Bertelsmann Transformation Index

Der Bertelsmann Transformation Index (BTI) ist eine international vergleichende Studie zum Entwicklungsstand und zur Governance von politischen und wirtschaftlichen Veränderungsprozessen in 129 Entwicklungs- und Transformationsländern. Der BTI wird seit 2006 alle 2 Jahre von der Bertelsmann Stiftung vorgelegt.

Der Index misst und vergleicht die Qualität von Regierungshandeln international mit selbst erhobenen Daten und bietet einen Analyse von politischen Gestaltungsleistungen in Transformationsprozessen. Gemessen werden Erfolge und Rückschritte auf dem Weg zu rechtstaatlicher Demokratie und sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft.

Status- und Management-Index

Kernstück und Namensgeber der Studie sind Ranglisten[1] zur Transformation mit unterschiedlichem Detailgrad. Auf höchster Aggregationsebene weist die Studie zwei Indizes aus: den Status-Index,[2] der den allgemeinen Entwicklungsstand hinsichtlich demokratischer und marktwirtschaftlicher Merkmale untersucht, und den Management-Index,[3] der das politische Management der Entscheidungsträger in den Blick nimmt.

Der Status-Index setzt sich aus den Untersuchungsdimensionen Politische und Wirtschaftliche Transformation zusammen.

Politische Transformation beinhaltet die wesentlichen Merkmale einer demokratischen staatlichen Ordnung. Dies schließt Partizipationsrechte, Rechtsstaatlichkeit, die Stabilität demokratischer Institutionen und die politische und gesellschaftliche Integration von Institutionen ein, aber auch die Staatlichkeit als Grundbedingung für das Funktionieren einer Demokratie.

Wirtschaftliche Transformation meint neben den klassischen marktwirtschaftlichen Merkmalen wie volkswirtschaftliche Leistungsstärke, Markt- und Wettbewerbsordnung, Währungs- und Preisstabilität sowie dem Schutz des Privateigentums auch soziale Komponenten wie das sozioökonomische Entwicklungsniveau, die Sozialordnung und die ökologische und bildungsbezogene Nachhaltigkeit.

Der Management-Index bewertet, inwieweit politische Entscheidungsträger den Transformationsprozess steuern und fördern können. Er setzt sich aus den Kriterien Steuerungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Konsensbildung und Internationale Zusammenarbeit zusammen. Bei der Berechnung des Management-Index wird der Schwierigkeitsgrad berücksichtigt, etwa strukturelle Hindernisse, zivilgesellschaftliche Traditionen und die Konfliktintensität.

Methode

Status- und Management-Index setzen sich modular aus Untersuchungsdimensionen (2. Ebene), Kriterien (3. Ebene) und Indikatoren (4. Ebene) zusammen. Alle Werte für Indikatoren werden auf einer Ordinalskala natürlicher Zahlen von 1 (geringste Ausprägung) bis 10 (vollständige Ausprägung) vergeben. Die Indikatoren, Kriterien und Untersuchungsdimensionen werden durch Mittelwertbildung zur nächsthöheren Ebene aggregiert. Eine Aggregation von Status- und Management-Index zu einem übergeordneten Gesamtwert findet nicht statt.

Status-IndexManagement-Index
Politische TransformationWirtschaftliche TransformationTransformationmanagement
 StaatlichkeitSozioökonomisches Entwicklungsniveau Schwierigkeitsgrad
1.1Staatliches Gewaltmonopol6.1Sozioökonomische Hindernisse13.1Strukturelle Hindernisse
1.2Staatliche IdentitätMarkt- und Wettbewerbsordnung13.2Zivilgesellschaftliche Traditionen
1.3Kein Einfluss religiöser Dogmen7.1Grundlagen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs13.3Konfliktintensität
1.4Grundlegende Verwaltungsstrukturen7.2Antimonopolpolitik13.4BNP p. c. PPP
 Politische Partizipation7.3Liberalisierung des Außenhandels13.5UN Education Index
2.1Freie und faire Wahlen7.4Bankensystem13.6BTI Staatlichkeit & Rechtsstaatlichkeit
2.2Effektive RegierungsgewaltWährungs- und Preisstabilität Gestaltungsfähigkeit
2.3Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit8.1Antiinflations- und Wechselkurspolitik14.1Priorisierung
2.4Presse- und Meinungsfreiheit8.2Makroökonomische Stabilität14.2Implementierung
 RechtsstaatlichkeitPrivateigentum14.3Lernfähigkeit
3.1Gewaltenteilung9.1Eigentumsrechte Ressourceneffizienz
3.2Unabhängigkeit der Justiz9.2Privatwirtschaft15.1Effiziente Ressourcennutzung
3.3Ahndung von AmtsmissbrauchSozialordnung15.2Politikkoordinierung
3.4Bürgerrechte10.1Soziale Sicherungssysteme15.3Antikorruptionspolitik
 Stabilität demokratischer Institutionen10.2Chancengleichheit Konsensbildung
4.1Leistungsfähigkeit demokratischer InstitutionenLeistungsstärke der Volkswirtschaft16.1Zielkonsens
4.2Akzeptanz demokratischer Institutionen11.1Leistungsstärke16.2Antidemokratische Akteure
 Politische und gesellschaftliche IntegrationNachhaltigkeit16.3Konfliktmanagement
5.1Parteiensystem12.1Umweltpolitik16.4Zivilgesellschaftliche Beteiligung
5.2Interessengruppen12.2Bildungspolitik / Forschung und Entwicklung16.5Versöhnung
5.3Zustimmung zur Demokratie Internationale Zusammenarbeit
5.4Sozialkapital17.1Nutzung internationaler Unterstützung
 17.2Glaubwürdigkeit
 17.3Regionale Kooperation

Länderauswahl

Untersucht werden alle Entwicklungs- und Transformationsländer mit mehr als zwei Millionen Einwohnern. Als Entwicklungs- und Transformationsländer werden jene Länder betrachtet, die nicht als demokratisch und marktwirtschaftlich konsolidiert gelten. In Abwesenheit einer konkret anwendbaren Definition der Konsolidierungsgrenze wird die OECD-Mitgliedschaft vor 1989 als Konsolidierungskriterium herangezogen.

In Ausnahmefällen werden auch Länder mit weniger als zwei Millionen Einwohnern (Bahrain, Bhutan, Estland, Kosovo, Mauritius und Montenegro) untersucht. Seit der Aufnahme des Südsudan 2012 umfasst die Studie 129 Staaten.

Erhebungsverfahren

Die Berichte und Bewertungen jeder Studie, an der etwa 300 Personen beteiligt sind, beruhen auf einem mehrstufigen Erhebungs- und Prüfverfahren. Ziel des Verfahrens ist es, zu möglichst objektiven und vergleichbaren Ergebnissen zu gelangen. Zwei Gutachter pro Land - in der Regel ein internationaler und ein lokaler Experte - erstellen und überprüfen qualitative Länderanalysen anhand von 49 standardisierten Fragen (Codebuch)[4] und übersetzen die Antworten unabhängig voneinander in quantitative Bewertungen. Auf dieser Grundlage vereinheitlichen sieben Regionalkoordinatoren die Ergebnisse intra- und interregional. Ein wissenschaftlicher Beirat von Transformationsexperten kontrolliert und diskutiert die Ergebnisse und verabschiedet die endgültigen Werte.

Grafische Erläuterung des BTI-Erhebungsprozesses

Der Prototyp des BTI wurde 2003 veröffentlicht und anschließend methodisch überarbeitet. Seitdem haben keine grundlegenden methodologischen Änderungen mehr stattgefunden, so dass aussagekräftige Zeitreihen seit 2006 gebildet werden können.

Ergebnisse

Der Bertelsmann Transformation Index leistet einen Beitrag zum Verständnis von Transformationsprozessen. So weist die Studie regelmäßig einen engen empirischen und funktionalen Zusammenhang zwischen rechtsstaatlicher Demokratie und sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft nach, der durch die hohe Korrelation der entsprechenden BTI-Werte bestätigt wird. Demnach ist die Gruppe der Demokratien den Autokratien im Hinblick auf wirtschaftlichen Entwicklungsstand, Ressourceneffizienz, Konsensbildung und internationaler Kooperation überlegen. Aus diesem Zusammenhang lässt sich jedoch kein Entwicklungsautomatismus oder eine universell gültige optimale Abfolge von Reformen ableiten.

Seit Mitte der 2000er Jahre stellt der BTI einen Rückgang der Qualität von politischen Partizipationsrechten und rechtsstaatlichen Merkmalen in Demokratien fest. Dies betrifft insbesondere die Durchführung freier und fairer Wahlen und die Meinungs- und Pressefreiheit in relativ fortgeschrittenen Ländern Ostmittel- und Südeuropas sowie Lateinamerikas. Während der Wohlstand tendenziell zugenommen hat und absolute Armut zurückgegangen ist, sind Ungleichheit und soziale Ausgrenzung gewachsen.

Politische Transformation 2014
RangLandWert
1Uruguay9,95
2Estland9,70
3Taiwan9,65
4Tschechien9,60
5Polen9,35
6Costa Rica9,30
6Slowenien9,30
8Litauen9,25
9Chile9,10
10Slowakei9,05
Wirtschaftliche Transformation 2014
RangLandWert
1Taiwan9,50
2Tschechien9,43
3Estland9,14
4Polen8,96
5Slowenien8,93
6Singapur8,89
7Uruguay8,71
7Litauen8,71
7Südkorea8,71
10Chile8,54
Management-Index 2014
RangLandWert
1Taiwan7,68
2Uruguay7,46
3Brasilien7,30
4Estland7,26
5Chile7,22
6Polen7,21
6Slowakei7,09
8Litauen7,08
9Botswana6,92
9Südkorea6,92

Publikation und Materialien

Die Studienergebnisse werden auf Englisch und teilweise auf Deutsch veröffentlicht. Den Kern jeder Studie bilden die durchschnittlich etwa 30 Seiten umfassenden Länderberichte.[5] Sieben ausführliche Regionalberichte[6] bieten zudem eine Analyse von den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in den untersuchten Weltregionen. Weltweite Ergebnisse und Trends werden in einer zweijährlichen Buchreihe[7] publiziert.

Initiiert und finanziert von anderen Think Tanks sind globale Auswertungen, Regional- und Länderberichte des BTI auch in anderen Sprachen erschienen: 2008 auf Arabisch vom Gulf Research Center, 2010 auf Russisch durch das Moskauer Center for Post-Industrial Studies und 2014 auf Spanisch vom argentinischen Centro para la Apertura y el Desarrollo de América Latina.

Der BTI Atlas,[8] eine Grafikanwendung, bietet einen interaktiven Zugang zu den Ergebnissen aller Ausgaben seit 2006. Die Verknüpfung von Werten und zugrundeliegenden Beschreibungen sowie verschiedene Einstiege über Länder, Ländergruppen, Themen, Korrelationen und Zeitverläufe ermöglichen dem Nutzer individuelle Zugänge je nach Erkenntnisinteresse.

Verwendung

Der Bertelsmann Transformation Index wird sowohl von Regierungen weltweit zur Beurteilung von Partnerländern herangezogen als auch von internationalen Organisationen zur Erstellung ihrer eigenen Analysen genutzt. Die Worldwide Governance Indicators, der Korruptionswahrnehmungsindex und der Ibrahim Index of African Governance beruhen in Teilen auf BTI-Ergebnissen.

Das Schwesterprojekt Sustainable Governance Indicators, das dem BTI methodisch nachempfunden ist, untersucht die Reformfähigkeit und Nachhaltigkeit fortgeschrittener Demokratien und Marktwirtschaften. Die Untersuchung umfasst alle OECD- und EU-Mitgliedsstaaten, einschließlich die nicht in den BTI einbezogenen OECD-Kernländer.

Kritik

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist an dem Bertelsmann Transformation Index auszusetzen, dass er die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verrechnet und damit impliziert, dass diese zwangsläufig aneinander gebunden sind. Allerdings ist empirisch auch eine wirtschaftliche Entwicklung ohne demokratische Transformation möglich, beispielsweise in China. Des Weiteren geht der BTI bei der Bewertung des Transformations"managements" davon aus, dass nur die jeweilige Regierung eines Landes den Transformationsprozess beeinflussen kann. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch gesellschaftliche Akteure, beispielsweise Gewerkschaften, Transformationsprozesse anstoßen und in hohem Maße beeinflussen und in diesem Sinne auch "managen" können. Beispiel dafür ist die Systemtransformation in Polen unter Einfluss der katholischen Kirche und der Gewerkschaft Solidarność Ende der Achtziger Jahre.

Siehe auch

Literatur

  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Bertelsmann Transformation Index 2003, Auf dem Weg zur marktwirtschaftlichen Demokratie, Gütersloh 2004, ISBN 978-3-89204-728-5
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Bertelsmann Transformation Index 2006, Auf dem Weg zur marktwirtschaftlichen Demokratie, Gütersloh 2005, ISBN 978-3-89204-855-8
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Bertelsmann Transformation Index 2008, Politische Gestaltung im internationalen Vergleich, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-89204-967-8
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Transformation Index 2010, Politische Gestaltung im internationalen Vergleich, Gütersloh 2009, ISBN 978-3-86793-050-5
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Transformation Index 2012, Politische Gestaltung im internationalen Vergleich, Gütersloh 2012, ISBN 978-3-86793-343-8
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Transformation Index 2014, Political Management in International Comparison, Gütersloh 2014, ISBN 978-3-86793-520-3

Quellen

  1. BTI-Rangliste 2003-2014 - Excel-Tabelle BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  2. Status-Index BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  3. Management-Index BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  4. Codebuch-PDF BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  5. Länderberichte-Übersicht BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  6. Regionalberichte-Übersicht BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  7. Buch: BTI-Report - online BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.
  8. BTI-Atlas - online BTI-Homepage. Abgerufen am 24. Juli 2014.