„Werkstorprinzip“ – Versionsunterschied

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Das '''Werkstorprinzip''' ist ein Begriff aus dem [[Steuerrecht (Deutschland)|deutschen Steuerrecht]] den das Bundesfinanzministerium im Rahmen eines Einkommensteueränderungsgesetzes im Jahr 2006 erfunden hat. Der Gedanke stammt aus den USA.
Das '''Werkstorprinzip''' ist ein Begriff aus dem [[Steuerrecht (Deutschland)|deutschen Steuerrecht]], den das [[Bundesfinanzministerium]] im Rahmen der [[Steuerreform]] 2006 in die [[Einkommensteuer (Deutschland)|Einkommensbesteuerung]] eingeführt hat. Das Prinzip geht davon aus, dass steuerrechtlich die Arbeit erst hinter dem Werkstor beginnt und der Zeit- und Kostenaufwand bis zum Erreichen des Werkstores der Privatsphäre zuzurechnen sind.


Dieser Grundsatz ist vor allem im [[Common Law|angelsächsischen Rechtsbereich]] (USA, Kanada, Großbritannien und Irland) und auch in weiteren europäischen Ländern (Tschechien, Griechenland) verbreitet.<ref>[http://web.archive.org/web/20081221070121/http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53988/DE/Buergerinnen__und__Buerger/Arbeit__und__Steuererklaerung/0002__intVergleich__Entfernungspauschale__anl,templateId=raw,property=publicationFile.pdf Internationaler Vergleich zum steuerlichen Abzug von Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeits- oder Betriebsstätte (pdf)]</ref>
== Hintergrund ==

Mit diesem Prinzip, das zum 1. Januar 2007 im Bereich der [[Einkommensteuer (Deutschland)|Einkommensteuer]] eingeführt wird, erfolgt eine Änderung, mindestens jedoch Klarstellung hinsichtlich des Ansatzes der [[Entfernungspauschale]]. Bisher galt deshalb immer der Grundsatz, dass diese Kosten als [[Werbungskosten]] steuerlich abzugsfähig sein sollten. Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 ist diese Abzugsfähigkeit massiv beschränkt worden. Allgemein wird die Fahrt zur Arbeitsstätte jetzt dem Privatbereich zugeordnet und Kosten können nur in Härtefällen (die pauschal ab einer Entfernung Wohnung-Arbeitsstätte über 20 km angenommen werden, also ab dem 21. Entfernungs-Kilometer) steuermindernd angesetzt werden. Auch die Kosten durch Unfälle auf dem Weg zur Arbeit gelten nicht mehr als Werbungskosten. Dies betrifft nicht nur die [[Arbeitnehmer]]. Auch [[Freiberufler]] und [[Gewerbe|Gewerbetreibende]] müssen über die [[Betriebsausgabe|nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben]] entsprechende Hinzurechnungen vornehmen.
Vor dem 1. Januar 2007 waren die Kosten für die Fahrt zur Arbeitsstätte als [[Werbungskosten]] steuerlich abzugsfähig.

Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 wurde diese Abzugsfähigkeit grundsätzlich abgeschafft. Allgemein wurde die Fahrt zur Arbeitsstätte dem Privatbereich zugeordnet; Kosten konnten nur in Härtefällen, die pauschal ab einer Entfernung von über 20 km angenommen wurden, steuermindernd angesetzt werden. Auch Unfallkosten, die auf dem Weg zur Arbeit verursacht wurden, galten nicht mehr als Werbungskosten. Das Prinzip betraf nicht nur [[Arbeitnehmer]], sondern auch die [[Freier Beruf (Deutschland)|Freiberufler]] und [[Gewerbe]]treibende, die über [[Betriebsausgabe|nicht abzugsfähige Betriebsausgaben]] entsprechende Hinzurechnungen vornehmen mussten.

Diese Steueränderung, verankert in {{§|9|estg|juris}} Abs. 2 [[Einkommensteuergesetz (Deutschland)|Einkommensteuergesetz]] (EStG), wurde mit der Entscheidung des II. Senats des [[Bundesverfassungsgericht]]s vom 9. Dezember 2008 für verfassungswidrig erklärt und vom Gesetzgeber eine rückwirkende Veränderung verlangt. Damit können die Kosten rückwirkend vom Januar 2007 wieder ab dem ersten Kilometer geltend gemacht werden.


== Ursprung des Gedankens ==
== Ursprung des Gedankens ==
Das [[Bundesverfassungsgericht]] hatte am 4. Dezember 2002 in einem Urteil (zur Verfassungswiedrigkeit der Begrenzung der doppelten Haushaltsführung auf 2 Jahre) entschieden:
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 4. Dezember 2002 in einem Urteil zur Verfassungswidrigkeit der zeitlichen Begrenzung einer doppelten Haushaltsführung entschieden:
"Die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ist traditioneller Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst "am Werkstor" beginnen zu lassen. Auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt. Danach gehören - hinreichend folgerichtig - vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen der privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat mitveranlasst sind" [http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20021204_2bvr040098.html Entscheidung des Bundesverfassunsggerichts].
''„Die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ist traditioneller Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu lassen. Auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt. Danach gehören - hinreichend folgerichtig - vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen der privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat mitveranlasst sind.“''<ref>[http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20021204_2bvr040098.html Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, 2 BvR 400/98 vom 4. Dezember 2002, Absatz-Nr. 57]</ref>


Das Bundesfinanzministerium schließt aus diesen Sätzen: "Das Bundesverfassungsgericht sieht die Entscheidung, ob die berufliche Sphäre an der Wohnung oder am „Werkstor“ beginnt, als einfachrechtliche Grundentscheidung an, die – wie bisher - der Gesetzgeber zu treffen hat. Da es sich bei Fahrtaufwendungen um gemischte Aufwendungen handelt, muss der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis deren steuerliche Abziehbarkeit bestimmen." [http://www.bundesfinanzministerium.de/DE/Buergerinnen__und__Buerger/Arbeit__und__Steuererklaerung/0002__Entfernungspauschale.html. Wie begründet das BMF seine Auffassung von der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung?]
Das Bundesfinanzministerium schloss daraus, dass ''„das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung, ob die berufliche Sphäre an der Wohnung oder am „Werkstor“ beginnt, als einfachrechtliche Grundentscheidung ansieht, die – wie bisher der Gesetzgeber zu treffen hat. Da es sich bei Fahrtaufwendungen um gemischte Aufwendungen handelt, muss der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis deren steuerliche Abziehbarkeit bestimmen.“''<ref>[http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53988/DE/Buergerinnen__und__Buerger/Arbeit__und__Steuererklaerung/0002__Entfernungspauschale.html#6 Wie begründet das BMF seine Auffassung von der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung?]{{Toter Link|url=http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_53988/DE/Buergerinnen__und__Buerger/Arbeit__und__Steuererklaerung/0002__Entfernungspauschale.html |date=2019-05 |archivebot=2019-05-23 07:36:24 InternetArchiveBot }}</ref>


Diese Auffassung wurde aber bereits bei Erlass der Gesetzesänderung von Experten als Missverständnis kritisiert.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.uni-kiel.de/verw/zv/personalrat-cau/pendlerpauschale_rechtsgutachten.pdf |wayback=20090529215510 |text=Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung von Prof. Dr. Joachim Wieland (pdf) (173 kB) |archiv-bot=2019-05-23 07:36:24 InternetArchiveBot }}</ref> Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich in dem erwähnten Urteil auch entschieden, dass: ''„Allgemein gilt: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne Weiteres zur Disposition des Gesetzgebers.“''<ref>[http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20021204_2bvr040098.html Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, 2 BvR 400/98 vom 4. Dezember 2002, Absatz-Nr. 55, 66]</ref>
Das [[Bundesverfassungsgericht]] hatte allerdings in dem erwähnten Urteil auch entschieden, dass:
"Allgemein gilt: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne Weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser hat die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen sind ... Den gebotenen Schutz der "Doppelverdienerehe" verfehlt der Einkommensteuergesetzgeber, wenn er Aufwendungen, die für beiderseits berufstätige Ehegatten zwangsläufiger Aufwand für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf unter Bedingungen hoher Mobilität sind, nach Ablauf von zwei Jahren mit beliebig disponibler privater Einkommensverwendung gleichsetzt und für die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten unberücksichtigt lässt. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, soweit es sich um zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten handelt, der dadurch entsteht, dass ein gemeinsamer Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten besteht und zugleich die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort veranlasst ist. Aus welchen Gründen sich einer der Ehegatten für eine Berufstätigkeit an einem vom gemeinsamen Wohnort abweichenden Beschäftigungsort entschlossen hat, ist dabei auch nach Ablauf von zwei Jahren doppelter Haushaltsführung nicht von Belang; es liegt im Rahmen der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Sphäre privater Lebensgestaltung, ob dieser Ehepartner in Wahrnehmung seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) einen solchen Entschluss fasst, um überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden, oder ob er damit beispielsweise nur die Erwartung einer höheren Arbeitsplatzattraktivität oder besserer Karrierechancen verbindet" [http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20021204_2bvr040098.html Entscheidung des Bundesverfassunsggerichts].


== Widerstand ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
Gegen die Einführung des Werkstorprinzips regt sich Widerstand - aus steuersystematischen ebenso wie aus Gerechtigkeitserwägungen. Der [[BFH|Bundesfinanzhof]] hat in seinem Beschluss [http://www.bundesfinanzhof.de/www/entscheidungen/2007.9.06/6B4207.html] vom 23. August 2007 festgestellt, dass "ernstlich zweifelhaft [ist], ob das ab 2007 geltende Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG betreffend Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verfassungsgemäß ist."


== Weblinks ==
Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs hält die Neuregelung für verfassungswidrig, soweit Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte weder als Werbungskosten noch auf andere Weise abgezogen werden können. Er hat deshalb zwei Verfahren betreffend die Ablehnung eines Lohnsteuerermäßigungsantrags mit Beschlüssen vom 10. Januar 2008 ausgesetzt und das Abzugsverbot dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Der Beschluss VI R 17/07 ist zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt.
* [http://archiv.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=473&show Christoph Gröpl: Die Pendlerpauschale – eine „heilige Kuh“ des deutschen Steuerrechts? (pdf)]
* [http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/pendler-urteil-laesst-steinbrueck-kalt;1381597 handelsblatt.com: Finanzminister Steinbrück sagt „Die Arbeit beginnt am Werkstor.“]


{{Rechtshinweis}}
Eine Entscheidung des [[Bundesverfassungsgericht|Bundesverfassungsgerichtes]] darüber ob bzw. in wieweit das Werkstorprinzip verfassungskonform ist, wird bis ende 2008 erwartet.


[[Kategorie: Steuerrecht]]
[[Kategorie:Einkommensteuerrecht (Deutschland)]]

Aktuelle Version vom 30. November 2022, 01:53 Uhr

Das Werkstorprinzip ist ein Begriff aus dem deutschen Steuerrecht, den das Bundesfinanzministerium im Rahmen der Steuerreform 2006 in die Einkommensbesteuerung eingeführt hat. Das Prinzip geht davon aus, dass steuerrechtlich die Arbeit erst hinter dem Werkstor beginnt und der Zeit- und Kostenaufwand bis zum Erreichen des Werkstores der Privatsphäre zuzurechnen sind.

Dieser Grundsatz ist vor allem im angelsächsischen Rechtsbereich (USA, Kanada, Großbritannien und Irland) und auch in weiteren europäischen Ländern (Tschechien, Griechenland) verbreitet.[1]

Vor dem 1. Januar 2007 waren die Kosten für die Fahrt zur Arbeitsstätte als Werbungskosten steuerlich abzugsfähig.

Mit dem Steueränderungsgesetz 2007 wurde diese Abzugsfähigkeit grundsätzlich abgeschafft. Allgemein wurde die Fahrt zur Arbeitsstätte dem Privatbereich zugeordnet; Kosten konnten nur in Härtefällen, die pauschal ab einer Entfernung von über 20 km angenommen wurden, steuermindernd angesetzt werden. Auch Unfallkosten, die auf dem Weg zur Arbeit verursacht wurden, galten nicht mehr als Werbungskosten. Das Prinzip betraf nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch die Freiberufler und Gewerbetreibende, die über nicht abzugsfähige Betriebsausgaben entsprechende Hinzurechnungen vornehmen mussten.

Diese Steueränderung, verankert in § 9 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), wurde mit der Entscheidung des II. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2008 für verfassungswidrig erklärt und vom Gesetzgeber eine rückwirkende Veränderung verlangt. Damit können die Kosten rückwirkend vom Januar 2007 wieder ab dem ersten Kilometer geltend gemacht werden.

Ursprung des Gedankens

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 4. Dezember 2002 in einem Urteil zur Verfassungswidrigkeit der zeitlichen Begrenzung einer doppelten Haushaltsführung entschieden: „Die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten ist traditioneller Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu lassen. Auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt. Danach gehören - hinreichend folgerichtig - vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen der privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat mitveranlasst sind.“[2]

Das Bundesfinanzministerium schloss daraus, dass „das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung, ob die berufliche Sphäre an der Wohnung oder am „Werkstor“ beginnt, als einfachrechtliche Grundentscheidung ansieht, die – wie bisher – der Gesetzgeber zu treffen hat. Da es sich bei Fahrtaufwendungen um gemischte Aufwendungen handelt, muss der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsbefugnis deren steuerliche Abziehbarkeit bestimmen.“[3]

Diese Auffassung wurde aber bereits bei Erlass der Gesetzesänderung von Experten als Missverständnis kritisiert.[4] Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich in dem erwähnten Urteil auch entschieden, dass: „Allgemein gilt: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne Weiteres zur Disposition des Gesetzgebers.“[5]

Einzelnachweise

  1. Internationaler Vergleich zum steuerlichen Abzug von Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeits- oder Betriebsstätte (pdf)
  2. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, 2 BvR 400/98 vom 4. Dezember 2002, Absatz-Nr. 57
  3. Wie begründet das BMF seine Auffassung von der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung?@1@2Vorlage:Toter Link/www.bundesfinanzministerium.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  4. Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung von Prof. Dr. Joachim Wieland (pdf) (173 kB) (Memento des Originals vom 29. Mai 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-kiel.de
  5. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, 2 BvR 400/98 vom 4. Dezember 2002, Absatz-Nr. 55, 66