch viele Eltern die Wiedereinführung eben dieser Methoden.[9]

Fernsehsendung

Das ZDF strahlt seit September 2012 unter dem Titel Precht[10] eine Sendereihe zur Philosophie mit ihm aus.[11][12] Sie ist sechsmal im Jahr zu sehen und dauert je 45 Minuten. Regie führt Gero von Boehm.

Herausgeberschaft und Schirmherrschaft

Seit Dezember 2010 ist Precht Mitherausgeber der Zeitschrift agora42. Es sei ein gesellschaftliches Fiasko, „dass sich Ökonomen kaum noch für Philosophie, Philosophen kaum mehr für Ökonomie interessieren“, sagt Precht.[13] Zudem ist Precht Schirmherr des Bundesverbandes von Mentor – die Leselernhelfer Hannover e. V. Die Initiative setzt sich für die Förderung leseschwacher Schüler durch engagierte Bürger ein.

Positionen

2011 in Frankfurt am Main

Precht ist ein Verfechter einer neuen Bürgergesellschaft.

Philosophisch steht er dem US-amerikanischen Kommunitarismus nahe, der Idee, die Gesellschaft durch höheren bürgerlichen Gemeinsinn zu demokratisieren. Die Verpflichtung von Wirtschaft und Politik auf stetiges Wirtschaftswachstum sieht er als schädlich an und als bedrohlich für Wohlstand und Wohlbefinden.[14]

Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und der Etablierung moralferner Milieus in der Oberschicht ebenso wie in der Unterschicht sieht er als grundlegend.[15] Schuldzuweisungen gegenüber Migranten fasst er als Ablenkungsmanöver gegenüber diesen grundlegenderen Fragen auf.

Precht ist auch ein scharfer Kritiker des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan.[16]

Schriften

Bücher

  • Noahs Erbe. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2000, ISBN 3-499-60872-3.
  • Die Kosmonauten. Roman. Kiepenheuer & Witsch, München 2003, ISBN 978-3-462-03216-1.
  • Baader braun. In: Iris Radisch (Hrsg.): Die Besten 2004. Klagenfurter Texte. Die 28. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Piper, München/Zürich 2004, ISBN 3-492-04648-7. (Beitrag zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2004, online).
  • Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise. Goldmann, München 2007, ISBN 978-3-442-31143-9.
  • mit Georg Jonathan Precht: Die Instrumente des Herrn Jørgensen. Roman. Goldmann, München 2009, ISBN 978-3-442-47115-7.
  • Liebe. Ein unordentliches Gefühl. Goldmann, München 2010, ISBN 978-3-442-15554-5.
  • Die Kunst, kein Egoist zu sein. Warum wir gerne gut sein wollen und was uns davon abhält. Goldmann, München 2010, ISBN 978-3-442-31218-4.
  • Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revolution. Erweiterte Auflage. Ullstein, Berlin 2011, ISBN 978-3-548-37323-2.
  • Warum gibt es alles und nicht nichts? Ein Ausflug in die Philosophie. Goldmann, München 2011, ISBN 978-3-442-31238-2.
  • Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern. Goldmann, München 2013, ISBN 978-3-442-31261-0.

Aufsätze und Artikel (Auswahl)

Film

  • Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Dokumentar- und Spielfilm, Deutschland, 2008, 88 Min., Drehbuch: Richard David Precht, Regie: André Schäfer, Produktion: Florianfilm, im Auftrag von WDR, SWR, Kino-Premiere: 1. Juni 2008 in Solingen,[17] Film-Besprechung:[18] Der Dokumentarfilm wurde für den Deutschen Filmpreis 2009 nominiert.

Literatur

  • Gero von Boehm: Richard David Precht. 18. Februar 2009. Interview in: Begegnungen. Menschenbilder aus drei Jahrzehnten. Collection Rolf Heyne, München 2012, ISBN 978-3-89910-443-1, S.650-660
Commons: Richard David Precht – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. In der autobiografischen Erzählung Lenin kam nur bis Lüdenscheid beschreibt Precht ausführlich seine Kindheit und seinen familiären Hintergrund Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revolution. Erweiterte Auflage. Ullstein, Berlin 2011, ISBN 978-3-548-37323-2.
  2. Titel der Dissertation von 1994:: Die gleitende Logik der Seele. Ästhetische Selbstreflexivität in Robert MusilsDer Mann ohne Eigenschaften
  3. Zum Beispiel 2008/2009 Vortragsreihe Philosopie 2008 an der Universität Luxemburg
  4. Philosoph Precht lehrt an der Leuphana. ndr.de, 1. Juni 2011, abgerufen am 17. Juni 2011.
  5. Pressemitteilung der Uni, abgerufen am 25. August 2011.
  6. Deutschlandfunk: Die Kunst, kein Egoist zu sein, vom 10. Oktober 2010
  7. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Oh ihr Rennpferde, fresst einfach mehr Phrasenhafer!, vom 28. April 2013
  8. Perlentaucher: Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, abgerufen am 22. Juli 2013
  9. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Vergesst Precht!, vom 6. Mai 2013
  10. Homepage der Sendung
  11. Michael Hanfeld: http://www.faz.net/aktuell/fernsehkultur-zdf-stellt-philosophisches-quartett-ein-11698107.html ZDF stellt „Philosophisches Quartett“ ein.], Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 2012, abgerufen am 26. März 2012
  12. Precht will Alltagsprobleme der Menschen thematisieren., Die Welt, 23. Juli 2012, abgerufen am 26. Juli 2012
  13. agora42. Startseite. Abgerufen am 9. Februar 2011.
  14. Richard David Precht: Die entfremdete Republik. Bei der Präsidentenwahl geht es um mehr als nur um ein Amt oder eine Person. In: Der Spiegel. Nr. 26, 2010, S. 116–117 (online28. Juni 2010).
  15. Richard David Precht: Soziale Kriege. Vom Unbehagen der bürgerlichen Mittelschicht. In: Der Spiegel. Nr. 39, 2010, S. 176–177 (online27. September 2010).
  16. Richard David Precht: Feigheit vor dem Volk. Wider den verlogenen Menschenrechts-Bellizismus. In: Der Spiegel. Nr. 32, 2009, S. 118–119 (online3. August 2009).
  17. Precht: „Die Welt in meinem Kopf“ (Memento vom 4. März 2009 im Internet Archive), Solinger Tageblatt, 2. Juni 2008
  18. Film-Besprechung: Lenin kam nur bis Lüdenscheid, die tageszeitung, 5. Juni 2008, von Barbara Schweizerhof