Michael Sandel

Michael J. Sandel (2012)

Michael Joseph Sandel (* 5. März 1953 in Minneapolis) ist ein US-amerikanischer Philosoph. Bekannt wurde er vor allem als Mitbegründer der kommunitaristischen Strömung.[1]

Leben

Sandel wuchs in einer jüdischen Familie auf. Im Alter von dreizehn Jahren zog er mit seiner Familie nach Los Angeles.[2] Er war Präsident seiner Abschlussklasse an der Palisades High School, in Pacific Palisades und graduierte 1975 an der Brandeis University mit einem Bachelor-Abschluss in Politik. Sandel ist Mitglied der Phi-Beta-Kappa-Ehrengesellschaft.[3] Nach seinem Studium an der Brandeis University[4], promovierte er an der University of Oxford bei Charles Taylor.

Seit 1980 lehrt er Politische Philosophie an der Harvard University, wo er Anne T. and Robert M. Bass Professor of Government an der Harvard Law School ist. Bekannt wurde er besonders aufgrund seines Kurses Justice with Michael Sandel, der mittlerweile auch im Internet zu finden ist.[5][6] Für 2018 wurde Sandel der Prinzessin-von-Asturien-Preis für Sozialwissenschaften zugesprochen. Er lebt in Brookline[7] bei Boston.

Werk

Mit seinem Werk Liberalism and the Limits of Justice, das 1982 erschien, gab er eine kritische Antwort auf John Rawls Theorie der Gerechtigkeit.

Im Gegensatz zu der libertären Kritik (beispielsweise von Robert Nozick) beanstandet er jedoch das Fehlen von partikularen und sozialen Werten innerhalb Rawls’ Theorie. Das von Sandel so genannte „ungebundene Selbst“, wie es der Liberalismus verteidige, gebe es nur auf Kosten seiner Loyalitäten und Überzeugungen; jeder Mensch sei sozialisiert und von Gruppen, Traditionen, Gemeinschaften geprägt. Daher sei auch das Gedankenexperiment Rawls’, der Urzustand, durch welchen Rawls seine Theorie begründet, utopisch: Ein Schleier des Nichtwissens sei irreal.

Die höchste Priorität innerhalb der Gesellschaft solle daher nicht die Freiheit des Menschen haben, sondern die Tugenden bzw. das „Gute“ des Menschen und der Gemeinschaft, in welcher er lebt.

Sandel ist, unter anderem neben Charles Taylor und Michael Walzer, einer der Wegbereiter der kommunitaristischen Kritik am „philosophischen Liberalismus“. In seinen 1995 auf Deutsch veröffentlichten Vorlesungen behandelt er die politische Kultur in der Demokratie. Gegen einen werteneutralen Liberalismus will Sandel nachweisen, dass es nicht möglich ist, die Verankerung von Freiheitsrechten von bestimmten Wertorientierungen bzw. Vorstellungen des Guten zu trennen. Diese Diagnose hat Konsequenzen für die Beurteilung wertegeladener Traditionen heute. Für Sandel stellt der Republikanismus, der in der US-Gründerzeit eine große Rolle gespielt hat, auch weiterhin ein Ziel dar. Ohne einen aktiven Bürgersinn werde es nicht gelingen, entgegen dem moralischen Zerfall der Gesellschaft und der jetzigen Politikerverdrossenheit ein künftig freies Gemeinwesen zu verwirklichen. Er kritisiert in diesem Zusammenhang eine vorrangig wirtschaftliche Sicht der Welt, bei der der Mensch sich selbst als Verbraucher sieht statt als Teil einer Zivilgesellschaft und z. B. danach strebt, im Stadion im VIP-Bereich (engl. Sky box) zu sitzen. Er nennt die „skyboxification“ das Grundübel der gegenwärtigen US-Gesellschaft.[8]

2020 legte Sandel in seiner Schrift Vom Ende des Gemeinwohls dar, wie die Leistungsgesellschaft in Form der Meritokratie unsere Demokratien zerreißt. Außerdem benennt er darin die Wissenschaftsfeindlichkeit und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich als die zentralen Probleme der Gegenwart und appelliert zum Schluss dafür, „die Würde der Arbeit wirtschaftlich, kulturell und politisch wieder zu erneuern.

Als erster Harvard-Professor stellte Sandel die Aufzeichnung seiner Seminare gratis online.[9]

Sandels Werk gilt als einflussreich für die Politik des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz.[10][11]

Schriften

Commons: Michael J. Sandel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

Quellen

  1. Ulf Bohmann, Hartmut Rosa: Das Gute und das Rechte. Die kommunitaristischen Demokratietheorien (Sandel, Walzer). In: Oliver W. Lembcke, Claudia Ritzi, Gary S. Schaal (Hrsg.): Zeitgenössische Demokratietheorie. 1 (Normative Demokratietheorien). Springer VS, Wiesbaden 2012, S. 127–155, doi:10.1007/978-3-531-94161-5_5.
  2. Tim Adams: Interview. Michael Sandel: This much I know. The Guardian, 27. April 2013, auf theguardian.com [1]
  3. Michael Sandel: master of life's big questions. Observer profile. The Guardian, 7. April 2012, auf theguardian.com [2]
  4. Harvard Law School: Michael J. Sandel | Harvard Law School. Abgerufen am 27. April 2019 (englisch).
  5. Martin Spiewak: USA: Bildung von der Bühne. In: Die Zeit. Nr. 10, 28. Februar 2008
  6. Anna Gielas: Moral lernen in Harvard. Wann darf ich meinen Bruder verraten? In: Spiegel Online. 5. Januar 2010
  7. Michael Sandel im Gespräch mit Jan Christoph Wiechmann: Wie die globale Akademikerklasse die Arbeitenden verraten hat. In: Das Magazin. Nr. 42. TX Group, Zürich 17. Oktober 2020, S. 18 (online bei tagesanzeiger.ch).
  8. Michael Fitzgerald: Everyone’s Got a Price. In: Newsweek. 23. April 2012, S. 15 (online (Memento vom 1. Juni 2012 im Internet Archive) in The Daily Beast)
  9. Andrian Kreye: Michael Sandel im Interview: Die Gerechtigkeitsfrage. Süddeutsche Zeitung, 21. September 2020, abgerufen am 15. Oktober 2020.
  10. Matthias Ubl: Michael Sandel: Der Philosoph des Kanzlers. In: Die Zeit. 18. Oktober 2022, abgerufen am 3. Juni 2023.
  11. Thomas Schulz: (S+) Michael Sandel: Wie der Harvard-Philosoph die Finanzmärkte bändigen will. In: Der Spiegel. 2. Juni 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 3. Juni 2023]).